TE OGH 2020/5/26 2Ob46/20h

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Veröffentlicht am 26.05.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am ***** 2017 verstorbenen G***** F*****, zuletzt *****, über den Revisionsrekurs der Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 19. Februar 2020, GZ 23 R 53/20x-20, womit infolge Rekurses der Republik Österreich der Beschluss des Bezirksgerichts Neulengbach vom 31. Dezember 2019, GZ 1 A 153/17y-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die Erblasserin, für die ein Sachwalter bestellt war, verstarb am ***** 2017, ohne eine letztwillige Verfügung zu hinterlassen. Nachdem der Gerichtskommissär keine gesetzlichen Erben ermitteln konnte, und auch die Aufforderung an unbekannte Erben durch öffentliche Bekanntmachung (§ 158 AußStrG) erfolglos blieb, errichtete der Gerichtskommissär von Amts wegen ein Inventar, das Nachlassaktiva von 42.191,29 EUR und Nachlasspassiva von 2.822,34 EUR, sohin einen rechnerischen Reinnachlass von 39.368,95 EUR auswies. Als Aktivum war auch eine Forderung aus dem Verkauf von zwei Eigentumswohnungen in Ungarn in Höhe von (umgerechnet) 2.433,94 EUR enthalten. Die übrigen Aktiva bestanden aus Guthaben bei Banken, einer Versicherung und dem Pflegeheim, in dem die Erblasserin zuletzt gewohnt hatte. Der Gerichtskommissär informierte darüber die Finanzprokuratur unter Hinweis darauf, dass die im Inventar enthaltene Forderung aus dem Verkauf der Eigentumswohnungen zwar als Aktivum angeführt worden sei, da sie laut Beschluss des Pflegschaftsgerichts über den Schlussbericht des Sachwalters Vermögensbestandteil gewesen sei. Die tatsächliche Verfügbarkeit dieses Guthabens sei jedoch fraglich. Der vormalige Sachwalter habe trotz mehrfacher Anfragen zur Klärung bisher nicht geantwortet.

Nach Einsichtnahme in den Verlassenschaftsakt beantragte die Finanzprokuratur, die Verlassenschaft gemäß § 184 AußStrG für erblos zu erklären und „das nach vollständiger Realisation und Abzug sämtlicher Passiva (inklusive Verfahrenskosten) verbleibende positive Nachlassvermögen“ der Republik Österreich zu übergeben.

Das Erstgericht erklärte den Nachlass für erblos und übergab die erblose Verlassenschaft der Republik Österreich. Dabei sprach es aus, dass zu den Nachlassaktiva auch eine Forderung aus dem Verkauf zweier Eigentumswohnungen in Ungarn in Höhe von 700.000 HF zähle und diese Forderung vom Sachwaltschaftsgericht dem Vermögen der Verstorbenen zugeordnet worden sei. Daneben bestimmte es die Gebühren des Gerichtskommissärs und ermächtigte diesen die Passiva der Verlassenschaft zu tilgen, sowie den Restbetrag der realisierten Guthaben an die Finanzprokuratur zu überweisen.

Das von der Republik Österreich angerufene Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR nicht übersteigend und ließ zunächst den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.

Es führte aus, weitere Erhebungen durch den Gerichtskommissär zur Forderung der Erblasserin aus dem Verkauf der Eigentumswohnungen in Ungarn seien nicht möglich gewesen, weil diesem der Sachwalterschaftsakt aufgrund § 141 AußStrG nicht als Informationsquelle zur Verfügung gestanden sei. Auch der vormalige Sachwalter sei wohl aufgrund dieser Bestimmung daran gehindert, Auskünfte über das Vermögen der pflegebefohlenen Person zu erteilen. Zwar wäre gemäß § 157 Abs 4 AußStrG ein Verlassenschaftskurator zu bestellen gewesen. Diesem hätten jedoch ebenfalls keine Informationen aus dem Sachwalterschaftsakt der Erblasserin über die allenfalls zu betreibende Forderung erteilt werden dürfen, sodass die Unterlassung seiner Bestellung ohne Relevanz geblieben sei. Die Bestellung eines Verlassenschaftskurators sei nicht als zwingende Voraussetzung der Übergabe an den Bund anzusehen.

