TE OGH 2020/2/27 12Os157/19h

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.02.2020
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Februar 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Maurer in der Strafsache gegen Roland F***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Jugendschöffengericht vom 23. August 2019, GZ 38 Hv 54/18h-71, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Sauter-Longitsch, des Angeklagten, seines Verteidigers Mag. Polt sowie der Privatbeteiligtenvertreterin Dr. Koller zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Berufung der Staatsanwaltschaft wegen des Ausspruchs über die Strafe werden zurückgewiesen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch III./, demzufolge auch im Strafausspruch sowie im Ausspruch über privatrechtliche Ansprüche aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Roland F***** wird gemäß § 259 Z 3 StPO vom Vorwurf freigesprochen, er habe im Jahr 2004 oder 2005 in R***** M***** N***** durch die Äußerung, wenn sie jemandem von dem zuvor stattgefundenen sexuellen Übergriff erzähle, passiere ihr das noch einmal, somit durch gefährliche Drohung, zur Unterlassung einer entsprechenden Sachverhaltsschilderung zu nötigen versucht.

Für die ihm nach den unberührt bleibenden Schuldsprüchen I./ und II./ weiterhin zur Last liegenden Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 erster Fall StGB und des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB wird Roland F***** unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB sowie des § 5 Z 4 JGG unter Bedachtnahme gemäß § 31 Abs 1 StGB auf das Urteil des Bezirksgerichts Ried im Innkreis vom 2. Juli 2008, AZ 1 U 18/08h, nach § 201 Abs 2 erster Fall StGB zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von

30 Monaten

verurteilt.

Gemäß § 43a Abs 4 StGB wird ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 20 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Gemäß § 369 Abs 1 StPO ist der Angeklagte schuldig, M***** N***** 7.000 Euro binnen 14 Tagen zu zahlen.

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe und über die privatrechtlichen Ansprüche wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 13. August 1989 geborene (somit zum Tatzeitpunkt noch jugendliche) Roland F***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 erster Fall StGB (I./), des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (II./) und des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (III./) schuldig erkannt und – unter Bedachtnahme auf das im Spruch genannte Vor-Urteil (§ 31 Abs 1 StGB) zu einer teilweise bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe im Ausmaß von 33 Monaten verurteilt.

Danach hat er in R***** im „Zeitraum 2004/2005“

I./ M***** N***** dadurch, dass er sie auf dem Anwesen R***** 60 auf den Dachboden lockte, die Tür versperrte, ihre Hände jeweils mit einem Seil an einem Querbalken im Bereich des Bodens festband, ihren Mund mit einem Klebeband zuklebte, ihren Rock hochschob und ihre Unterhose hinunterzog, sie festhielt, ihre Beine auseinanderdrückte und einen Geschlechtsverkehr mit ihr durchführte, durch Entziehung der persönlichen Freiheit sowie mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung in Form einer länger als vierundzwanzig Tage dauernden Gesundheitsschädigung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung, zur Folge hatte;

II./ durch die unter I./ angeführte Tat mit der am 3. Juli 1997 geborenen M***** N*****, somit einer unmündigen Person, den Beischlaf unternommen;

III./ unmittelbar nach der unter I./ angeführten Tat M***** N***** durch die Äußerung, wenn sie jemandem von dem Vorfall erzähle, passiere ihr dies noch einmal, somit durch gefährliche Drohung, zur Unterlassung einer entsprechenden Sachverhaltsschilderung zu nötigen versucht.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen (allein) aus Z 4 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel, weil durch die Abweisung mehrerer Beweisanträge Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt wurden.

Der Antrag auf „Beiziehung eines Gerichtssachverständigen betreffend den Ablauf und zum Beweis dafür, dass das Opfer aufgrund der geschilderten Tathandlungen massive Verletzungen im Scheidenbereich erleiden hätte müssen und diese Verletzungen zu erheblichen Blutungen führen hätten müssen, diese Blutungen nicht nur im Bereich der Unterhose ersichtlich hätten sein müssen, sondern auch an der Einrichtung in der Küche, zumal das Opfer mit den anwesenden Personen dort gegessen sei, sich dort sicherlich eine entsprechend lange Zeit, bis alle mit dem Essen fertig waren, aufgehalten hat und dann duschen war; somit zwingend auch eine Blutung nicht nur an der Kleidung, sondern auch an den Einrichtungsgegenständen ersichtlich gewesen sein müsste und von den Personen zu erkennen gewesen sein müsste“ (ON 69 S 23 f), erschöpfte sich in unzulässiger Erkundungsbeweisführung. Denn der Antragsteller ließ offen, aus welchem Grund die Durchführung des begehrten Sachverständigenbeweises das behauptete Ergebnis erwarten lasse (vgl RIS-Justiz RS0099453). Überdies legte der Beweisantrag auch nicht dar, auch welchem Grund ein Sachverständiger in der Lage sein soll, mehr als 14 Jahre nach der inkriminierten Tat verlässliche Aussagen zur Art und Schwere der Verletzungen des Opfers zu treffen.

Soweit der Angeklagte die Durchführung eines Lokalaugenscheins zum Beweis dafür beantragte, dass „die Örtlichkeit, so wie sie vom Opfer geschildert wurde, nicht übereinstimmt“ (ON 69 S 2, ON 70 S 26 f), machte er einerseits nicht klar, weshalb aus derartigen Abweichungen der Schluss hätte gezogen werden können, dass M***** N***** auch in Bezug auf den Tathergang selbst unrichtige Angaben gemacht hätte. Überdies ließ er offen, welche über die Lichtbilder vom Tatort (vgl die in der Hauptverhandlung erörterte [ON 70 S 7 ff, 27], nicht journalisierte Lichtbildbeilage der LPD Niederösterreich vom 22. August 2019) hinausgehenden Aufschlüsse durch einen solchen Augenschein zu erwarten gewesen wären.

Der Antrag auf „Einvernahme des Zeugen Christian H*****“, der damals „Tauben gefüttert hätte, der könne bestätigen, dass Tauben dort waren“ (ON 70 S 27) verfiel schon mangels Angabe eines für die Beurteilung des Tatverdachts bedeutsamen Beweisthemas (§ 55 Abs 2 Z 1 zweiter Fall StPO) zu Recht der Abweisung (vgl RIS-Justiz RS0099301).

Die im Rechtsmittel nachgetragenen Ausführungen unterliegen dem Neuerungsverbot und sind daher unbeachtlich (vgl RIS-Justiz RS0099618; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 9.103).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur von nicht geltend gemachter Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO) in Bezug auf den Schuldspruch III./.

Die diesem zugrunde liegende Tat hat der Angeklagte als Jugendlicher (§ 1 Z 2 und 3 JGG) „im Zeitraum 2004/2005“ (US 2) begangen, womit die Strafbarkeit – unter Berücksichtigung des nach § 5 Z 4 JGG reduzierten Strafrahmens (Schroll in WK2 JGG § 5 Rz 29) – spätestens Ende 2006 erlosch (vgl § 57 Abs 3 letzter Fall StGB).

Verjährungshemmende Umstände liegen nicht vor.

Das unmittelbar vor der gegenständlichen Tat gesetzte Verhalten bewirkt keine Verlängerung der genannten Verjährungsfrist, weil sich die Ablaufhemmung des § 58 Abs 2 StGB nur auf frühere Taten bezieht, während später begangene Taten unabhängig davon verjähren (RIS-Justiz RS0128998 [T2]; Schallmoser, SbgK § 58 Rz 17).

Ebensowenig spielt das Alter des Opfers unter Verjährungsaspekten eine Rolle. Denn keine der für den (nicht genau einordenbaren) Tatzeitpunkt in Frage kommenden Fassungen des § 58 Abs 3 Z 3 StGB (BGBl I 1998/153 oder BGBl I 2004/15) sah eine Ablaufhemmung für ein nach § 105 StGB zu beurteilendes Verhalten vor.

Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen (vgl RIS-Justiz RS0122332 [T11]) erforderte die Kassation des Schuldspruchs III./. Da der Verjährung entgegenstehende Konstatierungen mit Blick auf die Aktenlage (vgl die Strafregisterauskunft ON 68 sowie den Beginn der Ermittlungen im Jahr 2014 [ON 3 ff]) in einem weiteren Rechtsgang nicht zu erwarten sind, war insoweit sofort mit Freispruch vorzugehen (vgl RIS-Justiz RS0100239).

Hingegen war die (angemeldete) Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Schuld (vgl ON 70 S 28: „volle Berufung“) zurückzuweisen, weil ein solches Rechtsmittel im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht existiert. Ebenso war mit der von der Staatsanwaltschaft bloß angemeldeten Strafberufung (ON 70 S 28) zu verfahren, weil die Anklagebehörde die Richtung der Sanktionsanfechtung nicht bekannt gab (vgl Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 9.296).

Demzufolge ist bei der erforderlichen Strafneubemessung das Verschlechterungsverbot (vgl § 295 Abs 2 StPO) zu beachten. Mit Rücksicht auf das im Spruch erwähnte Vor-Urteil (§ 31 Abs 1 StGB; Verurteilung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen) wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend das Zusammentreffen zweier Verbrechen mit einem Vergehen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) den Einsatz von Gewalt und Entziehung der persönlichen Freiheit sowie das geringe Alter des Opfers und als mildernd den bis zur Tat ordentlichen Lebenswandel iSd § 34 Abs 1 Z 2 StGB.

Im Hinblick darauf, dass die Tat des zu diesem Zeitpunkt 15- oder 16-jährigen Angeklagten bereits ebenso viele Jahre zurückliegt und die vom Schöffensenat ins Spiel gebrachten (vgl US 13 f) generalpräventiven Erwägungen bei Jugendstraftaten ebenso außer Betracht zu bleiben haben (vgl § 5 Z 1 JGG) wie jene zur „völligen Uneinsichtigkeit“ des Angeklagten (vgl RIS-Justiz RS0090897), erachtete der Oberste Gerichtshof eine (Zusatz-)Freiheitsstrafe von 30 Monaten als tat- und schuldangemessen. Gemäß § 43a Abs 4 StGB war unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbots ein Teil der Freiheitsstrafe im Ausmaß von 20 Monaten bedingt nachzusehen.

Jene Verfahrensergebnisse, wonach die Privatbeteiligte durch die erlittene Vergewaltigung nach Jahren eine komplexe psychische Traumafolgestörung, verbunden mit erheblichen Darmproblemen und mehrfachen stationären und ambulanten Behandlungen (vgl US 5 f) erlitt, rechtfertigen auch den (erneuten) Zuspruch eines Schadenersatzbetrags in Höhe von 7.000 Euro.

Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E128081

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00157.19H.0227.000

Im RIS seit

15.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

15.05.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten