TE OGH 2021/3/30 10Ob3/21w

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Veröffentlicht am 30.03.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. J*, vertreten durch Hajek & Boss & Wagner Rechtsanwälte OG in Eisenstadt, gegen die beklagten Parteien 1. M* & Co GmbH, 2. M*, beide *, und 3. Z*, alle vertreten durch Dr. Johann Kuzmich, Rechtsanwalt in Nebersdorf, wegen 7.147,91 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Berufungsgericht vom 27. Oktober 2020, GZ 13 R 98/20i-39, womit das Urteil des Bezirksgerichts Mattersburg vom 28. April 2020, GZ 2 C 1243/18x-33, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei zu Handen des Beklagtenvertreters die mit 860,58 EUR (darin enthalten 120,02 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Der Kläger erteilte im Oktober 2017 der erstbeklagten Gesellschaft (deren Geschäftsführer der Zweit- und der Drittbeklagte sind) den Auftrag, die Eternitfassade an der Westseite seines Wohnhauses zu entfernen und eine neue Fassade herzustellen. Vereinbart wurde ein Pauschalpreis von 6.000 EUR. Die Erstbeklagte ließ ein Gerüst errichten und begann mit (im Einzelnen festgestellten) Arbeiten, die vollständig und ordnungsgemäß erbracht wurden. Von der Durchführung weiterer Arbeiten nahm die Erstbeklagte auf Wunsch des Klägers vorerst Abstand. Am 8. 12. 2017 legte der Kläger dem Zweit- und Drittbeklagten jeweils eine (von ihm selbst erstellte) schriftliche „Leistungsvereinbarung“ vor.

[2]       Diese „Leistungsvereinbarung“ lautet auszugsweise wie folgt:

„2. Für die bisher erbrachten Leistungen der Baufirma wird ein Betrag in der Höhe von € 4.000 seitens des Bauherren geleistet.

[...]

3. Mit Unterfertigung dieser Vereinbarung wird seitens der Baufirma bestätigt, den Betrag von € 4.000 erhalten zu haben.

[...]

5. Bis spätestens 1. 7. 2018 sind von der Baufirma folgende Leistungen zu erbringen:

- Lieferung der zur Fertigstellung nötigen Materialien (Unterputz der Marke Baumit Thermoextra, Textilglasgitter, Feinputz bzw. Edelputz der Marke Baumit)

- Aufbringen von Unterputz der Marke Baumit Thermoextra in einer Schichtstärke von 5 cm

- Vollflächiges Armieren des Unterputzes mit Textilglasgitter

- Endbeschichtung entweder mit Feinputz oder Edelputz der Marke Baumit (Spezifizierung und Auswahl erfolgt durch Bauherren)

- Bei den Endbeschichtungsarbeiten ist eine Körnung zu wählen, die der Bestandsfassade gleich kommt. Seitens der Baufirma ist hierzu mit dem Bauherren zuvor Rücksprache zu halten.

- Reinigungsarbeiten der auf der Liegenschaft im Zuge der Bauarbeiten entstandenen Verschmutzungen

- Demontage und Abholung des Gerüstes

6. Für die unter Punkt 5 aufgelisteten und noch zu erbringenden Leistungen wird ein Betrag in der Höhe von € 2.000 vereinbart, der erst nach Abnahme der Arbeiten durch den Bauherren fällig ist.“

[3]       Nach Punkt 8. der Leistungsvereinbarung ist der Kläger im Fall der nicht vollständigen Erbringung der Fertigstellungsarbeiten bis zum 1. 7. 2018 berechtigt, die noch ausständigen Arbeiten von einem Unternehmen seiner Wahl durchführen zu lassen, wobei für die anfallenden Kosten die Zweit- und Drittbeklagten jeweils solidarisch haften. Der Kläger erörterte den Inhalt der Leistungsvereinbarung mit dem Zweit- und Drittbeklagten, bevor diese die Vereinbarung unterzeichneten. Wären der Zweit- und Drittbeklagte aufmerksam gewesen, hätten sie aufgrund ihrer Branchenkenntnisse erkennen können, dass die ordnungsgemäße Herstellung der im Punkt 5. angeführten Leistungen um 2.000 EUR nicht möglich ist, sondern die Kosten tatsächlich 9.182,74 EUR brutto betragen. Dies war dem Zweit- und Drittbeklagten bei Unterzeichnung nicht bekannt.