Über Antrag der Revisionsrekurswerberin ließ das Rekursgericht den ordentlichen Revisionsrekurs nachträglich doch zu, weil zur Frage, ob die Bestellung eines Verlassenschaftskurators eine zwingende Voraussetzung des Übergabebeschlusses sei, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Republik Österreich mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen; hilfsweise wird beantragt, den Beschluss des Rekursgerichts aufzuheben und die Rechtssache an dieses zur allfälligen Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig. Er ist jedoch nicht berechtigt.

Die Revisionsrekurswerberin macht geltend, schon nach § 157 Abs 4 AußStrG bestehe die Pflicht des Verlassenschaftsgerichts, zur Vorbereitung des Verfahrens nach § 184 AußStrG einen Verlassenschaftskurator zu bestellen. Die Bestellung eines Verlassenschaftskurators wäre im Interesse des ruhenden Nachlasses aufgrund der aktenkundig drohenden Verjährung der Kaufpreisforderung aus dem Verkauf der Eigentumswohnungen erforderlich gewesen. Die Entscheidung des Rekursgerichts führe im Ergebnis dazu, dass der Revisionsrekurswerberin entgegen ihres ausdrücklichen Antrags ein nicht vollständig realisierter Nachlass übergeben werde, und zur Überwälzung der Aufgabe eines eigentlich zu bestellenden Verlassenschaftskurators auf die Revisionsrekurswerberin als Gesamtrechtsnachfolgerin. Entgegen der Ansicht des Rekursgerichts stehe die Bestimmung des § 141 Abs 2 Z 2 AußStrG der Einsicht in den Pflegschaftsakt durch den Gerichtskommissär nicht entgegen, weil dieser schon im Rahmen der Amtshilfe als Organ des Verlassenschaftsgerichts zur Akteneinsicht berechtigt gewesen wäre. Im Zuge der Errichtung des Inventars wären ihm daher nähere Erhebungen über die Forderungen aus dem Verkauf der Eigentumswohnungen in Ungarn möglich gewesen. Das Rekursverfahren sei mangelhaft geblieben, weil das Rekursgericht die Revisionsrekurswerberin mit seiner Ansicht, die Akteneinsicht in den Pflegschaftsakt sei nach § 141 AußStrG nicht möglich, überrascht habe.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

1. Keine Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens:

Das Unterlassen der Erörterung eines bisher unbeachtet gebliebenen rechtlichen Gesichtspunkts kann nur dann einen Verfahrensmangel begründen, wenn dadurch einer Partei die Möglichkeit genommen wurde, zur bisher unbeachtet gebliebenen Rechtslage entsprechendes Tatsachenvorbringen zu erstatten. Werden hingegen nur dieselben Tatsachen, die schon der bisher erörterten Rechtslage zugrunde lagen, rechtlich anders gewertet, liegt keine Verletzung des § 182a ZPO (hier iVm § 14 AußStrG) vor (RS0120056 [T1, T13]; vgl RS0122749). Im Revisionsrekurs wird nicht geltend gemacht, dass die Revisionsrekurswerberin zur Reichweite des § 141 Abs 2 Z 2 AußStrG idF des 2. ErwSchG, BGBl I 2017/59, bei Erörterung dieser Rechtsansicht weiteres Tatsachenvorbringen erstattet hätte. Ihre Rechtsausführungen zu dieser Frage konnte sie ohnehin in ihrem Revisionsrekurs darlegen. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens liegt daher nicht vor.

2. Ein Anspruch auf Realisierung der Forderung aus dem Verkauf der Eigentumswohnungen besteht im vorliegenden Fall nicht:

2.1 Schon nach dem Wortlaut des § 184 AußStrG und des § 750 ABGB eignet sich der Bund „die Verlassenschaft“ an, dies mit Wirkung einer Gesamtrechtsnachfolge (RS0008104 [Heimfallsrecht]). Eine Anordnung, der Finanzprokuratur den Nachlass lediglich in Form eines realisierten Geldbetrags zu übergeben, ist dem AußStrG nicht zu entnehmen.

