TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/26 W250 2207570-5

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Veröffentlicht am 26.08.2020
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Entscheidungsdatum

26.08.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §77
FPG §80

Spruch

W250 2207570-5/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX alias XXXX geb. XXXX alias XXXX , StA. Marokko, im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge als BF bezeichnet) stellte am 21.03.2005 nach unrechtmäßiger Einreise einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Im Zuge der Antragstellung gab er als Identitätsdaten XXXX , geboren am XXXX , an, Dokumente zum Nachweis seiner Identität legte er nicht vor. Im Zuge der Ersteinvernahme durch das Bundesasylamt gab der BF an XXXX zu heißen und im Jahr XXXX geboren worden zu sein. Bereits am 05.06.2006 wurde der BF wegen Abgängigkeit von seiner Wohnadresse abgemeldet und das Asylverfahren mit Aktenvermerk vom 23.06.2006 eingestellt. Nachdem über den BF nach seiner Festnahme am 20.07.2006 die Untersuchungshaft angeordnet wurde, konnte das Asylverfahren fortgesetzt werden.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.09.2006 wurde der Asylantrag vom 21.03.2005 abgewiesen, festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder die Abschiebung des BF nach Marokko zulässig ist und der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

2. Am 16.08.2008 stellte der BF im Stande der Schubhaft einen Asylfolgeantrag. Bei der am 18.06.2008 durchgeführten Erstbefragung gab er an, den Namen XXXX zu führen und am XXXX geboren worden zu sein. Am 08.07.2008 wurde der BF aus der Schubhaft entlassen und tauchte unter. Das Asylverfahren wurde mit Aktenvermerk vom 18.07.2008 eingestellt. Am 06.08.2009 wurde der BF festgenommen und am 07.08.2009 vom Bundesasylamt einvernommen. Dabei gab er wiederum an, XXXX zu heißen, jedoch am XXXX geboren worden zu sein. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.08.2009 wurde der Asylfolgeantrag vom 16.08.2008 zurückgewiesen und der BF nach Marokko ausgewiesen. Die Zustellung dieses Bescheides erfolgte durch Hinterlegung im Akt, da sich der BF an seiner Zustelladresse nicht mehr aufhielt. Dieser Bescheid erwuchs ebenfalls in Rechtskraft.

3. Am 23.02.2010 teilten die spanischen Behörden mit, dass der BF in Spanien die Identitätsdaten XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Marokko, angegeben habe.

4. Der BF stellte am 24.05.2012 im Stande der Schubhaft einen dritten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Am 01.06.2012 wurde er aus der Schubhaft entlassen, da er durch Hungerstreik seine Haftunfähigkeit herbeigeführt hat, anschließend tauchte er abermals unter. Das Asylverfahren wurde am 14.06.2012 eingestellt. Nachdem der BF am 14.07.2012 festgenommen wurde, wurde der faktische Abschiebeschutz mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.07.2012 aufgehoben. Mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 25.07.2012 wurde festgestellt, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nicht rechtmäßig war.

5. Nachdem der BF am 13.09.2013 aus der Strafhaft entlassen wurde, tauchte er abermals unter, sodass das Asylverfahren neuerlich mit Aktenvermerk vom 25.09.2013 eingestellt wurde. Am 26.09.2013 wurde der BF wiederum festgenommen und gab in seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 27.09.2013 an, dass er bisher oft falsche Namen angegeben habe, sein richtiger Name sei jedoch XXXX und er sei am XXXX geboren worden.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.12.2013 wurde der Asylfolgeantrag vom 24.05.2012 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, dieser Bescheid wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.11.2015 behoben.

6. Am 05.04.2017 wurde der BF im Asylverfahren vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge als Bundesamt bezeichnet) einvernommen. Dabei gab er unter anderem an, dass er XXXX heiße und am XXXX geboren worden sei. Bei seiner Einvernahme durch das Bundesamt am 15.10.2018 gab der BF an, dass er bisher falsche Namen angegeben habe, da er immer in Schubhaft genommen werde.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 14.11.2018 wurde der Asylfolgeantrag vom 24.05.2012 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und dem BF kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt. Gleichzeitig wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Marokko zulässig sei. Unter einem wurde gegen ihn ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Gegen diesen Bescheid erhob der BF Beschwerde.

Mit Schreiben vom 10.01.2019 teilte das Bundeskriminalamt dem Bundesamt mit, dass der BF von Interpol Rabat unter der Identität XXXX , geb. XXXX , identifiziert worden sei.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 30.03.2020 im Beschwerdeverfahren den Bescheid vom 14.11.2018 betreffend eine mündliche Beschwerdeverhandlung durch. Dabei gab der BF unter anderem an, dass er tatsächlich XXXX heiße, dass er jedoch im Jahr XXXX geboren worden sei.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 01.04.2020 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 14.11.2018 abgewiesen.

