TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/20 W140 2234046-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.08.2020
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Entscheidungsdatum

20.08.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
FPG §76 Abs2a
FPG §76 Abs3 Z1
FPG §76 Abs3 Z3
FPG §76 Abs3 Z9
VwGVG §35

Spruch

W140 2234046/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. HÖLLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.07.2020, Zl. XXXX , sowie die Anhaltung in Schubhaft seit 05.07.2020 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG idgF iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG idgF iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG idgF iVm § 76 Abs. 3 Z 1, Z 3 und Z 9 FPG idgF iVm § 76 Abs. 2a FPG idgF wird festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

III. Der Beschwerdeführer hat gemäß § 35 VwGVG dem Bund (Bundesminister für Inneres) den Verfahrensaufwand in Höhe von 426,20 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

B)

Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (BF), ein türkischer Staatsangehöriger, hielt sich seit seiner Geburt bis zum 08.03.1995 im Bundesgebiet auf. Der BF befindet sich laut Aktenlage seit 2001 erneut im Bundesgebiet.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 12.02.2001 (RK 15.02.2001) wurde der BF gemäß § 15 §§ 127, 129/1, § 135/1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten - bedingt - verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 09.05.2001 (RK 09.05.2001) wurde der BF gemäß § 15 §§ 127, 129/1, § 164/1 2 U 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 05.06.2002 (RK 05.06.2002) wurde der BF gemäß §§ 127, 128 Abs 1/4, 129/1, 130, 229/1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 13.10.2004 (RK 13.10.2004) wurde der BF gemäß §§ 127, 129/1, 130 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 25.01.2006 (RK 25.01.2006) wurde der BF gemäß § 127 § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 05.03.2007 (RK 05.03.2007) wurde der BF gemäß § 15 §§ 127, 130 (1. Satz) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 12.12.2008 (RK 20.04.2009) wurde der BF gemäß § 15 §§ 127, 129/1, 130 (2. Satz) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 23.09.2011 (RK 26.09.2011) wurde der BF gemäß §§ 127, 129 Z 1, 130 4. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren 6 Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 29.01.2016 (RK 29.01.2016) wurde der BF gemäß § 83 (1) StGB, § 15 StGB § 127 StGB, § 15 StGB §§ 127, 129 (1) Z 1, 130 (2) 2. Fall StGB, § 15 StGB § 105 (1) StGB, § 15 StGB § 141 (1) StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 07.03.2017 (RK 11.03.2017) wurde der BF gemäß §§ 127, 129 Z 1, 130 (2) StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 05.03.2019 (RK 05.03.2019) wurde der BF gemäß § 15 StGB § 27 (1) Z 1 8. Fall SMG, zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt.

Am 26.11.2018 wurde gegen den BF ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 04.02.2020 wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I). Gemäß § 10 Absatz 2 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 1 Ziffer 1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt II). Es wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig ist (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV). Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Ziffer 5 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wurde gegen den BF ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V). Diese Entscheidung erwuchs in weiterer Folge in Rechtskraft.

Mit Verfahrensanordnung vom 04.02.2020 wurde dem BF mitgeteilt, dass er gemäß § 52 a Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, ein Rückkehrberatungsgespräch bis zum 21.02.2020 in Anspruch zu nehmen. Der BF setzte in weiterer Folge jedoch keine Schritte und reiste nicht freiwillig aus.

Am 05.07.2020 erfolgte um 09:20 Uhr durch Sicherheitsbeamte der LPD XXXX eine Personenkontrolle in Wien XXXX . Dabei konnte festgestellt werden, dass gegen den BF eine Rückkehrentscheidung iVm einem unbefristeten Einreiseverbot besteht.

In weiterer Folge wurde der BF aufgrund seines unrechtmäßigen Aufenthalts um 09:40 Uhr gemäß § 40 Abs. 1 Z 3 BFA-VG festgenommen.

Der BF wurde am 05.07.2020 zur möglichen Schubhaftverhängung einvernommen. Diese Einvernahme gestaltete u. a. sich wie folgt:

„(…) F: Wie verstehen Sie mich auf Deutsch?

A: Gut, in bin hier aufgewachsen und kann der Einvernahme folgen.

F: Sind sie gesund und können Sie der Einvernahme folgen? Nehmen Sie Medikamente?

A: Mir geht es nicht gut und ich leide unter Hepatitis C bin HIV positiv. Ich nehme dementsprechende Medikamente. Ich warte noch bis ich hier zum Arzt kann. Ansonsten bin ich im Otto Wagner Spital in Behandlung.

F: Werden Sie rechtsfreundlich vertreten?

A: Ja ich war durch das XXXX bzw. Herrn XXXX vertreten.

- Aus der Aktenlage ergeht, dass Sie sich von Ihrer Geburt bis zum 08.03.1995 im Bundesgebiet aufgehalten haben. Sie befinden sich laut Aktenlage seit 2001 durchgehend im Bundesgebiet.

