TE OGH 2020/4/16 1Ob47/20y

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Veröffentlicht am 16.04.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. A***** H*****, vertreten durch die Frimmel / Anetter Rechtsanwälte GmbH, Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei G***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Karlberger und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen 62.092,98 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. Dezember 2019, GZ 1 R 146/19a-27, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. Juli 2019, GZ 44 Cg 100/18p-19, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Der weite Schadensbegriff des ABGB umfasst jeden Zustand, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist, an dem also ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht (RIS-Justiz RS0022537). Bei der Beurteilung, ob ein Schaden entstanden ist, sind zwei Vermögenslagen miteinander zu vergleichen: Die wirkliche, die durch das in Frage stehende Ereignis eingetreten ist, und die, die ohne dieses Ereignis bestand, eine gedachte hypothetische Lage. Ist die wirkliche Vermögenslage gegenüber der gedachten zum Nachteil des Betroffenen, dann liegt ein Schaden im Rechtssinn vor (RS0022477).

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass im Vermögen der Klägerin durch die aus Anlass der Beschäftigung einer Haushaltsgehilfin in ihrem Privathaushalt geleisteten Nachzahlungen des Lohnes, der Sozialversicherungs- und Dienstgeberbeiträge sowie der Kommunalsteuer jedenfalls eine Minderung im Ausmaß dieser Zahlungen eingetreten ist, ist nicht zu beanstanden. Da feststeht, dass die Klägerin bei entsprechender Aufklärung durch die beklagte Steuerberatungsgesellschaft über die (Mindest-)Lohnansprüche von Hausangestellten weder diese Dienstnehmerin noch eine andere beschäftigt hätte, war die Unterlassung der Aufklärung über die Höhe des anzuwendenden Mindestlohn-(tarif-)s für diesen Vermögensschaden auch kausal. Nicht erkennbar ist, welchen Bezug die von der Beklagten in diesem Zusammenhang zitierte Entscheidung 9 ObA 51/12h zum vorliegenden Sachverhalt haben soll.

2. Ein Vorteilsausgleich hat nicht von Amts wegen zu erfolgen, sondern nur über Einwendung des Schädigers, den für dessen Voraussetzungen die Behauptungs- und Beweislast trifft (RS0036710). In der allgemeinen Bestreitung der Schadenshöhe liegt noch kein Antrag auf Vornahme eines Vorteilsausgleichs (RS0036710 [T2]).

Die Beklagte erstattete in erster Instanz kein Vorbringen zu einer Vorteilsanrechnung der von der Dienstnehmerin der Klägerin erbrachten tatsächlichen Arbeitsleistungen. Insbesondere wandte sie nicht ein, dass der konkrete Vorteil (RS0036710 [T3, T4]) der erbrachten Arbeitsleistungen der Dienstnehmerin größer wäre als die von der Klägerin entsprechend der getroffenen Vereinbarung geleisteten (und im Rahmen des Schadenersatzes auch nicht begehrten) Lohnzahlungen an die Dienstnehmerin einschließlich der darauf basierenden Sozialversicherungsbeiträge. Der erhobene Einwand, der Klägerin sei kein Schaden entstanden, weil sie ja ihre Arbeitsleistung erhalten habe, kann die Darlegung konkreter vermögenswerter Vorteile nicht ersetzen. Aufgrund des im Rechtsmittelverfahren bestehenden Neuerungsverbots (§ 504 Abs 2 ZPO) ist daher auf die in der Revision erstatteten Ausführungen zur Vorteilsanrechnung nicht weiter einzugehen.

3. Die Beklagte ist Sachverständige im Sinn des § 1299 ABGB und unterliegt somit einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab (vgl RS0037133). Den Steuerberater treffen für seine Mandanten Fürsorge- und Aufklärungspflichten. Da die Auskunfts- und Fürsorgepflichten des Steuerberaters jedoch nicht überspannt werden dürfen, können von ihm nur der Fleiß und die Kenntnisse verlangt werden, die seine Fachgenossen gewöhnlich haben. Die Auskunfts- und Fürsorgepflicht reicht nur so weit, als für den Steuerberater aus einem Fehlverhalten der Eintritt eines Schadens für seinen Mandanten bei gewöhnlichem Lauf der Dinge vorhersehbar ist (RS0026584 [T12, T14]). Bei der Beurteilung des Sorgfaltsmaßstabs sind der konkrete Auftrag und die sonstigen Umstände des Einzelfalls maßgeblich; sie begründen daher regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (RS0026584 [T17]; 7 Ob 121/13i mwN).