[4]            Nach Unterzeichnung leistete der Kläger an die Erstbeklagte für die bisher erbrachten Arbeiten 4.000 EUR.

[5]            Im Frühjahr 2018 wurde mit den Verputzarbeiten begonnen. Nachdem 70 Säcke Material verarbeitet waren, lehnte die Erstbeklagte die Durchführung der weiteren Arbeiten zu den in der Leistungsvereinbarung genannten Konditionen ab. Nicht festgestellt werden kann, dass die (unvollständig gebliebenen) Putzarbeiten per se sanierungsbedürftig waren. Am 22. 11. 2018 erklärte der Kläger schriftlich, vom Vertrag zurückzutreten und die Fertigstellung des Werks von einem anderen Unternehmer durchführen zu lassen. Dieser stellte dem Kläger für die Durchführung der in Punkt 5. der Leistungsvereinbarung bezeichneten Arbeiten 9.147,91 EUR in Rechnung, die der Kläger bezahlte. An die Erstbeklagte leistete der Kläger für die in Punkt 5. angeführten Arbeiten keinen Werklohn.

[6]            Der Kläger begehrt (nach Klageeinschränkung) 7.147,91 EUR sA aus dem Titel des Schadenersatzes. Er bringt im Wesentlichen vor, ursprünglich sei (mündlich) eine Pauschale von 6.000 EUR für sämtliche von der Erstbeklagten zu erbringenden Leistungen (samt Material) vereinbart worden. In der Folge habe er mit der Erstbeklagten (vertreten durch den Zweit- und den Drittbeklagten) eine neue Vereinbarung geschlossen, in der die bisherige Pauschalpreisvereinbarung über 6.000 EUR für die Herstellung eines Gesamtwerks verschriftlicht worden sei. Die Leistungen seien grob umschrieben und zwei Teilzahlungen festgelegt worden, und zwar 4.000 EUR für die bisher erbrachten Leistungen und 2.000 EUR für die restlichen noch zu erbringenden Leistungen. Da die Erstbeklagte die beschriebenen Leistungen nur begonnen und nicht beendet habe, sei er nach Setzung einer Nachfrist rechtswirksam vom Werkvertrag zurückgetreten und habe mit der Fertigstellung einen anderen Unternehmer betraut. Unter Berücksichtigung der Sowiesokosten in Höhe von 2.000 EUR seien ihm Mehrkosten in Höhe des Klagsbetrags entstanden. In eventu – sofern das Gericht der Ansicht sein sollte, dass der gesamte Betrag der ursprünglichen Vereinbarung über 6.000 EUR für die Beurteilung des Anspruchs heranzuziehen sei – werde vorgebracht, dass ihm insgesamt Kosten in Höhe von 13.147,91 EUR entstanden seien. Abzüglich der ursprünglich vereinbarten 6.000 EUR ergebe sich ein Differenzbetrag von 7.147,91 EUR. Eventualiter werde das Klagebegehren auch auf diesen Anspruchsgrund gestützt (AS 115).

[7]            Die Beklagten bestritten und brachten – soweit für das Revisionsverfahren noch wesentlich – vor, die Leistungsvereinbarung basiere einseitig auf den Berechnungen des Klägers. Es handle sich um keine Pauschalpreisvereinbarung, sondern um einen Kostenvoranschlag ohne Gewähr. Der Drittbeklagte habe in der Folge mehrfach darauf hingewiesen, dass ein erhöhter Materialaufwand aufgrund der Planunebenheit der zu bearbeitenden Fassade notwendig sein werde. Sollte doch von einem Werklohn von 2.000 EUR für die in Punkt 5. der Leistungsvereinbarung angeführten Leistungen auszugehen sein, werde diese Vereinbarung wegen eines vom Kläger veranlassten Kalkulationsirrtums bzw Wertirrtums, in eventu wegen Geschäftsirrtum bzw gemeinsamem Geschäftsirrtum angefochten. In eventu werde der Vertrag (einredeweise) wegen Verkürzung über die Hälfte angefochten. Der Wert der gemäß der Leistungsvereinbarung noch zu erbringenden Leistungen übersteige den dafür vereinbarten Werklohn von 2.000 EUR um mehr als das Doppelte. Die Anwendung des § 934 ABGB sei gegenüber der Erstbeklagten vertraglich nicht ausgeschlossen worden.