- Aus der Aktenlage ergeben sich keine Aufenthaltstitel für Ihre Person.

- Am 26.11.2018 wurde gegen Sie ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet. Hierzu wurden Sie am 15.02.2019 niederschriftlich einvernommen.

- Mit Bescheid vom 04.02.2020 zur Zahl: XXXX wurde gegen Sie eine Rückkehrenrtscheidung iVm mit einem unbefristeten Einreiseverbot erlassen.

- Am 05.07.2020 erfolgte um 09:20 Uhr durch Sicherheitsbeamte der LPD XXXX eine Personenkontrolle in Wien XXXX . Dabei konnte festgestellt werden, dass gegen Sie eine Rückkehrentscheidung iVm einem unbefristeten Einreiseverbot, rechtskräftig seit 06.03.2020 besteht.

- Nach Rücksprache mit dem Journaldienst der ha. Beöhrde wurden Sie auf Grund Ihres unrechtmäßigen Aufenthalts um 09:40 Uhr gemäß § 40 BFA-VG festgenommen. Sie befinden sich illegal im Bundesgebiet und sind nicht behördlich gemeldet. Zudem sind Sie im Bundesgebiet bereits mehrfach straffällig geworden.

Was sagen Sie dazu?

A: Ich wusste nicht das gegen mich eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot erlassen wurde. Ich werde mir einen Anwalt nehmen und in Berufung gehen.

F: Geben Sie Ihren vollständigen Namen, Geburtsdatum und Geburtsort an.

A: Ich heiße XXXX und bin am XXXX in Wien, Österreich geboren.

F: Welche Staatsbürgerschaft haben Sie?

A: Ich habe die türkische Staatsbürgerschaft.

F: Wie lautet Ihr Personenstand?

A: Ich war ledig früher und habe keine Kinder.

F: Haben Sie Angehörige in Österreich?

A: ich habe 7 Schwestern und Österreich. Meine Eltern sind bereits verstorben. Meine Eltern haben auch in Österreich gelebt.

F: Welche Angehörigen haben Sie noch in der Türkei?

A: Es gab eine Tante aber die habe ich noch nie gesehen. Ich glaube sie ist auch bereits verstorben.

F: Wo leben Ihre weiteren Verwandten?

A: Meine angehörigen leben alle in Österreich.

F: Wo in Österreich nehmen Sie Unterkunft?

A: Momentan schlafe ich bei der Suchthilfe „ XXXX “ am XXXX .

F: Warum sind Sie nicht behördlich gemeldet?

A: Ich hatte dort meine Postadresse und weiß nicht warum ich dort nicht mehr gemeldet bin.

Anm.: Unter Nachschau konnte keine Meldung am XXXX gefunden werden. Die letzte behördliche Meldung war in XXXX Wien, XXXX bis 09.03.2020.

F: Wie bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt im Bundesgenbiet?

A: Meine Schwestern unterstützen mich. Bei der Suchthilfe bekomme ich auch etwas zu essen und zu trinken. Ich habe auch eine Freundin XXXX und ich bin mit ihr zusammen. Sie unterstützt mich auch.

F: Wie viele Barmittel verfügen Sie derzeit?

A: Derzeit habe ich kein Geld.

F: Sind Sie krankenversichert in Österreich?

A: Bis vor einem Monat hatte ich noch eine.

F: Warum sind Sie bis dato nicht in die Türkei ausgereist?

A: Ich werde nicht freiwillig ausreisen. Ich werde sterben bevor ich in die Türkei gehe. Aber nicht jetzt, ich werde aber nicht in die Türkei fahren.

F: Haben Sie vor sich in Haft selbst zu verletzen?

A: Jetzt nicht. Ich werde jetzt normal vorgehen und mir einen Anwalt organisieren.

Entscheidung:

Aufgrund der Tatsache, dass gegen Sie eine Rückkehrentscheidung iVm mit einem Einreiseverbot besteht, befinden Sie sich illegal im Bundesgebiet.

Sie wirken nicht am Verfahren mit und nahmen unangemeldet Unterkunft.

Da Sie zudem nicht behördlich gemeldet sind, über keine ortsübliche Unterkunft verfügen, und Ihrer Person wenig Vertrauenswürdigkeit zugebilligt werden kann, wird über Sie die Schubhaft zur Sicherung Ihrer Abschiebung verhängt.

Im Anschluss der Einvernahme werden Sie ins PAZ rücküberstellt.

Es wird Ihnen zur Kenntnis gebracht, dass ein Antrag gemäß § 51 Abs. 1 FPG auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten von Ihnen bezeichneten Staat, der nicht Ihr Herkunftsstaat ist, nur während eines Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung, einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes gestellt werden kann.

Im Rahmen des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist auch zu prüfen, ob ein humanitärer AT von Amts wegen zu erteilen wäre.

