TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/5 G307 2224006-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.08.2020
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Entscheidungsdatum

05.08.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs5
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z5

Spruch

G307 2224006-1/7E

Im namen der republik!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA: Bosnien und Herzegowina, vertreten durch RA Mag. Michael-Thomas REICHENVATER in 8010 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.09.2019, Zahl XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) wurde anlässlich einer wiederholten Verurteilung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) zwecks Prüfung der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme am 01.02.2019 niederschriftlich einvernommen.

2. Am 14.03.2019 fand eine niederschriftliche Einvernahme der Frau des BF, XXXX , geb. am XXXX , StA: Bosnien und Herzegowina (im Folgenden: BuH), vor dem BFA statt.

3. Mit Schreiben des BFA vom 05.06.2019 wurde der BF über das Ergebnis der Beweisaufnahme im Verfahren zur Prüfung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme samt Einreiseverbot in Kenntnis gesetzt und gleichzeitig zu einer dahingehenden Stellungnahme binnen zwei Wochen ab Erhalt dieses Schreibens aufgefordert.

4. Mit Schriftsatz vom 17.06.2019 gab der BF dazu eine Stellungnahme ab.

5. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des BFA, dem BF persönlich zugestellt am 05.09.2019, wurde gegen diesen gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.). Ferner wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach BuH gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.), gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG ein auf 5 Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.), sowie einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.).

6. Mit per Telefax, am 30.09.2020 beim BFA eingebrachtem Schreiben erhob der BF durch seinen Rechtsvertreter (im Folgenden: RV) Beschwerde gegen den oben im Spruch angeführten Bescheid an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden. BVwG).

Darin wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung und Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, sowie jeweils in eventu die Stattgabe der Beschwerde, die Behebung des angefochtenen Bescheides und Feststellung, dass eine Abschiebung nach BuH unzulässig sei, die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen an den BF sowie die Zurückverweisung der Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde, beantragt.

7. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden vom Bundesamt dem BVwG vorgelegt, und langten dort am 03.10.2020 ein.

8. Mit Beschluss des BVwG, GZ.: G307 2224006-1/4Z, vom 29.11.2019 wurde der gegenständlichen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

9. Am 27.07.2020 langte ein Anlassbericht der Polizeiinspektion XXXX ein, wonach er BF am XXXX .2020 wegen gefährlicher Drohung (2 Mal) sowie der Sachbeschädigung an die StA XXXX angezeigt worden sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF führt die im Spruch angegebene Identität (Name und Geburtsdatum), ist Staatsbürger von BuH, verheiratet und der deutschen Sprache mächtig.

1.2. Der BF hält sich seit dem Jahr 1994 durchgehend in Österreich auf und wurden ihm beginnend mit 22.09.1997 wiederholt verlängerte Aufenthaltstitel ausgestellt. Aktuell ist der BF im Besitz eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt EU“ und hat zuletzt am 11.05.2017 einen Verlängerungsantrag hinsichtlich der Ausstellung der entsprechenden Aufenthaltstitelkarte bei der zuständigen NAG-Behörde gestellt, welche ihm mit Gültigkeit bis 02.06.2022 am 03.06.2017 erneut ausgestellt wurde.

1.3. Die gesamte Familie des BF, bestehend aus Eltern, Geschwistern, Ehegattin samt den 5 gemeinsamen Kindern, wovon 3 noch minderjährig sind und im gemeinsamen Haushalt mit deren Mutter, der Ehegattin des BF, XXXX , geb. XXXX , wohnen, lebt in Österreich.

1.4. Der BF lebt seit 2018 von seiner Ehefrau getrennt, hält jedoch Kontakt zu seinen Kindern.

1.5. Beginnend mit 29.03.2010 ging der BF immer wieder – unterbrochen durch Zeiten des Bezuges von Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung – Erwerbstätigkeiten in Österreich nach. Derzeit ist der BF (seit 01.06.2020) bei der XXXX , in XXXX als Arbeiter unselbstständig erwerbstätig.

1.6. Der Bestand familiärer Bezugspunkte in BuH konnte nicht festgestellt werden. Jedoch reiste der BF bis 2017 wiederholt in seinen Herkunftsstaat, um Freunde zu besuchen.