[8]            Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Rechtlich hielt es die Voraussetzungen für die einredeweise Geltendmachung der Verkürzung über die Hälfte als gegeben. Sei der Werkvertrag infolge der einredeweisen Geltendmachung der Verkürzung über die Hälfte weggefallen, sei den Beklagten kein rechtswidriges Handeln vorwerfbar, weshalb das Klagebegehren nicht erfolgreich auf schadenersatzrechtliche Grundlagen gestützt werden könne.

[9]            Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Die ursprüngliche (mündliche) Vereinbarung über die Umgestaltung der Fassade zu einem Pauschalpreis von 6.000 EUR sei durch eine neue Leistungsvereinbarung dahin abgeändert worden, dass für die bereits erbrachten Leistungen, die in Punkt 2. der Leistungsvereinbarung aufgelistet sind, ein Werklohn von 4.000 EUR und für die zukünftig noch zu erbringenden Leistungen (laut Punkt 5. der Leistungsvereinbarung) ein Entgelt von 2.000 EUR vereinbart worden sei. Rechtlich stelle die Leistungsvereinbarung eine Novation im Sinn der §§ 1376 ff ABGB dar. Der Zweit- und der Drittbeklagte seien dem Schuldverhältnis beigetreten. Da der erste Teil der Vereinbarung ordnungsgemäß erfüllt und dafür ein angemessenes Entgelt entrichtet worden sei, sei für die Überprüfung der Berechtigung der Anfechtung wegen laesio enormis nur der zweite Teil der neu abgeschlossenen Leistungsvereinbarung über das Pauschalentgelt von 2.000 EUR für die in Punkt 5. der Leistungsvereinbarung festgelegten Leistungsschritte relevant. Zwar seien Pauschalpreisvereinbarungen auch bei unverhältnismäßigen Mehrkosten verbindlich. Sei aber bereits bei Vertragsabschluss klar, dass das angemessene Entgelt für die zu erbringenden Leistungen mehr als das Doppelte des vereinbarten Entgelts betrage, sei die Anfechtung wegen laesio enormis zulässig. Auch der zuvor erklärte Vertragsrücktritt des Klägers schließe die einredeweise Anfechtung des Vertrages wegen laesio enormis nicht aus. Der Rücktritt lasse den Vertrag bis zum Zeitpunkt des Rücktritts bestehen. Werde zu einem späteren Zeitpunkt ein Wurzelmangel (wie die laesio enormis) geltend gemacht, bewirke das die Beseitigung des ex nunc aufgelösten Vertragsverhältnisses nunmehr ex tunc. Da ausschließlich der zweite Teil der Leistungsvereinbarung (über die Erbringung der im Punkt 5. aufgezählten Leistungen zu einem Pauschalpreis von 2.000 EUR) zu beurteilen sei, sei bei Geltendmachung der laesio enormis ein Anbot der Rückgabe der erhaltenen 4.000 EUR nicht erforderlich.

[10]           Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage fehle, ob nach einem Vertragsrücktritt die Einrede der Verkürzung über die Hälfte möglich sei. Ferner bestehe keine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob eine Pauschalpreisvereinbarung aus dem Grund der Verkürzung über die Hälfte anfechtbar sei.

Rechtliche Beurteilung

[11]           Die Revision des Klägers ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

[12]     Der Revisionswerber macht im Wesentlichen geltend, die laesio enormis sei im Hinblick auf das Charakteristikum einer Pauschalpreisvereinbarung ausgeschlossen. Zudem wirke die mangels vertragskonformer Leistung der Erstbeklagten erfolgte Rücktrittserklärung nach § 918 ABGB (schuldrechtlich) ex tunc, weshalb für die danach erfolgte Einrede der laesio enormis, der diese Wirkung ebenfalls zukomme, kein Raum bleibe.

[13]     Dazu ist auszuführen:

[14]           1. Zu den Grundlagen der leasio enormis

[15]           1.1 Das Rechtsinstitut der laesio enormis (§ 934 ABGB) knüpft an ein objektives Wertmissverhältnis an, das sich aus dem Vergleich der vertraglich vereinbarten Leistungen ergibt. Hat eine Vertragspartei nicht einmal die Hälfte dessen als Gegenleistung erhalten, was sie selbst hingibt, steht ihr das Gestaltungsrecht (mittels Klage oder auch Einrede) zu, den Vertrag wegen Verkürzung über die Hälfte anzufechten. Zweiseitig verbindliche Verträge, die einen Partner massiv benachteiligen, ohne dass dieser Umstand auf den freien Willen des Benachteiligten zurückzuführen ist, sollen nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich keinen Bestand haben. Auch bei einem Werkvertrag mit Inhalt kann laesio enormis im Hinblick auf die laut Vertrag zu erbringenden Werkleistungen im Verhältnis zum vereinbarten Werklohn gegeben sein (Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 934 Rz 166).

[16]           1.2 § 934 ABGB ist im bürgerlichen Recht zwingend. Zu Lasten eines Unternehmers ist die Bestimmung aber dispositiv (§ 351 UGB). Da im vorliegenden Fall die Anwendung des § 934 ABGB nicht vertraglich ausgeschlossen wurde, kann sich auch die Erstbeklagte ungeachtet ihrer Eigenschaft als Unternehmerin auf laesio enormis berufen (§ 351 UGB; Rauter in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4 § 351 Rz 12 mwN).

[17]     2. Zur Frage der Anfechtung der von den Parteien getroffenen Pauschalpreisvereinbarung mittels laesio enormis:

[18]           2.1 Das Erstgericht ist dem Vorbringen der Beklagten, es liege lediglich ein Kostenvoranschlag ohne Gewähr bzw ein summarischer Überschlag (Schätzungsanschlag) vor (RIS-Justiz RS0021993), nicht gefolgt. Auch das Berufungsgericht hat die zwischen den Parteien getroffene Leistungsvereinbarung dahin ausgelegt, dass für die gemäß Punkt 5. noch zu erbringenden Leistungen ein Pauschalentgelt von 2.000 EUR vereinbart worden sei, wobei es seiner Entscheidung zugrunde legte, dass mit den 2.000 EUR auch die Leistung pauschaliert sein sollte (vgl Karasek, ÖNORM B 21103 Rz 1637). Davon ist auch im Revisionsverfahren (unbeschadet der rechtlichen Qualifikation der schriftlichen Leistungsvereinbarung als Novation oder bloße Schuldänderung) auszugehen:

[19]           Für Pauschalpreisvereinbarungen ist charakteristisch, dass die einzelnen preisbildenden Faktoren nicht offengelegt sind (M. Bydlinski in KBB6 § 1170a Rz 1). Hat der Kläger als Auftraggeber das von ihm gewünschte Werk rein funktional beschrieben, ohne weitere Angaben wie etwa zu Mengen und Maßen zu machen und hatten sich darüber der Zweit- und der Drittbeklagte als Vertreter der erstbeklagten Auftragnehmerin selbst eine Meinung zu bilden und die auszuführenden Leistungen zu kalkulieren, liegt ein typischer Fall eines Pauschalvertrags vor (Karasek, ÖNORM B 21103 Rz 1637; Hussian, Das Vollständigkeits- und Mengenrisiko beim Pauschalvertrag, in FS ÖGEBAU [2008] 203 [207]).

[20]           2.2 Bei Werkverträgen haben Pauschalpreisvereinbarungen zur Folge, dass der Unternehmer keine Preiserhöhung fordern darf, auch wenn das Werk mehr Arbeit oder größere Auslagen erfordert als der Werkunternehmer vorhergesehen hatte. Er trägt die Gefahr der Mehrarbeit ebenso wie ihm der ganze Nutzen zufällt, wenn sich die Arbeit als billiger oder leichter herausstellt (RS0022059). § 1170a ABGB ist auf Pauschalpreisvereinbarungen nicht anwendbar (M. Bydlinski in KBB6 § 1170a Rz 1).

[21]           2.3 Zur Frage der Anfechtung einer Pauschalpreisvereinbarung wegen Verkürzung über die Hälfte hat der Oberste Gerichtshof bislang nicht ausführlich Stellung genommen:

[22]           2.3.1 In der vom Revisionswerber zitierten Entscheidung 5 Ob 237/69 (= RS0022059 [T2]) wurde zu einer Pauschalpreisvereinbarung bei einem Werkvertrag ausgeführt, es gehöre zu deren Wesen, dass unter Umständen entweder der Unternehmer weit weniger erhalte oder der Besteller weit mehr bezahlen müsse als den tatsächlich erbrachten Leistungen angemessen wäre. Da die Einrede der laesio enormis in erster Instanz für unbegründet erklärt worden war und dies vom Beklagten unbekämpft geblieben sei, habe sich der Oberste Gerichtshof damit im Revisionsverfahren nicht mehr zu befassen. Obiter wurde jedoch – ohne weitere Begründung – festgehalten, dass mit Rücksicht auf die Darstellung des Wesens einer Pauschalpreisvereinbarung auch für eine Berücksichtigung der Verkürzung über die Hälfte kein Raum bliebe.

[23]           2.3.2 Die Entscheidung 7 Ob 80/07a betraf die Vereinbarung eines Pauschalhonorars eines Rechtsanwalts, wobei das Klagebegehren bei Schluss der mündlichen Verhandlung nur auf Wucher sowie arglistige Täuschung gestützt worden war. Die erstmalige Geltendmachung von laesio enormis im Rechtsmittelverfahren wurde als gegen das Neuerungsverbot verstoßend angesehen.

[24]           2.3.3 Zu 1 Ob 214/09s war die Frage, ob eine Pauschalpreisvereinbarung wegen Verkürzung über die Hälfte anfechtbar sei, deshalb nicht zu beantworten, weil die Verjährungsfrist bereits abgelaufen war.

[25]           2.3.4 Gegenstand der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 3 Ob 24/20f war eine Pauschalhonorarvereinbarung zwischen einer Rechtsanwalts-GmbH und deren Mandanten, die von letzterem (erfolgreich) mittels Einrede der laesio enormis angefochten wurde. Eine Auseinandersetzung mit der Zulässigkeit dieser Einrede im Hinblick auf das Vorliegen einer Pauschalhonorarvereinbarung unterblieb, da die klagende Rechtsanwalts-GmbH zu dieser Frage kein Bestreitungsvorbringen erstattet hatte.

[26]           2.3.5 Die vom Kläger in der Revision angesprochene Entscheidung 1 Ob 219/09a betraf einen Schätzungsanschlag des Honorars für eine bestimmte Geschäftsbesorgung durch einen Rechtsanwalt. Da der Rechtsanwalt die Mandantin nicht auf einen unvorhergesehenen höheren Aufwand hingewiesen hatte, ging ihm ein zusätzlicher Anspruch wegen Mehrarbeit verloren. Die Aussage, § 934 ABGB schütze nicht denjenigen (professionellen) Vertragspartner, der zwar den mit der ihm übertragenen Tätigkeit verbundenen zukünftigen Aufwand einigermaßen abschätzen kann, dennoch aber ein besonders niedriges Entgelt vereinbart, betrifft den Ausschlusstatbestand der Kenntnis des wahren Werts (§ 935 ABGB), bei dessen Vorliegen das Anfechtungsrecht kraft Gesetzes entfällt.

[27]           2.4 Im Schrifttum führt Thiery (Die Pauschalhonorarvereinbarung, AnwBl 2006, 431) aus, dass bei Pauschalhonorarvereinbarungen, die dadurch charakterisiert seien, dass das Entgelt des Rechtsanwalts einen im Voraus bestimmten Fixbetrag darstellt, zugunsten des Mandanten sowohl laesio enormis als auch das Verbot des Wuchers zu beachten seien.

[28]           2.5 Auch hinsichtlich der im vorliegenden Fall getroffenen Pauschalpreisvereinbarung ist die Anfechtung wegen laesio enormis zulässig:

[29]           2.5.1 Das (zwingende) Recht auf Aufhebung des Vertrags wegen laesio enormis ist nach § 935 dritter Halbsatz ABGB dann ausgeschlossen, wenn der Verkürzte Kenntnis des wahren Werts hatte. Da feststeht, dass dem Zweit- und dem Drittbeklagten bei Unterzeichnung der Leistungsvereinbarung das grobe Missverhältnis zwischen der vereinbarten Werkleistung und dem Werklohn unbekannt war, ist dieser Anfechtungsausschlussgrund zu verneinen. Der Umstand, dass sich die Beklagten davon Kenntnis verschaffen hätten können, ist bedeutungslos (4 Ob 147/01y; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 935 Rz 10).

[30]           2.5.2 § 1268 ABGB schließt die Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte auch bei Glücksverträgen aus. Glücksverträge liegen vor, wenn der Gegenstand des Vertrags die Hoffnung auf einen noch ungewissen Vorteil ist, nicht aber schon dann, wenn mit dem Abschluss eines Vertrags ein Risiko oder eine Chance verbunden ist (RS0020414; 4 Ob 135/07t; 6 Ob 20/19p = RS0018925 [T4]).

[31]           Bei Pauschalpreisvereinbarungen besteht zwar das Risiko bzw diese Chance („das Wagnis“) für beide Teile darin, dass derartige Vereinbarungen verbindlich sind, auch wenn sich herausstellt, dass die übernommenen Arbeiten die veranschlagten Mengen erheblich über- oder unterschreiten (RS0018079). Die maßgebliche Voraussetzung für das Vorliegen eines Glücksvertrags, dass von Vornherein Unklarheit darüber herrschen muss, ob sich der Vertrag im Endergebnis für den einen oder den anderen Vertragsteil vorteilhaft auswirken wird, ist aber – jedenfalls im vorliegenden Fall – nicht erfüllt, weil bei entsprechender Sachkenntnis und Aufmerksamkeit das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung von vornherein bestimmbar und erkennbar gewesen wäre.

[32]           2.5.3 Die Rechtsprechung wendet den in § 1268 ABGB normierten Ausschluss der laesio enormis analog auf glückspielähnliche Verträge mit bedeutsamen aleatorischen Elementen an, weil davon auszugehen ist, dass die Risiken von den Parteien bewusst übernommen wurden und daher die Geltendmachung der laesio enormis (konkludent) ausgeschlossen ist. Auch dieser Anfechtungsausschluss kommt hier nicht zum Tragen, weil sich weder aus dem Vorbringen noch aus den Feststellungen ableiten lässt, dass die Beklagten das Risiko des Materialbedarfs und der erforderlichen Arbeitsleistungen bewusst übernehmen wollten.

[33]           2.6 War die Ex-ante-Beurteilung der Leistungswerte möglich und entspricht diese Bewertung den Tatbestandsmerkmalen des § 934 ABGB, ist kein Grund ersichtlich, warum die von den Parteien getroffene Vereinbarung aufrecht bleiben sollte. Konkrete Argumente gegen diese – bereits vom Berufungsgericht vertretene Ansicht – werden vom Revisionswerber nicht ins Treffen geführt. Dem Hinweis auf die Unternehmereigenschaft der Erstbeklagten ist zu entgegnen, dass nach § 351 UGB ein vertraglicher Ausschluss der laesio enormis möglich gewesen wäre, aber nicht erfolgt ist.

[34]           2.7 Die im Zulassungsausspruch aufgeworfene Rechtsfrage ist daher dahin zu beantworten, dass die Anfechtung der in concreto von den Parteien getroffenen Pauschalpreisvereinbarung mit Leistungsinhalten wegen Verkürzung über die Hälfte (§ 934 ABGB) möglich ist.

[35]           3. Zur einredeweisen Geltendmachung der laesio enormis nach Erklärung des Vertragsrücktritts

[36]     3.1 Laesio enormis kann mittels Klage, aber auch mittels Einrede geltend gemacht werden. Beide Rechtsbehelfe sind jeweils auf die Aufhebung des Vertrags gerichtet (Perner in Schwimann/Kodek4 ABGB § 934 Rz 16). Erst das rechtsgestaltende Urteil des Gerichts hebt den Vertrag auf.

[37]     3.2 Die Aufhebung beseitigt nicht nur die Rechtswirkung des Vertrags rückwirkend ex tunc (RS0018814), sondern wirkt sich nach neuerer Rechtsprechung auch dinglich ex tunc aus, was der Einordnung als Wurzelmangel entspricht (2 Ob 522/95 JBl 1998, 41 [Holzner]; 2 Ob 325/98b JBl 1999, 537 [Rummel]; 7 Ob 251/02s JBl 2004, 252 [Riedler]; 10 Ob 77/06f; zustimmend Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 934 Rz 114; Perner in Schwimann/Kodek, ABGB4 Rz 17; P. Bydlinkski in KBB6 § 934 Rz 5 mwN). Der Vertrag ist – wie bei der Irrtumsanfechtung – so zu betrachten, als ob er nie zustande gekommen wäre und daher nie Eigentum erworben worden wäre (Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 934 Rz 117).

