TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/9 I403 1411815-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.12.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

09.12.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3a
AsylG 2005 §9 Abs2
AsylG 2005 §9 Abs2 Z2
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §46a Abs1 Z2
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §53 Abs6
FPG §55 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I403 1411815-3/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Martin WAKOLBINGER, gegen Spruchpunkt II. bis VIII. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.12.2019, Zl. XXXX, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Spruchpunkt zu lauten hat: „Ihr Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Nigeria gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Absatz 2 Z 2 AsylG 2005 abgewiesen.“

II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III., IV., VI., VII. und VIII. wird als unbegründet abgewiesen.

III. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. wird stattgegeben und gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 festgestellt, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung von XXXX nach Nigeria unzulässig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Zum ersten Asylverfahren

Der Beschwerdeführer reiste (spätestens) am 25. Juli 2009 illegal in das Bundesgebiet ein und brachte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG ein. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12. Februar 2010 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen. In Spruchpunkt II. wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen und der Beschwerdeführer in Spruchpunkt III. gemäß § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen. In seinem Bescheid ging das Bundesasylamt von der Unglaubwürdigkeit des vom Beschwerdeführer erstatteten Vorbringens aus und traf Feststellungen zur Lage in Nigeria.

Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde an den zu diesem Zeitpunkt zuständigen Asylgerichtshof erhoben. Die gegen den Bescheid vom 12. Februar 2010 erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30. Juli 2014, Zl. W168 1411815-1/18E, gemäß § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen und das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 9. April 2015, Zl. XXXX , in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 3. Oktober 2016 wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 Asylgesetz 2005 erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Absatz 1 Z. 3 Asylgesetz iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz erlassen. Es wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt I.). Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 18 Absatz 2 Ziffer 1 BFA-VG wurde einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Es wurde unter IV. festgestellt, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 1. Jänner 2014 verloren habe. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 1 FPG wurde gegen ihn ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.). Im angefochtenen Bescheid wurde unter anderem festgestellt, dass der Beschwerdeführer an paranoider Schizophrenie leide.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 9. August 2018, Zl. I403 1411815-2/29E wurde der dagegen erhobenen Beschwerde stattgegeben und der Bescheid vom 3. Oktober 2016 behoben, da die Erlassung einer Rückkehrentscheidung aufgrund des zwischenzeitlich gestellten Folgeantrages auf internationalen Schutz rechtswidrig wäre.

Zum gegenständlichen Asylverfahren

Am 1. August 2018 brachte der Beschwerdeführer, vertreten durch seinen gerichtlichen Erwachsenenvertreter, Rechtsanwalt Mag. Martin WAKOLBINGER, einen Folgeantrag auf internationalen Schutz ein.

Die belangte Behörde gab ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten in Auftrag, welches am 14. November 2018 von einem Sachverständigen für Psychiatrie und Neurologie erstattet wurde und zum Parteiengehör versandt wurde.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 19. Dezember 2019, zugestellt am 23. Dezember 2019, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ebenso der Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen ihn ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.). Es wurde ihm keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VII.) und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VIII.). Die belangte Behörde kam zum Schluss, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft sei und dass laut Informationen der Staatendokumentation die vom Beschwerdeführer benötigten Medikamente oder entsprechende Ersatzmedikamente zur Verfügung stünden. Der Beschwerdeführer werde bei einer Rückkehr nach Nigeria in Lagos ankommen, wo er eine medizinische Grundversorgung vorfinden werde. Der Beschwerdeführer sei ein junger und arbeitsfähiger Mann, so dass nicht davon auszugehen sei, dass er in Nigeria in eine aussichtslose Lage geraten würde.

Gegen Spruchpunkte II. bis VIII. des Bescheides wurde am 20. Jänner 2020 Beschwerde erhoben und darauf hingewiesen, dass in Nigeria die Kosten für die Behandlung psychischer Erkrankungen selbst getragen werden müssten. Bei einer unzureichenden psychiatrischen und medikamentösen Versorgung bestehe beim Beschwerdeführer eine hohe Selbst- und Fremdgefährdung. Der Beschwerdeführer verfüge in Nigeria auch über keinen „sozialen Empfangsraum, um seine Situation zu stabilisieren“. Es wurde beantragt, dem Beschwerdeführer subsidiären Schutz zuzuerkennen, in eventu die Angelegenheit an das BFA zurückzuverweisen, in eventu eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, in eventu die Dauer des Einreiseverbotes herabsetzen und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Die Beschwerde wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 7. Februar 2020 vorgelegt. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12. Februar 2020, Zl. I403 1411815-3/4E wurde der Beschwerde stattgegeben und dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt; die Rückkehrentscheidung und das darauf aufbauende Einreiseverbot wurden behoben. Dies wurde folgendermaßen begründet: „Der Beschwerdeführer verfügt über kein soziales oder familiäres Netzwerk in Nigeria. Er hält sich seit mehr als zehn Jahren in der Europäischen Union auf. Aufgrund seiner Erkrankung an paranoider Schizophrenie und deren schwerer Ausformung, die dazu führt, dass er sich seit beinahe fünf Jahren in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher befindet, ist der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Nigeria nicht in der Lage, für sich selbst zu sorgen und sich eine – zumindest grundlegende - Existenz zu sichern. Dadurch wäre es ihm nicht möglich, die notwendigen Medikamente zu besorgen, so dass mit einer lebensbedrohlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu rechnen wäre.“ Die erkennende Richterin ging davon aus, dass aufgrund der Unzurechnungsfähigkeit und der daher fehlenden Schuld des Beschwerdeführers (in Bezug auf die von ihm begangene Brandstiftung, welche zu einer Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher führte) die Voraussetzung des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG (Verurteilung wegen eines Verbrechens) nicht gegeben sei, ließ diesbezüglich aber die ordentliche Revision zu, da es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehlte, ob eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher für den Fall, dass der Betroffene bei Zurechnungsfähigkeit wegen eines Verbrechens verurteilt worden wäre, der Verurteilung wegen eines Verbrechens im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 gleichzuhalten sei.

Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Oktober 2020, Ro 2020/20/0001, wurde das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12. Februar 2020 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Dem Bundesverwaltungsgericht wurde darin Recht gegeben, dass - entgegen der Ansicht des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, das Revision erhoben hatte – es keinen Hinweis dafür gebe, dass der Gesetzgeber mit der in § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 enthaltenen Wendung „von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist“ auch die Anordnung einer Unterbringung nach § 21 Abs. 1 StGB hätte verstanden wissen wollen. Es entspreche daher der Rechtslage, wenn das Bundesverwaltungsgericht davon ausgegangen war, im vorliegenden Fall sei der Tatbestand des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 nicht erfüllt. Allerdings hätte das Bundesverwaltungsgericht den Ausschlussgrund des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 zu prüfen gehabt.

Vom Bundesverwaltungsgericht wurden der Beschluss des LG XXXX vom 30.09.2020 zur Ablehnung der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher und das zuletzt erstellte psychiatrische Sachverständigengutachten vom 24.08.2019 eingeholt. Mit „Verständigung von der Beweisaufnahme“ vom 20.11.2020 informierte das Bundesverwaltungsgericht die belangte Behörde und den gerichtlichen Erwachsenenvertreter des Beschwerdeführers darüber, dass auf Grundlage des Beschlusses des LG XXXX und des Sachverständigengutachtens davon auszugehen sei, dass zum aktuellen Zeitpunkt vom Beschwerdeführer noch eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich ausgehe. Daher sei – aus jetziger Sicht der erkennenden Richterin – die Beschwerde gegen die Abweisung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, zugleich aber festzustellen, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde. Der belangten Behörde und dem gerichtlichen Erwachsenenvertreter des Beschwerdeführers wurde eine Frist von 14 Tagen gewährt, um dazu eine Stellungnahme abzugeben bzw. bekanntzugeben, falls die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung notwendig erscheine. Mit Stellungnahme vom 09.12.2020 erklärte der Erwachsenenvertreter des Beschwerdeführers, dass aktuell die psychische Situation des Beschwerdeführers als stabil anzusehen sei und von ihm keine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich ausgehe. Die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung wurde nicht gefordert. Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest. Er ist Staatsangehöriger Nigerias und stammt aus Imo State. Der Vater des Beschwerdeführers ist verstorben, zu seiner Mutter und seiner Schwester bzw. zu sonstigen Verwandten in Nigeria hat er seit 2007 keinen Kontakt mehr. Der Beschwerdeführer besuchte die Grundschule und arbeitete vor seiner Ausreise in der Landwirtschaft.

Der Beschwerdeführer wird durch den gerichtlichen Erwachsenenvertreter Rechtsanwalt Mag. Martin WAKOLBINGER vertreten. Am 1. August 2018 stellte der Beschwerdeführer – im Wege seines Erwachsenenvertreters - einen Folgeantrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten in Österreich. Von seiner österreichischen Ehegattin ist er mittlerweile geschieden. Es besteht somit kein schützenswertes Familienleben. Seine sozialen Kontakte in Österreich sind aufgrund seines mehrjährigen Aufenthaltes in der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher kaum mehr vorhanden.

1.2. Zu einer vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung:

Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem Jahr 2009 (mit Unterbrechung, da er sich etwa von 2012 bis 2014 in Spanien aufhielt) in Österreich, seit April 2015 im Maßnahmenvollzug. Er wurde fünfmal strafrechtlich verurteilt:

?        Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 01. Oktober 2009, XXXX wegen § 27 Abs. 1/1 achter Fall und Abs. 3 SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 5 Monaten (bedingte Nachsicht der Strafe wurde in weiterer Folge widerrufen)

?        Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 04. Dezember 2009, XXXX wegen § 27 Abs. 1/1 achter Fall und Abs. 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten

?        Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 4. Juli 2011, XXXX wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 4 Wochen

?        Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 13. Februar 2015, XXXX wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 3 Wochen

?        Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 09. April 2015, XXXX zu einer Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB

Die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher erfolgte, weil der Beschwerdeführer, der an Halluzinationen litt und einen religiösen Wahn hatte, am 31.12.2014 Kerzen aus dem XXXX dom holte und mit diesen nach stundenlangem Gebet in der Flüchtlingsunterkunft einen Polster in Brand setzte. Er holte einen Mitbewohner zu sich und sagte ihm, dass seine Gebete erhört worden seien. Dieser forderte ihn auf, den Brand zu löschen und ging wieder zu seinem Zimmer zurück. Der vom Beschwerdeführer verursachte Brand breitete sich aus und erfasste das gesamte Dachgeschoß der Flüchtlingsunterkunft. Das Feuer führte zu einem Schaden von 360.000 Euro und zu Verletzungen bei drei Asylwerbern, die aus dem Fenster sprangen. Der Beschwerdeführer befand sich zum Zeitpunkt, als er den Brand verursachte, unter dem Einfluss der bei ihm bestehenden paranoiden Schizophrenie und hatte Wahnvorstellungen. Bei der beschriebenen und zum Tatzeitpunkt vorgelegenen paranoiden Schizophrenie handelt es sich um eine geistige oder seelische Abartigkeit von höherem Grad. Seine Diskretions- und Dispositionsfähigkeit war zum Tatzeitpunkt aufgehoben. Nach der Person des Beschwerdeführers, nach seinem Zustand und nach der Art seiner Tat waren zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung im April 2015 weitere Vorfälle, die in der Art und im Schweregrad dem verfahrensgegenständlichen Vorfall gleichzuhalten wären, nämlich weitere Brandstiftungen wahrscheinlich.

Der Beschwerdeführer ist zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung nach wie vor auf Grundlage des § 21 Abs. 2 StGB im forensischen Zentrum XXXX (Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher) untergebracht.

Der Beschwerdeführer stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit und Sicherheit dar.

1.3. Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer leidet an einer paranoiden Schizophrenie. Er wurde in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, da er unter dem Einfluss der Grunderkrankung der paranoiden Schizophrenie eine Straftat beging.

Der Beschwerdeführer nimmt die folgenden Medikamente ein: Akineton retard, Dominal, Haldol, Novalgin (bei Bedarf), Nozinan, Parkemed (bei Bedarf), Quetiapin, Voltaren (bei Bedarf). Eine regelmäßige Einnahme dieser Medikamente ist für den Beschwerdeführer notwendig.

1.4. Zur Behandlung einer paranoiden Schizophrenie in Nigeria

1.4.1. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 4. Jänner 2016, „Paranoide Schizophrenie“ (soweit entscheidungsrelevant)

Ist eine Behandlung von paranoider Schizophrenie in Nigeria möglich?