1.7. Der BF weist folgende Verurteilungen in Österreich auf:

1.       LG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2005, RK XXXX .2005, wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung gemäß § 88/1 StGB, zu einer Geldstrafe von 50 Tagsätzen zu je EUR 5 (= EUR 250,-)

Der BF wurde darin für schuldig befunden, er habe am XXXX .2003 in XXXX , den K.R. dadurch, dass er diesem im Zuge eines Streites anschütten wollte, ihm allerdings das Glas aus der Hand entglitt, im Halsbereich des Genannten auftraf und zerbrach, dadurch fahrlässig am Körper verletzt (Rissquetschwunde und Schnittwunde im Halsbereich hinter dem Ohr und Abschürfung am linken Ohr mit blutender Verletzung).

Als mildernd wurde dabei die teilweise geständige Verantwortung, die Alkoholisierung sowie der bisher ordentliche Lebenswandel gewertet.

2.       LG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2010, RK XXXX .2010, wegen des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung gemäß § 107 b/1 StGB, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 5 Monaten.

3.       LG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2011, RK XXXX .2011, wegen der Vergehen der Sachbeschädigung gemäß § 125 StGB und der gefährlichen Drohung gemäß § 107 (1) StGB, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 5 Monaten.

Darin wurde dem BF angelastet, er habe am XXXX .2011, in XXXX

a.       seine Ehefrau gefährlich mit zumindest einer Verletzung am Körper bedroht, um sie in Frucht und Unruhe zu versetzen, indem er zu ihr sagte: „Ich bringe dich um, ich schmeiße dich aus dem Fenster“, bzw. „Irgendwann werde ich dich ins Auto stecken und dann fahren wir wohin, wo ich dich umbringe.“;

b.       eine fremde bewegliche Sache beschädigt, indem er die Tür zum Kinderzimmer, in das sich E.I. mit den gemeinsamen vier Kindern geflüchtet hatte, durch Schläge oder Tritte eintrat, wobei ein Sachschaden in Höhe € 250,00 zum Nachteil des Vermieters entstanden ist.

Als mildernd wurde dabei das reumütige Geständnis, als erschwerend das Zusammentreffen von zwei Vergehen sowie zwei auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Vorstrafen gewertet.

4.       LG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2018, RK XXXX , wegen dem Vergehen der gefährlichen Drohung gemäß §§ 107 (1), 107 (2) StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten, wovon 6 Monate bedingt nachgesehen wurden.

Der BF wurde hier für schuldig befunden, er habe am XXXX .2018 in XXXX mehrere Polizeibeamte durch die wiederholt getätigte Äußerung, er werde seine Ehefrau abstechen, wobei er seine Drohung einige Male bekräftigte und bei seiner Betretung bereits ein großes Messerset im Eingangsbereich der Wohnung deponiert hatte, mit dem Tod einer Person für die die Polizeibeamten die Verantwortung tragen, bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Als mildernd wurde dabei das Tatsachengeständnis, als erschwerend die auf derselben schädlichen Neigung beruhenden Vorstrafen sowie die neuerliche Alkoholisierung zum Zeitpunkt der Straftat gewertet.

5.       LG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2019, RK XXXX .2019, wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung gemäß § 107 (1) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten.

Dem BF wurde darin angelastet, er habe in XXXX zwei Personen mit zumindest einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um diese in Furcht und Unruhe zu versetzen und zwar

a.       am XXXX .2018 B.S., indem er ihm gegenüber telefonisch äußerte: „Ich ficke deine Mutter, bringe dich um und stecke dich auf meinen Schwanz.“

b.       am XXXX .2019 V.S., indem er ihm gegenüber sinngemäß äußerte, dass er Kickboxer sei und ihn zusammenschlagen werde.

Als mildernd wurde dabei das teilweise Geständnis, als erschwerend das Zusammentreffen von zwei Vergehen, drei einschlägige Vorverurteilungen, die Tatbegehung innerhalb offener Probezeit und im raschen Rückfall nach der Haftentlassung am XXXX .2018, gewertet.

6.       LG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2019, RK XXXX .2019, wegen der Vergehen der Körperverletzung gemäß § 83 (1) StGB und der gefährlichen Drohung gemäß §§ 107 (1), 107 (2) StGB, zu einer Zusatz-Freiheitsstrafe von 2 Monaten, in Bezug auf LG XXXX , Zl. XXXX .