7. Nach Entlassung des BF aus der Strafhaft wurde über ihn mit Bescheid des Bundesamtes vom 03.04.2020 Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.04.2020 abgewiesen. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

8. Das Bundesamt führte am 19.05.2020 und 19.06.2020 Schubhaftprüfungen durch. Das Bundesverwaltungsgericht stellte mit Erkenntnis vom 29.07.2020 fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.

9. Am 19.08.2020 legte das Bundesamt den gegenständlichen Akt neuerlich gemäß § 22a Abs. 4 BFA-Verfahrensgesetzes – BFA-VG zur amtswegigen Verhältnismäßigkeitsprüfung vor.

10. Mit Parteiengehör vom 19.08.2020 wurde dem BF im Wege seiner Rechtsvertreterin die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben, woraufhin er im Wesentlichen vorbrachte, dass seine weitere Anhaltung in Schubhaft nicht verhältnismäßig sei, da seit XXXX trotz Identifikation durch Interpol kein Heimreisezertifikat für den BF erlangt werden habe können. Die Vertretungsbehörde habe auf Urgenzen über einen langen Zeitraum nicht reagiert und sei die Zusammenarbeit mit der marokkanischen Vertretungsbehörde im allgemeinen als schleppend zu bezeichnen. Auch hinsichtlich der derzeitigen Situation auf Grund der COVID-19-Pandemie könne nicht abgeschätzt werden, wann eine Abschiebung des BF – selbst bei Vorliegen eines Heimreisezertifikates – möglich sein werde. Es sei daher keineswegs gesichert, dass die Abschiebung des BF innerhalb der Schubhafthöchstdauer durchgeführt werden könne.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Zum Verfahrensgang (I.1. – I.10.)

Der unter Punkt I.1. – I.10. geschilderte Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

2. Zur Person des BF und zu den Voraussetzungen der Schubhaft:

2.1. Der BF reiste illegal in das Bundesgebiet ein. Der BF hat bisher keine Dokumente vorgelegt, die seine Identität bescheinigen; er wurde von Interpol unter der Identität XXXX , geb. XXXX , als marokkanischer Staatsangehöriger identifiziert. Die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt er nicht. Der BF ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

2.2. Der BF wird seit 03.04.2020 in Schubhaft angehalten.

2.3. Der BF leidet an Hepatitis C. Er ist haftfähig und hat in der Schubhaft Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung. Es liegen keine die Haftfähigkeit ausschließenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen beim BF vor.

3. Zur Fluchtgefahr und zum Sicherungsbedarf:

3.1. Der BF hat in seinen Asylverfahren unterschiedliche Identitätsdaten seinen Namen und sein Geburtsdatum betreffend angegeben. Insbesondere behauptete der BF bei seinem ersten Asylantrag im Jahr 2005 minderjährig zu sein, obwohl er tatsächlich bereits volljährig war. Durch die Angabe falscher Identitätsdaten hat der BF die Erlangung eines Heimreisezertifikates und in weiterer Folge seine Abschiebung erschwert. Selbst die von Interpol Marokko mitgeteilten Identitätsdaten bestreitet der BF und behauptet ein davon abweichendes Geburtsdatum. Bevor der BF nach Österreich einreiste hielt er sich in Spanien auf. Dort gab er gänzlich andere Identitätsdaten an.

3.2. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 14.11.2018 wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung sowie ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen, die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 01.04.2020 abgewiesen. Es liegt eine rechtskräftige, durchsetzbare und durchführbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor.

3.3. Der BF hat sich den Verfahren über seine Anträge auf internationalen Schutz mehrfach entzogen, sodass diese Verfahren eingestellt werden mussten.

3.4. Der BF stellte seinen Asylfolgeantrag am 18.06.2008 zu einem Zeitpunkt als er in Schubhaft angehalten wurde und auf Grund des Bescheides des Bundesasylamtes vom 15.09.2006 eine aufenthaltsbeendende Maßnahme vorlag. Im Zeitpunkt der Stellung seines Asylfolgeantrages vom 24.05.2012 wurde der BF ebenfalls in Schubhaft angehalten und lag auf Grund des Bescheides des Bundesasylamtes vom 14.08.2009 eine aufenthaltsbeendende Maßnahme vor.

3.5. Der BF ist in Österreich nicht substantiell integriert. Er verfügt weder über Familienangehörige noch über nennenswerte soziale Kontakte im Bundesgebiet, ging bisher keiner legalen Erwerbstätigkeit nach, verfügt über kein Vermögen und keinen eigenen gesicherten Wohnsitz.

3.6. Der BF musste am 01.06.2012 aus der Schubhaft entlassen werden, da er durch Hungerstreik seine Haftunfähigkeit herbeigeführt hat. Auch in der hier gegenständlichen Schubhaft versuchte der BF durch Hungerstreik, den er von 09.05.2020 bis 27.05.2020 bzw. von 13.06.2020 bis 16.06.2020 aufrecht hielt, seine Freilassung aus der Schubhaft zu erzwingen.

4. Zur Verhältnismäßigkeit der Schubhaft:

4.1. Der BF weist in Österreich folgende strafgerichtliche Verurteilungen auf:

4.1.1. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 03.11.2005 wurde der BF wegen der gewerbsmäßig begangenen Jugendstraftat nach § 27 Abs. 1 erster, zweiter und sechster Fall und Abs. 2 Z 2 erster Fall Suchtmittelgesetz – SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

4.1.2. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 16.02.2006 wurde der BF wegen desselben Vergehens, jedoch in Form des Versuchs begangen, zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt, wobei die mit Urteil vom 03.11.2005 angeordnete Probezeit auf fünf Jahre verlängert wurde.

4.1.3. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 29.08.2006 wurde der BF wegen der (teilweise in Form des Versuchs) gewerbsmäßig begangenen Jugendstraftat nach § 27 Abs. 1 und Abs. 2 Z 2 erster Fall SMG und § 15 Strafgesetzbuch – StGB sowie nach § 27 Abs. 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt und die bedingte Nachsicht der mit Urteil vom 03.11.2005 verhängten Strafe widerrufen wurde. Dieser Verurteilung liegen Taten zu Grunde, die der BF gewerbsmäßig begangen hat.

4.1.4. Mit Urteil eines Landesgerichtes 7.11.2007 wurde der BF wegen der Jugendstraftat, nämlich des (teilweise in Form des Versuchs begangenen) Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach § 15 StGB und §§ 127, 129 Z 1 und Z 2 StGB und des Vergehens nach § 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt.

4.1.5. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 16.06.2010 wurde der BF als junger Erwachsener wegen versuchter Nötigung nach § 15 StGB und § 105 Abs. 1 StGB, wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall, Abs. 3 und Abs. 5 SMG und wegen der Vergehen der (teilweise in Form des Versuchs begangenen) Urkundenunterdrückung und des Gebrauchs fremder Ausweise nach § 15 StGB und §§ 229 und 231 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt.

4.1.6. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 11.04.2011 wurde der BF als junger Erwachsener wegen des Verbrechens der Hehlerei nach § 164 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 zweiter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt.

4.1.7. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 06.12.2012 wurde der BF wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall, Abs. 3 und Abs. 5 SMG zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Der BF hat die Straftat vorwiegend deshalb begangen, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen.

4.1.8. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 03.06.2014 wurde der BF wegen des Verbrechens des (teilweise in Form des Versuchs begangenen) gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall StGB und § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt.

4.1.9. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 02.10.2014 wurde der BF wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG und §§ 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall, Abs. 3 und Abs. 5 SMG zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Der BF hat die Straftat gewerbsmäßig begangen, um sich Mittel für den Erwerb von Suchtgiften zu verschaffen.

4.1.10. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 30.10.2014 (in Rechtskraft erwachsen am 13.10.2015) wurde der BF wegen des Vergehens des (in Form des Versuchs) begangenen Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 15 StGB und § 269 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.

4.1.11. Mit rechtskräftigem Urteil eines Landesgerichtes vom 06.05.2019 wurde der BF wegen des (in Form des Versuchs begangenen) Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a zweiter Fall StGB und § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt.

4.2. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF wurde hinsichtlich der Staaten Marokko und Algerien eingeleitet, Urgenzen erfolgten mehrfach und regelmäßig. Weder die Vertretungsbehörden Marokkos noch die Vertretungsbehörden Algeriens haben bisher mitgeteilt, dass für den BF kein Heimreisezertifikat ausgestellt werde. Die Erlangung eines Heimreisezertifikates für den BF innerhalb der Schubhafthöchstdauer erscheint möglich, zumal der BF bereits durch Interpol Marokko identifiziert wurde. Der BF wirkt am Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates nicht mit, insbesondere verweigerte er am 03.04.2020 das Ausfüllen eines diesbezüglichen Formulars.

4.3. Die realistische Möglichkeit einer Überstellung des BF in seinen Herkunftsstaat (innerhalb der gesetzlich normierten Zeitspanne für die Anhaltung in Schubhaft) besteht weiterhin. Die schrittweise Rücknahme der gegenwärtigen Restriktionen im Zusammenhang mit Covid-19 ist bereits angelaufen – für den internationalen Luftverkehr ist sie in einigen Wochen zumindest in einem reduzierten Ausmaß (das Abschiebungen ermöglicht) zu erwarten.

