TE OGH 2020/12/17 6Ob150/20g

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Veröffentlicht am 17.12.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Dr. Clemens Egermann, Rechtsanwalt in Wien, als bestellter Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch Mag. Nora Huemer-Stolzenburg, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei K***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Korn Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung, Widerruf und 15.100 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. Mai 2020, GZ 33 R 25/20v-16, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1]            1.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs können auch über Tatsachen geäußerte Vermutungen und Verdächtigungen sowie in Frageform aufgestellte Behauptungen Tatsachenbehauptungen sein, deren Weitergabe in Vermutungsform als „Verbreitung“ anzusehen ist (RS0031675; RS0031816; 6 Ob 117/19b). Die Berichterstattung muss in einem solchen Fall daher neutral und ausgewogen sein, weil sonst durch die Wiedergabe von Verdächtigungen dritter Personen der Schutz des § 1330 ABGB – wie auch des § 78 UrhG – leicht umgangen werden könnte (RS0031816 [T3, T4]; 6 Ob 117/19b). Erst dann, wenn die berichtete Verdachtslage entweder überhaupt nicht oder im dargestellten Umfang nicht gegeben ist, kommt es auf die Wahrheit des Inhalts der Verdächtigung an (RS0031816 [T3]; 6 Ob 141/18f; vgl 6 Ob 220/01y).

[2]            1.2. Ob die konkrete Darstellung einer Verdachtslage neutral und ausgewogen ist, hängt – wie auch die Ermittlung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung (RS0115693 [T1]; RS0107768) – stets von den näheren Umständen des Einzelfalls, insbesondere von der konkreten Formulierung in ihrem Zusammenhang ab.

[3]            1.3. Das Berufungsgericht beurteilte den beanstandeten Artikel dahin, dass darin neutral und ausgewogen über eine tatsächlich bestehende Verdachtslage berichtet worden sei, indem die Aussagen der Belastungszeugin gegenüber den Strafverfolgungsbehörden richtig wiedergegeben und das gegen den Revisionswerber geführte Ermittlungsverfahren wahrheitsgemäß dargestellt worden seien.

[4]            1.4. Der Revisionswerber zeigt mit seinem Vorbringen nicht auf, dass das Berufungsgericht von den dargestellten Grundsätzen in korrekturbedürftiger Weise abgegangen wäre.

[5]            1.5. Ein Haus des Revisionswerbers in der Slowakei, in dem es zu sexuellem Kindesmissbrauch gekommen sein soll, wird im beanstandeten Artikel im Zuge der Wiedergabe der Aussagen der Belastungszeugin, sohin nicht „unbelegt“, erwähnt.

[6]            1.6. Die Vorinstanzen verknüpften den Bericht über die gegen den Revisionswerber wegen des Verdachts des sexuellen Kindesmissbrauchs geführten Ermittlungen auch nicht in spekulativer Weise mit den von ihm begangenen Morden, wegen derer er bereits verurteilt war. Berichtet wurde vielmehr wahrheitsgemäß, der Revisionswerber habe bereits im Mordprozess ausgesagt, auf die späteren Mordopfer böse gewesen zu sein, weil sie ihn als „Kinderschänder“ bezeichnet hätten. Wenn das Berufungsgericht bei dieser Sachlage in der Bezugnahme auf die vom Kläger verübten Morde im Zusammenhang mit den später geführten Ermittlungen wegen sexuellen Kindesmissbrauchs keine Überschreitung des Gebots der neutralen Berichterstattung erkannte, liegt darin eine vertretbare Anwendung der dargestellten Grundsätze auf den vorliegenden Einzelfall.

[7]            1.7. Auf die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach die Veröffentlichung des Namens des Revisionswerbers gemäß § 7a MedienG hier zulässig gewesen sei, geht das Rechtsmittel nicht konkret ein.

[8]            1.8. Soweit der Revisionswerber rügt, entlastende Umstände seien nicht wiedergegeben worden, führt er nicht an, um welche Umstände es sich dabei handle.

[9]            2.1. Bei der Veröffentlichung von Informationen Dritter in Medien erfordert die journalistische Sorgfaltspflicht zwar im Regelfall die Einholung einer Stellungnahme des Betroffenen (RS0108415). Auch die Frage nach dem Umfang der Nachforschungspflicht von Journalisten hängt jedoch immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0108415 [T3]), sodass der Umstand, dass die Einholung einer Stellungnahme des Betroffenen unterblieben ist, allein noch keine Sorgfaltsverletzung bilden muss (RS0108415 [T2]).

[10]           2.2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Artikelverfasserin sei angesichts der von ihr durchgeführten Rechercheschritte – Kontaktaufnahme mit einer Tochter des Revisionswerbers, Einholen einer Stellungnahme der Anwältin des mutmaßlichen Mittäters sowie Einsicht in die Ermittlungsergebnisse – und unter Berücksichtigung des Umstands, dass die berichtete Verdachtslage bereits insofern objektiviert war, als sie zur Umwandlung der Strafhaft des Revisionswerbers in eine Untersuchungshaft Anlass gegeben hatte, keine Verletzung der journalistischen Sorgfalt vorzuwerfen, ist im vorliegenden Einzelfall vertretbar.

[11]     3. Da insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO geltend gemacht wird, ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

Textnummer

E130398

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00150.20G.1217.000

Im RIS seit

26.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

26.01.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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