Der BF wurde für darin schuldig befunden, er habe

a.       am XXXX .209 in XXXX mittelbar seine Ehefrau E.I. mit dem Tod gefährlich zu bedrohen versucht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er gegenüber einer Sozialarbeiterin äußerte: „Ich schwöre bei Gott ich bringe sie um, es gibt Pistolen, es gibt Messer, wenn ich das nicht hier kann, dann in Bosnien, da gibt es andere Gesetze, ich weiß wo sie wohnt, ich kann eine Leiter zum Fenster stellen.“, wobei es beim Versuch blieb, da die in der Nähe des Tatorts anwesende E.I. die Drohungen hörte und diese von D.M. auch nicht weitergeleitet wurde;

b.       am XXXX .2019 in XXXX mit einem Mittäter, im bewussten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter J.T. vorsätzlich am Körper leicht verletzt, indem sie ihm Schläge versetzten, wodurch das Opfer eine Platzwunde im Bereich der Stirn erlitt.

Als mildernd wurde dabei das teilweise Geständnis, als erschwerend vier einschlägige Vorstrafen, dass Zusammentreffen von zwei Vergehen sowie die Tatbegehung währen offener Probezeit, gewertet.

Zudem weist der BF zwei bereits getilgte Verurteilungen aus den Jahren 1996 (wegen § 223/2 StGB, zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 2 Wochen) und 1999 (Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 StGB, zu einer Geldstrafe von 240 Tagsätzen zu je ATS 100,00)

Es wird festgestellt, dass der BF die beschriebenen Straftaten begangen hat.

1.8. Der BF wurde von XXXX .2018 bis XXXX .2018 und von XXXX .2019 bis XXXX .2020 in Justizanstalten in Österreich angehalten.

1.9. Der BF neigt unter Alkoholeinfluss zur Gewalt, zeigt sich jedoch diesbezüglich therapiebereit.

1.10. Darüber hinaus liegen dem BF insgesamt 25 Verwaltungsstrafen zur Last.

1.11. BuH gilt als sicherer Herkunftsstaat.

2. Beweiswürdigung

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

2.2.1. Die Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister förderte die Anhaltungen des BF in Justizanstalten zu Tage. Die Abfrage im Zentralen Fremdenregister ergab den Besitz der oben genannten Aufenthaltstitel samt dem gestellten Verlängerungsantrag.

Der getrennte Wohnsitz in Bezug auf den BF und dessen Frau, der Kontakt des BF zu den gemeinsamen Kindern, sowie die gemeinsame Haushaltsführung von BF, dessen Ehefrau und drei gemeinsamer minderjähriger Kinder beruhen auf den Angaben des BF vor der belangten Behörde sowie jenen seiner Ehefrau, welche als Zeugin vor dem BFA einvernommen wurde.

Die Deutschkenntnisse erschließen sich aus den Umständen, dass sich der BF bereits seit dem Jahr 1994 in Österreich aufhält, sowie, dass die Einvernahmen des BF vor dem BFA in deutscher Sprache erfolgten und er diesen ohne Probleme folgen konnte.

Die Erwerbstätigkeiten des BF samt der aktuellen Beschäftigung sowie der wiederholte Bezug von Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung, beruhen auf dem Inhalt des auf seinen Namen lautenden Sozialversicherungsauszuges.

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF in Österreich, samt den näheren Ausführungen dazu sowie die Feststellung, dass der BF die besagten Straftaten begangen hat, folgen dem Amtswissen des Verwaltungsgerichtes durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich sowie auf Ausfertigungen der oben zitierten – näher ausgeführten – Strafurteile.

Die mittlerweile getilgten Verurteilungen wiederum beruhen auf einer dokumentierten Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 19.02.2000 (siehe Ordner 1 AS 29) sowie einer Ausfertigung des Urteils aus dem Jahr 1999 (siehe Ordner 1 AS 19).

Die ausgesprochenen Verwaltungsstrafen des BF ergeben sich aus einer Bestätigung der LPD XXXX , vom 02.09.2019 (siehe Ordner 2 AS 287f).

Die Nichtfeststellbarkeit von familiären Bezügen im Herkunftsstaat folgt den widerspruchsfrei gebliebenen Angaben des BF vor der belangten Behörde und der gegenständlichen Beschwerde, welche zudem durch die Angaben der Ehefrau des BF bestätigt wurden. So brachte der BF wiederholt vor, über keine familiären Anknüpfungspunkte in BuH mehr zu verfügen und verwies dazu auf die Anwesenheit seiner Angehörigen in Österreich, zudem bestätigte die Ehefrau des BF dies insofern, als sie vorbrachte, dass die gesamte Familie des BF sich in Österreich aufhalte.