Im Hinblick auf die Bestimmungen des § 55, 56 und 57 AsylG 2005 stellt die Behörde fest, dass keine Voraussetzungen vorliegen, da ich keiner legalen Beschäftigung nachgehe und andererseits die Voraussetzungen des § 57 AsylG nicht erfülle.

Aufgrund des derzeitigen Ermittlungsstandes bestehen keine Gründe von Amts wegen einen humanitären Aufenthaltstitel auszusprechen.

Eine Rückkehr in die Türkei ist mir zumutbar und es sprechen keine Gründe dagegen, dass ich nicht in meine Heimat zurückkehren kann. Meine Abschiebung in die Türkei wäre somit zulässig.

Ich bin in Kenntnis davon, dass mein rechtswidriger Aufenthalt im Bundesgebiet eine verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit im Sinne des § 120 Abs 1a FPG nach sich zieht. Meine ha. getätigten Angaben erhebe ich hiermit auch zu meiner Stellungnahme in diesem Verwaltungsstrafverfahren vor der Landespolizeidirektion Wien, AFA 3 – Fremdenpolizei (1210 Wien, Hermann Bahr – Straße 3) und ergeht von dort diesbezüglich eine gesonderte Entscheidung.

Bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung kann ich kostenlos eine Rechtsberatung in Anspruch nehmen und wird die zuständige Stelle heute noch verständigt werden. Es wird mir eine Organisation zugewiesen und erfolgt eine Verständigung in schriftlicher Form, welche Organisation mich kontaktieren wird.

Bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung wird eine Rückkehrberatung vorgeschrieben und wird die zuständige Stelle verständigt werden.

Es wird mir eine Organisation zugewiesen und erfolgt eine Verständigung in schriftlicher Form, welche Organisation mich kontaktieren wird.

Gemäß § 82 FPG haben Sie das Recht, das Landesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn Sie nach diesem Bundesgesetz festgenommen wurden oder unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wurden.


F: Haben Sie alles verstanden?

A: Ja, ich habe alles verstanden.“

Der BF verweigerte die Unterschrift der Niederschrift (AS 491).

Mit Mandatsbescheid vom 05.07.2020 wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Der BF verweigerte bei der Übernahme des Mandatsbescheides am 05.07.2020 die Unterschrift (AS 527). Der BF befindet sich seit 05.07.2020 in Schubhaft.

Mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 BFA-VG vom 05.07.2020 wurde dem BF ein Rechtsberater für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt. Der BF verweigerte bei der Übernahme der Verfahrensanordnung die Unterschrift (AS 531).

Am 14.08.2020 erhob der BF durch seine Vertretung Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft und führte im Wesentlichen aus, dass der BF seit seiner Geburt bis zum 08.03.1995 im Bundesgebiet aufhältig gewesen wäre. Seit 2001 befinde sich der BF erneut im Bundesgebiet. Mit Bescheid vom 04.02.2020 wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung iVm einem unbefristeten Einreiseverbot erlassen. Der BF hätte nur auf Besuch in Österreich verbleiben wollen, er hätte jedoch aufgrund der COVID-19 bedingten Schließung der Landesgrenzen nicht zurück in sein Heimatland reisen können. Der BF sei HIV-positiv und leide unter Hepatitis C. Der BF verfüge über einen türkischen Reisepass, jedoch im Bundesgebiet über keine Sozial- oder Krankenversicherung. Der BF sei ledig und habe keine Kinder. Der BF sei sprachlich und gesellschaftlich verankert. Die Kernfamilie des BF lebe im Bundesgebiet.

Die belangte Behörde unterlasse es die Entscheidung der Verhängung der Schubhaft ausreichend zu begründen. Zudem habe die Behörde die Anknüpfungspunkte des BF in Österreich nur mangelhaft erforscht und überhaupt nicht gewürdigt. Die Behörde habe zudem die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft nicht ausreichend begründet. Die Fluchtgefahr würde sich gemäß der Behörde u. a. daraus ableiten, dass der BF über keine sozialen, familiären und beruflichen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet verfügen würde. Den Feststellungen des Bundesamtes werde in jedem Fall widersprochen. Selbst wenn die Behörde vermutlich verstorbene Verwandte dazu zähle, könne davon ausgegangen werden, dass die hauptsächliche soziale und familiäre Verankerung im Bundesgebiet sei, da die sieben zur Kernfamilie zählenden Schwestern alle im Bundesgebiet aufhältig seien. Außerdem habe der BF angegeben, dass er eine österreichische Freundin im Bundesgebiet habe. Dies wäre von der Behörde in den Feststellungen nicht berücksichtigt worden. Die Schubhaft stelle im gegenständlichen Fall eindeutig ein unverhältnismäßiges Mittel dar. Der Zweck der Sicherung der Abschiebung könne auch ohne Schubhaft und jedenfalls in eventu durch ein gelinderes Mittel (Meldeverpflichtung) erreicht werden. Selbst wenn man davon ausgehe, dass eine Fluchtgefahr iSd § 76 Abs 2 Z 2 iVm Abs 3 FPG bestehe, wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, darzulegen, warum ein gelinderes Mittel anstatt der Schubhaft nicht infrage komme. Der BF könne sich nämlich im Falle einer Entlassung aus der Schubhaft behördlich bei der XXXX melden. Der BF leide unter Suchtgiftkrankheit und sei im Substitutionsprogramm. Die Behörde habe den Gesundheitszustand des BF nicht berücksichtigt. Eine Rückkehr in den Herkunftsstaat wäre zudem wegen der Schwere der COVID-19 Pandemie in der Türkei gefährlich. In Anbetracht der konkreten Umstände hätte die Behörde bei richtiger rechtlicher Beurteilung zu dem Ergebnis kommen müssen, dass im gegenständlichen Fall keine Schubhaft verhängt werden dürfe.