MEDCOI berichtet, dass ambulante und stationäre Behandlung durch einen Psychiater in Nigeria verfügbar ist, etwa im Federal neuro-psychiatric Hospital Yaba in Lagos. Es handelt sich dabei um ein öffentliches Spital.

(…)

Ist die Behandlung für den Patienten kostenlos?

MEDCOI berichtet, dass medizinische Behandlung im psychiatrischen Bereich mit folgenden Kosten verbunden ist: Ambulante Behandlung kostet pro Arztbesuch USD 41 und die stationäre Behandlung USD 56 pro Tag (Informationen Stand 2012). Eine stationäre Aufnahme (inkl. Medikamente und Laboruntersuchungen) bedeutet Kosten in der Höhe von durchschnittlich USD 3.675. Das staatliche Sozialversicherungssystem deckt die Kosten für Behandlung psychischer Leiden nicht an. Patienten müssen somit für die Kosten selbst aufkommen bzw. von ihrer Familie Unterstützung erhalten.

MEDCOI berichtet, dass es im Jahr 2014 in Nigeria etwa 1.7 Mio an Schizophrenie erkrankte Personen gab. Das Land verfügt hingegen über weniger als 200 Psychiater. Die medizinischen Einrichtungen zur Betreuung psychisch Kranker konzentrieren sich in den größeren Städten.

MEDCOI berichtet, dass es nirgendwo in Nigeria ein Programm zur Kostendeckung der Behandlung bei psychischen Erkrankungen gibt.

Medikamentenpreise: Haloperidol decanoate pro Injektion NGN 630 (etwa EUR 2,89)

1.4.2. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 22. Februar 2019

Medikation: Akineton retard 4 mg (Biperidenhydrochlorid), Dominal Filmtabletten 80 mg (Prothipendyl-Hydrochloridmonohydrat), Haldol 10 mg (Haloperidol), Nozinan 100 mg (Levomepromazin), Quetiapin 200mg (Quetiapin)

Frage: Ist die o.a. Medikation in Nigeria erhältlich?

Der VA der OB Abuja berichtet:

Akineton retard 4 mg (Biperidenhydrochlorid) ist derzeit nicht erhältlich, lediglich als Injektionin 1 mg-Am pullen

Dominal Filmtabletten 80 mg (Prothipendylhydrochloridmonohydrat) sind derzeit nicht erhältlich

Haldol 10 mg (Haloperidol) ist nicht erhältlich, allerdings als 5mg Tablette

Nozinan 100mg (Levomepromazin) ist zwar zugelassen, aber derzeit nicht erhältlich, aus der Stoffgruppe ist lediglich Chlorpromazin verfügbar.

Quetiapin 200 mg ist nicht erhältlich.

Angemerkt werden muss hierzu, dass gewisse private Einrichtungen für den unmittelbaren Bedarf teilweise auch Medikamente in kleinen Mengen sozusagen halblegal importieren, die nicht zugelassen oder erhältlich sind.

Frage: Welche Kosten würden anfallen?

Der VA der OB Abuja berichtet:

4 Ampullen Akineton 1 mg kosten 4700 Naira, das sind ca. 11 Euro nach derzeitigem Parallelmarktwechselkurs

28 Tabletten Haloperidol 5 mg kosten 3220 Naira, das sind ca. 4 Euro nach derzeitigem Parallelmarktwechselkurs

Rechtliche Situation:

Der rechtliche Umgang mit hilflosen Personen, respektive mit Personen, die aufgrund einer psychiatrischen/psychischen Erkrankung sich nicht selbst versorgen können und/oder bei denen eine Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt, ist in Nigeria in einem noch aus der Kolonialzeit stammenden Gesetz aus dem Jahr 1958 dem „Lunacy Act", das auf dem britischen Recht basiert und auf die sog. „Lunacy Ordinance" aus Großbritannien aus dem Jahr 1916 zurückgeht, geregelt. Seitdem hat es mehrere Versuche gegeben, dieses Gesetz zu modernisieren, im Jahre 2003 wurde eine Neuregelung im Parlament vorgelegt, dann 2009 zurückgezogen und erneut im Jahr 20143 vorgelegt, aber bis heute nicht verabschiedet. Nach dem bis heute geltenden Gesetz ist die Definition des psychisch Kranken („lunatic") sehr weit gefasst, respektive sehr unspezifisch: „lunatic" includes an idiot and any other person of unsound mind". (Lunacy Act (1958) Cap. (112). §2 (Nigeria).)

Für eine Zwangseinweisung in eine stationäre Einrichtung müssen ein Magistrat (eine Art Amtsrichter) und ein Arzt (der kein Psychiater sein muss, es kann ein Allgemeinmediziner sein), gemeinsam feststellen, dass es sich bei der Person um einen „lunatic" handelt, für eine Einweisung bis zu sieben Tagen genügt die Aussage des Arztes. Allerding kann auch der Richter eine Zwangsunterbringung bis zu sieben Tagen genügt die Aussage des Arztes. Allerding kann auch der Richter eine Zwangsunterbringung bis zu einem Monat verordnen, wenn er der Ansicht ist, dass sich die entsprechende Person der Vorstellung bei Gericht zur Prüfung entziehen will. Das Institut der Vormundschaft oder Sachwalterschaft ist im Gesetz nicht vorgesehen.

Reale Situation:

Psychische/psychiatrische Erkrankungen werden in der großen Mehrheit der Bevölkerung immer noch als spiritueller Natur entspringend angesehen. Dementsprechend werden die entsprechenden Patienten besonders im ländlichen Bereich spirituellen Heilern unterschiedlicher Couleur (traditionell, christlich) zugeführt. Bei den Yoruba arbeiten die traditionellen Heiler teilweise auch mit pflanzlichen Substanzen wie Rauwolfia. Betreut werden sie in der Regel in der Familie, wenn vorhanden. Viele psychisch Kranke leben auf der Straße, in abgelegenen Regionen werden als gefährlich angesehene Personen in den Dörfern auch gelegentlich noch angekettet.

Für die stationäre Unterbringung gibt es in ganz Nigeria acht staatliche psychiatrische Kliniken, die einen stationären Langzeitbereich haben, außerdem sind zahlreiche psychisch Langzeitkranke in gesonderten Bereich in Gefängnissen untergebracht. Im Wesentlichen findet dort eine reine Verwahrung unter ausgesprochen ärmlichen Bedingungen statt.

