TE OGH 2020/4/22 5Ob28/20h

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Veröffentlicht am 22.04.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch MMag. Clemens Rainer-Theurl, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. A*****, 2. E*****, beide vertreten durch Dr. Anneliese Lindorfer, Mag. Dr. Bernhard Feichtner, Rechtsanwälte in Kitzbühel, 3. F*****, wegen Unterlassung, Einwirkung und Entfernung, über den Rekurs der erst- und zweitbeklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 15. November 2019, GZ 5 R 128/19p-30, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Kitzbühel vom 19. August 2019, GZ 2 C 949/18s-21, aus Anlass der Berufung der Klägerin hinsichtlich eines Teils des Punktes II des Begehrens für nichtig erklärt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der Nichtigerklärungs- und Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts wird aufgehoben.

Die Rechtssache wird an das Berufungsgericht zurückverwiesen und diesem die inhaltliche Entscheidung über die Berufung der Klägerin aufgetragen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist zu 11/32tel, der Erstbeklagte zu 15/32tel und die Zweitbeklagte zu 6/32tel-Anteilen schlichte Miteigentümer(in) einer Liegenschaft mit dem darauf errichteten Gebäude. Der Drittbeklagte hat mittels eines nur von den Beklagten unterschriebenen, auch namens der Klägerin verfassten Mietvertrags ehemalige Werkstättenräume im Erdgeschoss zu Lager- und Bürozwecken gemietet, er betreibt einen Altwarenhandel. Nördlich des Gebäudes befindet sich ein abgezäunter Gartenbereich. Der Drittbeklagte lagert rund um das Haus, im Garten und am Garagenvorplatz alte Möbel und Sperrmüll wie Stühle und Sessel, einen großen Heizpilz und eine Matratze.

Die Klägerin begehrte – soweit im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof noch zu prüfen – vom Erstbeklagten und der Zweitbeklagten, auf den Drittbeklagten im Rahmen des mit ihm abgeschlossenen Bestandvertrags in geeigneter Weise – allenfalls durch schriftliche Ermahnung und Androhung der Kündigung des Bestandverhältnisses – dahingehend einzuwirken, dass dieser seine Fahrnisse aus einem näher bestimmten Bereich zu entfernen und derart zu lagern habe, dass künftig keine Immissionen aufgrund der unsachgemäßen „Lagerung“ seiner Fahrnisse von der Liegenschaft ausgehen sowie die Unterlassung derartiger Störungshandlungen. Die Vermietung an den Drittbeklagten sei alleinige Entscheidung des Erst- und der Zweitbeklagten gewesen, die Klägerin habe dazu keine Zustimmung erteilt. Der Garten sei stets allen Bewohnern zur Benutzung offen gestanden. Nun nutze der Drittbeklagte den Garten zur Ablagerung von Gerümpel. Der Klägerin stehe die Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB auch gegenüber ihren Miteigentümern zu, die Unterlassungspflicht schließe die Verpflichtung ein, auf solche Dritte im Sinn der Unterlassung einzuwirken, auf welche der Unterlassungsverpflichtete Einfluss nehmen könne. Eine derartige Einwirkungsmöglichkeit stehe dem Erst- und der Zweitbeklagten in Bezug auf den Drittbeklagten zu.

Der Erst- und die Zweitbeklagte wendeten ein, die Gartennutzung sei ihnen von der Klägerin schlüssig überlassen worden, die Vermietung der Räumlichkeiten an den Drittbeklagten sei Angelegenheit der ordentlichen Verwaltung gewesen. Die Klägerin könne direkt gegen den Drittbeklagten vorgehen und tue dies auch tatsächlich.

Das Erstgericht wies dieses „Einwirkungsbegehren“ ab. Der Garten sei mittels konkludent geschlossener Benützungsvereinbarung dem Erst- und der Zweitbeklagten zur alleinigen Nutzung zugewiesen. Zwar sei die Klägerin in Bezug auf die Ablagerungen im Garten auf die „Abhilfe“ der erst- und zweitbeklagten Partei angewiesen. Da das alleinige Nutzungs- und Verfügungsrecht dieser Miteigentümer aber sogar das Recht zur physischen Veränderung beinhalte, setze der Einwirkungsanspruch der Klägerin voraus, dass die Ablagerungen des Drittbeklagten im Garten ihre wichtigen Interessen gefährden oder in ihre Rechtssphäre eingreifen. Dieser Nachweis sei der Klägerin nicht gelungen.