Die Feststellung, dass BuH als sicherer Herkunftsstaat gilt beruht auf § 1 Z 1 HStV.

Die alkoholbedingte Neigung zu Aggressionen beruht auf den Angaben des BF sowie seiner Frau vor der belangten Behörde und erschließt sich die diesbezügliche Therapiebereitschaft des BF ebenfalls aus seinen konkreten Angaben vor der belangten Behörde, welche durch den Sozialen Dienst der JA XXXX insofern bekräftigt wurden, als dieser die Bereitschaft des BF zur Absolvierung einer Therapie bestätigte (siehe Ordner 2 AS 203).

Die sonstigen oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Feststellungen im angefochtenen Bescheid, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

2.2.2. Wie die weiderholte Einvernahme des BF sowie das diesem zudem schriftlich eingeräumte Parteiengehör zeigen, wurde ihm hinreichend die Möglichkeit geboten, sich zur Sache zu äußern und eine Stellungnahme abzugeben, wovon der BF auch Gebrauch gemacht hat.

Vor diesem Hintergrund lässt sich ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren nicht feststellten, insbesondere deshalb, weil der BF in der gegenständlichen Beschwerde keinen neuen relevanten Sachverhalt – substantiiert – vorgebracht hat.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:

3.1.1. Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, jemand der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt, und gemäß Abs. 4 Z 10 leg cit, ein Fremder der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist als Drittstaatsangehöriger.

Der BF ist aufgrund seiner bosnischen Staatsangehörigkeit Drittstaatsangehöriger iSd. § 4 Abs. 4 Z 10 FPG.

3.1.2. Der mit „Rückkehrentscheidung“ betitelte § 52 FPG lautet wie folgt:

„§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1.       nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2.       nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1.       dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2.       dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3.       ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4.       ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1.       nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,

1a.      nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Einreisetitels entgegengestanden wäre oder eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist,

2.       ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

3.       ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

4.       der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

5.       das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Liegt ein Fall des § 55a vor, so wird die Rückkehrentscheidung mit dem Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise durchsetzbar. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.

(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.“

Der mit „Einreiseverbot“ betitelte § 53 FPG lautet:

„§ 53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

(Anm.: Abs. 1a aufgehoben durch BGBl. I Nr. 68/2013)

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige

1.       wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, iVm § 26 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997, gemäß § 99 Abs. 1, 1 a, 1 b oder 2 StVO, gemäß § 37 Abs. 3 oder 4 FSG, gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§ 81 oder 82 des SPG, gemäß den §§ 9 oder 14 iVm § 19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl. Nr. 98, oder wegen einer Übertretung des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;

2.       wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens 1 000 Euro oder primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde;

3.       wegen einer Übertretung dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist, sofern es sich dabei nicht um eine in Abs. 3 genannte Übertretung handelt;

4.       wegen vorsätzlich begangener Finanzvergehen oder wegen vorsätzlich begangener Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften rechtskräftig bestraft worden ist;

5.       wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft worden ist;

6.       den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag;

7.       bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige hätte nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Drittstaatsangehörige betreten wurde, wäre keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen;

8.       eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt hat oder

9.       an Kindes statt angenommen wurde und die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, der Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt oder die Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, er jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht hat.

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

1.       ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.       ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;

3.       ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;

4.       ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;

5.       ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

6.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB);

7.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet;

8.       ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt oder

9.       der Drittstaatsangehörige ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt.

(4) Die Frist des Einreiseverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.

(5) Eine gemäß Abs. 3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. § 73 StGB gilt.

(6) Einer Verurteilung nach Abs. 3 Z 1, 2 und 5 ist eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht.“

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA VG lautet wie folgt:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

Der mit „Gültigkeitsdauer von Aufenthaltstiteln“ betitelte § 20 NAG lautet:

„§ 20. (1) Befristete Aufenthaltstitel sind für die Dauer von zwölf Monaten oder für die in diesem Bundesgesetz bestimmte längere Dauer auszustellen, es sei denn, es wurde jeweils eine kürzere Dauer des Aufenthaltstitels beantragt oder das Reisedokument weist nicht die entsprechende Gültigkeitsdauer auf.