4.4. Eine Änderung der Umstände für die Aufrechterhaltung der Schubhaft seit 29.07.2020 hat sich im Verfahren nicht ergeben.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungs- und Gerichtsakt, in die Akte des Bundesverwaltungsgerichtes die asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren sowie das bisherige Schubhaftverfahren des BF betreffend, in das Grundversorgungs-Informationssystem, in das Strafregister, in das Zentrale Fremdenregister, in das Zentrale Melderegister sowie in die Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres.

1. Zum Verfahrensgang, zur Person des BF und den Voraussetzungen der Schubhaft:

1.1. Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akt des Bundesamtes, den Akten des Bundesverwaltungsgerichtes die asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren sowie das bisherige Schubhaftverfahren des BF betreffend, aus dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister sowie aus dem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister und aus der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres.

1.2. Die Feststellungen zur Einreise des BF beruhen auf dem Inhalt des Verwaltungsaktes, insbesondere auf dem Umstand, dass der BF kein Reisedokument vorgelegt und in seinen Asylverfahren selbst angegeben hat, über kein Reisedokument zu verfügen. Die Feststellungen zur Identifizierung des BF durch Interpol Rabat beruhen auf dem im Akt des Bundesverwaltungsgerichtes die Beschwerde gegen den Bescheid vom 14.11.2018 betreffend einliegenden Schreiben des Bundeskriminalamtes vom 10.01.2019. Anhaltspunkte dafür, dass der BF die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt sind im Verfahren nicht hervorgekommen, ebenso wenig besteht ein Zweifel an der Volljährigkeit des BF. Da sämtliche Asylanträge des BF in Österreich rechtskräftig abgewiesen oder zurückgewiesen wurden, ist der BF weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

1.3. Der Zeitpunkt, seit dem der BF in Schubhaft angehalten wird, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und den damit übereinstimmenden Angaben in der Anhaltedatei.

1.4. Der BF gab in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt am 03.04.2020 an, dass er gesund sei, dem Verwaltungsakt ist darüber hinaus zu entnehmen, dass der BF an Hepatitis C leidet. Eine die Haftfähigkeit ausschließende Erkrankung konnte nicht festgestellt werden. Dem BF wurde auch die Möglichkeit gegeben, eine Stellungnahme im gegenständlichen Verfahren abzugeben. Gesundheitliche Beschwerden hat er dabei nicht vorgebracht. Dass der BF Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Behandlung hat, ist unzweifelhaft.

2. Zur Fluchtgefahr und zum Sicherungsbedarf:

2.1. Dass der BF in seinen bisherigen Verfahren unterschiedliche Angaben zu seiner Identität gemacht hat, ergibt sich zum einen aus dem Verwaltungsakt und wird vom BF auch nicht bestritten. So räumte er in der Einvernahme durch das Bundesamt am 03.04.2020 ein, dass er falsche Identitätsdaten angegeben habe, um nicht abgeschoben zu werden. Da er im Rahmen seiner ersten Asylantragstellung am 21.03.2005 behauptete am XXXX geboren worden zu sein, obwohl er von Interpol mit dem Geburtsdatum XXXX identifiziert wurde, hat der BF darüber hinaus seine Minderjährigkeit vorgetäuscht. Obwohl er von Interpol identifiziert wurde, behauptete der BF sowohl in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 30.03.2020 sowie in der Einvernahme vor dem Bundesamt am 03.04.2020 im Jahr XXXX geboren worden zu sein. Von den spanischen Behörden wurde am 23.10.2010 – das diesbezügliche Schreiben befindet sich in der im Akt des Bundesverwaltungsgerichtes die Beschwerde gegen den Bescheid vom 14.11.2018 betreffend einliegenden Kopie des Asylaktes des BF – mitgeteilt, dass der BF in Spanien die Identitätsdaten XXXX , geboren am XXXX , bekannt gegeben hat. Dass er sich tatsächlich in Spanien aufgehalten hat, räumte der BF in seiner Einvernahme durch das Bundesamt am 03.04.2020 ein.

2.2. Die Feststellungen zu der mit Bescheid des Bundesamtes vom 14.11.2018 gegen den BF erlassenen Rückkehrentscheidung und dem auf die Dauer von sechs Jahren befristet erlassenen Einreiseverbot beruhen auf einer Einsichtnahme in den Akt des Bundesverwaltungsgerichtes die Beschwerde gegen diesen Bescheid betreffend.

2.3. Dass sich der BF seinen bisherigen Asylverfahren mehrfach entzogen hat ergibt sich insbesondere aus der im Akt des Bundesverwaltungsgerichtes die Beschwerde gegen den Bescheid vom 14.11.2018 betreffend einliegenden Kopie des Asylaktes des BF. Beispielsweise sind darin die Aktenvermerke vom 23.06.2006, 18.07.2008 und 14.06.2012 enthalten, mit denen das jeweilige Asylverfahren eingestellt wurde, da der Aufenthaltsort des BF unbekannt war. Auch der Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.08.2009, mit dem über den zweiten Asylantrag des BF entschieden wurde, konnte dem BF nur durch Hinterlegung zugestellt werden, da er an seiner Zustelladresse nicht mehr aufhältig war.

2.4. Dass der BF im Zeitpunkt der Stellung seiner Asylfolgeanträge jeweils in Schubhaft angehalten wurde und jeweils eine aufenthaltsbeendende Maßnahme vorlag, ergibt sich aus der im Akt des Bundesverwaltungsgerichtes die Beschwerde gegen den Bescheid vom 14.11.2018 betreffend einliegenden Kopie des Asylaktes des BF.

2.5. Dass der BF in Österreich nicht substantiell integriert ist ergibt sich aus seinen Angaben in seinen bisherigen Verfahren. Insbesondere gab er in seiner Einvernahme durch das Bundesamt am 03.04.2020 an, dass er keine Familienangehörigen in Österreich habe. Auch bis auf eine Freundin, die ihn einmal zu Beginn seiner Strafhaft besucht habe, nannte er keine weiteren Personen, zu denen er persönliche Beziehungen hat.

2.6. Die Feststellung zu der am 01.06.2012 vom BF erzwungenen Beendigung der Schubhaft ergibt sich aus dem diesbezüglichen Entlassungsschein, der sich in der im Akt des Bundesverwaltungsgerichtes die Beschwerde gegen den Bescheid vom 14.11.2018 betreffend einliegenden Kopie des Asylaktes des BF befindet. Die Feststellungen zu den Zeiten, in denen sich der BF in der hier zu prüfenden Schubhaft im Hungerstreik befand, ergeben sich aus der Anhaltedatei.

3. Zur Verhältnismäßigkeit der Schubhaft:

3.1. Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des BF beruhen auf einer Einsichtnahme in das Strafregister sowie auf den in den Verwaltungs- und Gerichtsakten einliegenden Urteilsausfertigungen.

3.2. Die Feststellungen zu den Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den BF und dem aktuellen Stand der einzelnen Verfahren beruhen auf dem Akteninhalt und der Stellungnahme des Bundesamtes vom 19.08.2020. Dass sich der BF auch im Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates unkooperativ verhält konnte insofern festgestellt werden, als er sich noch am 03.04.2020 weigerte, in diesem Verfahren ein Formblatt auszufüllen. Der BF versucht auch weiterhin das Verfahren zu verzögern, da er trotz seiner Identifizierung durch Interpol ein anderes Geburtsdatum behauptet. Bemerkenswert ist auch, dass der BF am 30.03.2020 beim Bundesverwaltungsgericht einräumte, dass der von Interpol festgestellte Name richtig sei, er sich in seiner Einvernahme durch das Bundesamt am 03.04.2020 – also nur wenige Tage später – nach seinem Namen befragt wiederum einer Aliasidentität bediente.

Dass für den BF noch keine Heimreisezertifikat erlangt werden konnte, ist vor allem auf seine mangelnde Kooperationsbereitschaft und seine mangelnde Mitwirkung zurückzuführen. Es liegt daher in erster Linie am BF durch entsprechende Mitwirkung das Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifkates zu beschleunigen. Zudem sind aktuell zwei Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den BF anhängig, weshalb die Erlangung eines Heimreisezertifikates nicht als aussichtslos erachtet werden kann.

3.3. Die realistische Möglichkeit der Rücküberstellung ergibt sich aus der diesbezüglich grundsätzlich problemlosen Zusammenarbeit mit den Vertretungen und Behörden des Herkunftsstaates. Abschiebungen fanden vor dem „Lockdown“ der internationalen Luftfahrt regelmäßig statt. Es ist davon auszugehen, dass in einigen Wochen der internationale Luftverkehr (nicht zwingend der allgemeine Reiseverkehr) wiederaufgenommen wird – womit auch (begleitete) Abschiebungen wieder möglich sind. Entsprechende Ankündigungen von Regierungen und internationalen Fluglinien wurden in den letzten Wochen veröffentlicht und sind notorisch.

3.4. Eine Änderung der Umstände für die Aufrechterhaltung der Schubhaft seit 29.07.2020 ist dem Verwaltungsakt nicht zu entnehmen. Gegenteiliges ist auch im durchgeführten Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchteil A. – Fortsetzungsausspruch

3.1.1. Gesetzliche Grundlagen

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c.es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

§ 77 Gelinderes Mittel

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1 FPG.