Insgesamt gibt es für die inzwischen annähernd 200 Millionen Einwohner 100 Hospitäler mit psychiatrischer Abteilung. Die Bettenzahl in psychiatrischen Hospitälern betrug 2014 13 Betten pro 1 Million Einwohner (gegenüber 25 im Jahr 2011), hier dürfte sich die Situation inzwischen eher weiter verschlechtert haben.

Private Hospitäler mit Psychiatrie gibt es ebenfalls, diese sind aber für die große Mehrheit unerschwinglich.

Die Weltgesundheitsorganisation rechnet in Nigeria mit 1 Psychiater pro einer Million Einwohner, diese Zahlen stammen allerdings von 2014, aufgrund des rapiden Bevölkerungswachstums hat sich das Verhältnis seither drastisch verschlechtert, derzeit kann man mit etwa 130 Psychiatern für 200 Millionen Einwohnern rechnen. (Die Zahlen schwanken je nach Quelle, Literatur beim Verfasser).

Bei den Psychologen ist die Lage noch schlechter, hier kamen 2014 auf 10 Millionen Einwohner 2 Psychologen. Aufgrund dieser personellen Situation ist eine regelrechte psychologische/psychiatrische Versorgung für die große Mehrheit nicht möglich, neben einer basalen Medikation werden die stationären Fälle in den öffentlichen Einrichtungen im Wesentlichen „aufbewahrt".

Die Auswahl an Psychopharmaka ist sehr begrenzt aufgrund der mangelnden Nachfrage, so ist zum Beispiel das oben angesprochene Levomepromazin von der staatlichen Arzneimittelbehörde NAFDAC zwar zugelassen, wird aber wegen mangelnder Nachfrage derzeit nicht importiert.

1.4.3. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 16. Oktober 2019, „Behandlung von Paranoider Schizophrenie F20.0 in Nigeria“:

Sind folgende Medikamente bzw. Wirkstoffe in Nigeria verfügbar: AKINETON 4mg [Biperidene], HALDOL DECAN AMP 50mg [Haloperidol], NOZINAN FTBL 100mg [Levome-promazine] und QUETIAPIN SAN FTBL 300mg [Quetiapine]?

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass die angefragten Medikamente bzw. Wirkstoffe und alternative Wirkstoffe zur Verfügung stehen, mit Ausnahme vom Wirkstoff Levomepromazine. Dieser ist in Nigeria nicht verfügbar, aber alternative Wirkstoffe wie Oxazepam und Clorazepate sind in der Pharmacy of Neuro Psychiatric Hospital, in Uselu, in Benin City Nigeria verfügbar (BMA 12095)..

Die Wirkstoffe Biperidene [AKINETON] und Haloperidol [HALDOL DECAN] sind in der Federal Neuro-Psychiatric Centre Pharmacy in Lagos verfügbar (BMA 12767). Der Wirkstoff Quetiapine ist ist in der Amino Kano University Teaching Hospital Pharmacy, in Kano erhältlich (BMA 12726).

Des Weiteren sind in den Anfragebeantwortungen von MedCOI unterschiedliche Behandlungen durch einen Psychiater, sowie auch Therapien bei psychischen Leiden wie Schizophrenie angeführt (BMA 12726 und BMA 12767 ). Langfristige Behandlungen bei chronisch-psychotischen Patienten durch einen Psychiater oder in einer geschlossenen Einrichtung, bei Bedarf auch mittels psychiatrischer Zwangseinweisung stehen beispielsweise im Lehrkrankenhaus der Universität Amino Kano, in Kano (BMA 12726) und/oder im Federal Neuro-Psychiatric Centre, in Lagos (BMA 12767) zur Verfügung. Psychiatrische Langzeitbehandlungen sind auch (z.B. bei chronisch psychotischen Patienten) durch einen Psychiater in Benin City verfügbar (BMA 12095).

Psychiatrische Behandlungen in Form von betreutem Wohnen (z.B. für chronisch psychotische Patienten) sind meist privat möglich, wie z.B. im Synapse Mustard Centre, 10, in Abuja (BMA 12095).

Fernerhin werden in BMA 9681 einige Psychiater, bzw. Lehrkrankenhäuser sowie staatliche Psychiatrischen Krankenhäuser aufgelistet.

Einzelquellen:

•        Local Doctor via MedCOI (15.6.2017): BMA-9681, Zugriff 15.10.2019

•        Local Doctor via MedCOI (11.3.2019): BMA-12095, Zugriff 15.10.2019

•        Local Doctor via MedCOI (27.8.2019): BMA-12726, Zugriff 15.10.2019

•        Local Doctor via MedCOI (6.9.2019): BMA-12767, Zugriff 15.10.2019

1.5. Zur Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer verfügt über kein soziales oder familiäres Netzwerk in Nigeria. Er hält sich seit mehr als zehn Jahren in der Europäischen Union auf. Aufgrund seiner Erkrankung an paranoider Schizophrenie und deren schwerer Ausformung, die dazu führt, dass er sich seit beinahe fünf Jahren in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher befindet, ist der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Nigeria nicht in der Lage, für sich selbst zu sorgen und sich eine – zumindest grundlegende - Existenz zu sichern. Dadurch wäre es ihm nicht möglich, die notwendigen Medikamente zu besorgen, so dass mit einer lebensbedrohlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu rechnen wäre.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der Gutachten, ärztlichen Stellungnahmen und Anfragebeantwortungen, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das Erkenntnis des VwGH, 22. Oktober 2020, Ro 2020/20/001. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) sowie der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seiner Familiensituation in Nigeria ergeben sich aus dem angefochtenen Bescheid (S. 77) und dem „Antragsformular für unterstützte freiwillige Rückkehrhilfe“ vom 21. Oktober 2016. Aus letzterem ergeben sich auch die Feststellungen zu seiner Schulbildung und seinem Herkunftsort.

Die Bestellung von Rechtsanwalt Mag. WAKOLBINGER zum Erwachsenenvertreter ergibt sich aus dem Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 24. August 2017.

2.3. Zu einer vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung:

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich. Die Feststellungen zu der von ihm verursachten Brandstiftung ergeben sich aus dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom 09. April 2015, XXXX .

Um festzustellen, ob aktuell davon auszugehen ist, dass vom Beschwerdeführer eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht, wurde von der erkennenden Richterin der Beschluss des LG XXXX über die Ablehnung der Entlassung aus der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher vom 30. September 2020, Zl. XXXX angefordert. Darin wurde festgestellt, dass die weitere Unterbringung des Beschwerdeführers in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 StGB notwendig sei.

