TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/20 W283 2244366-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.08.2021
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Entscheidungsdatum

20.08.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §77
FPG §80

Spruch


W283 2244366-2/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Stefanie OMENITSCH im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl 1001813700/210206377 über die weitere Anhaltung von XXXX , alias XXXX , alias XXXX , alias XXXX , alias XXXX , alias XXXX , geboren am XXXX , StA. ALGERIEN, alias StA. MAROKKO, alias StA. LIBYEN, in Schubhaft zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) stellte am 12.02.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. In weiterer Folge führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) Konsultationen mit den Mitgliedstaaten Frankreich und der Schweiz aufgrund der Dublin III-VO und teilte dies dem BF mit Verfahrensanordnung vom 14.02.2014 mit. Frankreich und die Schweiz erklärten ihre Unzuständigkeit.

Der BF tauchte unter und wurde das Asylverfahren am 03.04.2014 eingestellt, weil sich der BF dem Verfahren entzogen hat. Gleichzeitig wurde ein Festnahmeauftrag erlassen.

Am 06.04.2014 wurde der BF im Rahmen einer Polizeikontrolle festgenommen und dem Bundesamt vorgeführt, nach der Einvernahme tauchte der BF abermals unter gab dem Bundesamt seinen Aufenthaltsort nicht bekannt. Der BF reiste unrechtmäßig nach Norwegen weiter und wurde in weiterer Folge am 19.02.2015 von Norwegen nach Österreich aufgrund der Dublin III-VO rücküberstellt.

Der BF wurde im Bundesgebiet mehrfach straffällig und am 06.05.2015 und am 12.06.2015 rechtskräftig verurteilt.

Mit Verfahrensanordnung wurde dem BF am 18.12.2015 mitgeteilt, dass er sein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verloren hat.

Am 02.06.2016 stellte der BF unter einer falschen Identität – nämlich unter Angabe eines anderen Namens – bei einer Polizeiinspektion in Österreich einen weiteren Asylantrag. Der BF reiste neuerlich unrechtmäßig in die Schweiz weiter und wurde am 30.03.2017 von der Schweiz nach Österreich rücküberstellt. Gegenüber den Schweizer Behörden gab der BF wiederum eine falsche Identität – nämlich einen anderen Namen, ein anderes Geburtsdatum und eine andere Staatsangehörigkeit an.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 14.08.2017 wurde Ihr Antrag auf internationalen Schutz vollinhaltlich abgewiesen, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung nach Algerien zulässig ist und ein Einreiseverbot in der Dauer von 7 Jahren erlassen. Diese Entscheidung erwuchs am 06.09.2017 in Rechtskraft.

Am 10.10.2017 wurde ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates (HRZ) mit Algerien eingeleitet. Im Zuge einer Einvernahme in diesem Verfahren wirkte der BF nicht mit.

Mit Urteil eines Landesgerichts vom 12.12.2017 wurde der BF neuerlich rechtskräftig verurteilt. Nach der Entlassung aus der Strafhaft wurde der BF in Schubhaft angehalten. Der BF wirkte im Zuge eines Vorführtermins bei der Vertretungsbehörde nicht mit und wurde negativ identifiziert. In weiterer Folge wurde der BF aus der Schubhaft entlassen.

Mehrere HRZ-Verfahren wurden seitens des Bundesamtes betrieben.

Am 25.09.2018 wurde der BF neuerlich von der Schweiz nach Österreich rücküberstellt. Der BF wurde in Schubhaft genommen, wobei der BF einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz stellte, den er am 07.01.2019 ohne weitere Angaben schriftlich zurückgezogen hat. Am 07.01.2019 wurde der BF aus der Schubhaft entlassen, da keine Identifizierung vorlag.

Mit Urteil eines Landesgerichts vom 28.02.2019 wurde der BF neuerlich rechtskräftig verurteilt. Der BF befand sich zuletzt von 11.01.2019 bis 20.04.2021 in Justizhaft.

Am 05.03.2021 wurde der BF im Hinblick auf eine Schubhaftverhängung und zur Identitätsfeststellung zur Erlangung eines HRZ einvernommen, wobei der BF nicht mitwirkte.

Am 12.03.2021 wurde ein weiteres Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates mit Algerien eingeleitet.

Mit Bescheid vom 19.04.2021 wurde über den BF die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung angeordnet und festgelegt, dass die Rechtsfolgen des Bescheides nach der Entlassung aus der Strafhaft eintreten.

Der BF befindet sich seit seiner Entlassung aus der Strafhaft am 20.04.2021 in Schubhaft.

Mit Erkenntnis des BVwG vom 21.07.2021, W154 2244366-1/8E, wurde im Rahmen einer Schubhaftbeschwerde zuletzt festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

Am 12.08.2021 legte das Bundesamt dem erkennenden Gericht die Akten zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der weiteren Anhaltung des BF vor und brachte eine Stellungnahme zur Aktenvorlage ein. Dabei wies es auf die Nichtmitwirkung des BF im Hinblick auf die Erlangung eines HRZ hin und die Angabe von mehreren Identitäten und Staatsangehörigkeiten. Seit 06.08.2021 liege dem Bundesamt das Ergebnis einer Sprachanalyse vor und seien die Verfahren zur Erlangung eines HRZ betreffend Algerien und Marokko derzeit laufend. Mit Stellungnahmen von 17.08.2021 und 18.07.2021 (wohl 18.08.2021) konkretisierte das Bundesamt seine Angaben aufgrund der gerichtlichen Aufträge.

Dem BF wurde die Stellungnahme des Bundesamtes vom 12.08.2021 zur Aktenvorlage als Parteiengehör übermittelt und ihm eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme gewährt, die bis dato fruchtlos verstrichen ist.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF und zu den Voraussetzungen der Schubhaft

1.1.1 Der BF besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft nicht, er besitzt auch keine Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates, seine Staatsangehörigkeit ist bis dato ungeklärt. Der BF ist vermutlich Staatsangehöriger von Marokko oder Algerien. Der Beschwerdeführer ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

1.1.2. Es besteht gegen den Beschwerdeführer eine rechtskräftige aufenthaltsbeendende Maßnahme und ein Einreiseverbot in der Dauer von 7 Jahren.

1.1.3. Der Beschwerdeführer ist gesund und haftfähig. Es liegen keine die Haftfähigkeit ausschließenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen beim BF vor. Der BF hat in der Schubhaft Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung.

1.1.4. Der BF wurde in der Vergangenheit im Zeitraum von 12.12.2017 bis 12.03.2018 und im Zeitraum von 25.09.2018 bis 07.01.2019 bereits in Schubhaft angehalten. Diese Schubhaftzeiten sind auf die höchstzulässige Anhaltedauer anzurechnen.

1.1.5. Der Beschwerdeführer befand sich von zuletzt von 11.01.2019 bis 20.04.2021 in Justizhaft (Zentrales Melderegister).

1.1.6. Der BF wird aktuell seit 20.04.2021 in Schubhaft angehalten. Die gesetzliche Frist zur erstmaligen amtswegigen Überprüfung der Schubhaft endet daher 20.08.2021. Am 20.08.2021 wird der BF länger als 4 Monate in Schubhaft angehalten. Das Bundesamt ist seiner gesetzlichen Verständigungspflicht, den BF über das Vorliegen der Verlängerungsgründe unverzüglich schriftlich und in einer dem Beschwerdeführer verständlichen Sprache in Kenntnis zu setzen bis dato nicht nachgekommen. Das Bundesveraltungsgericht hat den BF mit Verständigung vom 20.08.2021 in arabischer Sprache schriftlich von der Verlängerung der Schubhaft in Kenntnis gesetzt.

1.2. Zur Fluchtgefahr und zum Sicherungsbedarf

1.2.1. Der Beschwerdeführer verschleiert absichtlich seine Identität, um seine Abschiebung zu verhindern. Der BF benutzte in Europa mehrere falsche Identitäten, und zwar Namen, Geburtsdaten und auch Staatsangehörigkeiten. Der BF hat keine identitätsbezeugenden Unterlagen vorgelegt, um seine tatsächliche Identität verborgen zu halten.

1.2.2. Der Beschwerdeführer tauchte während des ersten laufenden Asylverfahrens in Österreich unter und musste das Verfahren am 03.04.2014 eingestellt werden, weil sich der BF dem Verfahren entzogen hat. Am 06.04.2014 wurde der BF im Rahmen einer Polizeikontrolle festgenommen und dem Bundesamt vorgeführt, nach der Einvernahme tauchte der BF abermals unter gab dem Bundesamt seinen Aufenthaltsort nicht bekannt.

1.2.3. Der BF reiste unrechtmäßig nach Schweden weiter und stellte dort am 04.11.2014 einen weiteren Asylantrag.

1.2.4. Dann reiste er nach Norwegen weiter und stellte dort am 14.01.2015 einen weiteren Asylantrag. In weiterer Folge wurde er am 19.02.2015 von Norwegen nach Österreich aufgrund der Dublin III-VO rücküberstellt.

1.2.5. Am 02.06.2016 stellte der BF unter einer falschen Identität – nämlich unter Angabe eines anderen Namens – bei einer Polizeiinspektion in Österreich einen weiteren Asylantrag.

1.2.6. Der BF reiste neuerlich unrechtmäßig in die Schweiz weiter und wurde am 30.03.2017 von der Schweiz nach Österreich rücküberstellt. Gegenüber den Schweizer Behörden gab der BF wiederum eine falsche Identität – nämlich einen anderen Namen, ein anderes Geburtsdatum und eine andere Staatsangehörigkeit an.

1.2.7. Der BF wirkte in den Verfahren nicht mit, um seine Abschiebung zu verhindern.

1.2.8. Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten. Er hat keine engen sozialen Anknüpfungspunkte in Österreich. Er ist beruflich in Österreich nicht verankert. Er verfügt über keinen eigenen gesicherten Wohnsitz und über keine Mittel, um seinen Lebensunterhalt zu sichern.

