TE OGH 2020/12/18 8ObA57/20w

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Veröffentlicht am 18.12.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Hauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R***** G*****, vertreten durch Teicht Jöchl Rechtsanwälte Kommandit-Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei W***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Michael Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen 167.074,47 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Februar 2020, GZ 9 Ra 74/19x-34, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1]            Wie die Revision selbst einräumt, kann das Vorliegen der Voraussetzungen für eine gerechtfertigte vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses immer nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (RIS-Justiz RS0106298).

[2]            Eine zur Entlassung berechtigende Vertrauensverwirkung kann auch auf Handlungen des Angestellten beruhen, die mit dem Dienstverhältnis in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen. Das Verhalten des Angestellten muss nur so beschaffen sein, dass es das dienstliche Vertrauen des Dienstgebers zu beeinflussen vermag. Es ist also der Zusammenhang des außerdienstlichen Verhaltens mit der dienstlichen Position und dem damit verbundenen Aufgabengebiet und der Auswirkung auf das Dienstverhältnis zu beachten (RS0029333 [T3, T13]).

[3]            Der Arbeitgeber hat eine Entlassung unverzüglich auszusprechen, sobald ihm alle für die Beurteilung des

Entlassungsgrundes wesentlichen Einzelheiten der Handlung und der Person zur Kenntnis gelangt sind. Dem Wissen des Arbeitgebers ist die Kenntnisnahme durch seinen Stellvertreter oder durch einen ganz oder teilweise mit Personalagenden befassten leitenden Angestellten (auch wenn dieser nicht zum Ausspruch einer Entlassung berechtigt war) gleichzuhalten, aber nicht die Kentnnis eines sonstigen Vorgesetzten (RS0029321 [T5]; 8 ObA 57/18t).

[4]            Das Berufungsgericht hat die Entlassung des Klägers wegen des Entlassungsgrundes der Vertrauensunwürdigkeit und der sexuellen Belästigung als berechtigt und auch als rechtzeitig beurteilt. Ausgehend von den für den Obersten Gerichtshof bindend getroffenen Feststellungen wirft diese auf den Umständen des Einzelfalls beruhende Beurteilung des Berufungsgerichts keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

[5]            Dass eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu einem gleichartigen oder hinreichend ähnlichen Fall fehlt, begründet noch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage. Eine solche läge nur vor, wenn zur relevanten Frage keine Leitlinien des Obersten Gerichtshofs existieren, die eine Anwendung auf den konkreten Fall ermöglichen (Lovrek in Fasching/Konecny3 IV/1 § 502 ZPO Rz 33 mwN; RS0107773 ua).

[6]            Die Ausführungen der Revision im Zusammenhang mit der Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Ausspruchs trotz früherer Kenntnis eines Aufsichtsratsmitglieds stützen sich zentral darauf, dass nach der konkreten Geschäftsordnung der Gesellschaft für die Geschäftsführung auch die Abänderung von Anstellungsverträgen ab einem Jahresbruttobezug von 75.000 EUR der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen. Die Revision vermag aber nicht darzustellen, inwieweit ein konkretes dahingehendes Vorbringen bereits im erstgerichtlichen Verfahren erstattet worden wäre, in dem nur ein allgemeiner Verweis auf die vorgelegte Geschäftsordnung erfolgte (AS 171). Im Übrigen bedürfte es selbst dann, wenn man davon ausgeht, dass bei derartigen Anstellungsverträgen leitender Angestellter im Hinblick auf die allgemeine Überwachungspflicht nach § 30j Abs 1 GmbHG das Wissen eines Aufsichtsratsmitglieds über sexuelle Belästigungen der GmbH zuzurechnen ist, einer Auseinandersetzung mit der Frage, warum es einem Aufsichtsratsmitglied nicht vor Befassung des Aufsichtsrats und der Geschäftsführung freistehen sollte, bei Wunsch den sexuell Belästigten nach Vertraulichkeit vorweg zur Klärung ein Gutachten der Gleichbehandlungsanwaltschaft abzuwarten.

[7]            Die Beurteilung, dass der Beklagten die Kenntnis des Entlassungsgrundes bei einem einzelnen Aufsichtsratsmitglied hier nicht schadet, weicht insoweit nicht von den Grundsätzen der Rechtsprechung ab.

[8]            Ebensowenig stellt es eine im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung dar, dass es der Beklagten nicht zumutbar war, einen Angestellten in einer herausragenden Position weiter zu beschäftigen, der eine Person, die Interesse an einer Anstellung bei der Beklagten bekundet hatte, unter Andeutung seiner beruflichen Machtposition mit seiner Nachricht sexuell belästigt hat. Den Ausführungen der Revision, dass es sich um eine Nachricht um 0:26 Uhr mitten in der Nacht gehandelt habe und sich der Kläger „sofort“ entschuldigt habe, ist schon entgegenzuhalten, dass die Entschuldigung erst mehrere Tage danach aufgrund einer klar ablehnenden Reaktion der Belästigten erfolgte.

[9]            Die außerordentliche Revision der klagenden Partei zeigt daher insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

Textnummer

E130607

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00057.20W.1218.000

Im RIS seit

11.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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