§ 21 Abs.1 StGB lautet:

„Begeht jemand eine Tat, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, und kann er nur deshalb nicht bestraft werden, weil er sie unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11) begangen hat, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, so hat ihn das Gericht in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen, wenn nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat zu befürchten ist, daß er sonst unter dem Einfluß seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde.“

Das LG XXXX ging daher in dem weniger als drei Monate zurückliegenden Beschluss davon aus, dass zu befürchten ist, dass der Beschwerdeführer „eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde“. Es stützte sich dabei auf eine Stellungnahme der Justizanstalt und einen Bericht von Pro Mente. Die JA gab an, dass es zuletzt keine aktiven Symptome der paranoiden Schizophrenie gegeben habe und der Beschwerdeführer sich seit Ende 2019 in UdU befinde (Unterbrechung der Unterbringung). Sobald eine Wohnplatzzusage vorliege, werde eine bedingte Entlassung empfohlen. Auf der anderen Seite ist dem Bericht von Pro Mente zu entnehmen, dass derzeit keine Wohnplatzzusage ausgestellt werden könne, da die psychische Stabilität des Beschwerdeführers noch nicht ausreichend gesichert sei. Er habe zuletzt mehrmals auf die richtige Einnahme der Medikation aufmerksam gemacht werden müssen. Es sei zuletzt eher zu einer Verschlechterung gekommen.

Die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens wurde vom LG XXXX nicht für notwendig erachtet, sondern stützte sich diese auf ein psychiatrisches Gutachten vom 24. August 2019, welches dem Beschwerdeführer eine paranoide Schizophrenie diagnostizierte, aber festhielt, dass die Erkrankung gut auf die psychopharmakologische Behandlung anspreche. Allerdings habe der Beschwerdeführer zwischenzeitlich seine sozialen Anknüpfungspunkte in Österreich verloren und sei vor einer Entlassung zwingend ein „sozialer Empfangsraum“ zu definieren, da ansonsten von einem Behandlungsabbruch und einer dadurch unmittelbaren Reaktivierung der Gefährlichkeit ausgegangen werden müsse.

In seiner Stellungnahme vom 09. Dezember 2020 hielt der Erwachsenenvertreter des Beschwerdeführers fest, dass vom Beschwerdeführer keine Gefahr für die Allgemeinheit ausgehe und begründete er dies mit der stabilen psychischen Situation des Beschwerdeführers, welche auch bereits Unterbrechungen der Unterbringung erlaubt habe. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt keineswegs, dass nach § 166 Abs. 4 StGB eine Unterbrechung der Unterbringung nur gewährt werden darf, wenn aus besonderen Gründen anzunehmen ist, dass der Untergebrachte während der Zeit der Unterbrechung keine mit Strafe bedrohte Handlung begehen wird. Ebenso wird berücksichtigt, dass laut Sachverständigengutachten die Erkrankung gut auf die psychopharmakologische Behandlung anspricht. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass laut Bericht von pro Mente zuletzt eine Verschlechterung zu verzeichnen war und der Beschwerdeführer mehrmals auf die richtige Einnahme der Medikation aufmerksam gemacht werden habe müssen. Gerade eine konsequente und reflektierte Einnahme der Medikation ist aber unabdingbar, um von einer Stabilisierung des Zustandes ausgehen zu können. Auch die psychiatrische Sachverständige hielt fest, dass es bei einer Entlassung ohne einen „sozialen Empfangsraum“ – der aktuell nicht gegeben sei – zu einem „einem Behandlungsabbruch und einer dadurch unmittelbaren Reaktivierung der Gefährlichkeit“ kommen würde. Der Erwachsenenvertreter hatte selbst in der Beschwerde vom 20. Januar 2020 argumentiert, dass der Beschwerdeführer „bei unzureichender Medikation und Behandlung sowohl eine Selbst- als auch Fremdgefährdung darstellt“. Entsprechend hatte auch das LG XXXX die Entlassung aus der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher abgelehnt. Dem Erwachsenenvertreter mag durchaus zuzustimmen sein, dass Taten wie die Brandstiftung im Flüchtlingsheim unter passender medikamentöser Einstellung vermieden werden können, doch ergeben sich aufgrund der dargelegten Berichte Zweifel an einer entsprechenden Krankheitseinsicht des Beschwerdeführers und einer damit einhergehenden verlässlichen Einnahme der Medikation. Auch von der Sachverständigen wurde ein Behandlungsabbruch bei einer Entlassung durchaus für möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich gehalten.

Soweit in der Stellungnahme vom 09. Dezember 2020 erklärt wird, dass eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich „aktuell unter geschützten Bedingungen des Maßnahmenvollzugs hintangehalten“ wird, kann dem Argument nicht gefolgt werden, würde dies doch bedeuten, dass auch kein in einer Justizanstalt Inhaftierter eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich darstellt und der Ausschlussgrund nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 sich danach richtet, ob der Fremde die Möglichkeit hat, seine Gefährlichkeit auszuleben oder nicht.

Zusammengefasst kommt das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer aktuell eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, wobei eine entsprechende Änderung dieses Umstandes selbstverständlich möglich ist.

2.4. Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers:

Die gesundheitliche Situation des Beschwerdeführers ergibt sich insbesondere aus den neurologisch-psychiatrischen Gutachten eines Facharztes vom 21. Mai 2017 (im Auftrag des BG XXXX hinsichtlich der Überprüfung der Notwendigkeit einer Sachwalterschaft) und vom 14. November 2018 (im Auftrag der belangten Behörde) und aus dem Arztbrief der Justizanstalt XXXX vom 17. Juni 2019.

Im neurologisch-psychiatrischen Gutachten des Facharztes vom 14. November 2018 wird festgehalten:

„Die Erkrankung einer paranoiden Schizophrenie stellt eine chronisch psychotische Störung und somit überdauernde Erkrankung dar. Eine dauerhafte Behandlungsbedürftigkeit des Krankheitsbilds ist erforderlich. Im Falle einer Überstellung des Untersuchten und im Falle eines weiteren Verbleibes im Ankunftland ist nicht von einer derartigen Verschlechterung des Gesundheitszustandes auszugehen, dass der Asylwerber in einen lebensbedrohlichen Zustand gerät oder sich die Krankheit in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtert. Dies setzt aber voraus, dass die nun eingeleitete medikamentöse neuroleptische Therapie auch im Heimatland weitergeführt werden kann.(…)“

Im Arztbrief der Justizanstalt XXXX vom 17. Juni 2019 wird festgehalten:

„Der oben genannte Klient befindet sich seit 22.07.2015 in unserer Betreuung. Bei XX liegt eine paranoide Schizophrenie vor. Derzeit befindet sich die paranoide schizophrene Symptomatik unter antipsychotischen Depotmedikation in Remission. Die etablierte Dosierung soll unbedingt beibehalten werden. Unter dieser neuroleptischen Medikation sind keine floriden psychotischen Phänomene präsent. Der Antrieb ist leicht gesunken. Die Stimmung ist stabil, die Behandlungscompliance und Adhärenz sind vorhanden. Während des gesamten Aufenthaltes konnten keine Selbst- oder fremdaggressiven Handlungen beobachtet werden. Die Medikation soll bis auf weiteres unverändert beibehalten werden. Dzt. befindet sich der Klient zur umfangreichen Rehabilitation (psychiatrische, psychologische und soziotherapeutische Behandlung) in Form von Einzel- und Gruppensitzungen in der JA XXXX . XX zeigt leichte Einschränkungen in der kognitiven Leistungsfähigkeit, der Aufmerksamkeit und der Konzentration bei prämorbid durchschnittlichen Intelligenzniveau. Weiters bestehen Einschränkungen in der Realitätseinschätzung sowie unreife Persönlichkeitsanteile. Es kam bis dato zu keinem weiteren Auftreten von Rezidiven. Die Belastungsfähigkeit ist insgesamt herabgesetzt. Im Kontakt ist XX jedoch freundlich und zugänglich. Die Krankheitseinsicht ist soweit gegeben, dass der Klient bereitwillig Medikamente nimmt und an der Tagesstruktur und am Therapieangebot teilnimmt.“

Folgende Medikation wird im Arztbrief der Justizanstalt XXXX vom 17.06.2019 festgehalten:

Akineton retard, Dominal, Haldol, Novalgin (bei Bedarf), Nozinan, Parkemed (bei Bedarf), Quetiapin, Voltaren (bei Bedarf)

Haldol Decanoat ist ein Neuroleptikum, ein Arzneimittel, das insbesondere zur Behandlung von Schizophrenie herangezogen wird und als Depotinjektion alle 30 Tage verabreicht wird. Akineton wird zur Behandlung von Parkinsonerkrankungen eingesetzt. Nozinan ist ein Neuroleptikum (Antipsychotikum), ein Arzneimittel mit Wirkung auf das zentrale Nervensystem zur Behandlung bestimmter geistig-seelischer Erkrankungen. Nozinan wirkt bei Erregung stark dämpfend und führt zur Lösung von Angst- und Unruhezuständen. Dominal sind Schlaftabletten. Quetiapin ist ebenfalls ein Antipsychotika zur Behandlung von Schizophrenie (vgl. dazu https://medikamio.com/de-at/medikamente/quetiapin-ratiopharm-25-mg-filmtabletten/pil; Zugriff am 10.02.2020).

2.5. Zu den Behandlungsmöglichkeiten in Nigeria

Die Feststellungen zu den Behandlungsmöglichkeiten ergeben sich aus den Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation zur Behandlung von paranoider Schizophrenie in Nigeria vom 16. Oktober 2019 bzw. vom 4. Jänner 2016 und der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Behandlung psychischer Erkrankungen in Nigeria vom 22. Februar 2019. Nachdem auf die Frage der Kosten einer Behandlung in der aktuellen Anfragebeantwortung nicht mehr eingegangen wurde, wird diesbezüglich auf die Feststellungen der Anfragebeantwortung aus dem Jahr 2016, welche sich im Akt findet und auch vom Erwachsenenvertreter eingebracht wurde, zurückgegriffen. Die im Bescheid (allerdings ohne Angabe von Quellen) zitierte Anfragebeantwortung vom 22. Februar 2019 findet sich weder im Akt noch konnte sie in der Datenbank von ecoi.net gefunden werden, nachdem ihr aber auch vom Beschwerdeführer nicht entgegengetreten wurde, wurde sie ebenfalls für das gegenständliche Erkenntnis herangezogen.

2.6. Zur Situation für den Fall einer Rückkehr nach Nigeria

Bei seiner Einvernahme durch die belangte Behörde am 11.04.2019 erklärte der Beschwerdeführer, dass er sich bei einer Rückkehr nach Nigeria, auch aufgrund des Umstandes, dass er keine Ausbildung habe, die notwendigen Medikamente nicht werde leisten könne. Er habe Angst, dass seine Krankheit zurückkehre und das wäre gefährlich für ihn selbst und die anderen Menschen.

Die belangte Behörde stellte zur Frage der Rückkehr des Beschwerdeführers nach Nigeria nur fest: „Betreffend Ihrer paranoiden Schizophrenie sind laut Staatendokumentation vom 16.10.2019 Ihre täglich benötigten Medikamente vorhanden. Sollte ein Medikament nicht vorhanden sein, wird ein Ersatzmedikament mit dem gleichen Wirkstoff ausgegeben. Sie können Reintegrationsprogramme (…) in Anspruch nehmen, wo unter anderem Menschen medizinisch und psychologisch versorgt werden. Bei Ihrer Rückkehr nach Nigeria werden Sie in Lagos ankommen. Bei Lagos handelt es sich um eine Großstadt, somit finden Sie eine medizinische Grundversorgung vor.“ In der Beschwerde wurde dazu zu Recht festgehalten, dass von der belangten Behörde hierbei weder die besondere Schwere der Erkrankung des Beschwerdeführers noch die Frage des Zugangs zur Medikation berücksichtigt wurden.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit fast fünf Jahren im Maßnahmenvollzug, weil aufgrund seiner Krankheit die Gefährdung anderer Personen nicht ausgeschlossen werden kann. Seiner letzten Verurteilung lag zugrunde, dass er Kerzen aus dem XXXX dom holte, diese anzündete und damit aufgrund von Stimmen, die er hörte, seine Unterkunft in Brand setzte. 2017 wurde er unter Sachwalterschaft gestellt, da er nicht in der Lage ist, seine Geschäfte selbst zu führen. Von einer entscheidenden Verbesserung seines Krankenbildes kann nicht ausgegangen werden. Laut Bericht der JA XXXX zeigt der Beschwerdeführer leichte Einschränkungen in der kognitiven Leistungsfähigkeit, der Aufmerksamkeit und der Konzentration und ist seine Belastungsfähigkeit insgesamt herabgesetzt.