[38]           3.3 Anders sind die Wirkungen des Vertragsrücktritts:

[39]           Der begründete und wirksame Rücktritt vom Vertrag (§ 918 Abs 1 ABGB) hat zwar ebenfalls die Auflösung des Vertrags – allerdings mit obligatorischer Wirkung – zwischen den Vertragsparteien ex tunc zur Folge (RS0018414; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 921 Rz 5; Reidinger in Schwimann, ABGB4 § 918 Rz 50, jeweils mwN) und lässt die gegenseitigen Rechte und Pflichten aus dem aufgehobenen Vertrag rückwirkend auf den Abschlusszeitpunkt erlöschen (10 Ob 68/09m). Erfüllungsansprüche bestehen nicht mehr (Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4, § 921 ABGB Rz 5), bereits erbrachte Leistungen, allenfalls ihr Wert sind bereicherungsrechtlich herauszugeben (§ 921 Satz 2 ABGB; P. Bydlinski in KBB6 § 921 ABGB Rz 4).

[40]           Der Rücktritt wirkt (für sich genommen) jedoch nicht sachenrechtlich. Übertragungsakte, die im Hinblick auf den Vertrag gemacht wurden, bleiben sachenrechtlich gültig, es besteht lediglich ein schuldrechtlicher Anspruch auf Rückübereignung (Reidinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 918 Rz 50). Zudem lässt der Rücktritt vom Vertrag den Ersatz des durch die Nichterfüllung verursachten Schadens unberührt (Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4, § 921 Rz 9). Tritt der Gläubiger aufgrund des Verschuldens des Schuldners vom Vertrag zurück, kann er das Erfüllungsinteresse (etwa die konkreten Mehraufwendungen infolge Abschlusses eines gleichartigen Deckungsgeschäfts) verlangen (§ 921 ABGB). Schadenersatzrechtlich ist trotz obligatorischer Ex-tunc-Vertragsauflösung der Nichterfüllungsschaden zu ersetzen. Die Haftung beruht auf der Vertragsverletzung. Diese Haftungsgrundlage wird durch den Rücktritt nicht beseitigt (Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 921 Rz 6 und 9).

[41]     3.4.1 In der bisherigen Rechtsprechung wurde zu einem auf Rechtsunwirksamkeit eines Vertrags gerichteten Feststellungsbegehren und einem zugleich erhobenen Rechtsgestaltungsbegehren wegen laesio enormis ausgeführt, dass beide Ansprüche zueinander im Widerspruch stehen und bei anfänglicher Rechtsunwirksamkeit des Vertrags dessen Aufhebung wegen laesio enormis nicht in Betracht kommt (2 Ob 52/16k SZ 2017/52).

[42]     3.4.2 Die Frage, ob laesio enormis ungeachtet einer nachträglichen Aufhebung eines Vertrags erfolgreich geltend gemacht werden kann, wurde in der Entscheidung 1 Ob 498/35 SZ 17/134 = RS0024095 zu einem Dauerschuldverhältnis behandelt. Der den Gegenstand dieser Entscheidung bildende Pachtvertrag wurde unter Berufung auf die laesio enormis ex tunc als aufhebbar erachtet, obwohl er bereits (einvernehmlich) ex-nunc aufgelöst worden war (Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4, § 934 Rz 4).

[43]           3.5 Im vorliegenden Fall ist ein Zielschuldverhältnis (Werkvertrag) zu beurteilen. Folgt man mit dem Berufungsgericht dem Standpunkt des Klägers, seine Rücktrittserklärung sei wirksam erfolgt, hatte diese Erklärung die oben beschriebenen (schuldrechtlichen) Folgen. Ist jedoch die Einrede der laesio enormis erfolgreich, gilt der Werkvertrag als nicht zustande gekommen.

[44]           3.6 Die vom Berufungsgericht im Zulassungsausspruch als erheblich aufgeworfene (zweite) Rechtsfrage ist daher dahin zu beantworten, dass der Werkunternehmer auch nach dem rechtswirksamen Vertragsrücktritt des Werkbestellers (§ 918 Abs 1 ABGB) der auf den Ersatz des Nichterfüllungsschadens gerichteten Schadenersatzklage (§ 921 ABGB) die Einrede der laesio enormis erfolgreich entgegenhalten kann.

[45]           3.7 Da ohnehin von der Rechtswirksamkeit des Rücktritts ausgegangen wurde, ist der vom Revisionswerber gerügte rechtliche Feststellungsmangel (wegen Fehlens von Feststellungen zum Rücktrittsgrund und der Nachfristsetzung) zu verneinen.