Die Beklagte wendet sich nicht gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass bei ihr entsprechende Fachkenntnisse betreffend die Beratung zu Arbeitsverhältnissen vorauszusetzen sind. Entgegen ihrer Einschätzung handelt es sich bei der Aussage des Berufungsgerichts, dass das vereinbarte Entgelt von monatlich 900 EUR außergewöhnlich geringfügig gewesen sei, um dessen rechtliche Beurteilung im Zusammenhang mit der Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten und nicht um eine sogenannte „überschießende“ Feststellung.

Einen relevanten Verstoß des Berufungsgerichts gegen § 182a ZPO vermag die Beklagte ebenfalls nicht aufzuzeigen. Die Beurteilung, das Gehalt der Dienstnehmerin sei derart geringfügig gewesen, dass dies der (fachkundigen) Beklagten jedenfalls auffallen hätte müssen und sie zu einer Warnung auch ohne Auftrag verpflichtet gewesen wäre, ist
– wie dargelegt – dessen Rechtsansicht. Ein abweichendes Tatsachensubstrat vermag die Beklagte nicht darzulegen, wenn sie dieser rechtlichen Beurteilung nur die mögliche Aussage ihrer Geschäftsführerin entgegenhält, dass das Gehalt „nicht (derart) auffallend geringfügig“ gewesen sei.

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die auffallende Geringfügigkeit des vereinbarten Entgelts (Stundenlohn von brutto 6,93 EUR, der sogar unter dem niedrigsten Bruttostundenlohn für unerfahrene Haushaltsgehilfinnen nach dem anzuwendenden Mindestlohntarif liegt) hätte die Beklagte zu weiteren Nachforschungen über den aktuellen Mindestlohn veranlassen müssen und sie wäre verpflichtet gewesen, die Klägerin darauf hinzuweisen und zu warnen, dass diese unter Umständen mit weitergehenden Lohnforderungen konfrontiert sein könnte, ist im konkreten Einzelfall nicht zu beanstanden.

4. Auf ein allfälliges Mitverschulden des Geschädigten kann sich ein Schädiger – wegen des Neuerungsverbots im Rechtsmittelverfahren (§ 482 Abs 1, § 504 Abs 2 ZPO) – nur insoweit berufen, als er im Verfahren erster Instanz einen entsprechenden Mitverschuldenseinwand erhoben bzw zumindest ausreichend deutlich Tatsachen vorgebracht hat, aus denen sich rechtlich ein Mitverschulden im Sinn des § 1304 ABGB ableiten ließe (RS0022807 [T4]). Die Beklagte hat weder vorgebracht noch steht dies fest, dass die Klägerin bereits mehrere Hausangestellte gehabt hätte. Der Verweis auf die Feststellung, dass die Beklagte (auch) für die „Privatbediensteten“ der Klägerin die Lohnverrechnung und die Meldungen zur Sozialversicherung durchführte, begründet keineswegs die Kenntnis der Klägerin von konkreten Mindestlöhnen, die ja nicht einmal den Mitarbeitern der Beklagten bekannt waren. Wenn sie erstmals in der Revision behauptet, der Klägerin hätte das geringfügige Gehalt genauso auffallen müssen, so ist sie darauf zu verweisen, dass sie einerseits einen solchen Einwand in erster Instanz nicht erhob und andererseits nicht feststeht, dass die Klägerin Kenntnisse über das Bestehen von Mindestlohnvorschriften für Hausangestellte hatte; vielmehr war die Beklagte zu diesem Zweck mit der Lohnverrechnung und Anmeldung zur Sozialversicherung der Arbeitnehmerin beauftragt. Der erstmals in der Revision erhobene Einwand eines solchen Mitverschuldens ist daher nicht beachtlich.

5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Textnummer

E128336

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00047.20Y.0416.000

Im RIS seit

22.06.2020

Zuletzt aktualisiert am

22.06.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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