2.2 Ein Anspruch des Bundes auf Realisierung des Nachlasses könnte lediglich insoweit bestehen, als dies zur Beurteilung erforderlich ist, ob überhaupt ein reiner Nachlass vorhanden ist (vgl 2 Ob 651/55 = RS0008110; Weiß in Klang² III 794). Dadurch soll dem Fiskus eine Entscheidung über die Aneignung des erblosen Nachlasses ermöglicht werden.

2.3 Ein solcher Fall liegt nicht vor. Denn auch ohne Berücksichtigung der Forderung aus dem Verkauf der ungarischen Eigentumswohnungen besteht bereits ein (realisierter) Reinnachlass von rund 37.000 EUR.

3. Die Bestellung eines Verlassenschaftskurators ist keine materielle Voraussetzung für die Übergabe des Nachlasses an die Finanzprokuratur:

3.1 Das Verfahren zur Übergabe des Nachlasses an die Finanzprokuratur ist in § 184 AußStrG geregelt.

Gemäß § 184 Abs 1 AußStrG ist die Verlassenschaft nach Ablauf der nach § 157 Abs 2 AußStrG gesetzten Frist und Errichtung des Inventars, soweit sie sich der Bund aneignet, auf Antrag der Finanzprokuratur zu übergeben. Auf ihren Antrag ist auch, wenn dies bisher unterblieben ist, eine Schätzung von Vermögensgegenständen vorzunehmen. Nach § 184 Abs 2 AußStrG hat der Übergabebeschluss sinngemäß die nach § 178 AußStrG erforderlichen Angaben zu enthalten. Vor Fassung dieses Beschlusses ist das Inventar jenen Personen zuzustellen, die zur Abgabe einer Erbantrittserklärung aufgefordert worden waren, aber nur einen Antrag auf Zustellung des Inventars gestellt hatten (Abs 3 leg cit).

3.2 § 157 Abs 4 AußStrG sieht vor, dass zur Vorbereitung des Verfahrens nach § 184 AußStrG ein Verlassenschaftskurator zu bestellen ist, sofern ein solcher nicht schon aus anderen Gründen bestellt wurde. Schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmung dient die Bestellung des Verlassenschaftskurators lediglich dem Zweck, die Übergabe nach § 184 AußStrG vorzubereiten. Sind dazu keine Tätigkeiten eines Kurators erforderlich, wäre eine dennoch erfolgte Bestellung zwecklos. In § 184 AußStrG selbst ist die Bestellung eines Verlassenschaftskurators auch nicht als (weitere) Voraussetzung für die Fassung des Übergabebeschlusses genannt. Anders als etwa die Errichtung des Inventars (dazu Punkt 4.2; vgl 2 Ob 81/18b) handelt es sich daher nicht um eine materielle Voraussetzung für die Übergabe, die aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung nicht beachtet worden wäre (vgl Sailer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 184 Rz 8), sondern um eine Verfahrensvorschrift.

3.3 Damit macht die Revisionsrekurswerberin eine (bloße) Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens geltend. Ob eine solche vorlag, ist im gegenständlichen Revisionsrekursverfahren jedoch nicht zu prüfen. Das Rekursgericht hat nämlich eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens durch die unterbliebene (amtswegige) Bestellung eines Verlassenschaftskurators geprüft und mangels Relevanz verneint. Ein in zweiter Instanz verneinter Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz kann keinen Revisionsrekursgrund bilden (RS0050037; RS0030748).

4. Keine Möglichkeit der Prüfung, ob die Bestellung eines Verlassenschaftskurators im Interesse des ruhenden Nachlasses trotz des bereits gefassten Übergabebeschlusses geboten war:

4.1 Wie das Erbrecht hat das Aneignungsrecht des Bundes die Wirkung der Gesamtrechtsnachfolge (siehe bereits Punkt 2.1), wovon ohnehin auch die Revisionsrekurswerberin ausgeht.

4.2 Zwar weist die Revisionsrekurswerberin zutreffend auf die Rechtsprechung hin, wonach dann, wenn die Gefahr besteht, dass ein Anspruch des ruhenden Nachlasses später nicht mehr durchgesetzt werden kann, die Bestellung eines Verlassenschaftskurators in der Regel zweckmäßig ist (2 Ob 38/19f; 2 Ob 218/15w mwN).

4.3 Im Zusammenhang mit der Einantwortung hat der Senat aber auch ausgesprochen, dass mögliche Ansprüche der Verlassenschaft, die allenfalls in einem Streitverfahren durchgesetzt werden müssen, der Einantwortung nicht entgegenstehen. Ist die Einantwortung möglich, so ist es im Regelfall nicht erforderlich, durch Bestellung eines Verlassenschaftskurators für eine Vertretung des ruhenden Nachlasses zu sorgen, es sei denn, im Einzelfall wären dringende Maßnahmen zu setzen, mit denen nicht bis zur Rechtskraft des Einantwortungsbeschlusses zugewartet werden kann (2 Ob 38/19f; 2 Ob 218/15w). Sind solche dringenden Maßnahmen erforderlich, kann daher trotz des bereits gefassten, aber noch nicht rechtskräftigen Einantwortungsbeschlusses ein Verlassenschaftskurator bestellt werden (2 Ob 218/15w).

Für die Übergabe an den Bund gilt insoweit nichts anderes. Ob aber eine solche Maßnahme von Amts wegen geboten gewesen wäre – einen entsprechenden Antrag hat die Finanzprokurator nicht gestellt – ist im Rahmen dieses Rechtsmittelverfahrens nicht überprüfbar, weil sich dessen Gegenstand auf den Übergabebeschluss beschränkt.

5. Auch allfällige Mängel des Inventars können im Rechtsmittel gegen den Übergabebeschluss nicht erstmals geltend gemacht werden:

5.1 Das Verfahren zur Errichtung des Inventars ist vom Gerichtskommissär durchzuführen (§ 1 Abs 1 Z 1 lit b GKG). Das Inventar bedarf zu seiner Feststellung keiner Annahme oder Entscheidung des Gerichts (§ 169 AußStrG). Anfechtbare Beschlüsse des Verlassenschaftsgerichts können erst aufgrund von Anträgen ergehen, die nach Errichtung des Inventars gestellt werden. Diese können nach § 166 Abs 2 AußStrG auf Aufnahme oder Ausscheidung einer Sache aus dem Inventar gerichtet sein oder auf einen Antrag nach § 7a GKG auf formale Mängel des Inventars (Substanzlosigkeit, fehlende Nachvollziehbarkeit, Missachtung der Rahmenbedingungen für die Bewertung) gestützt werden (2 Ob 64/18b; vgl RS0132172).

5.2 Ist ein Inventar zu errichten, so ist die Einantwortung erst nach dessen Vorliegen zulässig (2 Ob 183/15y; RS0130972). Gleiches gilt dann, wenn zwar ein Inventar errichtet wurde, aber danach gestellte Anträge nach § 166 Abs 2 AußStrG oder § 7a GKG noch offen sind. Denn in diesem Fall liegt noch kein (endgültiges) Inventar vor, sodass diese Voraussetzung für die Einantwortung fehlt (2 Ob 81/18b). Werden keine derartigen Anträge gestellt, kann aber in der Regel die Einantwortung erfolgen (2 Ob 99/19a; vgl 2 Ob 64/18b). Da § 184 Abs 1 AußStrG die Errichtung eines Inventars voraussetzt (§ 165 Abs 1 Z 5 AußStrG), gelten diese Grundsätze auch für die Fassung des Übergabebeschlusses.

5.3 Im gegenständlichen Verlassenschafts-verfahren hat die Finanzprokuratur nach Vorliegen des Inventars keine Anträge nach § 166 Abs 2 AußStrG gestellt. Somit lagen dem Erstgericht keine Hindernisse für die Fassung des Übergabebeschlusses vor.

5.4 Ob der Gerichtskommissär berechtigt gewesen wäre, in den Sachwalterschaftsakt Einsicht zu nehmen, kann daher dahinstehen.

6. Dem Revisionsrekurs ist ein Erfolg zu versagen.

Textnummer

E128662

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00046.20H.0526.000

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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