TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/2 W150 2239487-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.07.2021
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Entscheidungsdatum

02.07.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §77
FPG §80

Spruch


W150 2239487-3/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl XXXX über die weitere Anhaltung von Herrn XXXX , geb. XXXX 1995, StA. TUNESIEN, zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge auch: „BF“) stellte am 11.12.2013 einen Erstantrag auf Ausstellung eines Antrages auf internationalen Schutz. Zum damaligen Zeitpunkt verwendete der BF das Geburtsdatum XXXX 1998. Dieser Antrag wurde rechtskräftig am 24.03.2020 abgewiesen und wurde diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung verbunden. Die Ausreisefrist endete mit 24.03.2020. Der BF war seit 20.04.2016 abgemeldet und unbekannten Aufenthaltes.

2. Im Rahmen eines Dublin III Verfahrens wurde der BF am 23.01.2020 aus Deutschland rücküberstellt.

3. Am 03.02.2021 wurde der BF in 1160 Wien 16 einer Personenkontrolle unterzogen. Im Rahmen der Personenkontrolle konnte festgestellt werden, dass gegen den BF ein Festnahmeauftrag ausgeschrieben war. Nach erfolgter Anzeige nach dem FPG wurde der BF nach den Bestimmungen des BFA-VG festgenommen und in das PAZ HG eingeliefert.

4. Am 03.02.2021 wurde der BF niederschriftlich einvernommen und vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge auch: „BFA“) der verfahrensgegenständliche Schubhaftbescheid ihm gegenüber erlassen.

5. Am 05.02.2021 wurde das Verfahren um Ausstellung eines Heimreisezertifikates eingeleitet.

6. Am 11.02.2021 erhob der BF Schubhaftbeschwerde. Diese wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge auch: „BVwG“) von diesem mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 18.02.2021 als unbegründet abgewiesen, die bisherige Anhaltung für rechtmäßig erklärt und festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen (W281 2239487-1).

7. Mit Erkenntnis des BVwG vom 04.06.2021 (W286 2239487-2) wurde gemäß § 22a Abs. 4 BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG festgestellt, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des BF in Schubhaft vorliegen und dass die Anhaltung verhältnismäßig ist.

8. Am 21.06.2021 legte das BFA den Verwaltungsakt neuerlich zur amtswegigen Prüfung gemäß § 22a Abs. 4 BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG vor und führte dazu in seiner Stellungnahme im Wesentlichen aus, dass am 07.06.2021 eine Flugbuchung nach Tunis an die zuständige Abteilung der Direktion (BFA Einzelrückführungen) übermittelt wurde. Am 09.06.2021 sei die Behörde informiert worden, dass vor der Buchung Rücksprache mit den tunesischen Behörden erfolgen muss. Die Abklärung sei noch im Laufen.

Herr XXXX befinde sich seit 01.06.2021 in Hungerstreik und wird durch die Sanitätsstelle überwacht. Die Flugverbindung nach Tunesien sei aufrecht und es könne somit eine Außerlandesbringung erfolgen. Im Hinblick auf die Vorgeschichte des Herrn XXXX müsse eine begleitete Abschiebung gebucht werden. Eine freiwillige Rückkehr verweigerte Herr XXXX .

Sicherungsbedarf sei immer noch gegeben, das Risiko, dass die Partei untertauche, um sich dem Verfahren zur Sicherung der Abschiebung nach Tunesien zu entziehen, sei als schlüssig anzusehen.

8. Die oben angeführte Stellungnahme des BFA wurde am 25.06.2021 dem BF gemäß § 45 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG zur Kenntnis gebracht und ihm dazu Parteiengehör eingeräumt. Als Frist für eine Stellungnahme wurde ihm dazu der 29.06.2021 gesetzt. Eine Stellungnahme langte bis dato nicht ein.

9. Aufgrund eines gerichtlichen Auftrages vom 25.06.2021 übermittelte das BFA am 28.06.2021 eine aktuelle amtsärztliche Bestätigung vom gleichen Tage, welches die weitere Haftfähigkeit des BF bestätigte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge auch: „BF“) ist volljährig, nicht österreichischer Staatsbürger und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

1.2. Der BF trat mit verschiedenen Identitäten, darunter verschiedenen Familiennamen, Vornamen und Staatsangehörigkeiten in Erscheinung. Er trägt den im Spruch genannten Namen und ist zu dem dort angegebenen Geburtsdatum geboren; er ist tunesischer Staatsangehöriger. Seine Identität wurde von den tunesischen Behörden am 02.04.2021 geklärt. Erst am 04.06.2021 gab er dem BVwG gegenüber im Zuge einer mündlichen Verhandlung sein wahres Geburtsdatum preis.

1.3. Der BF geht in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nach und hat kein Einkommen aus legalen Quellen. Er hat keine Unterhaltsansprüche.