Am 14.08.2020 langte eine Stellungnahme des BFA mit folgendem Inhalt ein:

„Der Beschwerdeführer (Bf.) hat sich seit Geburt bis zum 08.03.1995 in Österreich aufgehalten. Er befindet sich laut eigenen Angaben seit 1999 durchgehend im Bundesgebiet.

Der Bf. verfügte niemals über eine gültige Aufenthaltsberechtigung für das Österreichische Bundesgebiet.
Am 26.11.2018 wurde gegen den Bf. ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet. Mit Bescheid vom 04.02.2020 wurde gegen den Bf. eine Rückkehrentscheidung iVm mit einem unbefristeten Einreiseverbot erlassen. Diese Entscheidung erwuchs am 6.3.2020 in Rechtskraft.

Der Bf. kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach, sondern setzte seinen illegalen Aufenthalt im Verborgenen fort. Er war ohne behördliche Meldung im Bundesgebiet aufhältig.

Am 29.5.2020 wurde der Bf. betreten und nach einer niederschriftlichen Einvernahme aus der Haft entlassen. Aufgrund der potentiellen erhöhten Infektionsgefahr mit COVID-19 und der Verhältnismäßigkeit zur Schubhaft wurde von dieser Maßnahme Abstand genommen.

Am 05.07.2020 um 09:20 Uhr wurde der Bf. von Sicherheitsbeamten der LPD XXXX im Zuge einer Personenkontrolle in Wien XXXX bei unrechtmäßigem Aufenthalt betreten. Nach Rücksprache mit dem Journaldienst der ha. Behörde wurde er gemäß § 40 BFA-VG festgenommen und in das Polizei-Anhaltezentrum eingeliefert.

Da der Bf. keine Bereitschaft zeigt, in sein Heimatland zurückkehren zu wollen, und er seinen Aufenthalt im Bundesgebiet im Verborgenen fortsetzte und anzunehmen ist, daß er weiterhin seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen werde, wurde er zur Sicherung der Abschiebung gem. § 76 Abs. 2 Zi. 2 in Schubhaft genommen. Der Bescheid wurde dem Bf. im Anschluß an die Niederschrift zugestellt.

Der Sicherungsbedarf begründete sich auf mehrere Punkte gem. § 76 Abs. 3:

- Der Bf. ist illegal in das Österreichische Bundesgebiet aufhältig, da er nie über eine gültige Aufenthaltsberechtigung verfügte.

- er wurde wiederholt massiv und einschlägig straffällig, weshalb gegen ihne eine Rückkehrentscheidung erlassen und er mit einem Einreiseverbot belegt wurde,

- der Bf. kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und hielt sich weiterhin an unbekannter Adresse im Bundesgebiet auf.

- mangels einer Meldeadresse ist der Bf. für die Behörde nicht greifbar

- der Bf. hat sich der Erreichbarkeit der Behörde entzogen, seinen Aufenthalt der Behörde nicht bekanntgegeben und tauchte unter.

- aus dem bisherigen Verhalten muß geschlossen werden, daß der Bf. sich auch weiterhin dem fremdenpolizeilichen Verfahren entziehen wird.

- Punkt 9 trifft in vollem Umfang zu (keine soziale Verankerung, kein gesicherter Wohnsitz, keine legale Erwerbstätigkeit, keine ausreichenden Existenzmittel).

Die Schubhaft wurde nicht als Standard-Maßnahme angewendet, sondern es konnten aufgrund des bisherigen Verhaltens zurzeit keine Gründe gefunden werden, welche eine Abstandnahme von dieser Sicherungsmaßnahme rechtfertigen würden.

Aufgrund des bisherigen Verhaltens des Bfs. ist im Falle einer Entlassung aus der Haft anzunehmen, daß er wiederum untertauchen und sich an unbekannter Adresse aufhalten werde.

Eine Entlassung des Bfs. aus der Schubhaft in ein Gelinderes Mittel mit Anordnung einer Unterkunftnahme mit periodischer Meldeverpflichtung mangels einer Adresse, an der der Bf. aufhältig ist, erschien aus diesen Aspekten und aufgrund des langfristigen unbekannten Aufenthaltes des Bfs. als nicht verfahrenssichernd.

