TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/1 W227 2232629-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.06.2021
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Entscheidungsdatum

01.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §6
AsylG 2005 §7
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §9
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch


W227 2232629-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die RichAterin Mag. Karin WINTER über die Beschwerde des staatenlosen XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 12. Juni 2020, Zl. 1028186903/190611559, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein staatenloser Palästinenser, der in den Vereinigten Arabischen Emiraten geboren wurde und seit 2008 in Syrien lebte, stellte am 9. August 2014 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid vom 2. Mai 2015, Zl. 1028186903 + 14867993, erkannte das BFA dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Asylgesetz (AsylG) den Status eines Asylberechtigten und die Flüchtlingseigenschaft zu. Eine nähere Begründung entfiel gemäß § 58 Abs. 2 AVG.

2. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 3. September 2019, Zl. 034 Hv 16/19y, rechtskräftig seit 21. Jänner 2020, wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, am 25. April 2017 XXXX , welche aufgrund massiven Alkoholkonsums unfähig war, die Bedeutung des Vorgangs einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, unter Ausnützung dieses Zustandes dadurch missbrauchte, dass er einen vaginalen Geschlechtsverkehr an ihr vollzog. Er hat hierdurch das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs. 1 StGB begangen und wurde zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Bei der Strafbemessung wertete die Tatrichterin keinen Umstand als erschwerend, mildernd demgegenüber den bisher ordentlichen Lebenswandel sowie ein „Geständnis in minimalen Umfang“.

Gegen dieses Strafurteil erhob der Beschwerdeführer beim Oberlandesgericht Wien Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe. Mit Urteil vom 21. Jänner 2020, Zl. 22 Bs 299/19k, gab das Oberlandesgericht Wien der Berufung nicht Folge.

3. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30. September 2019, Zl. 066 E Hv 36/19z, rechtskräftig seit diesem Tag, wurde der Beschwerdeführer aufgrund des Vergehens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall und Abs. 3 erster Fall Suchtmittelgesetz (SMG) und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt; acht Monate der Freiheitsstrafe wurden ihm unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer die Weisung erteilt, sich während der Probezeit einer ambulanten Suchtgiftbehandlung zu unterziehen und hierüber unaufgefordert dem Gericht alle zwei Wochen Nachweise zu erbringen. Bei der Strafbemessung wurden als mildernd das Geständnis des Beschwerdeführers, sein bisher ordentlicher Lebenswandel, sein Beitrag zur Wahrheitsfindung sowie die teilweise Sicherstellung des Suchtgiftes gewertet. Als erschwerend wurde das Zusammentreffen zweier Vergehen berücksichtigt.

Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde dem Beschwerdeführer – mit der Bedingung sich bereit zu erklären, sich einer notwendigen und zweckmäßigen gesundheitsbezogenen Maßnahme, gegebenenfalls einschließlich einer bis zu sechs Monate dauernden stationären Aufnahme, zu unterziehen – gemäß § 39 SMG Strafaufschub gewährt.

Der Beschwerdeführer befand sich in Folge in Therapie für Suchtkranke beim Verein „P.A.S.S. – Hilfe bei Suchtproblemen“.

Am 29. Mai 2020 wurde der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien gemahnt, die ambulante Therapie unverzüglich fortzusetzen und binnen zehn Tagen eine Bestätigung hierüber sowie in weiterer Folge alle zwei Monate unaufgefordert Bestätigungen vorzulegen, widrigenfalls der dem Beschwerdeführer gewährte Strafaufschub gemäß § 39 Abs. 4 SMG widerrufen werde und die über ihn verhängte Freiheitsstrafe zu vollziehen sei.

4. Mit Schreiben vom 13. Februar 2020 teilte das BFA dem Beschwerdeführer mit, dass aufgrund der von ihm begangenen Straftaten beabsichtigt sei, ihm gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG den Status des Asylberechtigten, welcher ihm aufgrund seines gewöhnlichen Aufenthalts in Syrien zuerkannt worden sei, abzuerkennen. Gleichzeitig wurden dem Beschwerdeführer die aktuellen Länderfeststellungen zu Syrien – mit der Möglichkeit zur Stellungnahme – übermittelt. Weiters wurde er um Beantwortung zahlreicher Fragen zu seinem Aufenthalt in Österreich sowie zu seinem Privat- und Familienleben ersucht.