1.4. Der BF ist in Österreich nicht sozial integriert. Er verfügt über keine Familienangehörigen in Österreich. Er hat generell keine engen sozialen Anknüpfungspunkte. Engeren sozialen Kontakt hat der BF mit einer polnischen Staatsangehörigen. Aber auch zu der Beziehung zu ihr machte er falsche Angaben – so behauptete er im Verfahren, dass diese seine Freundin, und das im Sinne seiner Lebensgefährtin sei, doch diese ist lediglich eine Bekannte des BF, die ihn seit drei Jahren kennt. Sie würde dem BF, für den Fall, dass er aus der Schubhaft entlassen wird, einen Schlafplatz und eine Wohnmöglichkeit anbieten, damit er nicht auf der Straße steht und nicht im Asylquartier leben muss. Darüber hinaus bietet sie aber keine Verfestigung. Die Bekanntschaft mit und die Beziehung dieser Bekannten hindert den BF nicht daran, unterzutauchen.

1.5. Der BF verfügt über keinen eigenen gesicherten Wohnsitz in Österreich.

Der BF hat die Möglichkeit, bei einer Bekannten zu nächtigen. Ein gesicherter Wohnsitz bei dieser kann nicht festgestellt werden.

1.6. Der BF stellte am 11.12.2013 einen unberechtigten Asylantrag und brachte keine Fluchtgründe, sondern die Suche nach Arbeit, vor.

Seit 24.03.2020 besteht eine rechtskräftige durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme.

1.7. Über den BF wurde mit Bescheid vom 03.02.2021 die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG zur Sicherung der Abschiebung verhängt und er anschließend in Schubhaft genommen.

1.8. Der BF hat sich dem Asylverfahren wiederholt entzogen und war für die Behörde über Jahre hindurch nicht greifbar.

1.9. Der BF ist nicht rückkehrwillig. Die im Hinblick auf die für 28.05.2021 geplante „freiwillige Rückkehr“ hat er insofern verunmöglicht, als er den Termin zur Ausstellung eines Heimreisezertifikats am 27.05.2021 verweigerte.

Der BF ist nicht vertrauenswürdig, er ist nicht kooperativ. Er achtet die österreichische Rechtsordnung nicht. Bei seiner Freilassung aus der Schubhaft wird der BF mit hoher Wahrscheinlichkeit untertauchen und sich vor den Behörden verborgen halten um sich einer Abschiebung zu entziehen. Es besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich der BF, um sich seiner Abschiebung in Österreich zu entziehen, in einen anderen Mitgliedstaat wie Belgien absetzt, wo er familiären Anschluss hat, der ihm auch ein Untertauchen erleichtern kann und er dort auch bereits Schwarzarbeit verrichtet hat.

1.10. Der BF wurde wegen §§ 15, 127 zu einer zweimonatigen, auf die Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen, Freiheitsstrafe verurteilt.

Er wurde wegen Verdachts auf gewerbsmäßigen Diebstahl im Rahmen einer kriminellen Vereinigung von 03.04.2014 bis 30.04.2014 in Untersuchungshaft angehalten.

1.11. Seit der BF im Dezember 2013, als er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz stellte, in Erscheinung trat, weist er mit wenigen kurzen Ausnahmen keine Meldung in Österreich auf.

Er tauchte von 30.04.2014 bis 16.06.2015 und von 20.04.2016 bis 03.02.2021 unter und war behördlich nicht gemeldet.

Er tauchte auch unter, indem er illegal das Bundesgebiet verließ; am 23.01.2020 wurde er von Deutschland nach Österreich überstellt. Der BF lebte auch danach im Verborgenen. Er hält die Österreichischen Meldevorschriften nicht ein. Während des Asylverfahrens reiste er nach Deutschland, Italien und Belgien. Der BF wirkte auch nach dem Erlass einer Rückkehrentscheidung nicht am Verfahren mit, missachtete die österreichische Rechtsordnung und lebte im Verborgenen.

In Deutschland war der BF im Gefängnis.

1.11. Der BF ist gesund und haftfähig. Der BF gehört keiner spezifischen Covid-19 Risikogruppe an. Der BF hat in der Schubhaft Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung.

1.12. Der BF trat mehrfach in Hungerstreik: von 05.02.2021 bis 21.03.2021, von 04.03.2021 bis 21.03.2021 und von 05.04.2021 bis 11.04.2021. Aktuell trat er am 01.06.2021 wieder in Hungerstreik und wird medizinisch überwacht.

1.13. Das BFA hat rechtzeitig ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates eingeleitet. Eine Identifizierung des BF ist seitens der tunesischen Behörden positiv am 02.04.2021 erfolgt.