Gemäß § 77 Abs. 2 FPG ist Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung, (Z 1) in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, (Z 2) sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder (Z 3) eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

Kommt der Fremde gemäß § 77 Abs. 4 FPG seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

Gemäß § 77 Abs. 5 FPG steht die Anwendung eines gelinderen Mittels der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

Gemäß § 77 Abs. 6 FPG hat sich zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Gemäß § 77 Abs. 7 FPG können die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

Gemäß § 77 Abs. 8 FPG ist das gelindere Mittel mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

Gemäß § 77 Abs. 9 FPG können die Landespolizeidirektionen betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

§ 22a Abs. 4 BFA-VG lautet:

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

3.1.2. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Gemäß § 22a Abs. 4 dritter Satz BFA-VG gilt mit der Vorlage der Verwaltungsakten durch das BFA eine Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG - einen neuen Hafttitel dar. Über vor (oder nach) der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen (VwGH vom 29.10.2019, Ra 2019/21/0270; VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111).

3.1.3. Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter, weshalb die Anordnung der Schubhaft grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – möglich ist.

3.1.4. Da eine durchsetzbare und durchführbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vorliegt, Verfahren zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF anhängig sind und er von Interpol Rabat identifiziert wurde, ist mit einer Abschiebung des BF innerhalb der zulässigen Schubhafthöchstdauer zu rechnen. Innerhalb dieses Zeitraumes erscheint es auch realistisch, dass der Flugverkehr nach Marokko wiederaufgenommen wird.

3.1.5. Im vorliegenden Fall geht das Gericht auch weiterhin von Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 FPG aus:

Dabei ist gemäß § 76 Abs. 3 Z. 1 FPG zu berücksichtigen, ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert. Der BF verwendete in seinen bisherigen Verfahren eine Vielzahl an Identitätsdaten, legte keine Dokumente zum Nachweis seiner wahren Identität vor und zeigt sich im Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates unkooperativ. Selbst nach seiner Identifizierung durch Interpol machte der BF wiederum von diesen Daten abweichende Angaben. Durch dieses Verhalten hat er seine Abschiebung zumindest erschwert, weshalb der Tatbestand des § 76 Abs. 3 Z. 1 FPG erfüllt ist.

Bei der Beurteilung ob Fluchtgefahr vorliegt, ist gemäß § 76 Abs. 3 Z 3 FPG zu berücksichtigen, ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat. Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021).

Da gegen den BF eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung vorliegt und er sich allen seinen Asylverfahren durch Untertauchen entzogen hat, ist der Tatbestand des § 76 Abs. 3 Z 3 FPG erfüllt.

Gemäß § 76 Abs. 3 Z 5 FPG ist bei der Beurteilung der Fluchtgefahr zu berücksichtigen, ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde.

Der BF stellte seine beiden Asyl-Folgeanträge jeweils während seiner Anhaltung in Schubhaft. Beide Male lagen durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahmen vor. Es ist daher im vorliegenden Fall auch der Tatbestand der Z 5 des § 76 Abs. 3 FPG erfüllt.

Bei der Beurteilung ob Fluchtgefahr vorliegt sind gemäß § 76 Abs. 3 Z 9 FPG der Grad der sozialen Verankerung des Fremden in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit bzw. das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes zu berücksichtigen.

Das Verfahren hat keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass im Fall des BF Umstände vorliegen, die wegen seiner Verankerung im Bundesgebiet gegen das Bestehen der Fluchtgefahr sprechen. Er verfügt im Inland über keinerlei enge soziale, berufliche oder familiäre Anknüpfungspunkte und ist auch nicht selbsterhaltungsfähig, weshalb keinerlei soziales Netz vorhanden ist, welches ihn vom Untertauchen bewahren könnte. § 76 Abs. 3 Z 9 FPG liegt daher gegenständlich ebenfalls vor.

Es liegt daher weiterhin Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 Z. 1, 3, 5 und 9 FPG vor.

3.1.6. Bei der Beurteilung des Sicherungsbedarfes ist das gesamte Verhalten des BF vor Verhängung der Schubhaft sowie seine familiäre, soziale und berufliche Verankerung im Inland in einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen. Diese Beurteilung hat ergeben, dass mehrere Kriterien für das Bestehen eines Sicherungsbedarfes sprechen. Es war daher eine konkrete Einzelfallbeurteilung vorzunehmen welche ergeben hat, dass sowohl das Vorverhalten als auch die vorzunehmende Verhaltensprognose einen Sicherungsbedarf ergeben haben, da im Fall des BF ein beträchtliches Risiko des Untertauchens gegeben ist. Es liegt eine den BF betreffende durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme sowie ein Einreisverbot vor. In diesem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist (VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0178). Der BF ist in allen seinen Asylverfahren untergetaucht und war für die Behörde wiederholt nicht greifbar, weshalb die Verfahren eingestellt werden mussten. Bemerkenswert ist hier vor allem, dass er bereits am 05.06.2006 ca. 2 Monate nach der Stellung seines ersten Asylantrages wegen Abgängigkeit von seiner Wohnadresse abgemeldet wurde und seither nur sporadisch über eine Meldeadresse – außerhalb einer Justizanstalt oder eines Polizeianhaltezentrums – verfügt hat. Der BF hat bereits bei seiner Asylantragstellung am 21.03.2005 falsche Identitätsdaten angegeben und seine Minderjährigkeit vorgetäuscht. Er verwendete durchwegs – auch in Spanien – falsche Identitätsdaten, um seine Abschiebung zu verhindern.