1.3. Zur Verhältnismäßigkeit und Dauer

1.3.1. Der Beschwerdeführer ist in Österreich vorbestraft. Er wurde von österreichischen Gerichten vier Mal rechtskräftig verurteilt:

1.3.1.1. Mit Urteil eines Landesgerichts wurde der BF am 06.05.2015 wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung (§§ 83, 84 Abs. 2 Z 4 StGB), dem Vergehen des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt (§§ 15, 269 Abs. 1 StGB), dem Vergehen der Sachbeschädigungen (§ 125 StGB), dem Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften (§ 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG und § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall, Abs. 3 und Abs. 4 Z 1 SMG) zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt. Ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe in der Dauer von 8 Machten wurde unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen.

Der Verurteilung lagen Tathandlungen am 02.03.2015 zugrunde, wonach der BF einen Polizisten vorsätzlich am Körper verletzte, indem er ihn durch die Einsatzjacke in den rechten Unterarm biss, wodurch der Polizist einen etwa acht Zentimeter großen Bluterguss und eine leichte Rötung erlitt. Der BF versuchte am selben Tag zwei Polizeibeamte mit Gewalt an seiner Verbringung in den Verwahrungsraum nach seiner Festnahme zu hindern, und zwar durch das Beißen durch die Einsatzjacke in den rechten Unterarm, sowie durch das Versetzen von Schlägen und Tritten. Der BF beschädigte fremde Sachen, nämlich Gegenstände der Republik Österreich, und zwar am 02.03.2015 durch Urinieren auf die Zellenmatratzen sowie das Herausreißen einer sechs Meter langen Kunststoffleiste aus der Zellenwand. Weiters indem der BF am 24.10.2014 einen Teil des Plexiglases eines Einsatzwagens zerschlug. Der BF hat am 06.03.2014, am 03.04.2014 sowie am 04.09.2014 Cannabisharz und Kokain erworben und besessen. Am 09.06.2014 hat der BF einem Minderjährigen 2,1 Gramm Cannabisharz durch gewinnbringenden Verkauf überlassen, wobei er diese Tat gewerbsmäßig beging und selbst volljährig und mehr als zwei Jahre älter als der Minderjährige war.

Bei der Strafbemessung wurde mildernd gewertet, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, zum Großteil ein reumütiges Geständnis, das Alter des BF unter 21 Jahre und dass er durch Alkohol enthemmt war. Erschwerend wurde das Zusammentreffen mehrerer Vergehen gewertet.

1.3.1.2. Mit Urteil eines Landesgerichts vom 12.08.2015 wurde der BF wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften (§ 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 3 SMG) zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF am 04.07.2015 vorschriftswidrig 2,2, Gramm Marihuana einem verdecken Ermittler gegen Entgelt überlassen hat.

Bei der Strafbemessung wurden die einschlägige Vorstrafe und der rasche Rückfall erschwerend gewertet. Mildernd wurden das reumütige Geständnis und die Tatbegehung im Alter unter 21 Jahren ins Kalkül gezogen. Der BF war an Suchtmittel gewöhnt, er tätigte die Verkäufe jedoch nicht ausschließlich oder zumindest vorwiegend deshalb, um seinen eigenen Suchtgiftkonsum zu finanzieren, sondern er wollte sich durch die Straftaten primär seinen Lebensunterhalt finanzieren. Die Voraussetzungen einer diversionellen Erledigung lagen nicht vor, weil das Verschulden des BF als schwer anzusehen war.

1.3.1.3. Mit Urteil eines Landesgerichts vom 12.12.2017 wurde der BF wegen des Vergehens der versuchten Nötigung (§§ 15 Abs. 1, 105 Abs. 1 StGB), des Vergehens der gefährlichen Drohung (§ 107 Abs. 1 und abs. 2 StGB), der Vergehen der Körperverletzung (§§ 15 Abs. 1, 83 Abs. 1 StGB), des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt (§§ 15 Abs. 1, 269 Abs. 1 StGB) und der Vergehen der schweren Körperverletzung (§§ 15 Abs. 1, 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB) zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 12 Monaten verurteilt. Ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe in der Dauer von 9 Monaten wurde unter Bestimmungen einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen. Für die Dauer der Probezeit wurde Bewährungshilfe angeordnet und wurden 3 Weisungen erteilt.

Der BF hat am 09.08.2017 zwei Personen durch die Äußerung „Ihr werdet schon sehen was passiert, lasst mich jetzt hinein“ zu einer Handlung, nämlich der Gewährung des Eintritts in ein Lokal zu nötigen versucht. Weiters hat er durch die Äußerung „Du wirst schon sehen, was mit dir passeiert!“ wobei er mit einer abgebrochenen Bierflasche auf die beiden zuging und ihnen diese vorgehalten hat, mit dem Tod gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen. Am 25.07.2017 hat der BF zwei Personen dadurch, dass er mit einem Glas einen Schlag in Richtung des Kopfes einer Person und in der Folge mit einer Glasscherbe in der Hand Schläge in die Richtung beider Personen führte, vorsätzlich am Körper zu verletzen versucht. Am selben Tag hat der BF fünf PolizistInnen die im Begriff standen, ihn einem Krankenhaus vorzuführen dadurch, dass er versuchte drei PolizistInnen Fußtritte zu versetzen und zwei PolizistInnen zu beißen und mit den Armen um sich schlug und um sich trat, mit Gewalt an einer Amtshandlung zu hindern versucht. Dadurch, dass der BF versuchte den PolizistInnen Fußtritte zu versetzen bzw. diese zu beißen hat er die PolizistInnen am Körper zu verletzen versucht.

1.3.1.4. Der BF wurde mit Urteil eines Landesgerichts vom 28.02.2019 wegen des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung (§ 287 Abs.1 StGB; §§ 15, 269 Abs. 1, 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt. Die gewährten bedingten Strafnachsichten wurden dabei widerrufen, sodass auch die bisher bedingt nachgesehenen Strafen im Ausmaß von 8 Monaten und 9 Monaten zu vollziehen sind.

Der Verurteilung lag eine Tathandlung zugrunde, wonach der BF am 10.01.2019 nachdem er sich, wenn auch fahrlässig durch den Genuss von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt hat, Polizeibeamte mit Gewalt an der Vollziehung seiner Festnahme und seiner Verbringung in den Funkstreifenwagen zu hindern versucht, indem der BF einem Polizisten einen Kniestoß gegen das Gesicht zu versetzen versuchte und er dabei dem Polizisten eine Prellung an der rechten Hand zugefügt hat. Er hat dadurch Handlungen begangen, die dem BF außer diesem Zustand als das Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt und als das Vergehen der schweren Körperverletzung zugerechnet würden.

Bei der Strafbemessung wurden das Geständnis und die Tatsache, dass es zum Teil beim Versuch geblieben ist, mildernd gewertet. Erschwerend wurden die einschlägigen Vorstrafen und zwei Taten im Zustand voller Berauschung berücksichtigt. Da der BF auch angab, dass er die bisherigen Verurteilungen auch unter Einfluss von Alkohol begangen hat und der einschlägigen Vorstrafenbelastung kam eine auch nur teilweise bedingte Strafnachsicht nicht in Betracht.

1.3.2. Der Beschwerdeführer ist nicht vertrauenswürdig und nicht kooperativ. Bei einer Entlassung aus der Schubhaft wird der Beschwerdeführer abermals untertauchen und sich vor den Behörden verborgen halten, um sich einer Abschiebung zu entziehen.

1.3.3. Der BF gab in seinen Verfahren Aliasidentitäten – verschiedene Namen, Geburtsdaten und Staatsangehörigkeiten an. Der BF hat keine identitätsbezeugenden Dokumente vorgelegt. Der BF hat bei seiner Einvernahme zur Identitätsfeststellung nicht mitgewirkt. Für den BF wurde ein Sprachgutachten erstellt. Das Sprachgutachten liegt seit 06.08.2021 vor. Beim BF ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einer Hauptsozialisierung in Marokko auszugehen.

1.3.3.1. Für Algerien wurde am 11.10.2017 erstmals ein HRZ-Verfahren eingeleitet, die Ablehnung seitens der algerischen Botschaft erfolgte am 08.03.2018, sowie am 23.03.2019. Am 24.01.2019 wurde seitens des BFA nochmals ein Verfahren eingeleitet, am 21.03.2019 erfolgte eine erneute Ablehnung im Zuge des Vorführtermins. Am 07.07.2021 wurde aufgrund neuer vorliegender Tatsachen ein HRZ-Verfahren für Algerien eingeleitet, das Verfahren ist derzeit laufend. Ein Interviewtermin mit der algerischen Delegation ist im September 2021 geplant, wobei der BF auf einer prioritären Liste für diesen vorgemerkt ist.

Nach einem erfolgten Interviewtermin – die Kooperation des BF vorausgesetzt – ist innerhalt von 2 bis 3 Monaten mit einer Identifizierung zu rechnen. Ein Vorliegen von einer Passkopie oder Identitätsdokumenten, würde das Verfahren deutlich verkürzen. Eine Identifizierung des BF durch die algerische Vertretungsbehörde ist daher bis längstens Dezember 2021 zu erwarten. Die Möglichkeit der Abschiebung des BF innerhalb der höchstzulässigen Schubhaftdauer von 18 Monaten ist daher zum Entscheidungszeitpunkt noch realistisch.

1.3.3.2. Für Marokko wurde am 16.11.2017 erstmals ein HRZ-Verfahren eingeleitet, die negative Identifizierung erfolgte am 05.04.2018. Am 24.01.2019 wurde seitens des BFA nochmals ein Verfahren eingeleitet, zuletzt wurde am 17.02.2020 an die marokkanische Botschaft urgiert, am 31.05.2021 erfolgte die negative Identifizierung. Aufgrund neuer vorliegender Tatsachen wurde am 07.07.2021 neuerlich ein Verfahren für Marokko eingeleitet, am 19.07.2021 wurde vom Bundesamt ein neuer Antrag an die Vertretungsbehörde übermittelt und die Formblätter und Fingerabdrücke übermittelt. Die Identifizierung erfolgt beim HRZ-Verfahren mit Marokko zumeist ohne Interview auf Basis der Fingerabdrücke. Es finden zudem wöchentlich Interviewtermine bei der marokkanischen Botschaft statt, für jene Personen welche sich für die freiwillige Ausreise nach Marokko entscheiden. Personen konnten in der Vergangenheit bei einem erneuten HRZ-Antrag, die trotz zweimaliger negativer Identifizierung, positiv identifiziert werden und wurden auch die echten Identitätsdaten übermittelt. Dieses Verfahren ist derzeit laufend und wird auf einer prioritären Liste geführt und monatlich bei der marokkanischen Botschaft in Wien urgiert. Die letzte Urgenz erfolgte am 30.07.2021. Aufgrund der prioritären Verfahrensführung ist mit einer Verfahrensdauer von drei bis vier Monaten auszugehen. Eine Identifizierung des BF seitens der marokkanischen Vertretungsbehörde ist daher bis zum 19.10.2021 oder längstens bis 19.11.2021 zu erwarten. Die Möglichkeit der Abschiebung des BF innerhalb der höchstzulässigen Schubhaftdauer von 18 Monaten ist daher zum Entscheidungszeitpunkt noch realistisch.

1.3.3.3. Für Libyen wurde am 08.05.2018 erstmals ein HRZ-Verfahren eingeleitet, die negative Identifizierung erfolgte am 28.11.2018. Am 24.01.2019 wurde seitens des BFA nochmals ein Verfahren eingeleitet, im Zuge des Vorführtermins am 11.06.2019 konnten der Fremde nicht als libyscher Staatsbürger identifiziert werden.

1.3.3.4. Für Ägypten wurde am 22.10.2018 erstmals ein HRZ-Verfahren eingeleitet, die negative Identifizierung erfolgte am 22.11.2018.

1.3.3.5. Für Tunesien wurde am 22.10.2018 erstmals ein HRZ-Verfahren eingeleitet, die negative Identifizierung erfolgte am 18.12.2018. Am 24.01.2019 wurde seitens des BFA nochmals ein Verfahren eingeleitet, am 02.04.2019 erfolgte erneut die negative Identifizierung.

1.3.4. Die Abschiebung des BF innerhalb der Schubhafthöchstdauer ist zum Entscheidungszeitpunkt realistisch. Der BF kann die Dauer der Anhaltung in Schubhaft durch seine Mitwirkung an der Identifizierung oder seine Ausreisebereitschaft deutlich verkürzen.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem vorliegenden Akt des Bundesamtes. Einsicht genommen wurde in das Strafregister, das Zentrale Fremden- und Melderegister sowie in die Anhaltedatei.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des BF und zu den Voraussetzungen der Schubhaft

2.1.1 Hinweise für eine österreichische Staatsbürgerschaft oder die Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates sind im Verfahren nicht zu Tage getreten. Dass die Staatsangehörigkeit des BF bis dato ungeklärt ist, ergibt sich aus dem unstrittigen Akteninhalt, insbesondere aufgrund der eigenen falschen Angaben des BF in seinen Verfahren zu seiner Identität. Dass der BF weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter ist, war aufgrund des negativen Verfahrensausgangs des Asylverfahren festzustellen (AS 129 ff).

2.1.2. Dass gegen den Beschwerdeführer eine rechtskräftige aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht, ergibt sich aufgrund des Verfahrensausgangs des Asylverfahrens, wobei dem BF kein Schutzstatus gewährt wurde, sondern eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot erlassen wurden. Dass diese Entscheidung rechtskräftig ist, ergibt sich aufgrund der Darstellung des Verfahrensgangs durch das Bundesamt, der nicht bestritten wurde.

2.1.3. Dass der Beschwerdeführer gesund und haftfähig ist, war festzustellen, da sich aus dem Akt ergeben keine Indizien für eine Haftunfähigkeit des BF ergeben. Dem Polizeianhaltezentrum obliegt der Vollzug der Anhalteordnung. Bereits aufgrund der gesetzlichen Bestimmung, wonach Personen, deren Haftunfähigkeit festgestellt oder offensichtlich ist, nicht angehalten werden dürfen, war festzustellen, dass der Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt haftfähig ist und keine die Haftfähigkeit ausschließenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen beim Beschwerdeführer vorliegen. Dass der Beschwerdeführer Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung hat, ist unzweifelhaft.

2.1.4. Die Feststellungen zu den bisherigen Haftzeiten ergibt sich aufgrund der Angaben des Bundesamtes (OZ 7).

2.1.5. Dass sich der Beschwerdeführer zuletzt von 11.01.2019 bis 20.04.2021 in Justizhaft befand, folgt den Angaben des Bundesamtes und den Eintragungen im Zentralen Melderegister.

2.1.6. Dass der BF aktuell seit 20.04.2021 in Schubhaft angehalten wird, ergibt sich aus dem Akt des Bundesamtes sowie aus der Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres. Dass die Frist zur ersten amtswegigen Überprüfung am 20.08.2021 endet ergibt sich, da der BF an diesem Tag länger als 4 Monate in Schubhaft angehalten wird. Dass das Bundesamt seiner gesetzlichen Verständigungspflicht, den BF über das Vorliegen der Verlängerungsgründe unverzüglich schriftlich und in einer dem Beschwerdeführer verständlichen Sprache in Kenntnis zu setzen bis dato nicht nachgekommen ist, ergibt sich aus dem Akteninhalt. Dass das Bundesamt den BF am 20.08.2021 darüber in arabischer Sprache schriftlich in Kenntnis gesetzt hat ergibt sich aufgrund der im Akt aufliegenden Unterlagen dazu.