5. Dazu brachte der Beschwerdeführer am 17. März 2020 im Wesentlichen vor, dass er gesund sei, aber eine Therapie wegen seiner Suchtprobleme besuche. Er habe von Mai 2016 bis Jänner 2019 beim Lokal „ XXXX “ und von Juni 2018 bis Juli 2018 beim Café XXXX gearbeitet. Er habe zahlreiche Freunde in Österreich und auch eine Freundin gehabt. Er habe den A1-Deutschkurs besucht. Auch seine Familie lebe in Österreich. Er habe keine Familienangehörigen mehr in Syrien, „alle seine Freunde von dort“ seien „wegen des Krieges tot“, er habe dort keine Wohnung mehr oder einen Platz zum Schlafen. Er habe sich hier in Österreich in die „falschen“ Freunde „verknallt“ und habe jeden Tag gefeiert, getrunken und Drogen genommen. Er entschuldige sich für sein Verhalten und möchte sagen, dass „sein Problem ohne seinen Willen“ passiert sei. „Sowas“ werde sich „nie wieder wiederholen“, er werde sich bemühen, ein „guter Mensch“ zu sein und in Österreich eine „gute Arbeitsstelle“ zu finden.

Weiters legte der Beschwerdeführer eine Bestätigung von Oktober 2019 über den Besuch eines Werte- und Orientierungskurses sowie eine A1-Deutschkursbestätigung von März 2017 vor.

6. Mit dem angefochtenen Bescheid erkannte das BFA dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG fest, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.); weiters erkannte das BFA dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 3a i.V.m. § 9 Abs. 2 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG i.V.m. § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) i.V.m. § 52 Abs. 2 Z 3 Fremdenpolizeigesetz (FPG) (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Syrien gemäß § 8 Abs. 3a i.V.m. § 9 Abs. 2 AsylG und § 52 Abs. 9 FPG nicht zulässig sei (Spruchpunkt V.), gewährte ihm gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für eine freiwillige Ausreise von 14 Tagen (Spruchpunkt VI.) und erließ gegen ihn gemäß § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).

Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus:

Aufgrund der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten liege der Asylausschlussgrund des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG vor, der gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten führe. Das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs. 1 StGB stelle ein schweres Verbrechen dar. Besonders skrupellos sei dabei gewesen, dass der Beschwerdeführer die Notlage seines Opfers ausgenutzt habe, um mit seinem Opfer den Beischlaf vorzunehmen und dies, obwohl das Opfer den Beschwerdeführer noch kurz vor dem Black-Out mit „Bitte nicht!“ angeschrien habe. Vor Gericht habe der Beschwerdeführer angeführt, sich aufgrund einer zum Zeitpunkt der Tat vorliegenden Alkoholisierung und Beeinträchtigung durch Drogen nicht erinnern zu können. Dies sei vom Gericht als Schutzbehauptung gewertet worden, weil sich der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt nicht in einem Zustand der vollen Berauschung oder schweren Alkoholisierung befunden habe und daher in der Lage gewesen sei, sein Unrecht einzusehen und dieser Einsicht gemäß hätte handeln müssen. Stattdessen habe der Beschwerdeführer die Notlage seines Opfers schamlos ausgenützt, um mit diesem den Beischlaf zu vollziehen. Wegen dieser Tathandlung sei das Opfer seitdem psychisch beeinträchtigt. Aufgrund der fehlenden Schuldeinsicht sowie der fehlenden Reue des Beschwerdeführers wohne seinem Verhalten auch Wiederholungsgefahr inne, weshalb er eine Gefahr für die Gemeinschaft darstelle. Dies werde auch dadurch bestätigt, dass der Beschwerdeführer kurz darauf wegen Suchtgifthandels und unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften verurteilt worden sei. Eine Zukunftsprognose müsse daher negativ ausfallen und es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer in Zukunft keine weiteren strafbaren Handlungen bzw. Verstöße gegen die österreichische Rechtsordnung begehen werde.

Der Beschwerdeführer verfüge auf Grund seiner verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Bindungen sowie seines langjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet über persönliche Interessen an einem Verbleib in Österreich. Er habe einen Werte- und Orientierungskurs besucht, die deutsche Sprache auf A1 Niveau erlernt und sich in unterschiedlichen kurzfristigen Beschäftigungsverhältnissen befunden.

Aufgrund des strafrechtswidrigen Verhaltens des Beschwerdeführers würden die öffentlichen Interessen jedenfalls die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers überwiegen, weshalb die Rückkehrentscheidung zulässig sei.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sei jedoch wegen der derzeitigen Lage in Syrien geduldet.

Die Erlassung des auf die Dauer von sechs Jahren befristeten Einreiseverbotes sei notwendig, weil der Beschwerdeführer durch sein strafbares Verhalten in hohem Maße den Unwillen zur Befolgung der österreichischen Gesetze zum Ausdruck gebracht habe. Eine positive Zukunftsprognose könne nicht getroffen werden, da auf Grund der Persönlichkeitsstruktur des Beschwerdeführers weiterhin davon auszugehen sei, dass von ihm eine große Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgehe. Dabei seien insbesondere die skrupellose Vorgehensweise, der Suchtgifthandel und die fehlende Reue des Beschwerdeführers hervorzuheben.

7. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis IV. sowie VI. bis VII. Der Abspruch über die Duldung (Spruchpunkt V.) wurde explizit nicht angefochten.

Zusammengefasst wird vorgebracht:

In Österreich würden die Mutter des Beschwerdeführers, sein Stiefvater, sein Halbbruder, seine Schwester und deren Ehemann und Kinder wohnen. Der Beschwerdeführer habe in Österreich mehr als 2 Jahre gearbeitet, vor allem in der Gastronomie, darunter auch als Barkeeper. Er spreche Deutsch auf einem „guten“ Niveau und sei von Kokain und Alkohol abhängig geworden. Er habe die ambulante Therapie begonnen, die in der Justizanstalt fortgesetzt geworden sei. Er habe sich auch zu einer Sexualtherapie angemeldet.

Die Voraussetzungen für eine Aberkennung des Status des Asylberechtigten lägen nicht vor, weil der Beschwerdeführer keine Gefahr für die Gemeinschaft darstelle:

Es bestehe bei ihm keine Wiederholungsgefahr im Hinblick auf die Begehung weiterer Verbrechen. Er habe und werde sich in Therapie begeben.

Unrichtig sei auch, dass der Beschwerdeführer bezüglich des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs keine Reue zeige. Er habe vielmehr angegeben, sich daran nicht erinnern zu können. Diese Aussage sei zwar von den Strafgerichten und nunmehr auch vom BFA als Schutzbehauptung gewertet worden, weil der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt nicht in einem Zustand der vollen Berauschung gestanden wäre; unstrittig sei aber, dass der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt unter Drogen gestanden sei.

Angesichts der Reue, die er empfinde, der Therapien, die er durchlaufe, sowie des Haftübels, welches er derzeit verspüre, sei auszuschließen, dass er in Zukunft weitere besonders schwere Verbrechen begehen werde.

Es werde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt, weil das vom BFA eingeräumte schriftliche Parteiengehör eine Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens darstelle und auch die Beweiswürdigung des BFA bestritten werde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Der am XXXX geborene Beschwerdeführer ist staatenloser Palästinenser syrischer Herkunft sunnitischen Glaubens. Er wurde in den Vereinigten Arabischen Emiraten ( XXXX geboren, wo er aufwuchs und acht Jahre lang die Grundschule besuchte. Seine Muttersprache ist arabisch. Seine Eltern sind geschieden; seine Mutter lebte in den Vereinigten Arabischen Emiraten, sein Vater in XXXX (Syrien). Im Jahr 2008 zog der Beschwerdeführer zu seinem Vater nach XXXX , wo er auch bis zu seiner Ausreise im Jahr 2014 lebte. Er besuchte in XXXX sechs Monate lang eine Berufsschule. Mittels Bezahlung ließ er sich vom Militärdienst befreien. Der Beschwerdeführer hat keine Familienangehörigen mehr in Syrien.

Seit März 2011 herrscht in Syrien Bürgerkrieg.