1.14. Die Ausstellung eines HRZ in der höchstzulässigen Schubhaftdauer ist möglich. Es liegen keine Ermittlungsergebnisse vor, dass die Erlangung eines HRZ und eine Abschiebung aussichtlos oder unwahrscheinlich ist.

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem vorliegenden Akt des BFA und dem Akt des Bundesverwaltungsgerichtes sowie insbesondere aus der Zeugenaussage der im Rahmen einer mündlichen Verhandlung am 04.06.2021 vor dem BVwG einvernommenen Bekannten des BF. Einsicht genommen wurde in verschieden öffentliche Register, in das Melderegister, in das Strafregister sowie in das GVS-Informationssystem.

Die Feststellungen zum Asylverfahren, den vom BF gemachten falschen Angaben im Asylverfahren und dem wiederholten Untertauchen des BF sowie zur fehlenden sozialen und beruflichen Integration, zu seinem Aufenthalt während der Jahre des Untertauchens, seiner Delinquenz und Schwarzarbeit und den Meldeverstößen ergeben sich bereits aus der Aktenlage, insbesondere dem festgestellten Sachverhalt im Erkenntnis über die Schubhaftbeschwerde.

Diesbezüglich hat sich zum einen deshalb, weil der BF auch seither in Schubhaft ist und sich deshalb nichts Relevantes änderte und zum anderen deshalb, weil er hier auch gar nichts anderes vorbrachte, nichts Neues ergeben. Er ist aufgrund der Vielzahl dieser Aspekte, und neu hinzutretend deshalb, weil er zwischenzeitlich behauptete, freiwillig ausreisen zu wollen, und die Rückkehr dann doch wieder vereitelte, was dem gewonnenen Gesamteindruck entspricht, damit allgemein nicht glaubwürdig und nicht vertrauenswürdig. In der Schubhaftbeschwerdeverhandlung im Februar hat er seine Kooperationsbereitschaft behauptet, auch diese Behauptung hat sich angesichts seines nunmehr gezeigten tatsächlichen Verhaltens als falsch erwiesen. Dass der BF mehrfach in Hungerstreik trat und dies auch am 01.06.2021 wieder tat, bestätigt diesen Eindruck. Die Feststellungen zum Hungerstreik waren aufgrund der Anhaltedatei zu treffen.

Dass sich der BF nunmehr für eine Abschiebung bereithalten würde, lässt vor dem Hintergrund seiner bevorstehenden Aufenthaltsbeendigung und seinem bisherigen jahrelang gezeigten Verhalten, in dem er die Behörde durch die Angabe einer falschen Identität getäuscht hat und bereits mehrfach untergetaucht ist, nicht erwarten, dass er sich nach seiner Entlassung aus der Schubhaft tatsächlich seiner Abschiebung stellen wird.

Dass die vom BF als „Freundin“ bzw. „Frau“ im Sinne einer Liebesbeziehung bezeichnete polnische Staatsangehörige lediglich eine Bekannte des BF ist, die ihm helfen und ihn auch bei sich wohnen lassen will, ergibt sich aus den Angaben dieser im Rahmen ihrer rezenten zeugenschaftlichen Einvernahme vor dem BVwG. Es sind dabei auch keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen, dass diese Wohnmöglichkeit den BF am Untertauchen hindern würde, vielmehr zeigen seine falschen Aussagen auch hier, dass er nicht vertrauenswürdig ist.

Keinesfalls lässt der Umstand, dass diese Bekannte den BF bei sich aufnehmen würde, darauf schließen, dass der BF dort einen Wohnsitz haben würde und dort tatsächlich verbleiben würde und für Behörden greifbar wäre. Er hat dort in der Vergangenheit keinen Wohnsitz gehabt, sondern wurde in einer ganz anderen Wohnung aufgegriffen.

Vor dem BFA gab er zudem auch gar nicht an, hin und wieder bei dieser Freundin zu übernachten, sie blieb von ihm gänzlich unerwähnt.

Da der BF jedenfalls nicht nach Tunesien zurückehren will, ist insgesamt davon auszugehen, dass er sich seiner Abschiebung durch Untertauchen zu entziehen versuchen wird. Der BF hat keinen starken familiären Anschluss in Österreich, er hat aber Bindungen nach Belgien, Frankreich und Italien. Beim BF besteht daher ein hoher Anreiz, sich einer möglichwerdenden Abschiebung durch Weitereise und Untertauchen nach Belgien zu entziehen.