(1a) Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 sind für die Dauer von drei Jahren auszustellen, wenn der Fremde
1.         das Modul 1 der Integrationsvereinbarung (§ 9 IntG) erfüllt hat und
2.         in den letzten zwei Jahren durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war,

es sei denn, es wurde eine kürzere Dauer des Aufenthaltstitels beantragt oder das Reisedokument weist nicht die entsprechende Gültigkeitsdauer auf.

(2) Die Gültigkeitsdauer eines Aufenthaltstitels beginnt mit dem Ausstellungsdatum, die Gültigkeitsdauer eines verlängerten Aufenthaltstitels mit dem auf den letzten Tag des letzten Aufenthaltstitels folgenden Tag, wenn seither nicht mehr als sechs Monate vergangen sind. Der rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet im Zeitraum zwischen Ablauf des letzten Aufenthaltstitels und Beginn der Gültigkeitsdauer des verlängerten Aufenthaltstitels ist gleichzeitig mit dessen Erteilung von Amts wegen gebührenfrei mit Bescheid festzustellen.

(3) Inhaber eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt – EU“ (§ 45) sind in Österreich unbeschadet der befristeten Gültigkeitsdauer des diesen Aufenthaltstiteln entsprechenden Dokuments unbefristet niedergelassen. Dieses Dokument ist für einen Zeitraum von fünf Jahren auszustellen und, soweit keine Maßnahmen nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 durchsetzbar sind, abweichend von § 24 auch nach Ablauf auf Antrag zu verlängern.

(4) Ein Aufenthaltstitel nach Abs. 3 erlischt, wenn sich der Fremde länger als zwölf aufeinander folgende Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufhält. Aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen, wie einer schwerwiegenden Erkrankung, der Erfüllung einer sozialen Verpflichtung oder der Leistung eines der allgemeinen Wehrpflicht oder dem Zivildienst vergleichbaren Dienstes, kann sich der Fremde bis zu 24 Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufhalten, wenn er dies der Behörde vorher mitgeteilt hat. Liegt ein berechtigtes Interesse des Fremden vor, hat die Behörde auf Antrag festzustellen, dass der Aufenthaltstitel nicht erloschen ist. Der Nachweis des Aufenthalts im EWR-Gebiet obliegt dem Fremden.

(4a) Abweichend von Abs. 4 erster Satz erlischt der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“, der einem Inhaber eines Aufenthaltstitels „Blaue Karte EU“ oder dessen Familienangehörigen erteilt wurde erst, wenn sich der Fremde länger als 24 aufeinander folgende Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufhält.

(5) Abs. 4 gilt nicht für Inhaber eines Aufenthaltstitels Daueraufenthalt – EU, wenn

1.       sein Ehegatte, eingetragener Partner oder Elternteil Österreicher ist, der in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen Gebietskörperschaft steht und dessen Dienstort im Ausland liegt, oder

2.       sein Ehegatte, eingetragener Partner oder Elternteil Österreicher ist, der in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen Körperschaft öffentlichen Rechts steht und dessen Dienstort im Ausland liegt, soweit die Tätigkeit dieser Körperschaft im Ausland im Interesse der Republik liegt und

er die beabsichtigte Aufgabe der Niederlassung (§ 2 Abs. 2) der Behörde vorher mitgeteilt hat. Das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Z 1 oder 2 hat der Fremde nachzuweisen. Der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ ist auch nach Aufgabe der Niederlassung auf Antrag zu verlängern.“

„Personen, die über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügen, kommt nach § 20 Abs. 3 NAG 2005 in Österreich - unbeschadet der befristeten Gültigkeitsdauer des diesem Aufenthaltstitel entsprechenden Dokumentes - ein unbefristetes Niederlassungsrecht zu (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/22/0024). Die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung ist in diesem Fall am Maßstab des § 52 Abs. 5 FrPolG 2005 zu prüfen, wobei sich Einschränkungen der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung auch noch aus § 9 BFA-VG 2014 ergeben.“ (vgl. VwGH 29,05,2018, Ra 2018/21/0067)

3.1.3.  Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:

Gemäß § 31 Abs. 1 Z 2 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind.

Der BF ist im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt EU“ und hält sich somit rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Das Bundesamt hat die Rückkehrentscheidung daher dem Grunde nach zu Recht auf § 52 Abs. 5 FPG gestützt.

Der BF fällt nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.

