TE OGH 2020/11/25 6Ob123/20m

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.11.2020
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** S*****, vertreten durch Dr. Johannes Hibler, Rechtsanwalt in Lienz, gegen die beklagte Partei J***** G*****, vertreten durch Mag. Johannes Joven, Rechtsanwalt in Villach, wegen Unterlassung (Streitwert 7.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 5. März 2020, GZ 3 R 38/20b-19, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Hermagor vom 11. Oktober 2019, GZ 1 C 136/19t-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist ungeachtet des – für den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig, weil keine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt wird.

1.1. Nach § 364 Abs 2 ABGB kann der Eigentümer eines Grundstücks dem Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusch, Erschütterung und ähnliche insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Beide Kriterien müssen kumulativ vorliegen, weshalb auch übermäßige Immissionen zu dulden sind, wenn sie die ortsübliche Nutzung nicht wesentlich beeinträchtigen, aber auch, wenn sie das ortsübliche Maß nicht übersteigen, obwohl die ortsübliche Nutzung des Grundstücks dadurch wesentlich beeinträchtigt wird (RS0010587 [T4, T8]).

1.2. Maßgeblich für die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung ist nicht das subjektive Empfinden des sich gestört fühlenden Nachbarn, sondern das eines Durchschnittsmenschen, der sich in der Lage des Gestörten befindet (RS0010607).

1.3. Für die – sowohl hinsichtlich des Ausmaßes der Immissionen als auch der Beeinträchtigung des dadurch betroffenen Grundstücks – zu berücksichtigenden örtlichen Verhältnisse kommt es auf die Dauer und Intensität sowie unter anderem auf die Art der Einwirkung, den Grad ihrer Störungseignung sowie auf den „Charakter der Gegend“ an (1 Ob 198/19b; vgl RS0010678). Es geht darum, ob der Kern der geschützten Nutzung beeinträchtigt wird (6 Ob 60/20x).

1.4. Die Frage, ob die vom Nachbargrund einwirkenden Belästigungen das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß übersteigen und die ortsübliche Benutzung der Liegenschaft wesentlich beeinträchtigen, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0033674 [T4]; RS0010583 [T2]).

2. Das Berufungsgericht kam zum Ergebnis, die vom Grundstück des Beklagten ausgehenden Geruchsimmissionen durch das Spritzen und Lackieren von Fahrzeugen überstiegen das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß, ihr Ausmaß begründe aber keine wesentliche Beeinträchtigung der ortsüblichen Benutzung des Grundstücks des Klägers.

3.1. Der Revisionswerber rügt ein Abgehen von den Wertungen der Entscheidung 8 Ob 61/19g. Demnach kommt es bei der wesentlichen Beeinträchtigung der ortsüblichen Benutzung durch die Einwirkung von Lärm nicht nur auf den Geräuschpegel, sondern auch auf die Lästigkeit des Lärms an, die unterschiedliche Ursachen haben kann, wie etwa die Tonhöhe, Dauer und Eigenart der Geräusche. Ausgehend von dieser Rechtsprechung hätte auf die besondere Lästigkeit des Geruchs von Lack, etwa im Vergleich zu für die Landwirtschaft typischen Gerüchen, Bedacht genommen werden müssen.

3.2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts steht mit der Entscheidung 8 Ob 61/19g nicht im Widerspruch, weil das Berufungsgericht seine Beurteilung nicht etwa darauf gründete, dass es dem Lackgeruch den unangenehmen Charakter absprach. Es berücksichtigte vielmehr im Weg einer Gesamtbetrachtung eine Reihe von Faktoren, insbesondere die Häufigkeit und Dauer der Beeinträchtigungen. Es maß dem Umstand, dass sich Kunden des Ab-Hof-Verkaufs – nicht aber Feriengäste des Klägers – über den Lackgeruch beschwert hatten und die Familie des Klägers während der Lackierarbeiten am Grundstück des Beklagten die Kinder ins Haus holt, aufgrund der geringen zeitlichen Dimension der Einwirkungen nicht das Gewicht einer wesentlichen Beeinträchtigung der ortsüblichen Nutzung zu. Als entscheidend erachtete es, dass der eigentliche Lackiervorgang jeweils nur wenige Minuten in Anspruch nimmt und der Beklagte und seine Söhne teilweise wochen- und monatelang gar nicht, sowie im Sommer grundsätzlich seltener Lackierarbeiten durchführen.

3.3. Mit dieser Gesamtabwägung hat das Berufungsgericht die Grundsätze der Rechtsprechung (vgl RS0010678) in vertretbarer Weise auf den Einzelfall angewendet.

3.4. Durch den Lackgeruch ausgelöste körperliche Beschwerden des Klägers oder seiner Familie – wie in der außerordentlichen Revision angesprochen – konnten die Vorinstanzen nicht feststellen.

3.5. Von der vom Berufungsgericht als erheblich aufgeworfenen Rechtsfrage, ob das mehrjährige Hinnehmen einer Immission diese ortsüblich machen könne (vgl zum Stand der Rechtsprechung 8 Ob 61/19g ErwGr 2.3.), hängt die Beurteilung des vorliegenden Falls nicht ab, weil die Klage mangels einer wesentlichen Beeinträchtigung der ortsüblichen Benutzung des Grundstücks, nicht aber wegen der – vom Berufungsgericht verneinten – Ortsüblichkeit der Einwirkungen abgewiesen wurde. Zur Begründung der Zulässigkeit eines Rechtsmittels nach § 502 Abs 1 ZPO muss die Entscheidung aber von der Lösung der angeführten Rechtsfrage abhängen (RS0088931).

3.6. Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision des Klägers zurückzuweisen.

4. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Textnummer

E130173

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00123.20M.1125.000

Im RIS seit

04.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.04.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten