TE OGH 2020/7/14 20Ds4/20y

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Veröffentlicht am 14.07.2020
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Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 14. Juli 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Rothner und Dr. Hofer als Anwaltsrichter in Gegenwart von Richteramtsanwärterin Mag. Part als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Oberösterreich vom 23. September 2019, AZ D 37/18 (12 DV 12/19), TZ 52, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur Generalanwalt Mag. Höpler, des Kammeranwalts Mag. Kammler und der Verteidigerin des Disziplinarbeschuldigten, Mag. Locher, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch – prozessual verfehlte (Lendl, WK-StPO § 259 Rz 1; Ratz, WK-StPO § 281 Rn 521 ff, 563, RIS-Justiz RS0120532) – Teilfreisprüche von ähnlichen Vorwürfen hinsichtlich anderer Teile des selben Schriftsatzes enthaltenden Erkenntnis wurde Rechtsanwalt ***** des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 2. Fall DSt schuldig erkannt, und dafür – unter Bedachtnahme auf das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer W***** vom 13. Oktober 2017, AZ D 131/14 (DV 12/15) – in Form einer Zusatzstrafe zu einer Geldbuße von weiteren 2.500 Euro verurteilt.

Danach hat er in seinem gegen den Vorsitzenden des Disziplinarrats gerichteten Ablehnungsantrag vom 13. Oktober 2017 im gegen ihn geführten Disziplinarverfahren des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer W*****, D 131/14 (DV 12/15), folgende Ehre und Ansehen des Standes beeinträchtigende Aussagen getätigt:

a. Dass der Senat bisher nicht zu dem bedingt durch die Beweislage zwingend gebotenen freisprechenden Erkenntnis gelangte, liegt an der nahezu pathologischen Voreingenommenheit (…) des abgelehnten Richters.

b. Der abgelehnte Richter hegt irrationale Ressentiments gegen mich, die er nicht zu beherrschen vermag.

c. Dem abgelehnten Richter war es auch nicht möglich, seine Ressentiments zu verbergen. Der abgelehnte Richter hatte weder diese noch sich selbst im Griff.

d. Der abgelehnte Richter lässt sich von niedrigen Beweggründen leiten. Die Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit, (...), tritt angesichts seiner Voreingenommenheit in den Hintergrund.

e. Seine Feindseligkeit beherrscht ihn so, dass es ihm nicht einmal möglich ist, seine menschlichen und neurologischen Defizite zu kaschieren. Er bricht in von ihm nicht mehr zu kontrollierende Zustände aus, (…).

f. Vielmehr fehlt ihm die menschliche Größe, ein derart verantwortungsvolles Amt frei von menschlichen Untiefen auszuüben.

Rechtliche Beurteilung

Gegen das verurteilende Erkenntnis richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen des Ausspruchs über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen im Rahmen der Schuldberufung vgl RIS-Justiz RS0128656) und über die Strafe. Der Kammeranwalt der Rechtsanwaltskammer Oberösterreich hat eine Gegenausführung erstattet mit dem Antrag, der Berufung nicht Folge zu geben.

Der Behandlung der Berufung sind folgende Erwägungen voranzustellen:

Nach Art 10 Abs 1 MRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Vom Schutzumfang dieser Bestimmung, die das Recht der Meinung und der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden einschließt, werden sowohl reine Meinungskundgaben als auch Tatsachenäußerungen erfasst (VfGH Slg 18.001, 18.327). Das Recht zur freien Meinungsäußerung gilt selbstverständlich – wie im gegenständlichen Fall – auch für Ablehnungsanträge sowohl in fremder Sache (diesbezüglich auch noch besonders hervorgehoben durch § 9 Abs 1 RAO) als auch in eigener Sache.

Ablehnungsanträge zeichnen sich in diesem Zusammenhang dadurch aus, dass bei ihnen der bloße Hinweis auf eine fehlerhafte Vorgangsweise oder die Unrichtigkeit eines Verhaltens nicht ausreichen kann, um Erfolg zu haben. Es kann vielmehr erforderlich sein, den Richter persönlich treffende Umstände darzutun, die maßgebliche Zweifel an dessen Unbefangenheit aufzeigen.

Die Rechtsprechung in Disziplinarsachen hat dazu in der Vergangenheit die Meinung vertreten, dass Darstellung dieser Gründe oftmals an die Grenze des Zulässigen gehen müsse. Im Interesse des Mandanten (wiederum § 9 Abs 1 RAO) kann der Anwalt sogar den Vorwurf amtsmissbräuchlichen Verhaltens äußern, wenn es Verdachtsmomente in dieser Richtung gibt (VfGH Slg 18.327). Die Beurteilung einer Äußerung in dieser Richtung als strafbares Disziplinarvergehen ist daher nur mit besonderer Zurückhaltung vorzunehmen (VfGH Slg 13.122; 14.006; 18.327), und darf nicht im Ergebnis zu einer Beschränkung des Ablehnungsrechts führen (Lehner in Engelhart et al, RAO10 § 9 Rz 16 mwN; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 124 f; RIS-Justiz RS0046059; RS0107020).

Art 10 Abs 2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, dass die Ausübung der Meinungsfreiheit auch Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Einschränkungen und von Strafdrohungen vor, wenn sie im Sinne einer demokratischen Gesellschaft unter anderem zum Schutz des guten Rufes und der Rechte anderer oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind. Standesrechtlich vorgesehene Disziplinarmaßnahmen sind daher bei bestimmten Meinungsäußerungen zulässig (VfGH B 1359/12, Slg 18.001; im Zusammenhang mit § 21 RL-BA 1977: 29 Os 1/14k). Die Grenzen der Meinungsfreiheit sind in diesem Zusammenhang dann überschritten, wenn die Äußerung unter dem Gesichtspunkt des Sachlichkeitsgebots schon per se nicht geeignet ist, ihrem Zweck zu dienen. Deshalb sind eine pauschalierende Polemik sowie beleidigende und unsachliche Äußerungen ungeeignet, dem (berechtigten) Anliegen der Rechtsverfolgung zum Durchbruch zu verhelfen. Auch unsachliche Äußerungen, die darauf abzielen, den Adressaten herabzusetzen oder lächerlich zu machen, verfehlen das berechtigte Ziel der Rechtsverfolgung. Das gleiche gilt für Äußerungen, die von persönlicher Animosität geprägt sind und regelmäßig inhaltlich nichts für den vertretenen Standpunkt beitragen (Lehner in Engelhart et al, RAO10 § 9 Rz 16; RIS-Justiz RS0046059; RS0071963; RS0072230).

Anliegen sollen demnach emotionsfrei (sine ira et studio) und mit sachorientierten Argumenten vorgetragen werden. Schließlich ist von einem Anwalt wegen seiner Bildung und vor allem wegen seiner Tätigkeit in der Rechtspflege zu verlangen, dass er sich eines sachlichen und korrekten Tons auch wirklich bedient sowie beleidigende, ins Persönliche gehende und unsachliche polemische Äußerungen unterlässt. Das gilt selbstverständlich auch für Ablehnungsanträge.

Vor dieser Rechtslage erweisen sich die vom Beschuldigten in seiner Rechtsrüge (Z 9 lit a) vorgebrachten Ausführungen, dass er sich der „rechtsirrigen Ansicht“ des Disziplinarrats „nicht anschließen könne“, weil dieser rechtlich falsch liege, wenn er die im Schuldspruch getätigten Äußerungen nicht durch Art 10 EMRK gedeckt erachte, als substratlos. Angemerkt sei, dass die Mehrzahl der Äußerungen im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit als Gesamtkomplex zu sehen sind, ohne dass jede einzelne isoliert auf Tatbestandsmäßigkeit zu prüfen wäre (vgl RIS-Justiz RS0092588 [insbes T33, T35, T39]; jüngst 11 Os 115/19z).

Nicht nachvollziehbar ist es, wenn der Berufungswerber – gleichsam zum Beweis der sachlichen Rechtfertigung – erklärt, er habe sein Ziel letztlich durch den „Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 3. September 2018“ [26 Ns 1/18y – Delegierung des gegenständichen Disziplinarverfahrens von der Rechtsanwaltskammer W***** an die Rechtsanwaltskammer O*****] erreicht. Abgesehen davon, dass der diesbezügliche Delegierungsantrag vom Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer W***** selbst gestellt wurde, handelt es sich nicht um eine Entscheidung, die das Verfahren D 131/14, sondern die ihm im gegenständlichen Verfahren vorgeworfenen Äußerungen betraf.

Mit der Verfahrensrüge (Z 4) glaubt der Beschuldigte, seine Verteidigungsrechte durch Abweisung seines Antrags auf „Beischaffung der beantragten Akten“ (gemeint offensichtlich D 17/16 und D 80/17, je des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer W*****; TZ 51 S 3) verletzt. Die Abweisung erfolgte jedoch zu Recht (TZ 51 S 4), weil der Disziplinarrat ohnedies von einer für den Beschuldigten (der im Verfahren D 17/16 als Zeuge vor dem Disziplinarrat unter dem Vorsitz des Rechtsanwalts vernommen wurde, dessen damaliges Verhalten vom Rechtsmittelwerber in seinem – späteren, damit gar nicht zusammenhängenden – eigenen Verfahren D 131/14 zur Grundlage der Ablehnung genommen wurde) als provokant empfundenen Situation bei der Vernehmung ausging (§ 55 Abs 2 Z 3 StPO). Den in der Verfahrensrüge ausschließlich thematisierten Akten D 17/16 kam daher mangels eines im Gesetz vorgesehenen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrundes für sachlich nicht gerechtfertigte, persönlich beleidigende, verunglimpfende und damit die zulässigen Grenzen der freien Meinungsäußerung überschreitende Ausführungen im Ablehnungsantrag keine Relevanz für die Lösung der Schuld- oder Subsumtionsfrage zu. Sie betrifft nur die Ermessensentscheidung bei der Strafausmessung, die aber nicht mit Nichtigkeit geschützt ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 321 f).

Die Strafberufung ist gleichfalls nicht im Recht.

Zwar wurde die Vorstrafe aus dem Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer W***** vom 26. Februar 2010 zu Unrecht als erschwerend herangezogen. Für diese Strafe (vgl Blg ./9 und ./10) war nämlich die Tilgungsfrist nach § 74 DSt zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits abgelaufen. Getilgte Verurteilungen dürfen aber bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt werden (Lehner in Engelhart et al, RAO10 § 73 Rz 3 mwN). Der somit anzuwendende Milderungsgrund des bisher ordentlichen Wandels (zusammen mit der bereits vom Disziplinarrat veranschlagten langen Verfahrensdauer) ändert aber nichts an der Angemessenheit der Strafhöhe. Bei den beiden in Realkonkurrenz stehenden strafbaren Handlungen hat der Disziplinarrat angesichts des Strafrahmens von bis zu 45.000 Euro mit einer Gesamtstrafe von 3.500 Euro kaum die Untergrenze des Tatschuldgehalts erreicht. Selbst die in erster Instanz zugebilligte subjektive Empfindung des Beschuldigten, durch den Vorsitzenden des Disziplinarrats anlässlich einer Zeugenvernehmung provoziert worden zu sein (wobei jener sogar nach eigenem Vorbringen [Ablehnungsantrag Blg ./1 S 4] hart an die Grenzen der Höflichkeit ging [Aufforderung an den Vorsitzenden, „mit dem Zappeln der Beine aufzuhören“]), lassen die grob unsachliche, einem Anwalt unwürdige Wortwahl nicht in einem milderen Licht erscheinen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

Textnummer

E128671

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0200DS00004.20Y.0714.000

Im RIS seit

29.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

30.12.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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