Aufgrund seines bisherigen Verhaltens muß geschlossen werden, dass bezüglich des Bfs. ein angesichts der beabsichtigten Abschiebung ein beträchtliches Risiko des Untertauchens vorliegt und es kann nicht angenommen werden, daß der Bf. sich dem weiteren Verfahren zur Verfügung stellen werde.

Für die Anordnung der Schubhaft muss neben der Fluchtgefahr auch Verhältnismäßigkeit vorliegen. Diese liegt aufgrund des unsteten Aufenthaltes vor. Der Bf. nahm an verschiedenen Adressen Unterkunft, es muß daher davon ausgegangen werden, daß er angesichts der ihm drohenden bevorstehenden Abschiebung wiederum untertauchen wird.

Der Bf. verfügt über keine ausreichenden Barmittel zu Bestreitung seines Lebensunterhaltes und wird nach eigenen Angaben von Freunden unterstützt.

Der Bf. ist in Österreich weder beruflich noch sozial verankert. Er hat keinen ordentlichen Wohnsitz begründet, er verfügt im Bundesgebiet über keine familiäre Bindungen.

Aus der Wohn- und Familiensituation des Bfs. sowie aufgrund seines bisherigen Verhaltens konnte geschlossen werden, dass bezüglich des Bfs. ein beträchtliches Risiko des Unter-tauchens vorliegt.

Am 14.8.2020 langte hieramts gegenständliche Beschwerde ein.

Dem Vorwurf der Unverhältnismäßigkeit der Haft wird insofern entgegengetreten, als der Bf. für die Behörde nicht greifbar war und mehrere Punkte eines Sicherungsbedarfes gem. § 76 Abs. 3 vorliegen. Somit liegt eindeutig Fluchtgefahr vor und es ist die Schubhaft zur Sicherung des weiteren fremdenrechtlichen Verfahrens als erforderlich und verhältnismäßig anzusehen. Der Bf. ist nicht bereit, behördliche Anordnungen zu befolgen und hat bisher in mehreren Punkten nicht mit der Behörde kooperiert.

In der Beschwerde wird vorgebracht, daß sich der Bf. nach Entlassung an einer bekannt-gegebenen Adresse behördlich anmelden könnte. Diese Möglichkeit stand dem Bf. jedoch schon vorher jederzeit offen und muß jetzt angesichts der bestehenden Schubhaft als Versuch angesehen werden, um die Entlassung des Bf. aus der Schubhaft zu erwirken, zumal diese erst sechs (!) Wochen nach Verhängung der Schubhaft bekanntgegeben wurde.

Es besteht daher die Gefahr, dass der Bf. in Kenntnis der beabsichtigten Ausserlandesbringung bei einer Entlassung wiederum untertauchen werde und somit ist ein Sicherungsbedarf zur Sicherung der Abschiebung erkennbar. Es kann nicht angenommen werden, daß der Bf. plötzlich angesichts seiner bevorstehenden Abschiebung in sein Heimatland bereit ist, sich der Behörde verfügbar zu halten und an fremdenpolizeilichen Verfahren mitzuwirken, insbesondere an der Regelung seiner Ausreise.

Es kam die Anwendung eines Gelinderen Mittels mangels Erreichbarkeit für die Behörde nicht in Betracht, sodaß mit einer angeordneten Unterkunftnahme der Sicherungszweck nicht erreicht werden kann. Von diesem Aspekt betrachtet erscheint die Anhaltung des Bfs. jedenfalls als verhältnismäßig.

Zur Erlangung eines Heimreisezertifikates wurde der Bf. am 20.7.2020 der Türkischen Botschaft vorgeführt. Die Erlangung eines solchen ist nicht als aussichtslos zu betrachten, solange keine definitive Absage erteilt wird und es kann somit die Effektuierung der gegen den Bf. erlassenen Rückkehrentscheidung angenommen werden.

Der Bf. hat bis dato keine Rückkehrorganisation kontaktiert, um seine Ausreise vorzubereiten und hat bisher keine Bereitschaft dazu gezeigt. Über die tägliche Schubhaftbetreuung wäre es dem Bf. jederzeit möglich, zur Beendigung seines unrechtmäßigen Aufenthaltes seine Ausreise-willigkeit bekanntzugeben und ein Rückkehrberatungsgespräch zu führen. Dazu zeigte sich der Bf. auch während der Anhaltung in Schubhaft bis dato nicht bereit.

Betreffend des Gesundheitszustandes des Bfs. wird auf die Möglichkeit hingewiesen, daß der Bf. bei auftretenden gesundheitlichen Beschwerden sich jederzeit an den polizei-amtsärztlichen Dienst wenden kann. Er wurde unmittelbar nach seiner Anhaltung auf Haftfähigkeit untersucht und es wurde diese festgestellt.