Der Beschwerdeführer reiste im Jahr 2014 ohne gültige Reisepapiere in Österreich ein und stellte am 9. August 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchem das BFA mit Bescheid vom 2. Mai 2015 stattgab und ihm den Status des Asylberechtigten und die Flüchtlingseigenschaft zuerkannte.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 3. September 2019, Zl. 034 Hv 16/19y, rechtskräftig seit 21. Jänner 2020, wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, am 25. April 2017 XXXX , welche aufgrund massiven Alkoholkonsums unfähig war, die Bedeutung des Vorgangs einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, unter Ausnützung dieses Zustandes dadurch missbrauchte, dass er einen vaginalen Geschlechtsverkehr an ihr vollzog, wobei das Opfer den Beschwerdeführer noch kurz vor dem Black-Out mit „Bitte nicht!“ angeschrien hatte. Er hat hierdurch das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs. 1 StGB begangen und wurde zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Bei der Strafbemessung wertete die Tatrichterin keinen Umstand als erschwerend, mildernd demgegenüber den bisher ordentlichen Lebenswandel sowie ein „Geständnis in minimalen Umfang“. Dies deshalb, weil der Beschwerdeführer die Tatbegehung grundsätzlich leugnete und erst im Rahmen der Hauptverhandlung unter dem Eindruck des Beweisverfahrens teilweise Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen begann. Auch führte er (zunächst) an, sich aufgrund einer zum Zeitpunkt der Tat vorliegenden Alkoholisierung und Beeinträchtigung durch Drogen nicht erinnern zu können. Das Gericht wertete dies als Schutzbehauptung, weil sich der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt nicht in einem Zustand der vollen Berauschung oder schweren Alkoholisierung befunden hatte und daher in der Lage gewesen war, sein Unrecht einzusehen und dieser Einsicht gemäß hätte handeln müssen.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30. September 2019, Zl. 066 E Hv 36/19z, rechtskräftig seit diesem Tag, wurde der Beschwerdeführer aufgrund des Vergehens des Suchtgifthandels (von August 2016 bis Mai 2019 Kokain und Marihuana in 13 Fällen) nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall und Abs. 3 erster Fall SMG und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften (Kokain und Marihuana) nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt, wobei acht Monate unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden. Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer die Weisung erteilt, sich während der Probezeit einer ambulanten Suchtgiftbehandlung zu unterziehen und hierüber unaufgefordert dem Gericht alle zwei Wochen Nachweise zu erbringen. Bei der Strafbemessung wurden als mildernd das Geständnis des Beschwerdeführers, sein bisher ordentlicher Lebenswandel, sein Beitrag zur Wahrheitsfindung sowie die teilweise Sicherstellung des Suchtgiftes gewertet. Als erschwerend wurde das Zusammentreffen zweier Vergehen berücksichtigt.

Am 29. Mai 2020 wurde der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien gemahnt, die ambulante Therapie unverzüglich fortzusetzen.

Der Beschwerdeführer ist gesund, ledig und kinderlos. Der Großteil seiner Familie (seine Mutter, sein Stiefvater, seine Schwester, sein Bruder, sein Halbbruder sowie zwei Neffen) leben seit 2015 bzw. 2016 asylberechtigt in Österreich. Er arbeitete von 4. Mai 2016 bis 16. September 2016 sowie von 12. Mai 2017 bis 31. Mai 2018 und von 25. August 2018 bis 24. Februar 2019 beim Pub „ XXXX “ in XXXX Wien. Weiters war er von 4. Juni 2018 bis 5. Juli 2018 beim Kaffee-Restaurant „ XXXX rt“ in XXXX Wien beschäftigt. Danach bezog er Arbeitslosengeld und Notstandshilfe. Er besuchte im März 2017 einen Deutschkurs auf Niveau A1, nahm im Oktober 2019 an einem Werte- und Orientierungskurs teil und verfügt über einen Freundeskreis in Wien. Er befand sich von 30. Mai 2019 bis 30. September 2019 in Haft in der Justizanstalt XXXX und ist seit 4. Juni 2020 in Strafhaft in der Justizanstalt XXXX .