2.2. Zu den Feststellungen zur Fluchtgefahr und zum Sicherungsbedarf

2.2.1. Dass der BF absichtlich seine Identität verschleiert, um seine Abschiebung zu vereiteln, ergibt sich aus dem Akteninhalt, insbesondere dem Verhalten des BF im Zuge seiner Einvernahme zur Identitätsfeststellung am 05.03.2021 (AS 239 ff), wobei der BF nicht mehr bereit war weitere Fragen zu beantworten, aufgestanden ist und die Einvernahme abgebrochen hat. Dass der BF in Europa mehrere falsche Identitäten angegeben hat, fußt auf dem Akteninhalt. Dass der BF keine identitätsbezeugenden Unterlagen vorgelegt hat, um seine tatsächliche Identität verborgen zu halten, war aufgrund seines Gesamtverhaltens und seiner widersprüchlichen Angaben in der Einvernahme am 05.03.2021 festzustellen.

2.2.2. Die Feststellungen zum Untertauchen während des laufenden Asylverfahrens, fußen auf dem Akteninhalt und den Eintragungen im Fremdenregister.

2.2.3.Dass der Beschwerdeführer während seines Asylverfahrens in Österreich nach Schweden weiterreiste und dort einen Asylantrag stellte, fußt auf den Eintragungen im Fremdenregister.

2.3.4. Die Feststellungen zur Weiterreise nach Norwegen, der Antragstellung dort und Rücküberstellung nach Österreich fußen auf der Darlegung des Verfahrensgangs durch das Bundesamt und den damit übereinstimmenden Eintragungen im Fremdenregister.

2.2.5. Die Feststellungen zur Antragstellung am 02.06.2016 beruhen auf den Angaben des Bundesamtes.

2.2.6. Dass der BF neuerlich unrechtmäßig in die Schweiz weiterreiste und am 30.03.2017 von der Schweiz nach Österreich rücküberstellt wurde und gegenüber den Schweizer Behörden wiederum eine falsche Identität angab, waren aufgrund der Stellungnahme des Bundesamtes zu treffen.

2.2.7. Dass der BF in den Verfahren nicht mitwirkte, um seine Abschiebung zu verhindern, ergibt sich aufgrund seines unkooperativen Verhaltens, insbesondere des Abbruchs seiner Einvernahme, seiner unrechtmäßigen Reisen quer durch Europa, Asylantragstellungen trotz laufendem Verfahren in Österreich und zuletzt aufgrund seines Verhaltens bei der Einvernahme am 05.03.2021.

2.2.8. Die Feststellungen zu den mangelnden familiären, sozialen und beruflichen Anknüpfungspunkten des BF in Österreich ergeben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt. Die Feststellung, dass der BF über keine unterhaltssichernden Mittel verfügt, folgt den Eintragungen in der Anhaltedatei. Anhaltspunkte dafür, dass der BF über einen eigenen gesicherten Wohnsitz verfügt, liegen nicht vor, insbesondere verfügte er im Bundesgebiet über keine Meldeadresse außerhalb von Justizanstalten und des Polizeianhaltezentrums, wie sich aus dem Melderegister ableiten lässt.

2.3. Zur Verhältnismäßigkeit und Dauer

2.3.1. Dass der BF in Österreich vier Vorstrafen ausweist, ergibt sich aus einem aktuellen Strafregisterauszug und den im Akt aufliegenden Gerichtsurteilen.

2.3.2. Die mangelnde Vertrauenswürdigkeit des BF ergibt sich aus seinem unstrittigen Vorverhalten, insbesondere seiner mehrmaligen Straffälligkeit, seiner Weiterreisen in andere europäische Länder trotz laufendem Asylverfahren in Österreich, seiner mangelnden Mitwirkung am Verfahren durch die Verweigerung von wahrheitsgemäßen Angaben zu seiner Person. Das Gericht gelangt daher zur Überzeugung, dass der BF in Freiheit belassen abermals untertauchen wird, um seine Abschiebung zu verhindern.

2.3.3. Die Feststellung zu den Aliasidentitäten fußt auf dem Akteninhalt, ebenso wie die Tatsache, dass der BF keine identitätsbezeugenden Dokumente vorgelegt hat. Die verweigerte Mitwirkung an der Identitätsfeststellung folgt dem Inhalt der Niederschrift vom 05.03.2021 und ist überdies evident, da der BF bisher keine wahren Angaben dazu gemacht hat, um seine Abschiebung zu vereiteln. Dass ein Sprachgutachten erstellt werden musste, fußt auf dem Akteninhalt, die Feststellungen zur Hauptsozialisierung des BF ist dem Sprachgutachten zu entnehmen.

2.3.3.1. bis. 2.3.3.5. Die Feststellungen zu den Verfahren zur Erlangung eines HRZ fußen auf den Ausführungen des Bundesamtes. Die im Hinblick auf Marokko und Algerien festgestellte Dauer des aktuellen Identifizierungsprozesses fußt ebenfalls auf den Angaben des Bundesamtes. Dass die Abschiebung des BF innerhalb der höchstzulässigen Schubhaftdauer von 18 Monaten noch realistisch ist, ergibt sich daraus, dass die Identifizierung durch Marokko und Algerien bis spätestens Dezember 2021 vorliegt.