Zum Vorbringen, daß aufgrund der derzeitigen Corona-Krise eine Abschiebung des Bfs in den nächsten Monaten nicht möglich sein wird, wird angeführt:

Die Rechtsprechung des BVwG lässt klar erkennen, dass die aktuelle COVID-19 Pandemie alleine derzeit kein tragfähiges Argument gegen die Anordnung und Aufrechterhaltung von Schubhaft darstellt. Zwar seien Reisebewegungen derzeit stark eingeschränkt, dabei handle es sich jedoch um bloß vorübergehend verfügte Maßnahmen, deren zeitliche Begrenzung stets betont wird. Das zeige sich auch daran, dass bereits wieder Lockerungen solcher Maßnahmen verfügt wurden.

Die derzeit vorliegende Pandemielage ändert nichts an der Verhältnismäßigkeit der Anhaltung, da gegenwärtig mit einer Aufhebung der derzeitigen Flugeinschränkungen binnen weniger Wochen zu rechnen ist und von einer baldigen Abschiebung des Beschwerdeführers nach Abschluss des Verfahrens zur (nochmaligen) Erlangung eines Heimreisezertifikates auszugehen ist (s. dazu VwGH vom 1.4.2020, Ra 2020/21/0116).

Die COVID-19-Krise kann nach derzeit als notorisch anzusehendem Wissensstand nicht als „massiver Anhaltspunkt“ für eine Unmöglichkeit einer Abschiebung angesehen werden, vielmehr verzögern sich dadurch allenfalls Abschiebungen.

Einem geordneten Fremdenwesen kommt im Hinblick auf die öffentliche Ordnung und Sicher-heit ein hoher Stellenwert zu. Es besteht die Verpflichtung Österreichs, seinen europarecht-lichen Vorgaben, als auch den Pflichten gegenüber seinen Staatsbürgern und anderen legal aufhältigen Personen nachzukommen. Der Bf. versucht, durch sein Verhalten seine Abschie-bung zu vereiteln. Es steht fest, dass die Behörde die Ausserlandesbringung des Bfs. tatsächlich durchsetzen kann.

Angesichts der zahlreichen strafrechtlich begangenen Delikte liegt es ebenfalls im öffentlichen Interesse, den Aufenthalt des Bfs. zu beenden und seine Ausserlandesschaffung zu effektuieren.

Es wird beantragt, das Bundesverwaltungsgericht Wien möge betreffend der Verhängung und Anhaltung des Bfs. in Schubhaft 1. die Beschwerde als unbegründet abweisen bzw. unzulässig zurückweisen, 2. gemäß § 22a BFA-VG feststellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Verhängung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen,

3. den Beschwerdeführer zum Ersatz der anfallenden Kosten verpflichten. (…)“


In einer ergänzenden Stellungnahme vom 18.08.2020 führte das BFA Folgendes aus:

„(…) Bezüglich der Erlangung eines HZ darf darauf hingewiesen werden, dass Herr XXXX (BF) am 21.07.2020 dem türkischen Konsulat vorgeführt wurde. Im Rahmen dieser Vorführung erklärte sich der BF als nicht rückkehrwillig.

Von Seiten des türkischen Konsulates werden die Angaben des BF in der Türkei überprüft. Im Hinblick auf den Umstand, dass der BF zuletzt über einen türkischen Reisepass ausgestellt am 15.05.2015 gültig bis zum 14.05.2016 verfügte, ist mit einer positiven Erledigung des offenen Ansuchens auf Ausstellung eines HZ zu rechnen. Am 14.08.2020 erfolgte eine Urgenz an die türkische Vertretungsbehörde.

Inwieweit die Angaben des BF stimmen, dass angeblich keine Verwandten in der Türkei leben, kann von ha. Seite nicht überprüft werden. Bedauerlicherweise neigen Personen, welche eine Abschiebung auf jeden Fall verhindern wollen, dazu, dass Sie bezüglich der familiären Bindungen im Heimatland unrichtige Angaben machen. Diese Personen erhoffen sich dadurch die Abschiebung zu verhindern bzw. eine etwaige Überprüfung durch die heimatlichen Vertretungsbehörden zu erschweren.
In diesem Zusammenhang darf auf die Niederschrift vom 05.07.2020 hingewiesen werden, wo der BF nicht ausschließen konnte, dass eine Tante in der Türkei lebt. (…)

Trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigungen ist dem BF zumutbar in die Türkei zurückzukehren und können dort die Behandlungen fortgesetzt werden. Unabhängig ob familiäre Anknüpfungspunkte in der Türkei bestehen, existieren Vereine, welche türkische Rückkehrer in Ihrer Reintegration unterstützen. Überdies wurde der BF in Österreich von seiner Familie finanziell unterstützt und wird diese finanzielle Unterstützung in der Türkei fortgesetzt werden.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Risiko, dass der BFA untergetaucht wäre, um sich dem Verfahren der Abschiebung in die Türkei zu entziehen, als schlüssig anzusehen war.