3.1.4. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihres Briefverkehrs.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit ein Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, wie sie eine Ausweisung eines Fremden darstellt, kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die Ausweisung einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt:

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer „Familie“ voraussetzt. Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern bzw. von verheirateten Ehegatten, sondern auch andere nahe verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine hinreichende Intensität für die Annahme einer familiären Beziehung iSd. Art. 8 EMRK erreichen. Der EGMR unterscheidet in seiner Rechtsprechung nicht zwischen einer ehelichen Familie (sog. „legitimate family“ bzw. „famille légitime“) oder einer unehelichen Familie („illegitimate family“ bzw. „famille naturelle“), sondern stellt auf das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens ab (siehe EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 454; 18.12.1986, Johnston u.a., EuGRZ 1987, 313; 26.05.1994, Keegan, EuGRZ 1995, 113; 12.07.2001 [GK], K. u. T., Zl. 25702/94; 20.01.2009, ?erife Yi?it, Zl. 03976/05). Als Kriterien für die Beurteilung, ob eine Beziehung im Einzelfall einem Familienleben iSd. Art. 8 EMRK entspricht, kommen tatsächliche Anhaltspunkte in Frage, wie etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Art und die Dauer der Beziehung sowie das Interesse und die Bindung der Partner aneinander, etwa durch gemeinsame Kinder, oder andere Umstände, wie etwa die Gewährung von Unterhaltsleistungen (EGMR 22.04.1997, X., Y. und Z., Zl. 21830/93; 22.12.2004, Merger u. Cros, Zl. 68864/01). So verlangt der EGMR auch das Vorliegen besonderer Elemente der Abhängigkeit, die über die übliche emotionale Bindung hinausgeht (siehe Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 [2008] 197 ff.). In der bisherigen Spruchpraxis des EGMR wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Europäischen Kommission für Menschenrechte auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Das Zusammenleben und die Bindung von Partnern, die auf einer gleichgeschlechtlichen Beziehung beruhen, fallen jedoch nicht unter den Begriff des Familienlebens iSd. Art. 8 EMRK (EGMR 10.05.2001, Mata Estevez, Zl. 56501/00).

Wie der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche – in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte – Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

?        die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),

?        das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),

?        die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

?        den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),

?        die Bindungen zum Heimatstaat,

?        die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie

?        auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09).

Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u.a., Zl. 26940/10).

„Es trifft zu, dass bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist und grundsätzlich nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, eine Aufenthaltsbeendigung ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen werden kann (vgl. etwa VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0340, mwN). Diese zu mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalten entwickelte Judikatur wurde vom VwGH - bei stärkerem Integrationserfolg - auch auf Fälle übertragen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag (vgl. VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0132, mwN). Diese Rechtsprechungslinie betraf aber nur Konstellationen, in denen der Inlandsaufenthalt bereits über zehn Jahre dauerte und sich aus dem Verhalten des Fremden - abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich - sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab (VwGH 25.4.2014, Ro 2014/21/0054; 10.11.2015, Ro 2015/19/0001).“ (VwGH 10.09.2018, Ra 2018/19/0169)

„Die "Zehn-Jahres-Grenze" spielt in der Judikatur des VwGH nur dann eine Rolle, wenn einem Fremden, kein - massives - strafrechtliches Fehlverhalten vorzuwerfen ist (vgl E 26. März 2015, 2013/22/0303). In Fällen gravierender Kriminalität und daraus ableitbarer hoher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit stand die Zulässigkeit der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auch gegen langjährig in Österreich befindliche Ehegatten von österreichischen Staatsbürgern nie in Frage (vgl. E 2. August 2013, 2012/21/0262).“ (VwGH 03.09.2015, Ra 2015/21/0121)

„Im Falle der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, wenn diese (auch) wegen strafrechtlichen Fehlverhaltens verhängt werden, bedarf es vor allem im Rahmen der zu treffenden Gefährlichkeitsprognose einer näheren Auseinandersetzung mit diesem strafrechtlichen Fehlverhalten im Einzelnen (Hinweis E 19. Mai 2015, Ra 2014/21/0057).“ (VwGH 03.09.2015, Ra 2015/21/0121)

„Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei kann zur Begründung einer Gefährdung auch das einer bereits getilgten Verurteilung zugrunde liegende Verhalten herangezogen werden (Hinweis E 22. Mai 2013, 2013/18/0074).“ (VwGH 20.08.2013, 2013/22/0113)