Auch die belangte Behörde scheint davon auszugehen, dass der aktuelle Zustand des Beschwerdeführers eine Bewältigung des Alltages nicht erlaubt, hält sie doch im angefochtenen Bescheid fest, dass er nur aus der Unterbringung entlassen werde, wenn eine erhebliche Verbesserung des Gesundheitszustandes eingetreten sei.

Selbst bei Fortführung der medikamentösen Therapie erscheint die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit aufgrund dieses Befundes stark erschwert, zumal der Beschwerdeführer auch nur über eine geringe Schulbildung und keine familiäre Unterstützung verfügt; er weiß gar nicht, ob bzw. wo seine Mutter und seine Schwester leben. Das Führen einer eigenständigen Existenz in Nigeria, das er vor über zehn Jahren verlassen hat, würde dadurch, dass er die letzten fünf Jahre im Maßnahmenvollzug verbrachte, nicht erleichtert. Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund der beim Beschwerdeführer vorliegenden Erkrankung von einer starken Einschränkung der Leistungsfähigkeit bzw. Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers aus.

Doch selbst wenn es dem Beschwerdeführer möglich wäre, eine einfache Hilfstätigkeit zu finden, ist unklar, wie er damit eine regelmäßige Versorgung mit Medikamenten sicherstellen soll. Auch wenn die Medikamentenpreise in Nigeria nicht hoch sind, ist der Zugang beschränkt und bedeuten selbst Preise, die nach österreichischem Standard nieder sind, für einen nur eingeschränkt leistungsfähigen Mann ohne Netzwerk ein Hindernis. Zur Behandlungsmöglichkeit paranoider Schizophrenie in Nigeria ist festzuhalten, dass verschiedene Medikamente erhältlich sind, dass die Kosten dafür aber von den PatientInnen selbst zu tragen sind. 2012 waren für einen Arztbesuch 41 USD und für eine stationäre Aufnahme durchschnittlich 3.675 USD zu bezahlen (Anfragebeantwortung vom 4. Jänner 2016).

Im konkreten Fall ist zu berücksichtigen, dass psychiatrische Erkrankungen in Nigeria immer noch als spiritueller Natur entspringend behandelt werden, dass in den acht vorhandenen psychiatrischen Kliniken eine stationäre Unterbringung sich als „eine reine Verwahrung unter ausgesprochen ärmlichen Bedingungen statt“ und dass auf eine Million Einwohner weniger als ein Psychiater kommt sowie dass die Auswahl an Psychopharmaka aufgrund der mangelnden Nachfrage sehr begrenzt ist (Anfragebeantwortung vom 22. Februar 2019). In einzelnen Städten, konkret Lagos, Kano oder Benin City, ist eine psychiatrische Langzeitbehandlung theoretisch möglich (Anfragebeantwortung vom 16. Oktober 2019), doch stammt der Beschwerdeführer aus Imo State und entspricht dies, wie bereits dargelegt, einer reinen Verwahrung.

Im gegenständlich Fall liegen konkrete Anhaltspunkte dahingehend vor, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer zu einer drastischen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes führen und sein Überleben bzw. andere Personen gefährden würde. So wurde von der belangten Behörde das von ihr selbst beauftragte neurologisch-psychiatrische Gutachten eines Facharztes vom 14. November 2018 im angefochtenen Bescheid nicht berücksichtigt. Dieser hatte festgestellt, dass im Falle einer Überstellung des Beschwerdeführers nach Nigeria nicht von einer derartigen Verschlechterung des Gesundheitszustandes auszugehen sei, dass er in einen lebensbedrohlichen Zustand gerät oder sich die Krankheit in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtert – wenn seine medikamentöse neuroleptische Therapie auch im Heimatland weitergeführt werden kann. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber, dass ein lebensbedrohlicher Zustand bei einer Unterbrechung der Therapie wahrscheinlich ist.

Nachdem das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass es dem Beschwerdeführer aufgrund der besonderen Schwere seiner Erkrankung nicht möglich ist, sich eine eigene Existenz aufzubauen und die Versorgung mit Medikamenten zu sichern, wird er bei einer Rückkehr nach Nigeria in eine aussichtslose, die Existenz bedrohende Notlage geraten.

Die Annahme, dass für den Beschwerdeführer im Fall der Rückführung infolge seiner Krankheit die Sicherung der lebensnotwendigen Bedürfnisse nicht gewährleistet ist, weshalb die Rückführung gegen Art. 3 EMRK verstößt, wurde auch von der belangten Behörde im Zuge der Amtsrevision gegen das Erkenntnis vom 12. Februar 2020 nicht in Frage gestellt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Die gegen den Bescheid erhobene Beschwerde richtete sich nicht gegen Spruchpunkt I., mit dem der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt worden war. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides erwuchs daher in Rechtskraft.

Die Amtsrevision gegen das Erkenntnis vom 12. Februar 2020 richtete sich nicht gegen den unter einem gefassten Beschluss, womit ein Antrag des Mitbeteiligten auf Kostenersatz zurückgewiesen wurde.

Gegenständlich ist daher nur über die sonstigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides abzusprechen.

3.1. Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

§ 8 Abs. 1 AsylG 2005 lautet:

Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1.         der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder
2.         dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gegenständlich war daher zu klären, ob im Falle der Rückführung des Beschwerdeführers nach Nigeria Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würden bzw. eine reale Gefahr einer solchen Verletzung besteht oder die Rückführung für den Beschwerdeführer als Zivilperson mit einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443).

Der EGMR geht allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische oder sonstige unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann diesbezüglich die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 ["St. Kitts-Fall"], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).