2.3.4. Dass die Abschiebung des BF innerhalb der Schubhafthöchstdauer zum Entscheidungszeitpunkt realistisch ist, fußt aufgrund der Angaben des Bundesamtes, wonach die Identifizierung des BF durch Algerien oder Marokko bis spätestens Dezember 2021 zu erwarten ist. Dass BF kann die Dauer der Anhaltung in Schubhaft durch seine Mitwirkung an der Identifizierung oder seine Ausreisebereitschaft deutlich verkürzen kann, ist notorisch.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

3.1. Maßgebliche Rechtslage

3.1.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lauten:

„Schubhaft

§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c.es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

„Gelinderes Mittel

„§ 77. (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,

1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,

2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder

3. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.“

„Dauer der Schubhaft

§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich

1. drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;

2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil

1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,

2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,

3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder

4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.

(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.

(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.

(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.“

3.1.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des BFA-Verfahrensgesetzes idgF, lauten:

„Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft

§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“

3.1.3. Art 2 und Art 15 Rückführungsrichtlinie lauten auszugsweise:

„Anwendungsbereich (Rückführungsrichtlinie)

Art 2. (1) Diese Richtlinie findet Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige.“

„Inhaftnahme (Rückführungsrichtlinie)

Art 15. (1) Sofern in dem konkreten Fall keine anderen ausreichenden, jedoch weniger intensiven Zwangsmaßnahmen wirksam angewandt werden können, dürfen die Mitgliedstaaten Drittstaatsangehörige, gegen die ein Rückkehrverfahren anhängig ist, nur in Haft nehmen, um deren Rückkehr vorzubereiten und/oder die Abschiebung durchzuführen, (…)

(5) Die Haft wird so lange aufrechterhalten, wie die in Absatz 1 dargelegten Umstände gegeben sind und wie dies erforderlich ist, um den erfolgreichen Vollzug der Abschiebung zu gewährleisten. Jeder Mitgliedstaat legt eine Höchsthaftdauer fest, die sechs Monate nicht überschreiten darf. 

(6) Die Mitgliedstaaten dürfen den in Absatz 5 genannten Zeitraum nicht verlängern; lediglich in den Fällen, in denen die Abschiebungsmaßnahme trotz ihrer angemessenen Bemühungen aufgrund der nachstehend genannten Faktoren wahrscheinlich länger dauern wird, dürfen sie diesen Zeitraum im Einklang mit dem einzelstaatlichen Recht um höchstens zwölf Monate verlängern:
a.         mangelnde Kooperationsbereitschaft seitens der betroffenen Drittstaatsangehörigen oder,
b.         Verzögerung bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch Drittstaaten.

…“

3.2. Zur Judikatur

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

In Verfahren nach § 22a Abs. 4 BFA-VG vom BFA erstattete Stellungnahmen sind einem Parteiengehör zu unterziehen. Dies kann schriftlich oder auch im Rahmen einer mündlichen Verhandlung erfolgen. Jedenfalls ist dem in Schubhaft angehaltenen Fremden Gelegenheit zu geben, sich zu der Stellungnahme und zum maßgeblichen Sachverhalt zu äußern (vgl. VwGH 27.08.2020, Ro 2020/21/0010, mwN).

In seinem Erkenntnis zur Zahl Ra 2020/21/0070 vom 26.11.2020 hielt der VwGH fest, dass die Frage der rechtzeitigen Erlangbarkeit eines Heimreisezertifikates bei länger andauernden Schubhaften, die gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG überprüft werden, für die weitere Verhältnismäßigkeit der Anhaltung (typischerweise) entscheidend ist. Dabei ist insbesondere relevant, ob die Bemühungen der Behörde mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgsversprechend sind. Bei der Ermittlung des geforderten Grades dieser Wahrscheinlichkeit können auch die bisherige Anhaltedauer und die Schwere der Gründe für ihre Verhängung und Aufrechterhaltung eine Rolle spielen. Bisherige Erfahrungswerte mit der jeweiligen Vertretungsbehörde können – sofern diese nachvollziehbar festgestellt und nicht bloß behauptet würden – wesentliche Anhaltspunkte für die Beurteilung bieten (vgl. VwGH Ra 2020/21/0070 vom 26.11.2020 Ra 2020/21/0174 vom 22.12.2020, mwN).

Gemäß § 80 Abs. 4 FPG darf die Anhaltung in Schubhaft nur bei Vorliegen der dort in den Z 1 bis 4 genannten alternativen Voraussetzungen höchstens achtzehn Monate dauern. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so beträgt die Schubhaftdauer - wie in § 80 Abs. 2 Z 2 FPG als Grundsatz normiert - nur sechs Monate. Mit § 80 Abs 4 FPG soll Art. 15 Abs. 6 RückführungsRL umgesetzt werden, sodass die Bestimmung richtlinienkonform auszulegen ist. In diesem Sinn ist auch der Verlängerungstatbestand des § 80 Abs. 4 Z 4 FPG dahingehend auszulegen, dass der Verlängerungstatbestand nur dann vorliegt, wenn das Verhalten des Beschwerdeführers kausal für die längere (mehr als sechsmonatige) Anhaltung ist. Wenn kein Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Drittstaatsangehörigen und der Verzögerung der Abschiebung festgestellt werden kann, liegen die Voraussetzungen für die Anhaltung in Schubhaft gemäß § 80 Abs 4 Z 4 FPG über die Dauer von sechs Monaten nicht vor (VwGH vom 15.12.2020, Ra 2020/21/0404).

Aufgrund der oben zitierten gesetzlichen Bestimmungen und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Bundesamt gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG dem Bundesverwaltungsgericht die Verwaltungsakten zur amtswegigen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der weiteren Anhaltung vorzulegen. Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Es ist Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes hierüber im Verfahren eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit durchzuführen.

Gemäß § 22a Abs. 4 dritter Satz BFA-VG gilt mit der Vorlage der Verwaltungsakten durch das BFA eine Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG - einen neuen Hafttitel dar. Über vor (oder nach) der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen (VwGH vom 29.10.2019, Ra 2019/21/0270; VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111).

Eine Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann stets nur dann rechtens sein, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich in Frage kommt. Steht hingegen von vornherein fest, dass diese Maßnahme nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden. Umgekehrt schadet es - wie sich aus den Verlängerungstatbeständen des § 80 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 ergibt - nicht, wenn der ins Auge gefassten Abschiebung zeitlich befristete Hindernisse entgegenstehen. Diesen Verlängerungstatbeständen liegt freilich zu Grunde, dass die in Frage kommenden Hindernisse längstens innerhalb der zulässigen Schubhaftdauer beseitigt werden. Ist hingegen bereits bei Beginn der Schubhaft absehbar, dass das Abschiebehindernis nicht binnen dieser Frist zu beseitigen ist, so soll die Schubhaft nach den Vorstellungen des Gesetzgebers von Anfang an nicht verhängt werden. Dasselbe gilt, wenn während der Anhaltung in Schubhaft eintreten, aus denen erkennbar ist, dass die Abschiebung nicht in der restlichen noch zur Verfügung stehenden Schubhaftdauer bewerkstelligt werden kann (VwGH vom 11.06.2013, 2013/21/0024).

Wird die Aufrechterhaltung einer - wegen Wegfalls des bisherigen Tatbestandes eigentlich zu beendenden - Schubhaft aber auf einen anderen Grund gestützt, muss es dem Betroffenen möglich sein, die Annahme des Vorliegens des neuen Schubhafttatbestandes mit Beschwerde effektiv zu bekämpfen. Das setzt eine entsprechende Kenntnis vom Austausch des Schubhaftgrundes voraus, sodass die Behörde gegenüber dem Fremden insoweit eine Informationspflicht trifft (Hinweis E VfGH 23. Juni 1994, B 2019/93, VfSlg 13806; Urteil OGH 29. Juli 2005, 14 Os 76/05s). In dieser Konstellation ist daher eine unverzügliche schriftliche Verständigung des Angehaltenen vorzunehmen, wie sie in § 80 Abs 7 FrPolG 2005 vorgesehen ist. Um dem verfassungsrechtlichen Gebot des Art 5 Abs 2 MRK bzw. des Art 4 Abs 6 PersFrSchG 1988 Rechnung zu tragen, wonach jeder Festgenommene in möglichst kurzer Frist und in einer ihm verständlichen Sprache über die Gründe seiner Festnahme unterrichtet werden muss (Hinweis Urteil EGMR 2. Oktober 2008, Appl Nr 34082/02, Rusu gg. Österreich), muss diese Information in einer dem Schubhäftling verständlichen Sprache erfolgen. Nur durch eine solche schriftliche Verständigung wird der Rechtsschutz für den Betroffenen ausreichend gewahrt, wird er doch erst dadurch in die Lage versetzt, die angenommenen Voraussetzungen für die weitere Anhaltung mit einer Schubhaftbeschwerde wirksam zu bekämpfen (VwGH vom 18.12.2008, 2008/21/0582).

3.3. Allgemeine Voraussetzungen

Der Beschwerdeführer besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

Gegen den Beschwerdeführer besteht eine rechtskräftige aufenthaltsbeendende Maßnahme. Daher war die Anhaltung in Schubhaft seit 20.04.2021 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – möglich.

3.4. Fluchtgefahr

Fluchtgefahr ist dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Die Gründe aus denen das Bundesamt die Fluchtgefahr bejahte haben sich seither nicht geändert und geht im vorliegenden Fall das Gericht auch weiterhin von Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 FPG aus:

Bei der Beurteilung ob Fluchtgefahr vorliegt, ist gemäß § 76 Abs. 3 Z 1 FPG zu berücksichtigen, ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert.

Da der Beschwerdeführer durch seine falschen Identitätsangaben versucht, seine Abschiebung zu umgehen, ist der Tatbestand des § 76 Abs. 3 Z 1 FPG erfüllt.

Bei der Beurteilung ob Fluchtgefahr vorliegt, ist gemäß § 76 Abs. 3 Z 3 FPG zu berücksichtigen, ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat. Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. V

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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