„Gemäß § 52 Abs. 5 FrPolG 2005 ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen bestimmte Drittstaatsangehörige nur dann zulässig, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FrPolG 2005 die Annahme rechtfertigen, dass der weitere Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt. Bei der Prüfung, ob die Annahme einer solchen Gefährdung gerechtfertigt ist, muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden (vgl. VwGH 22.3.2018, Ra 2017/22/0194). Dabei ist auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme (hier: eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit) gerechtfertigt ist (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289). Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109; 31.8.2017, Ra 2017/21/0120).“ (vgl. VwGH 21.06.2018, Ra 2016/22/0101)

Zudem gilt es festzuhalten, dass die fremdenpolizeilichen Beurteilungen eigenständig und unabhängig von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen sind (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096) und es bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes/Einreiseverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung geht. (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nehmen die persönlichen Interessen des Fremden an seinem Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer seines bisherigen Aufenthalts zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist jedoch nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (vgl. VwGH 10.11.2015, Ro 2015/19/0001 und VwGH 08.11.2018, Ro 2016/22/0120).

3.1.5. Der BF kam im Jahr 1994 nach Österreich und hält sich seither sohin seit nunmehr 26 Jahren durchgehend und rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Der BF ging wiederholt Erwerbstätigkeiten in Österreich nach und hält sich seine gesamte Familie, insbesondere seine teils noch minderjährigen Kinder im Bundesgebiet auf. Familiäre Bezüge zu seinem Herkunftsstaat bestehen keine mehr und liegt der Lebensmittelpunkt des BF in Österreich.

Der BF wurde jedoch unbestritten zuletzt wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung und Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt von 10 Monaten verurteilt.

Zudem weist der BF 4 einschlägige Vorverurteilungen, zwei bereits getilgte Verurteilungen wegen Urkundenfälschung und 25 Verwaltungsstrafen auf.

Das vom BF gezeigte Verhalten lässt insbesondere eine gewisse Neigung zur Gewalt bzw. eine herabgesetzte Frustrationstoleranz sowie eine mangelhafte Verbundenheit zu gültigen Normen erkennen. So hat er wiederholt anderen Personen teils mit deren Ermordung gedroht und Gewalt gegen seine Frau geübt. Erschwerend wirkt dabei, dass der BF sich trotz wiederholt erfahrener strafgerichtlicher Sanktionen nicht vor erneuten Straftaten abhalten ließ. Es steht sohin außer Zweifel, dass das von ihm gezeigte Verhalten nicht tolerierbar ist und eine schwerwiegende Beeinträchtigung öffentlicher Interessen darstellt.

So hat der VwGH wiederholt festgehalten, dass ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung von Eigentums- und Gewaltdelikten vorherrscht (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474).

Im gegenständlichen Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass der BF zwar wiederholt, jedoch immer nur wegen Vergehen und zu teils bedingten Geld- und/oder kurzen Freiheitsstrafen verurteilt wurde. Die aktuelle Verurteilung zu insgesamt 10 Monaten erweist sich als die bisher längste Freiheitsstrafe. Ferner hat der BF nunmehr zum ersten Mal eine mehrmonatige Freiheitsstrafe von XXXX .2019 bis XXXX .2020 verbüßt, zeigte sich aktuell reuig und hinsichtlich seiner Alkoholproblematik, welche nach Angaben des BF und seiner Frau der Hauptgrund für seine Straftaten ist, einsichtig und therapiebereit.

Das Verwaltungsgericht verkennt nicht, dass an der Verhinderung von Straftaten, insbesondere Gewaltdelikten, ein großes öffentliches Interesse vorherrscht und das vom BF wiederholt gezeigte Verhalten eine schwerwiegende Beeinträchtigung öffentlicher Interessen bewirkt hat. Jedoch haben auch die vom BF gesetzten Integrationsschritte, wie Erwerbstätigkeiten und Deutschkenntnisse, während seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich, seine familiären Bezugspunkte im Bundesgebiet und das Fehlen solcher im Herkunftsstaat, aber auch die erkennbaren positiven, sich in seiner geäußerten Reue und Therapiebereitschaft gezeigten Entwicklungstendenzen Eingang in die anzustrengende Abwägung iSd. § 9 BFA-VG iVm. Art 8 EMRK zu finden.

Nach Beurteilung aller für und wider den BF sprechenden Momente und erfolgter Abwägung der sich wiederstreitenden öffentlichen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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