[46]           4. Zum Vorbringen des Fehlens einer Novation

[47]           Der Revisionswerber bringt weiters vor, die schriftliche Leistungsvereinbarung sei rechtlich nicht als Novation, sondern als Schuldänderung (§ 1379 ABGB) zu qualifizieren. Liege keine Novation vor, sei die einredeweise geltend gemachte laesio enormis nicht erfolgreich, weil die Erstbeklagte unterlassen habe, die Rückgabe sämtlicher erhaltener Leistungen (somit auch die Rückgabe der empfangenen Teilzahlung von 4.000 EUR) anzubieten.

[48]           Diesem Standpunkt ist nur insoweit zu folgen, als der Leistungsvereinbarung keine novierende Wirkung zukommt:

[49]           4.1 Gegen die Annahme einer Novation im Sinn des §§ 1376 ABGB spricht zunächst, dass die Parteien kein erstinstanzliches Vorbringen zum Vorliegen eines gemeinsamen Novationswillens erstattet haben. Diese Absicht wird aber nicht vermutet (vgl RS0032417; im Zweifel besteht die Vermutung für den Fortbestand des alten Vertrags mit geändertem Inhalt; RS0032303). Weiters erfolgte durch die Leistungsvereinbarung weder eine Änderung des Rechtsgrundes noch eine Änderung im Hauptgegenstand der Forderung. Durch die Leistungsvereinbarung wurde (ua) die im Werkvertrag ursprünglich vereinbarte Leistung der Herstellung einer neuen Fassade um 6.000 EUR insofern geteilt, als den bereits erbrachten Leistungen ein Betrag von 4.000 EUR zugeordnet und zugleich vereinbart wurde, dass die (näher umschriebenen) noch zu erbringenden Leistungen mit 2.000 EUR abgegolten werden. Dass für diese Leistungen erstmals ein Leistungstermin (1. 7. 2018) bestimmt wurde, betrifft eine Nebenbestimmung und begründet ebenfalls keine Novation. Da der ursprüngliche Werkvertrag zwischen dem Kläger und der Erstbeklagten trotz der Änderungen noch als der alte angesehen werden kann (Neumayr in KBB6 §§ 1378–1379 Rz 3), liegt eine – in der Regel eher anzunehmende – bloße Schuldänderung im Sinn des § 1379 ABGB vor. Diese ersetzt das ursprüngliche Schuldverhältnis nicht durch ein neues, sondern lässt dieses mit bestimmten Änderungen hinsichtlich des Inhalts der Verpflichtung fortbestehen (RS0032502 [T5]; RS0032303). Dass der Zweit- und Drittbeklagte auf Wunsch des Klägers hin diesem Vertrag als Schuldner beigetreten sind (kumulative Schuldübernahme) führt zu keiner anderen Beurteilung (vgl RS0032444).

[50]     4.2 Aus dem Nichtvorliegen einer Novation kann der Revisionswerber aber für seinen Prozessstandpunkt keine Vorteile ableiten:

[51]           Wie sich aus der Aktenlage eindeutig ergibt, hat der Kläger den Rücktritt vom Vertrag nur hinsichtlich der noch ausständigen Teilleistungen laut Punkt 5. der Leistungsvereinbarung erklärt. Die Erstbeklagte hat die Einrede der laesio enormis nur hinsichtlich dieser, gemäß Punkt 5. noch zu erbringender Teilleistungen erhoben (dazu Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4, § 934 Rz 108). Zu beurteilen ist daher ausschließlich dieser Teil der Leistungsvereinbarung, für den nach den Feststellungen kein Werklohn geleistet wurde. Daraus folgt, dass die vom Revisionswerber zitierte Rechtsprechung, nach der bei einredeweiser Geltendmachung der laesio enormis die Rückgabe der bereits empfangenen Leistung angeboten werden muss (RS0018938), hier nicht anwendbar ist.

[52]     4.3 Auch das Fehlen der Bereitschaft der Beklagten, die als Teilzahlung für bereits erbrachte Leistungen erhaltenen 4.000 EUR rückzuerstatten, hindert somit nicht den Erfolg der einredeweisen Geltendmachung der laesio enormis. Die vom Revisionswerber in diesem Zusammenhang geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor.

[53]     5. Der Revision des Klägers ist daher nicht Folge zu geben.

[54]     Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E131604

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:E131604

Im RIS seit

20.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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