So hat der EGMR im Fall Paposhvili v. Belgium (no. 41738/10) vom 20.04.2015 weitere grundsätzliche Ausführungen zu diesem Thema getätigt:

„(183) Die "anderen sehr außergewöhnlichen Fälle" im Sinne des Urteils N./GB, die eine Angelegenheit unter Art. 3 EMRK aufwerfen können, sollten nach Ansicht des GH so verstanden werden, dass sie sich auf die Ausweisung einer schwer kranken Person betreffende Situationen beziehen, in denen stichhaltige Gründe für die Annahme aufgezeigt wurden, dass sie, obwohl sie nicht in unmittelbarer Lebensgefahr ist, mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Empfangsstaat oder des fehlenden Zugangs zu solcher Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu werden, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt. Der GH betont, dass diese Situationen einer hohen Schwelle für die Anwendung von Art. 3 EMRK in Fällen entsprechen, welche die Ausweisung von an einer schweren Erkrankung leidenden Fremden betreffen. Gemäß Art. 1 EMRK liegt die primäre Verantwortung für die Umsetzung der garantierten Rechte und Freiheiten bei den nationalen Behörden, die daher vom Standpunkt des Art. 3 EMRK die Ängste der Bf. beurteilen und die Risiken einschätzen müssen, denen diese im Fall der Abschiebung in den Empfangsstaat ausgesetzt wären.“

Ergänzend wurde vom EuGH im Urteil vom 24. 04. 2018, in der Rs C-353/16, MP festgehalten, dass Art. 4 und Art. 19 Abs. 2 GRC der Ausweisung entgegenstehen würden, wenn diese Ausweisung dazu führen würde, dass sich die psychischen Störungen, an denen der Drittstaatsangehörige im damaligen Ausgangsfall litt, erheblich und unumkehrbar verschlimmern. Dies gelte in besonderem Maße, wenn die Verschlimmerung sogar sein Überleben gefährden würde, so der EuGH. In solchen Ausnahmefällen würde die Ausweisung eines an einer schweren Krankheit leidenden Drittstaatsangehörigen in ein Land, in dem keine angemessenen Behandlungsmöglichkeiten vorhanden sind, gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstoßen. Art 3 EMRK könnte daher einer Rückkehr entgegenstehen.

Es wird vom Bundesverwaltungsgericht nicht verkannt, dass in Nigeria generell eine Behandlung paranoider Schizophrenie möglich ist und dieses Krankheitsbild daher nicht „automatisch“ zur Gewährung subsidiären Schutzes für den Herkunftsstaat Nigeria führt, sondern dass eine entsprechende Überprüfung der Umstände des Einzelfalls notwendig ist.

Wie bereits dargelegt wurde, ist aufgrund der vorliegenden Schwere der Erkrankung, der langen Abwesenheit von Nigeria und dem damit einhergehenden Verlust seines familiären Netzwerkes davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage wäre, die notwendigen Medikamente zu erwerben, wodurch sich sein Gesundheitszustand immer weiter verschlechtern würde. Es ist davon auszugehen, dass es ihm nicht möglich wäre, für die Sicherung seiner grundlegendsten Bedürfnisse (Nahrung, Unterkunft) zu sorgen. Insgesamt wäre seine Versorgungssituation derart beeinträchtigt, dass in diesem Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte und die zu erwartende Verschlimmerung seines Krankheitsbildes sogar sein Überleben gefährden würde. Diese Gefährdung gilt für das gesamte Staatsgebiet Nigerias.

Es erscheint daher aus Sicht des erkennenden Gerichts derzeit angezeigt, für den Fall einer Außerlandesbringung des Beschwerdeführers von einem realen Risiko einer Verletzung des Art. 3 EMRK auszugehen. In diesem Einzelfall, in dem eine besondere Schutzwürdigkeit des Beschwerdeführers gegeben ist, muss aktuell jedenfalls davon ausgegangen werden, dass eine Rückkehr nach Nigeria ihn aufgrund seiner gesundheitlichen Situation in eine aussichtlose Lage versetzen würde, so dass eine Rückführung einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellen würde.

Zu prüfen ist aber noch, ob Ausschlussgründe im Sinne des § 9 AsylG 2005 vorliegen.

§ 9 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 lauten:

§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1.         die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;
2.         er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder
3.         er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn
1.         einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;
2.         der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder
3.         der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Die Voraussetzungen des Abs. 1 sind nicht erfüllt, da die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gegenständlich vorliegen und kein Hinweis vorliegt, dass der Beschwerdeführer den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder  er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat. Ebenso liegt keiner der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vor.

Zu prüfen ist daher zunächst noch, ob der Beschwerdeführer von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 09. April 2015, XXXX zu einer Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB verurteilt. Auch wenn die vom Beschwerdeführer begangene Straftat eine Tat ist, die dem Betroffenen bei Zurechnungsfähigkeit als Verbrechen zuzurechnen wäre, ist eine Einweisung gemäß § 21 Abs. 1 StGB keiner Verurteilung wegen eines Verbrechens gleichzusetzen. Im vorliegenden Fall ist daher der Tatbestand des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 nicht erfüllt (VwGH, 22. Oktober 2020, Ro 2020/20/0001).

Zu prüfen ist zuletzt aber auch noch, ob der Tatbestand des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 erfüllt ist, ob also der Beschwerdeführer eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt. Dazu führte der Verwaltungsgerichtshof (22. Oktober 2020, Ro 2020/20/0001) aus:

„45 Nach § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf das Begehren auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt. Dass darüber hinaus auch eine rechtskräftige Bestrafung oder eine andere strafgerichtliche Anordnung vorliegen müsste, sieht diese Bestimmung nicht vor. Gleichwohl kann das Vorliegen solcher Aussprüche ein Indiz dafür sein, dass der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt.

46 Ob der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, erfordert eine Gefährdungsprognose, wie sie in ähnlicher Weise auch in anderen asyl- und fremdenrechtlichen Vorschriften zugrunde gelegt ist (vgl. etwa § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005; § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005; § 53 Abs. 2 und Abs. 3 FPG; § 66 Abs. 1 FPG; § 67 Abs. 1 FPG). Dabei ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und aufgrund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die Annahme gerechtfertigt ist, der Fremde stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich dar. Strafgerichtliche Verurteilungen des Fremden sind daraufhin zu überprüfen, inwieweit sich daraus nach der Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und der Tatumstände der Schluss auf die Gefährlichkeit des Fremden für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Republik Österreich ziehen lässt (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0246; 20.8.2020, Ra 2019/19/0522, mwN).

47 Das Tatbild der Brandstiftung nach § 169 Abs. 1 StGB stellt auf die Verursachung einer Feuersbrunst ab. Eine Feuersbrunst ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (OGH) ein ausgedehnter, sich weiter verbreitender Brand, der mit gewöhnlichen Maßnahmen, d.h. mit den üblichen Handfeuerlöschmitteln nur mehr mühsam oder überhaupt nicht unter Kontrolle gebracht werden, sondern nur mehr durch den Einsatz besonderer Mittel (wie der Feuerwehr)

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten