TE OGH 2020/11/18 13Os86/20a

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Veröffentlicht am 18.11.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. November 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel in Gegenwart des Schriftführers Dr. Koller in der Strafsache gegen Charles A***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall und Abs 2 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Charles A***** und Simon C***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 30. Juni 2020, GZ 44 Hv 15/20a-256, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch über die Konfiskation aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten Charles A***** und Simon C***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit für die Behandlung der Nichtigkeitsbeschwerden von Bedeutung – Charles A***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 zweiter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall und Abs 2 Z 3 SMG (B) und Simon C***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall und Abs 2 Z 3 SMG (C) schuldig erkannt.

Danach haben in W***** und an anderen Orten

(B) Charles A***** am 17. August 2019 einen anderen dazu bestimmt, vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 15-Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge aus Portugal aus- und nach Österreich einzuführen, indem er einen unbekannten Täter mit dem Schmuggel von 469,6 Gramm Kokain, beinhaltend mindestens 320,9 Gramm reines Cocain, beauftragte und

(C) Simon C***** zumindest am 17. August 2019 zur strafbaren Handlung eines unbekannten Täters, der über Auftrag des Charles A***** vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 15-Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, und zwar 469,6 Gramm Kokain, beinhaltend mindestens 320,9 Gramm reines Cocain, von Portugal aus- und nach Österreich einführte, dadurch beigetragen, dass er im Vorfeld Geld überwies oder dessen Überweisung organisierte und das Suchtgift in W***** – wie zuvor zugesagt – übernahm.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richten sich die von Charles A***** auf Z 5 und 11 sowie von Simon C***** auf Z 2, 4 und 5 jeweils des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden dieser beiden Angeklagten.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Charles A*****:

Entgegen der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) behauptenden Beschwerde haben die Tatrichter sehr wohl berücksichtigt, dass die Übersetzung der überwachten Telefongespräche bezüglich einzelner Worte unklar blieb, nachdem zur Hauptverhandlung am 9. Juni 2020 und am 30. Juni 2020 ein zuvor nicht in die Verschriftung der Telefonüberwachung involvierter Dolmetscher für die Sprache „Igbo“ beigezogen worden war (US 13). Indem die Rüge kritisiert, das Erstgericht habe „seine Feststellungen auf die offenbar unrichtigen Übersetzungen“ gestützt, wendet sie sich bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

Soweit der Beschwerdeführer eine fehlende Begründung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite (Z 5 vierter Fall) einwendet, übergeht er prozessordnungswidrig (RIS-Justiz RS0119370) die unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstandende Ableitung dieser Feststellungen aus dem äußeren Tatgeschehen (US 16; RIS-Justiz RS0098671 und RS0116882).

Der Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall) zuwider haben die Tatrichter durch die Formulierung „das Handy Marke 'Nokia' des Charles Darlington A*****“ (US 17) unmissverständlich dessen Eigentum am konfiszierten Mobiltelefon festgestellt.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Simon C*****:

Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 2 StPO liegt vor, wenn ein Protokoll oder ein anderes amtliches Schriftstück über eine nichtige Erkundigung oder Beweisaufnahme im Ermittlungsverfahren trotz Widerspruchs des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung verlesen wurde.

Gemäß Z 4 des § 281 Abs 1 StPO nichtig ist ein Urteil, wenn während der Hauptverhandlung über einen Antrag des Beschwerdeführers nicht erkannt worden ist oder wenn durch einen gegen seinen Antrag oder Widerspruch gefassten Beschluss Gesetze oder Grundsätze des Verfahrens hintangesetzt oder unrichtig angewendet worden sind, deren Beobachtung durch grundrechtliche Vorschriften, insbesondere durch Art 6 MRK oder sonst durch das Wesen eines die Strafverfolgung und die Verteidigung sichernden, fairen Verfahrens geboten ist.

Das auf „§ 281 Abs 1 Z 2 und 4 StPO“ gestützte Beschwerdevorbringen, eine „jeweilige Rückübersetzung der durch den Dolmetsch in der Hauptverhandlung übersetzten Passagen, die sodann Eingang ins Protokoll gefunden haben und den Passagen aus dem Akt, die durch den Dolmetsch im Ermittlungsverfahren übersetzt wurden fand nicht statt“, lässt weder einen Bezug zu den Kriterien der angesprochenen, noch eines anderen Nichtigkeitsgrundes erkennen. Damit entzieht es sich einer inhaltlichen Erwiderung.

Zur prozessförmigen Darstellung von Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO sind die Ergebnisse des Beweisverfahrens, die das Erstgericht nach Ansicht des Beschwerdeführers übergangen hat, deutlich und bestimmt zu bezeichnen (RIS-Justiz RS0118316 [T5]). Diesem Erfordernis entspricht die Beschwerde mit der unsubstantiierten Behauptung, das Erstgericht habe „erhebliche Verfahrensergebnisse unberücksichtigt gelassen“, nicht.

Der Einwand, die Urteilspassagen, wonach sich die überwachten Telefongespräche „eindeutig“ auf das zu schmuggelnde Kokain und dessen Verfügbarkeit bezogen hätten (US 12), stellten eine Scheinbegründung (Z 5 vierter Fall) dar, übergeht die Gesamtheit der Urteilserwägungen (US 11 bis 16) und verfehlt solcherart den Bezugspunkt der Mängelrüge (RIS-Justiz RS0119370).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch, dass dem angefochtenen Urteil in Bezug auf die Konfiskation nicht geltend gemachte, gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO von Amts wegen aufzugreifende Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 dritter Fall StPO anhaftet, weil das Erstgericht die in § 19a Abs 2 StGB zwingend vorgesehene Verhältsnismäßigkeitsprüfung gänzlich unterließ (RIS-Justiz RS0088035 [insbesondere T7]).

Der Ausspruch der Konfiskation war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort aufzuheben (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 285e StPO).

Zunächst wird das Oberlandesgericht über die Berufungen zu entscheiden haben (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E130032

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0130OS00086.20A.1118.000

Im RIS seit

11.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.12.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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