Aufgrund der Lockerungen der letzten Monate, der Identifizierung und dem Ergebnis des Arbeitsgespräches des BFA mit der tunesischen Botschaft am 02.06.2021, aber auch aufgrund der zu erwartenden weiteren Lockerungen durch die wärmere Jahreszeit im Sommer, der 2020 vor Pandemieausbruch erfolgten Abschiebung nach Tunesien und den fortschreitenden Impfungen ist auch im Entscheidungszeitpunkt wieder mit Abschiebungen nach Tunesien zu rechen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchteil A. – Fortsetzungsausspruch

3.1.1. §§ 76, 77, 80 FPG und § 22a Abs. 4 (BFA-VG), RückführungsRL und AufnahmeRL lauten auszugsweise:

Schubhaft (FPG)

„§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit. n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Gelinderes Mittel (FPG)

§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.
(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,

1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,

2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder

2. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen;

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

Dauer der Schubhaft (FPG)

§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich,

1. drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;

2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrechterhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil,

1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,

2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,

3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder

4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft (BFA-VG)

§ 22a (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

Anwendungsbereich (Rückführungsrichtlinie)

Art 2. (1) Diese Richtlinie findet Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige.

Begriffsbestimmungen (Rückführungsrichtlinie)

Art 3. Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnen die Ausdrücke

3. „Rückkehr“: die Rückreise von Drittstaatsangehörigen - in freiwilliger Erfüllung einer Rückkehrverpflichtung oder erzwungener Rückführung - in

- deren Herkunftsland oder

- ein Transitland gemäß gemeinschaftlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder

- ein anderes Drittland, in das der betreffende Drittstaatsangehörige freiwillig zurückkehren will und in dem er aufgenommen wird;

5. „Abschiebung“: die Vollstreckung der Rückkehrverpflichtung, d.h. die tatsächliche Verbringung aus dem Mitgliedstaat;

8. „freiwillige Ausreise“: die Erfüllung der Rückkehrverpflichtung innerhalb der dafür in der Rückkehrentscheidung festgesetzten Frist

Abschiebung (Rückführungsrichtlinie)

Art 8. (1) Die Mitgliedstaaten ergreifen alle erforderlichen Maßnahmen zur Vollstreckung der Rückkehrentscheidung, wenn nach Art 7 Absatz 4 keine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt wurde oder wenn die betreffende Person ihrer Rückkehrverpflichtung nicht innerhalb der nach Artikel 7 eingeräumten Frist für die freiwillige Ausreise nachgekommen ist.

(2) Hat ein Mitgliedstaat eine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß Art 7 eingeräumt, so kann die Rückkehrentscheidung erst nach Ablauf dieser Frist vollstreckt werden, es sei denn, innerhalb dieser Frist entsteht eine Gefahr im Sinn von Art 7 Abs. 4.

(3) Die Mitgliedstaaten können eine getrennte behördliche oder gerichtliche Entscheidung oder Maßnahme erlasen, mit der die Abschiebung angeordnet wird.

(4) Machen die Mitgliedstaaten – als letztes Mittel – von Zwangsmaßnahmen zur Durchführung der Abschiebung von Widerstand leistenden Drittstaatsangehörigen Gebrauch, so müssen diese Maßnahmen verhältnismäßig sein und dürfen nicht über die Grenzen des Vertretbaren hinausgehen. Sie müssen nach dem einzelstaatlichen Recht im Einklang mit den Grundrechten und unter gebührender Berücksichtigung der Menschenrechte und körperlichen Unversehrtheit des betreffenden Drittstaatsangehörigen angewandt werden.

(5) Bei der Durchführung der Abschiebung auf dem Luftweg tragen die Mitgliedstaaten den Gemeinsamen Leitlinien für die Sicherheitsvorschriften bei gemeinsamen Rückführungen auf dem Luftweg im Anhang zur Entscheidung 2004/573EG Rechnung.

(6) Die Mitgliedstaaten schaffen ein wirksames System für die Überwachung von Rückführungen.

Inhaftnahme (Rückführungsrichtlinie)

Art 15. (1) Sofern in dem konkreten Fall keine anderen ausreichenden, jedoch weniger intensiven Zwangsmaßnahmen wirksam angewandt werden können, dürfen die Mitgliedstaaten Drittstaatsangehörige, gegen die ein Rückkehrverfahren anhängig ist, nur in Haft nehmen, um deren Rückkehr vorzubereiten und/oder die Abschiebung durchzuführen, (…)

(5) Die Haft wird so lange aufrechterhalten, wie die in Absatz 1 dargelegten Umstände gegeben sind und wie dies erforderlich ist, um den erfolgreichen Vollzug der Abschiebung zu gewährleisten. Jeder Mitgliedstaat legt eine Höchsthaftdauer fest, die sechs Monate nicht überschreiten darf.

(6) Die Mitgliedstaaten dürfen den in Absatz 5 genannten Zeitraum nicht verlängern; lediglich in den Fällen, in denen die Abschiebungsmaßnahme trotz ihrer angemessenen Bemühungen aufgrund der nachstehend genannten Faktoren wahrscheinlich länger dauern wird, dürfen sie diesen Zeitraum im Einklang mit dem einzelstaatlichen Recht um höchstens zwölf Monate verlängern:

a. mangelnde Kooperationsbereitschaft seitens der betroffenen Drittstaatsangehörigen oder,

b. Verzögerung bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch Drittstaaten.

3.1.2. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). In einem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist (VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0178).

Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs. 1 FPG ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Der Behörde kommt aber dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043).

Gemäß § 80 Abs. 4 FPG darf die Anhaltung in Schubhaft nur bei Vorliegen der dort in den Z 1 bis 4 genannten alternativen Voraussetzungen höchstens achtzehn Monate dauern. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so beträgt die Schubhaftdauer - wie in § 80 Abs. 2 Z 2 FPG als Grundsatz normiert - nur sechs Monate. Mit § 80 Abs. 4 FPG soll Art. 15 Abs. 6

RückführungsRL umgesetzt werden, sodass die Bestimmung richtlinienkonform auszulegen ist. In diesem Sinn ist auch der Verlängerungstatbestand des § 80 Abs. 4 Z 4 FPG dahingehend auszulegen, dass der Verlängerungstatbestand nur dann vorliegt, wenn das Verhalten des BF kausal für die längere (mehr als sechsmonatige) Anhaltung ist. Wenn kein Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Drittstaatsangehörigen und der Verzögerung der Abschiebung festgestellt werden kann, liegen die Voraussetzungen für die Anhaltung in Schubhaft gemäß § 80 Abs. 4 Z 4 FPG über die Dauer von sechs Monaten nicht vor (VwGH vom 15.12.2020, Ra 2020/21/0404).

Gemäß § 22a Abs. 4 dritter Satz BFA-VG gilt mit der Vorlage der Verwaltungsakten durch das BFA eine Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG - einen neuen Hafttitel dar. Über vor (oder nach) der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen (VwGH vom 29.10.2019, Ra 2019/21/0270; VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111).

3.1.3. Der BF befindet sich in Schubhaft, es ist daher eine Entscheidung über die Fortsetzung der Schubhaft zu treffen.

Zum Sicherungszweck ist festzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht iSd § 76 Abs. 2 Z 2 FPG diesen zur „Sicherung der Abschiebung“ nach wie vor als gegeben ansieht. Nach den glaubwürdigen Angaben einer zeugenschaftlich einvernommenen Beamtin des BFA ist die Erlangung eines HRZ für Tunesien durchaus möglich und keinesfalls unrealistisch. Die Abschiebung ist schon in ca. vier Wochen möglich. Eine abrupte Änderung dieser Situation ist im Entscheidungszeitpunkt nicht ersichtlich.

Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter, weshalb die Anordnung der Schubhaft grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen (Vorliegen eines Sicherungsbedarfes, das Bestehen von Fluchtgefahr sowie die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft) – möglich ist.

3.1.4. Mit Bescheid des BFA vom 18.02.2020 wurde der Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen und gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Tunesien zulässig ist. Dem BF wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt. Der Bescheid erwuchs in erster Instanz in Rechtskraft. Die im Asylverfahren erlassene Rückkehrentscheidung ist seit 24.03.2020 durchsetzbar und durchführbar. Im vorliegenden Fall liegt eine rechtskräftige, durchsetzbare und durchführbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor.

3.1.5. Im vorliegenden Fall geht das Gericht auch weiterhin von Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf im Sinne des § 76 Abs. 3 Z 1, 3 und 9 aus:

Der BF vereitelte seine für 28.05.2021 geplante „freiwillige Rückkehr“, indem er das Gespräch mit dem tunesischen Konsulat zur Erlangung eines Heimreisezertifikats für die freiwillige Rückkehr am 27.05.2021 verweigerte, obwohl er selbst die freiwillige Rückkehr beantragt hatte. Der BF begab sich mehrmals, und aktuell am 01.06.2021 in Hungerstreik, um sich aus der Haft freizupressen.

Es besteht eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme gegen den BF. Der BF hat sich seinem Asylverfahren entzogen, lebte im Verborgenen – dies über Jahre. Er reiste in verschiedene Mitgliedstaaten ein (Deutschland, Belgien, Italien) um dort u.a. zu arbeiten. Er war für die Behörde für einen Zeitraum von mehreren Jahren und dann nach seiner Überstellung aus Deutschland wieder mehrere Monate nicht greifbar.

Der BF ist weder sozial noch beruflich in Österreich integriert, verfügt über keinen gesicherten Wohnsitz, hat keine Existenzmittel und hat in Österreich keine Familienangehörigen. Dass ihm seine Bekannte eine Wohnmöglichkeit und einen Schlafplatz zur Verfügung stellen würde, damit dieser nicht auf der Straße steht oder im Asylheim wohnen muss, begründet noch keinen gesicherten Wohnsitz – der BF hatte dort noch nie seinen Lebensmittelpunkt und es hat sich auch nicht ergeben, dass er künftig dort einen Wohnsitz haben würde. Zudem hat sich die Beziehungsqualität zwischen den beiden nicht als eine solche/solch intensive herausgestellt, dass sie eine soziale Verankerung des BF darstellen würde.

Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass beim BF auch aktuell weiterhin Fluchtgefahr besteht. Auch aktuell besteht die einer Gefahr des Untertauchens des BF. Das umso mehr, als die Abschiebung des BF nunmehr in absehbarer Zeit erfolgen wird.

Der BF achtet die österreichische Rechtsordnung nicht, er ist nicht kooperativ und nicht. Der BF hat unterschiedliche Identitäten angegeben, um eine Abschiebung zu verhindern. Er hat über Jahre hinweg im Verborgenen gelebt und war für die Behörden nicht greifbar, er hält die Meldevorschriften nicht ein. Er hat vorgegeben, sich der Entscheidung über seine Schubhaftbeschwerde entsprechend zu verhalten und hat das nicht getan. Er hat vorgegeben, zur freiwilligen Rückkehr bereit zu sein, diese aber am Tag, bevor sie stattfinden sollte, wieder vereitelt, indem er das Gespräch zur Ausstellung eines Heimreisezertifikats verweigerte. Er ist in Hungerstreik getreten, um seine Entlassung aus der Schubhaft zu erwirken.

Sowohl das Vorverhalten als auch die vorzunehmende Verhaltensprognose haben bei dem BF ein erhöhtes Risiko des Untertauchens sowie einen Sicherungsbedarf ergeben. In diesem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium (Abschiebung realistisch und in ca. vier Wochen wahrscheinlich) reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist.

Es liegt daher weiterhin Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 Z 1, 3 und 9 FPG vor und es ist auch Sicherungsbedarf gegeben.

3.1.6. Als weitere Voraussetzung ist die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft zu prüfen. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit gegeneinander abzuwägen.

Die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft liegt insofern vor, als der BF in Österreich weder sozial noch familiär verankert ist. Er hat keine Verwandten oder sonstigen engen Nahebeziehungen in Österreich. Die Beziehung zu seiner Bekannten erreicht diese Qualität nicht. Er ist beruflich nicht verwurzelt und hat auch keinen eigenen gesicherten Wohnsitz. Der BF konnte inzwischen von den tunesischen Behörden identifiziert werden, das Identifizierungsverfahren war also erfolgreich. Die Dauer der Schubhaft ist durch das Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates bedingt, und das wiederum ist in vier Wochen absehbar.

Einer bewilligten freiwilligen Rückkehr ist gegenüber von Zwangsmaßnahmen grundsätzlich der Vorrang zu geben ist (siehe RückführungsRL Art. 7 Abs. 4). Der BF hat jedoch durch sein Verhalten, nämlich die Verweigerung des Gesprächs zur Ausstellung eines Heimreisezertifikats am 27.05.2021, einen Tag vor der geplanten freiwilligen Rückkehr am 28.05.2021, eine Rückführung verhindert. Der BF ist mit dem heutigen Tag, dem 02.07.2021, seit vier Monaten und 29 Tagen in Schubhaft angehalten.

Das Ergebnis des Arbeitsgespräches des BFA mit der tunesischen Botschaft am 02.06.2021 war, dass ab sofort begleitete Abschiebungen mit einer Vorlaufzeit von etwa vier Wochen möglich sind. Beim BF, der schon identifiziert ist und für den schon eine Flugbuchung veranlasst wurde, ist eine Abschiebung innerhalb weniger Wochen möglich und realistisch.

Zudem ist aufgrund der Fortschritte bei Impfungen gegen die Covid-19-Pandemie eine Lockerung des internationalen Flugverkehrs anzunehmen, sodass auch in einigen Monaten wieder zwangsweise Rückführungen über Direktflüge nach Tunesien möglich sein werden.

Eine Rückführung des BF innerhalb von wenigen Monaten nach Tunesien ist gegenwärtig sehr wahrscheinlich.

3.1.7. Zu prüfen ist weiters, welche höchstmögliche Haftfrist vorliegt.

Gemäß § 80 Abs. 1 FPG ist auf eine möglichst kurze Schubhaftdauer hinzuwirken. Die Schubhaftdauer darf bei volljährigen Fremden die Dauer von 6 Monaten nicht überschreiten, sofern kein Fall des § 80 Abs. 3 oder Abs. 4 FPG vorliegt. Gemäß § 80 Abs. 4 Z 4 FPG kann die Schubhaft höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden, wenn ein Fremder deswegen nicht abgeschoben werden kann, wenn die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen hat oder ein Abschiebehindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint.