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen zur Straffälligkeit des Beschwerdeführers basieren auf den im Verwaltungsakt einliegenden Strafurteilen sowie einer eingeholten aktuellen Strafregisterauskunft.

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers sowie zu seinem Leben in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Syrien ergeben sich aus seinen Angaben bei seiner Einvernahme vor dem BFA im Rahmen des Zuerkennungsverfahren.

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen in Österreich beruhen auf seiner schriftlichen Eingabe vom 17. März 2020 sowie auf einem eingeholten aktuellen Sozialversicherungsauszug und der am 6. Mai 2021 eingeholten Krankengeschichte der Justizanstalt XXXX , wonach der Beschwerdeführer keine Behandlungen mehr benötigt.

Die Feststellungen zu den in Österreich lebenden Familienangehörigen des Beschwerdeführers basieren auf aktuellen Auszügen aus dem Grundversorgungs-Betreuungsinformationssystem sowie dem Zentralen Melderegister.

Dass in Syrien weiterhin Bürgerkrieg herrscht, ergibt sich aus den Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid, die nach wie vor aktuell sind. Abgesehen davon ist es notorisch.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt A)

3.1.1. Zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten

3.1.1.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status des Asylberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt.

Gemäß § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müssen für die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Herkunftsstaat verbracht werden darf. Er muss erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden und drittens gemeingefährlich sein, und schließlich müssen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen. Es genügt nicht, wenn ein abstrakt als „schwer“ einzustufendes Delikt verübt worden ist. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen. In gravierenden Fällen schwerer Verbrechen ist bereits ohne umfassende Prüfung der einzelnen Tatumstände eine eindeutige Wertung als schweres Verbrechen mit negativer Zukunftsprognose zulässig (siehe dazu insbes. VwGH 05.04.2018, Ra 2017/19/0531 sowie VwGH 26.02.2019, Ra 2018/18/0493).

Unter den Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ fallen nur Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen. Auf die Strafdrohung allein kommt es bei der Beurteilung, ob ein „besonders schweres Verbrechen“ vorliegt, nicht an. Auch Taten, die sich gegen das Rechtsgut der sexuellen Integrität von Minderjährigen richten, sind grundsätzlich als „besonders schweres Verbrechen“ im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 anzusehen (siehe etwa VwGH 25.10.2018, Ra 2018/20/0360; 22.10.2020, Ra 2020/14/0456, jeweils m.w.N.).

3.1.1.2. Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführer (unter anderem) aufgrund des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs. 1 StGB rechtskräftig verurteilt. Die von ihm begangene Straftat richtet sich somit gegen das Rechtsgut der sexuellen Integrität – einem objektiv besonders wichtigen Rechtsgut –, womit der Beschwerdeführer jedenfalls ein „besonders schweres Verbrechen“ i.S.d. § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG verwirklicht hat.

Zur Gefährdungsprognose ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer neben dem Verbrechen nach § 205 Abs. 1 StGB auch wegen Suchtgifthandels und unerlaubten Umgangs mit Suchtmitteln rechtskräftig verurteilt wurde. Diesbezüglich wurde ihm vom Strafgericht unter der Bedingung, er möge sich in ambulante Therapie begeben, Strafaufschub gewährt. Eine Mahnung des Strafgerichtes vom Mai 2020 zeigt jedoch, dass der Beschwerdeführer die Therapie abbrach, weshalb sein Vorbringen in der Beschwerde, er stelle aufgrund der bereits durchlaufenden und in Zukunft zu absolvierenden Therapien keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, ins Leere geht.

Zur Strafzumessung in beiden Strafurteilen ist festzuhalten, dass im Rahmen der Verurteilung nach § 205 Abs. 1 StGB vom Strafgericht kein Umstand als erschwerend, mildernd demgegenüber der bisher ordentliche Lebenswandel des Beschwerdeführers sowie ein „Geständnis in minimalen Umfang“ gewertet wurde. Bei der Verurteilung nach dem SMG wurde als erschwerend das Zusammentreffen zweier Vergehen, als mildernd das Geständnis des Beschwerdeführers, sein bisher ordentlicher Lebenswandel, sein Beitrag zur Wahrheitsfindung sowie die teilweise Sicherstellung des Suchtgiftes gewertet.