Der Sicherungsbedarf war somit gegeben (…).“

Mit E-Mail vom 18.08.2020 teilte der Verein Menschenrechte Österreich (VMÖ) mit, dass der BF eine ältere Schwester hat, die mit ihrer Familie in der Türkei wohnt. Die anderen sechs Schwestern leben in Österreich.


II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist türkischer Staatsangehöriger und verfügt über einen abgelaufenen türkischen Reisepass. Die Identität des BF steht fest. Der BF besitzt weder die österreichische Staatsbürgerschaft, noch ist er in Österreich asylberechtigt bzw. subsidiär Schutzberechtigter.

Der BF hielt sich seit seiner Geburt bis zum 08.03.1995 im Bundesgebiet auf. Der BF befindet sich laut Aktenlage seit 2001 erneut im Bundesgebiet.

Der BF wurde in Österreich seit dem Jahr 2001 11 Mal rechtskräftig verurteilt u. a. mehrfach wegen Eigentumsdelikten und zuletzt nach dem Suchtmittelgesetz.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 12.02.2001 (RK 15.02.2001) wurde der BF gemäß § 15 §§ 127, 129/1, § 135/1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten - bedingt - verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 09.05.2001 (RK 09.05.2001) wurde der BF gemäß § 15 §§ 127, 129/1, § 164/1 2 U 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 05.06.2002 (RK 05.06.2002) wurde der BF gemäß §§ 127, 128 Abs 1/4, 129/1, 130, 229/1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 13.10.2004 (RK 13.10.2004) wurde der BF gemäß §§ 127, 129/1, 130 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 25.01.2006 (RK 25.01.2006) wurde der BF gemäß § 127 § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 05.03.2007 (RK 05.03.2007) wurde der BF gemäß § 15 §§ 127, 130 (1. Satz) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 12.12.2008 (RK 20.04.2009) wurde der BF gemäß § 15 §§ 127, 129/1, 130 (2. Satz) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 23.09.2011 (RK 26.09.2011) wurde der BF gemäß §§ 127, 129 Z 1, 130 4. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren 6 Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 29.01.2016 (RK 29.01.2016) wurde der BF gemäß § 83 (1) StGB, § 15 StGB § 127 StGB, § 15 StGB §§ 127, 129 (1) Z 1, 130 (2) 2. Fall StGB, § 15 StGB § 105 (1) StGB, § 15 StGB § 141 (1) StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 07.03.2017 (RK 11.03.2017) wurde der BF gemäß §§ 127, 129 Z 1, 130 (2) StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 05.03.2019 (RK 05.03.2019) wurde der BF gemäß § 15 StGB § 27 (1) Z 1 8. Fall SMG, zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt.

Am 26.11.2018 wurde gegen den BF ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 04.02.2020 wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I). Gemäß § 10 Absatz 2 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 1 Ziffer 1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt II). Es wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig ist (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV). Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Ziffer 5 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wurde gegen den BF ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V). Diese Entscheidung erwuchs in weiterer Folge in Rechtskraft.

Mit Verfahrensanordnung vom 04.02.2020 wurde dem BF mitgeteilt, dass er gemäß § 52 a Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, ein Rückkehrberatungsgespräch bis zum 21.02.2020 in Anspruch zu nehmen. Der BF setzte in weiterer Folge jedoch keine Schritte und reiste nicht freiwillig aus.

Am 05.07.2020 erfolgte um 09:20 Uhr durch Sicherheitsbeamte der LPD XXXX eine Personenkontrolle in Wien XXXX . Dabei wurde festgestellt, dass gegen den BF eine Rückkehrentscheidung iVm einem unbefristeten Einreiseverbot besteht. In weiterer Folge wurde der BF aufgrund seines unrechtmäßigen Aufenthalts um 09:40 Uhr gemäß § 40 Abs. 1 Z 3 BFA-VG festgenommen. Der BF wurde am 05.07.2020 zur möglichen Schubhaftverhängung einvernommen. Mit Mandatsbescheid vom 05.07.2020 wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Der BF verweigerte mehrfach Unterschriften.

Der BF befindet sich seit 05.07.2020 in Schubhaft.

Der BF hält sich seit Rechtskraft der Rückkehrentscheidung iVm einem unbefristeten Einreiseverbot illegal in Österreich auf. Der BF ist seit 09.03.2020 behördlich nicht gemeldet.