Das Berufungsgericht hob das Urteil insoweit aus Anlass der Berufung der Klägerin einschließlich des vorangegangenen Verfahrens als nichtig auf und sprach aus, dass die Klage in diesem Umfang vom Erstgericht als Antrag im Außerstreitverfahren zu behandeln sei. Auch wenn sich die Klägerin ausdrücklich auf § 523 ABGB gestützt habe, sei der Abschluss eines Bestandvertrags eine Verwaltungshandlung im Sinn des § 833 ABGB, was auch für begehrte „Einwirkungen“ auf den Drittbeklagten im Rahmen des Bestandvertrags gelte. Das Begehren betreffe im Kern mit der Verwaltung und Benutzung der gemeinschaftlichen Sache unmittelbar zusammenhängende Rechte und Pflichten der Miteigentümer, weshalb der streitige Rechtsweg unzulässig und die Klage nach § 838a ABGB im Außerstreitverfahren zu behandeln sei. Den Entscheidungsgegenstand bewertete das Berufungsgericht mit 5.000 EUR nicht übersteigend. Der Revisionsrekurs sei insoweit jedenfalls unzulässig.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der – von erst- und zweitbeklagter Partei auch beantwortete – Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, ihn aufzuheben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei aufzutragen.

Der Rekurs ist unabhängig vom Wert des Entscheidungsgegenstands und dem Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zulässig, er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1.1. Hat sich das Erstgericht – wie hier – mit der Frage der Zulässigkeit des streitigen Rechtswegs in seiner Entscheidung nicht auseinandergesetzt, ist der Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem das Ersturteil als nichtig aufgehoben und die Rechtssache zur Entscheidung in das außerstreitige Verfahren überwiesen wird, nach ständiger Rechtsprechung gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO auch ohne Zulassungsausspruch mit (Voll-)Rekurs an den Obersten Gerichtshof anfechtbar (RIS-Justiz RS0116348 [T9]; 4 Ob 91/16k). Hingegen sind übereinstimmende Beschlüsse über die Überweisung in das außerstreitige Verfahren nach § 40a JN gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO nach nunmehr überwiegender Rechtsprechung (auf die das Rekursgericht Bezug nahm) nur dann anfechtbar, wenn mit der Überweisung in die andere Verfahrensart auch eine Veränderung der Anspruchsgrundlagen verbunden wäre (RS0044538 [T4]).

1.2. Der reine Wortlaut der genannten Bestimmungen – „Anfechtung nur, wenn die Klage [...] ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen wurde“ – könnte zwar auf den ersten Blick für eine Gleichbehandlung der beiden Fallkonstellationen sprechen; Sinn und Zweck dieser Bestimmungen gebieten aber sehr wohl eine differenzierende Betrachtung (4 Ob 91/16k): Wie sich gerade in dem hier zu beurteilenden Fall zeigt, bedingt eine Entscheidung des Berufungsgerichts nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO eine Vernichtung des gesamten bisherigen Verfahrensaufwands, während üblicherweise im Fall der Bestätigung eines Überweisungsbeschlusses nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO noch kein Verfahren in der Hauptsache geführt wurde. Dies rechtfertigt die umfassende Anfechtbarkeit eines vom Berufungsgericht gefassten Überweisungsbeschlusses auch dann, wenn damit kein „Wechsel der Anspruchsgrundlagen“ verbunden ist. Auch der Gesetzgeber anerkennt die unterschiedliche Behandlung der beiden Fallgestaltungen dadurch, dass der Rekurs nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO anders als der Revisionsrekurs nach § 528 ZPO unabhängig vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zulässig ist (4 Ob 91/16k). Auch im vorliegenden Fall ist er daher inhaltlich zu behandeln.

2.1. Die Rekurswerber machen geltend, die Klägerin habe nach ihren Behauptungen eindeutig eine Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB erhoben und vom Erstbeklagten und von der Zweitbeklagten die Einwirkung auf den Drittbeklagten verlangt. Ein derartiges Begehren gehöre auf den Rechtsweg.

Dem ist im Wesentlichen zu folgen.

2.2. Im Zweifel gehören alle in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden Sachen auf den Prozessweg (RS0012214). Für die Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs sind die Klagebehauptungen maßgeblich (RS0005896; RS0005861). Was der Gegner einwendet und ob der geltend gemachte Anspruch berechtigt ist, ist irrelevant (RS0013639; RS0005896 [T12, T23]).

2.3. Jeder Miteigentümer ist berechtigt, eigenmächtige Eingriffe auch eines anderen Miteigentümers in das gemeinsame Eigentum mit der Eigentumsfreiheitsklage abzuwehren (RS0012137; RS0012112). Solche Klagen gehören nach der Rechtsprechung ungeachtet des § 838a ABGB auf den streitigen Rechtsweg (jüngst 5 Ob 98/19a in Bezug auf das Unterlassen des Abstellens und Parkens von Fahrzeugen auf einer Allgemeinfläche der Liegenschaft mwN).

2.4. Die Klage ist in Bezug auf ihr nunmehr vom Berufungsgericht in das Außerstreitverfahren überwiesenes Teilbegehren aufgrund der behaupteten anspruchsbegründenden Tatsachen und des verfolgten Rechtsschutzziels als Eigentumsfreiheitsklage im Sinn des § 523 ABGB anzusehen:

Die Klägerin berief sich ausdrücklich auf ihr Recht, den Erstbeklagten und die Zweitbeklagte als mittelbare Störer darauf in Anspruch zu nehmen, auf den Drittbeklagten – mit dem nach ihrem Vorbringen nur diese den Mietvertrag abgeschlossen hätten – dahin einzuwirken, dass er den – nach ihren Behauptungen einen allgemeinen Teil bildenden – Garten von seinen Fahrnissen räume. Sie ging daher von einem eigenmächtigen Eingriff in die allen Miteigentümern gleichermaßen zustehende Nutzung des Gartens durch den Drittbeklagten als unmittelbarer Störer und den Erstbeklagten und die Zweitbeklagte als mittelbare Störer aus; Letztere hätten die rechtliche Möglichkeit im Rahmen des Mietvertrags auf den Drittbeklagten entsprechend einzuwirken. Eine Benutzungsvereinbarung mit den Rekurswerbern, die diese berechtige, ihre Nutzungsrechte am Garten dem Drittbeklagten im Umfang des Ablagerns von Gerümpel zu überlassen, hat die Klägerin bestritten. Eine Feststellung ihres ausschließlichen Nutzungsrechts am Garten begehrt sie ebensowenig wie die Neuregelung der Benützung dieser Allgemeinfläche; beides wäre im Außerstreitverfahren zu behandeln (5 Ob 98/19a mwN). Die von den Beklagten ins Treffen geführte Benützungsvereinbarung – die das Erstgericht aufgrund seiner Feststellungen tatsächlich als schlüssig zustande gekommen ansah – ist nur Vorfrage für die Berechtigung des Entfernungs-, „Einwirkungs-“, und Unterlassungsbegehrens der Klägerin. Auch dass die Klägerin behauptete, der Erst- und die Zweitbeklagte hätten für den Drittbeklagten als ihren Bestandnehmer einzustehen, wenn sie nicht alles Zumutbare (unter Umständen sogar die Klageführung, jedenfalls aber die Androhung einer Kündigung) unternehmen, um eine unrechtmäßige Verwendung des Bestandgegenstands zu verhindern, lässt erkennen, dass sie den Erstbeklagten und die Zweitbeklagte nicht als Verwalter der Liegenschaft, sondern als Miteigentümer, die eine Vermüllung von allgemeinen Teilen der Liegenschaft selbst vornehmen bzw eine solche dulden, in Anspruch nehmen. Letztlich weist auch ihr Vorbringen zur Wiederholungsgefahr in diese Richtung (5 Ob 98/19a). Nach der Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0011737 [T15]) hat es im Übrigen auch im Fall, dass zwischen den beiden in Anspruch genommenen „Störern“ ein Bestandverhältnis besteht, im Rahmen dessen die Störungen ausgeübt werden, dem „störenden“ Bestandgeber überlassen zu bleiben, zu entscheiden, auf welche Weise er die vom „störenden“ Bestandnehmer zu beachtenden Unterlassungen erwirkt. Eine Wahl dahin, dass der Bestandgeber den Bestandnehmer „zu entfernen“ hätte, steht bei der Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB nicht dem Kläger zu, dessen Anspruch bezieht sich nur auf die Beendigung des störenden Verhaltens, nicht aber auf die Beendigung des bestehenden Bestandverhältnisses. Dieser Judikatur entsprach das Klagebegehren hier auch in Bezug auf die Einwirkung, die die Klägerin vom Erstbeklagten und der Zweitbeklagten in Bezug auf die Ablagerung von Fahrnissen im Garten durch den Drittbeklagten verlangt. Dass sich die Klägerin als Grundlage ihres Begehrens auf unzulässige Eingriffe durch ihre Miteigentümer beruft, kann daher nicht zweifelhaft sein. Dass das Erstgericht aufgrund der Beweisergebnisse und der Einwendungen von Erstbeklagtem und Zweitbeklagter von einer schlüssigen Gebrauchsordnung ausging, vermag an der nur an den Klagebehauptungen zu messenden Zulässigkeit des streitigen Rechtswegs für diesen Begehrensteil nichts zu ändern.

3. Das Berufungsgericht hat somit zu Unrecht die Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs und die Nichtigkeit des Urteils und des durchgeführten Verfahrens angenommen. Es wird im fortgesetzten Verfahren inhaltlich auch in diesem Umfang über die Berufung zu entscheiden haben (5 Ob 98/19a).

4. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens ist gemäß § 52 Abs 3 ZPO Sache des Erstgerichts.

Textnummer

E128523

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00028.20H.0422.000

Im RIS seit

15.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

27.11.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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