Obwohl in beiden Strafurteilen kaum Erschwerungsgründe vorlagen, ist unter Berücksichtigung aller Umstände keine positive Zukunftsprognose des Beschwerdeführers möglich:

Insbesondere, dass der Beschwerdeführer in der Beschwerde nochmals vorbringt, während des Tatzeitpunktes des Verbrechens nach § 205 Abs. 1 StGB unter Drogen gestanden zu sein und sich an die Tat nicht mehr erinnern zu können und in seiner Eingabe vom 17. März 2020 ausführt, dass die Tat „ohne seinen Willen“ geschehen sei, erweckt den Eindruck, dass der Beschwerdeführer nach wie vor nicht die volle Verantwortung für seine Tat übernehmen möchte und sich in Schutzbehauptungen flüchtet.

Zu beachten ist weiters, dass selbst wenn der regelmäßige Drogenkonsum des Beschwerdeführers mitverantwortlich für die von ihm begangene Straftat gewesen sei, es – im Sinne einer positiven Zukunftsprognose – notwendig gewesen wäre, dass der Beschwerdeführer sein Konsumverhalten in Folge grundlegend verändert und sich regelmäßig in Therapie begibt. Dass er jedoch weiterhin – nach der Straftat nach § 205 Abs. 1 StGB im Jahr 2017 – im Jahr 2018 sowie 2019 weiterhin (laut Strafurteil vom 30. September 2019) Suchtgift konsumierte und in Folge im Jahr 2020 die vom Strafgericht angeordnete Therapie abbrach, zeigt von keiner diesbezüglichen grundlegenden Verhaltensänderung des Beschwerdeführers. Überdies stellt Suchtgiftdelinquenz (hier: Suchtgifthandel mit Kokain und Marihuana über einen Zeitraum von August 2016 bis Mai 2019 und unerlaubter Umgang mit Suchtmitteln) ein besonders verpöntes Fehlverhalten dar, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (siehe jüngst VwGH 26.05.2021, Ra 2021/01/0159, m.w.H.; vgl. auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, der Drogenhandel als Plage [„scourge“] bezeichnet und daher hartes Vorgehen nationaler Behörden dagegen billigt, EGMR 15.10.2020, Akbay u.a./Deutschland, 40495/15, Z 110).

Es kann demnach nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass der Beschwerdeführer in Zukunft nicht wieder Verbrechen ähnlicher Art begehen wird, weshalb im Ergebnis Wiederholungsgefahr vorliegt und der Beschwerdeführer daher eine Gefahr für die Gemeinschaft darstellt.

Sofern der Beschwerdeführer in der Beschwerde vorbringt, er empfinde aufgrund seiner Tat Scham und Reue und verspüre nunmehr das Haftübel, kann daraus dennoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden, dass er nicht nach vor bereit wäre, nochmals Verbrechen ähnlicher Art zu begehen. Dabei ist nochmals hervorzuheben, dass der Beschwerdeführer bei der Tathandlung des sexuellen Missbrauchs sehr skrupellos vorging und die Tatbegehung grundsätzlich leugnete.

Schließlich ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen hinzuweisen, wonach ein Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich – nach dem Vollzug einer Haftstrafe – in Freiheit wohlverhalten hat, wobei dieser Zeitraum umso länger anzusetzen ist, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden, manifestiert hat (siehe etwa VwGH 12.01.2021, Ra 2020/18/0507, mit Hinweis auf VwGH 07.09.2020, Ra 2020/20/0184). Hier wurde der Beschwerdeführer im September 2019 zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren und zu einer (teilbedingten) Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt und befindet sich seit 4. Juni 2020 in Strafhaft. Damit kann ein Gesinnungswandel des Beschwerdeführers noch gar nicht gemessen werden.

Im Ergebnis hat der Beschwerdeführer durch die Straftat nach § 205 Abs. 1 StGB ein „besonders schweres Verbrechen“ begangen, aufgrund dessen er auch eine Gefahr die Gemeinschaft bedeutet. Er erfüllt somit den Tatbestand des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG, weshalb die Voraussetzungen für eine Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG vorliegen.

3.1.2. Zur Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten

3.1.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG ist einem Fremden bei Aberkennung des Status des Asylberechtigten der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 3a AsylG ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG vorliegt.

Gemäß § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist.

Verbrechen sind gemäß § 17 StGB vorsätzliche Handlungen, die mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist vor dem Hintergrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom 13. September 2018, Ahmed, C-369/17, das Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung wegen eines Verbrechens alleine jedoch nicht ausreichend, um das Vorliegen des Aberkennungsgrundes nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG zu bejahen. Es stellt zweifelsfrei ein gewichtiges Indiz für die Aberkennung dar, reicht allein jedoch nach den unionsrechtlichen Vorgaben für eine Aberkennung nicht aus. Vielmehr ist eine Einzelfallprüfung dahingehend durchzuführen, ob eine „schwere Straftat“ im Sinne des Art. 17 Abs. 1 lit. b der Statusrichtlinie vorliegt. Dabei ist die Schwere der fraglichen Straftat zu würdigen und eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen (siehe VwGH 06.11.2018, Ra 2018/18/0295; 17.10.2019, Ra 2019/18/0005, jeweils m.w.N.).

3.1.2.2. Fallbezogen wären beim Beschwerdeführer aufgrund des seit März 2011 in Syrien herrschenden Bürgerkrieges grundsätzlich die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz erfüllt.

Da der Beschwerdeführer jedoch – wie bereits oben ausführlich dargelegt – durch den sexuellen Missbrauch einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person ein „besonders schweres Verbrechen“ begangen hat, ist sein Verhalten erst Recht als „schwere Straftat“ im Sinne der Statusrichtlinie anzusehen, weshalb die von ihm begangene Straftat einer Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a i.V.m. § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG entgegensteht.

3.1.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung

3.1.3.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt, und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 4 AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG von Amts wegen zu prüfen, wenn einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird. Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung aufgrund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

Unter den in § 57 Abs. 1 AsylG genannten Voraussetzungen ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen.

3.1.3.2. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des Beschwerdeführers weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist, noch der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt im Sinne des § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG wurde. Weder hat der Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des § 57 AsylG behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

3.1.3.3. Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG) erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Ein-griff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG i.S.d. Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG überhaupt in Betracht (siehe VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens i.S.d. Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung – nunmehr Rückkehrentscheidung – nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, 4. der Grad der Integration, 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit, 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, 8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, und 9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. auch VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423; siehe zuletzt auch VwGH 15.02.2021, Ra 2020/21/0246, m.w.N.).

3.1.3.4. Für den Fall des Beschwerdeführers bedeutet das:

Fast die gesamte Familie des Beschwerdeführers lebt seit 2015 in Österreich und ist asylberechtigt, weshalb der Beschwerdeführer in Österreich über ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK verfügt.

Zu seinem Privatleben ist festzuhalten, dass er (zusammengerechnet) ca. 2 Jahre bei diversen Arbeitsgebern berufstätig war, einen Deutschkurs sowie einen Werte- und Orientierungskurs besuchte, zeitweise eine Freundin hatte und über einen Freundeskreis verfügt. Seit 4. Juni 2020 befindet er sich jedoch durchgehend in Strafhaft.

Wie bereits das BFA im angefochtenen Bescheid zutreffend ausführte, haben aufgrund der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten (sexueller Missbrauch einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person, Suchtgifthandel und unerlaubter Umgang mit Suchtgiften) die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich jedenfalls gegenüber dem öffentlichen Interesse an seiner Aufenthaltsbeendigung zurückzutreten (siehe dazu wieder VwGH 26.05.2021, Ra 2021/01/0159, sowie VwGH 03.09.2015, Ra 2015/21/0054; 13.05.2020, Ra 2019/01/0164).

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung stellt somit keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG i.V.m. Art. 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist daher ebenfalls nicht geboten.

Die Voraussetzungen des § 10 AsylG liegen vor:

Da dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten aberkannt wurde und ihm auch nicht der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG zu erlassen. Es ist auch – wie bereits ausgeführt – kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG von Amts wegen zu erteilen.

3.1.4. Zur Ausreisefrist

3.1.4.1. Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom BFA vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

3.1.4.2. Derartige Gründe wurden im Verfahren vom Beschwerdeführer weder vorgebracht noch konnten solche festgestellt werden.

Die Frist wurde daher vom BFA zu Recht mit 14 Tagen festgesetzt.

3.1.5. Zum Einreiseverbot

3.1.5.1. Gemäß § 53 Abs. 1 FPG kann mit einer Rückkehrentscheidung vom BFA mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

Gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG ist ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 für die Dauer von höchstens zehn Jahren zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn ein Drittstaatsangehöriger (unter anderem) von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Bei der Festsetzung der Dauer des Einreiseverbotes ist eine Einzelfallprüfung vorzunehmen. Dabei ist das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen und zu berücksichtigen, ob bzw. inwieweit der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. In den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 1 bis Z 8 FPG ist das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit indiziert und die Verhängung eines Einreiseverbotes in der Dauer von bis zu zehn Jahren möglich (siehe etwa VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237; 04.04.2019, Ra 2019/21/0009). Bei der Entscheidung über die Dauer des Einreiseverbotes ist auch auf die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen (vgl. etwa VwGH 30.06.2015, Ra 2015/21/0002).

3.1.5.2. Da der Beschwerdeführer aufgrund des Verbrechens nach § 205 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren sowie aufgrund von Suchtgiftmittelvergehen zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt wurde, erfüllt er (zweifach) den Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG, weshalb (zweifach) indiziert ist, dass sein Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Da sich die vom Beschwerdeführer begangene Straftat gegen das Rechtsgut der sexuellen Integrität richtet, welches als ein objektiv besonders wichtiges Rechtsgut angesehen wird, und die begangene Straftat nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein „typischerweise schweres Verbrechen“ darstellt (siehe erneut VwGH 05.04.2018, Ra 2017/19/0531) sowie an der Verhinderung von Suchtgifthandel ein besonderes öffentliches Interesse besteht (siehe wieder VwGH 26.05.2021, Ra 2021/01/0159, sowie VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0155) ist unter Berücksichtigung des in Österreich bestehenden Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers ein Einreiseverbot von sechs Jahren vertretbar.

3.2. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung

3.2.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann in eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, eine beantragte Verhandlung unterbleiben (siehe bspw. VwGH 21.01.2021, Ra 2020/18/0507 m.w.N., sowie VwGH 18.11.2019, Ra 2019/18/0418; 29.03.2021, Ra 2021/18/0071).

3.2.2. Wie oben dargelegt, stellt der Aufenthalt des Beschwerdeführers aufgrund der begangenen Straftaten und die sich daraus ableitbare Persönlichkeitsstruktur eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Das führte bereits das BFA im angefochtenen Bescheid ausführlich und richtig dar. In der Beschwerde wird nicht substantiiert aufgezeigt, was das BFA bei der Zukunftsprognose konkret zu berücksichtigen gehabt hätte, das zu einer anderen Prognoseentscheidung hätte führen können. Etwaige in einer mündlichen Verhandlung neu hervorkommende Umstände bzw. ein im Rahmen der Verhandlung verschaffter (positiver) persönlicher Eindruck sind bei Berücksichtigung aller Umstände auch nicht geeignet – weder im Hinblick auf die durchgeführte Gefährdungsprognose noch in Bezug auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme – zu einer inhaltlich anderen Entscheidung zu führen. Damit stellt auch das vom BFA (bloß) schriftlich eingeräumte Parteiengehör keine Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens dar (siehe zu einem ähnlich gelagerten Fall VwGH 21.01.2021, Ra 2020/18/0507 und das dieser Entscheidung zugrunde liegende Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Oktober 2020, W103 2227059-1).

Folglich konnte die beantragte Verhandlung unterbleiben.

3.3. Zu Spruchpunkt B)

3.3.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.3.2. Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt:

Dass dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten abzuerkennen war, ihm nicht der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen war, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen war und ein Einreisverbot zu erlassen war, entspricht der oben angeführten Judikatur des Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshofes.

Schlagworte

Aberkennung des Status des Asylberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 2 Asylausschlussgrund besonders schweres Verbrechen Einreiseverbot Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Gefährdungsprognose Gemeingefährlichkeit Interessenabwägung öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung schwere Straftat strafrechtliche Verurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W227.2232629.1.00

Im RIS seit

18.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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