3.1.7.1. Die Identität des BF konnte im April 2021 festgestellt werden. Für eine Abschiebung erforderliche Heimreisezertifikate wurden seit Ausbruch der Corona-Pandemie erst dann ausgestellt, wenn das tunesische Innenministerium zusätzliche Bewilligungen für die eine Abschiebung begleitenden Polizeibeamten erteilt hatte. Das ist nun nicht mehr nötig.

Aufgrund der derzeitigen Ermittlungsstandes ist somit innerhalb weniger Wochen mit der Abschiebung des BF zu rechnen.

Da bisher noch kein Heimreisezertifikat ausgestellt wurde, liegt die Voraussetzungen des § 80 Abs. 4 Z 2 FPG vor, sodass die höchstmögliche Schubhaftdauer 18 Monate beträgt.

Außerdem ist auch Z 4 leg.cit. verwirklicht:

3.1.7.2. Mit § 80 FPG wird Art 15 der Rückführungsrichtlinie umgesetzt. Die Bestimmung des § 80 FPG ist daher richtlinienkonform zu interpretieren. Gemäß Art 15 der RückfRL darf die vom Mitgliedstaat festgelegte Höchsthaftdauer sechs Monate nicht überschreiten. Die Mitgliedstaaten dürfen diese festgelegte Frist mit einer Höchsthaftdauer von sechs Monaten um höchstens weitere zwölf Monate verlängern, wenn Abschiebungsmaßnahmen trotz ihrer angemessenen Bemühungen aufgrund der mangelnden Kooperationsbereitschaft seitens des betroffenen Drittstaatsangehörigen oder aufgrund von Verzögerungen bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch Drittstaaten wahrscheinlich länger dauern wird. Hat der Beschwerdeführer daher durch seine mangelnde Kooperation ein Abschiebehindernis zu vertreten und können daher Abschiebemaßnahmen trotz angemessener Bemühungen innerhalb der Frist von sechs Monaten nicht durchgeführt werden, kann die Schubhaftdauer gemäß § 80 Abs. 4 Z 4 iVm Art 15 Abs. 6 lit. a RückführungsRL bis zu 18 Monate betragen.

Eine Abschiebung im Sinne der RückführungsRL (siehe Art 3 Z 5 RückführungsRL) ist die Vollstreckung der Rückkehrverpflichtung, sohin die tatsächliche Verbringung aus dem Mitgliedstaat. Eine freiwillige Ausreise im Sinne der RückführungsRL (siehe Art 3 Z 8 RückführungsRL) ist die Erfüllung der Rückkehrverpflichtung innerhalb der dafür in der Rückkehrentscheidung festgesetzten Frist. Da mit Bescheid vom 18.02.2020 eine Rückkehrentscheidung gegen den BF erlassen wurde und dem BF keine Frist für eine freiwillige Ausreise gewährt wurde, sind die Bemühungen, seit Februar 2021 in Schubhaft befindlichen BF, der sich Mitte Mai 2021 zur „freiwilligen Rückkehr“ bereit erklärte, mit seiner Einwilligung rückzuführen jedenfalls als Abschiebung im Sinne der RückführungsRL zu betrachten und nicht als freiwillige Ausreise im Sinn der RückführungsRL. Eine freiwillige Ausreise im Sinne der RückführungsRL erfordert nämlich die Erfüllung der Rückführungsverpflichtung innerhalb der in der Rückkehrentscheidung festgesetzten Frist.

Die Bemühungen um die „freiwillige Rückkehr“ am 28.05.2021 sind daher als Abschiebungsmaßnahmen im Sinne von Art 15 Abs. 6 RückfRL zu qualifizieren. Diese Abschiebungsmaßnahmen, die zu einer Abschiebung (in Ausgestaltung einer „freiwilligen Rückkehr“) schon innerhalb von vier Monaten der Schubhaftdauer (also jedenfalls innerhalb der 6-Monats-Frist) nach Tunesien geführt hätten, wurde vom BF dadurch vereitelt, dass dieser am 27.05.2021 doch das Gespräch zur Erlangung eines Heimreisezertifikats verweigerte. Der BF unternahm dies nur, um seine Abschiebung nach Tunesien zu verhindern und seine Freilassung aus der Schubhaft zu bewirken. Hätte der BF den das Gespräch zur Ausstellung eines HRZ für die freiwillige Rückkehr nicht vereitelt, wäre der BF jedenfalls schon am 28.05.2021 rückgeführt worden.

Der BF hat daher selber eine Rückführung jedenfalls innerhalb der ersten sechs Monate der Anhaltung in Schubhaft vereitelt. Die plötzliche Verweigerung des BF und somit seine mangelnde Kooperationsbereitschaft im Sinne von Art 15 Abs. 6 lit. a RückfRL iVm § 80 Abs. 4 Z 4 FPG sind daher kausal, falls seine Anhaltung über sechs Monate hinausgehen sollte.

Die höchstmögliche Schubhaftdauer kann daher auch unter diesem Aspekt bis zu 18 Monate betragen.

Bei einer im Sinne des § 80 Abs. 4 Z 4 FPG höchstzulässigen Dauer der Schubhaft von 18 Monaten ist davon auszugehen, dass in Anbetracht einer schon geschehenen Wiederaufnahme des internationalen Flugverkehrs bzw. der Ermöglichung von zwangsweisen Rückführungen durch die tunesische Botschaft eine Abschiebung des BF in naher Zukunft realistisch ist. Eine Abschiebung des BF nach Tunesien ist daher innerhalb der höchstmöglichen Schubhaftdauer von 18 Monaten wahrscheinlich.

Die Aufrechterhaltung der seit 03.02.2021 bestehenden Anhaltung des BF in Schubhaft ist zum Entscheidungszeitpunkt daher auch weiterhin verhältnismäßig.

Den persönlichen Interessen des BF kommt ein geringerer Stellenwert zu als dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen – insbesondere an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung – zumal der BF bereits in der Vergangenheit gezeigt hat, dass er die österreichische Rechtsordnung missachtet und im Verfahren auch keine Anhaltspunkte dafür hervorkamen, dass er dieses Verhalten in Zukunft ändert.

3.1.7. Das erkennende Gericht geht daher davon aus, dass die angeordnete Schubhaft auch weiterhin das Kriterium der Verhältnismäßigkeit erfüllt.

3.1.8. Zu prüfen ist weiters, ob ein gelinderes Mittel im Sinne des § 77 FPG den gleichen Zweck wie die angeordnete Schubhaft erfüllt. Eine Sicherheitsleistung sowie die konkrete Zuweisung einer Unterkunft oder einer Meldeverpflichtung kann auf Grund des vom BF in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens nicht zum Ziel der Sicherung der Abschiebung führen, da diesfalls die konkrete Gefahr des Untertauchens des BF besteht.

Die Verhängung eines gelinderen Mittels kommt daher weiterhin nicht in Betracht.

3.1.10. Die hier zu prüfende Schubhaft stellt daher zum Entscheidungszeitpunkt eine „ultima ratio“ dar, da sowohl Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf als auch Verhältnismäßigkeit vorliegen und ein gelinderes Mittel nicht den Zweck der Schubhaft erfüllt. Das Verfahren hat keine andere Möglichkeit ergeben, eine gesicherte Außerlandesbringung des BF zu gewährleisten.

Es ist daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft zum Entscheidungszeitpunkt nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und, dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

Zu Spruchteil B) – Zulässigkeit der Revision

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dies ist der Fall, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Es fehlt an der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 80 Abs. 4 FPG iVm Art 15 Abs. 6 lit. a RückführungsRL. Es liegen nach der ständigen Rechtsprechung die Voraussetzungen für die Anhaltung in Schubhaft gemäß § 80 Abs. 4 Z 4 FPG iVm Art 15 Abs. 6 lit. a RückführungsRL über die Dauer von sechs Monaten nicht vor, wenn kein Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Drittstaatsangehörigen und der Verzögerung der Abschiebung festgestellt werden kann (VwGH vom 15.12.2020, Ra 2020/21/0404). Hier liegt eine Konstellation vor, in der der BF die im Rahmen der Schubhaft auf seinen Antrag hin durch die BBU organisierte „freiwillige Rückkehr“ am Tag vor der geplanten Rückkehr dadurch verhinderte, dass er das Gespräch mit dem Konsulat zur Erlangung eines Heimreisezertifikats verweigerte. Wenn die Abschiebung des BF, der zum Erkenntniszeitpunkt vier Monate und einen Tag in Schubhaft ist, nicht innerhalb der nächsten zwei Monate stattfinden kann (sofern bis dahin ein HRZ ausgestellt wurde), war der BF kausal für einen Entfall einer Rückführung vor Ablauf der 6-monatigen Frist. Es fehlt an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, ob die Vereitelung der selbst beantragten „freiwilligen Rückkehr“ ein selbst zu vertretendes Abschiebungshindernis darstellt, und daher die „freiwillige Rückkehr“ als Abschiebung iSd RückführungsRL zu betrachten ist, und ob in derartigen Fällen eine Verlängerung der Frist auf bis zu 18 Monaten in Betracht kommt und der BF daher auch länger als sechs Monate in Schubhaft angehalten werden kann.

Die Revision war daher zuzulassen.

Schlagworte

Abschiebung Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft gelinderes Mittel Heimreisezertifikat Identität Mittellosigkeit öffentliche Interessen Revision zulässig Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit strafrechtliche Verurteilung Ultima Ratio Untertauchen Vereitelung Verhältnismäßigkeit Wohnsitz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W150.2239487.3.00

Im RIS seit

11.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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