In Österreich befinden sich weder Familienangehörige des BF noch ist er sonst sozial verankert. Der BF verfügt in Österreich über keinen gefestigten Wohnsitz und auch nicht über ausreichende Mittel zur Existenzsicherung. Einer legalen Beschäftigung ging er in Österreich bisher nicht nach.

Es ist daher auch Sicherungsbedarf gegeben.

3.1.7. Als weitere Voraussetzung ist die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft zu prüfen. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.

Der BF hat keinerlei familiäre oder soziale Bindungen in Österreich. Einer legalen Erwerbstätigkeit ging der BF in Österreich nicht nach. Er tauchte während seiner Asylverfahren unter und verhinderte durch die konsequente Angabe von falschen Identitätsdaten bisher seine Abschiebung.

Gemäß § 76 Abs. 2a FPG ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

Der BF wurde bisher elf Mal strafrechtlich verurteilt. Er hat wiederholt gegen das Suchtmittelgesetz verstoßen und insbesondere wiederholt gewerbsmäßig Delikte nach dem Suchtmittelgesetz begangen, um sich eine Einnahmequelle zu erschließen. Weiters verübte er Einbruchsdiebstahl, gewerbsmäßigen Diebstahl, Hehlerei sowie (versuchten) Widerstand gegen die Staatsgewalt. Zuletzt wurde er zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 12 Monaten verurteilt. Insgesamt wurde der BF zu Freiheitsstrafen in der Dauer von 8 Jahren und 2 Monaten verurteilt, die zur Gänze vollzogen wurden.

Da der BF nicht einmal durch rechtskräftige Bestrafungen und der Verspürung des Haftübels von der Begehung weiterer einschlägiger Straftaten abgehalten werden konnte, ist davon auszugehen, dass er auch künftig Straftaten nach dem Strafgesetzbuch bzw. Suchtmittelgesetz begehen wird. Aufgrund der verschiedenen begangen Deliktsarten und insbesondere aufgrund der wiederholten Begehung von Suchtgiftdelikten, Vermögensdelikten und Widerstandes gegen die Staatsgewalt gefährdet der Aufenthalt des BF die öffentliche Ordnung und Sicherheit in besonders hohem Maße. Insbesondere hat der BF gewerbsmäßig Straftaten begangen um sich eine Einnahmequelle zu erschließen. Auf Grund seiner Mittellosigkeit ist dabei davon auszugehen, dass er auch hinkünftig Straftaten zur Finanzierung seines Aufenthaltes in Österreich begehen wird. Daher besteht ein besonders hohes öffentliches Interesse an der baldigen Außerlandesbringung des BF.

Betrachtet man die Interessen des BF an den Rechten seiner persönlichen Freiheit in Bezug auf seine familiären bzw. sozialen Verhältnisse im Inland zeigt sich, dass der BF familiäre Kontakte und andere enge soziale oder berufliche Kontakte im Inland nicht vorweisen konnte die im Rahmen der Abwägung die Entscheidung zu Gunsten einer Freilassung zu beeinflussen geeignet waren. Der BF hat wiederholt und in beträchtlichem Ausmaß gegen strafrechtliche Bestimmungen verstoßen und damit zum Ausdruck gebracht, dass er ganz klar keine Unterordnung unter das im Inland bestehende Rechtssystem beabsichtigt. Er hat in Österreich bereits drei unbegründete Anträge auf internationalen Schutz gestellt, und ist in sämtlichen Asylverfahren untergetaucht, weshalb die Verfahren eingestellt werden mussten. Es wurde auch ein Einreiseverbot verhängt. Die Republik Österreich hat damit nach Ansicht des Gerichts nunmehr ausreichend klar dargestellt, dass ein Verbleib des BF im Inland rechtlich nicht gedeckt ist und somit auch ein erhöhtes Interesse an einer Außerlandesbringung des BF bekundet. Dem gegenüber wiegen die persönlichen Interessen des BF, der keine engen Kontakte und keine Angehörigen in Österreich hat, weit weniger schwer als das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen – insbesondere an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung des BF.

Es wurde ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den BF bei der Vertretungsbehörde eingeleitet und kann eine Ausstellung eines solchen jederzeit erfolgen. Wie sich aus der medialen Berichterstattung ergibt, ist der Flugverkehr aus Österreich auf Grund der derzeitigen Pandemie (Covid-19) zwar noch immer eingeschränkt, es finden aber auf einzelne Staaten bezogene Lockerungen der Covid-19 Maßnahmen statt, sodass eine realistische Möglichkeit der Überstellung des BF in seinen Herkunftsstaat innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Höchstdauer der Schubhaft besteht. Aus derzeitiger Sicht ist auch damit zu rechnen, dass die gegenwärtigen Einschränkungen in den Staaten Nordafrikas im Zusammenhang mit Covid-19 weiter gelockert werden und Abschiebungen sohin auch wieder durchführbar sein werden. Die realistische Möglichkeit einer Überstellung des BF in seinen Herkunftsstaat (innerhalb der gesetzlich normierten Zeitspanne für die Anhaltung in Schubhaft) besteht aus aktueller Sicht weiterhin. Die absehbare weitere Dauer der Anhaltung in Schubhaft ist nach derzeitigem Stand – kooperatives Verhalten des BF vorausgesetzt – mit wenigen Monaten, abhängig von den Ergebnissen der Heimreisezertifikatsverfahren, einzustufen. Eine ehestbaldige Abschiebung des BF unmittelbar nach Erlangung eines Heimreisezertifikates ist aus derzeitiger Sicht jedenfalls realistisch. Im vorliegenden Fall liegt die (verhältnismäßige) Verzögerung einer Abschiebung des BF jedoch nicht an den pandemiebedingten Einschränkungen, sondern am unkooperativen Verhalten des BF. Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist es auch trotz der Einschränkungen im Flugverkehr fallbezogen noch vertretbar eine Schubhaft in Erwartung einer Lockerung der Reisebeschränkungen vorerst aufrecht zu erhalten (VwGH vom 12.05.2020, Ra 2020/21/0094).

Das erkennende Gericht geht daher davon aus, dass die angeordnete Schubhaft auch weiterhin das Kriterium der Verhältnismäßigkeit erfüllt.

Bei einer im Sinne des § 80 Abs. 4 Z 2 und Z 4 FPG höchstzulässigen Dauer der Schubhaft von 18 Monaten ist die Aufrechterhaltung der seit 03.04.2020 bestehenden Anhaltung des BF in Schubhaft verhältnismäßig.

3.1.8. Zu prüfen ist, ob ein gelinderes Mittel im Sinne des § 77 FPG den gleichen Zweck wie die angeordnete Schubhaft erfüllt. Eine Sicherheitsleistung kann auf Grund der fehlenden finanziellen Mittel des BF nicht zur Anwendung kommen. Aber auch die konkrete Zuweisung einer Unterkunft oder einer Meldeverpflichtung kann auf Grund des vom BF in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens nicht zum Ziel der Sicherung der Abschiebung führen, da diesfalls die konkrete Gefahr des neuerlichen Untertauchens des BF besteht. Da eine durchsetzbare und durchführbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vorliegt, sich der BF bereits sämtlichen Asylverfahren entzogen hat und Verfahren zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates anhängig sind, ist nicht zu erwarten, dass ein gelinderes Mittel für die Sicherung der Abschiebung ausreichend ist, zumal der BF mehrmals versucht hat, durch Hungerstreik seine Haftunfähigkeit herbeizuführen und damit seine Freilassung aus der Schubhaft zu erzwingen..

Die Anordnung eines gelinderen Mittels kommt daher weiterhin nicht in Betracht.

3.1.9. Die hier zu prüfende Schubhaft stellt daher nach wie vor eine „ultima ratio“ dar, da sowohl Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf als auch Verhältnismäßigkeit vorliegen und ein gelinderes Mittel nicht den Zweck der Schubhaft erfüllt. Das Verfahren hat keine andere Möglichkeit ergeben, eine gesicherte Außerlandesbringung des BF zu gewährleisten.

Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

3.1.10. Es konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des behördlichen Verfahrens hinreichend geklärt wurde und das gerichtliche Verfahren keine wesentlichen Änderungen ergeben hat.

3.2. Zu Spruchteil B. - Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Im vorliegenden Akt findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

falsche Angaben Fluchtgefahr Folgeantrag Fortsetzung der Schubhaft gelinderes Mittel Gesundheitszustand Heimreisezertifikat Identität Mittellosigkeit öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Suchtmitteldelikt Untertauchen Verfahrensentziehung Verhältnismäßigkeit Wohnsitz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W250.2207570.5.00

Im RIS seit

06.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

06.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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