Der BF verhielt sich unkooperativ und ist nicht vertrauenswürdig. Der BF verblieb trotz Rückkehrentscheidung iVm einem unbefristeten Einreiseverbot illegal sowie ohne aufrechte Meldung im Bundesgebiet. Der BF setzte keine Bemühungen freiwillig auszureisen. Der BF verfügt über kein gültiges Reisedokument und kann Österreich aus eigenem Entschluss nicht legal verlassen. Der BF missachtete die österreichische Rechtsordnung, er wurde in Österreich seit dem Jahr 2001 11 Mal rechtskräftig verurteilt. Der BF verbrachte einen großen Teil seines Aufenthaltes in Haftanstalten. Der BF verfügt über keine Barmittel und kann seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten. Der BF verfügt über keinen ordentlichen Wohnsitz und geht derzeit in Österreich keiner legalen Beschäftigung nach. Der BF ist beruflich nicht integriert, er verfügt über ein soziales Netz in Österreich, welches ihm ein Leben im Verborgenen ermöglicht. Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Der BF verfügt über Familienangehörige in der Türkei und in Österreich, die ihn jedoch nicht davon abhielten mehrfach in Österreich strafrechtlich in Erscheinung zu treten. Es konnten keine Umstände festgestellt werden, die auf ein schützenswertes Privat- und Familienleben in Österreich hinweisen. Bezüglich der in der Beschwerde angeführten Freundin des BF scheint keine aufrechte Meldung auf. Der BF ist HIV-positiv, leidet an Hepatitis C und macht eine Therapie. Der BF verfügt in Österreich über keine Sozial- und Krankenversicherung. Der BF wird in der Schubhaft medizinisch betreut. Laut Befund und Gutachten des Amtsarztes vom 20.08.2020 ist der BF haftfähig. Der BF befand sich von 1996-2000 in der Türkei. Es ist davon auszugehen, dass er sich in dieser Zeit Grundkenntnisse der türkischen Sprache angeeignet hat. Im Fall des BF ist von Fluchtgefahr/Gefahr des Untertauchens auszugehen.

Die Behörde bemüht sich im vorliegenden Fall um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates (HRZ) und es ist nach den Erfahrungswerten davon auszugehen, dass ein solches auch von der Türkischen Botschaft erlangt werden kann. Der BF wurde am 21.07.2020 dem türkischen Konsulat vorgeführt. Im Rahmen dieser Vorführung erklärte sich der BF als nicht rückkehrwillig. Das türkische Konsulat überprüft derzeit die Angaben des BF in der Türkei. Am 14.08.2020 erfolgte eine Urgenz an die türkische Vertretungsbehörde.

Die realistische Möglichkeit der Überstellung des BF in seinen Herkunftsstaat - innerhalb der gesetzlich normierten Zeitspanne für die Anhaltung in Schubhaft - besteht zum Zeitpunkt dieser Entscheidung in hinreichendem Maße.


2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA sowie dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes bezüglich des BF. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und dem bisherigen Verfahren ergeben sich aus der Aktenlage.

Die Feststellungen zur elffachen Straffälligkeit des BF in Österreich ergeben sich aus dem Strafregisterauszug sowie insbesondere den Urteilen des Landesgerichtes XXXX , XXXX , vom 07.03.2017 (RK 11.03.2017) sowie XXXX , vom 05.03.2019 (RK 05.03.2019). Die fehlende Vertrauenswürdigkeit ergibt sich aus dem bisherigen Verhalten des BF.

Die Feststellungen zu den behördlichen Meldungen des BF u. a. in Justizanstalten ergeben sich aus dem Zentralen Melderegister. Die Feststellungen die Barmittel des BF betreffend ergeben sich aus der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung sowie der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 05.07.2020. Die Feststellungen zu den Familienangehörigen des BF in der Türkei sowie in Österreich ergeben sich aus der Beschwerde, der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 05.07.2020 sowie der Auskunft des VMÖ.

Das Fehlen beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet ergibt sich aus der Aktenlage.

Die Feststellungen zur Festnahme und der weiteren Anhaltung ergeben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt und entsprechen dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes (Einsicht in die Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung).

Die Haftfähigkeit des BF ergibt sich aus dem Befund und Gutachten des Amtsarztes vom 20.08.2020.

Der fremdenrechtliche Status des BF (Rückkehrentscheidung iVm einem unbefristeten Einreiseverbot) ergibt sich aus der Aktenlage.

Die realistische Möglichkeit der Erlangung eines HRZ ergibt sich aus der Stellungnahme des BFA.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen.


3. Rechtliche Beurteilung

Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs. 1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: „Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein.“

Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet:

㤠22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1.       er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2.       er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3.       gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“

Das Bundesverwaltungsgericht ist somit gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG für die Entscheidung der gegenständlichen Beschwerde zuständig.

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

§ 77 Gelinderes Mittel

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1 FPG.

Gemäß § 77 Abs. 2 FPG ist Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung, (Z 1) in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, (Z 2) sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder (Z 3) eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

Kommt der Fremde gemäß § 77 Abs. 4 FPG seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

Gemäß § 77 Abs. 5 FPG steht die Anwendung eines gelinderen Mittels der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

Gemäß § 77 Abs. 6 FPG hat sich zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Gemäß § 77 Abs. 7 FPG können die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

Gemäß § 77 Abs. 8 FPG ist das gelindere Mittel mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

Gemäß § 77 Abs. 9 FPG können die Landespolizeidirektionen betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unter

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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