TE OGH 2019/11/4 3Ob127/19a

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Veröffentlicht am 04.11.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr.

 Roch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Priv.-Doz. Dr. Rassi und Mag. Painsi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei J*****, vertreten durch Widter Mayrhauser Wolf Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei und den Gegner der gefährdeten Partei Ing. K*****, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterhalts, hier wegen einstweiliger Verfügung gemäß § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO, über die außerordentlichen Revisionsrekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 29. April 2019, GZ 45 R 47/19y-81, womit die einstweilige Verfügung des Bezirksgerichts Donaustadt vom 14. Dezember 2018, GZ 17 C 22/16i-73, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Den Revisionsrekursen wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen, die im Umfang der Zuerkennung eines Prozesskostenvorschusses als unbekämpft unberührt bleiben, werden im Übrigen aufgehoben und die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsrekurses und der Revisionsrekursbeantwortung der beklagten Partei bilden weitere Verfahrenskosten.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Revisionsrekurses und ihrer Revisionsrekursbeantwortung vorläufig selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Streitteile sind (noch) verheiratet, ein Scheidungsverfahren ist seit 2016 beim Erstgericht anhängig.

Der Beklagte bezieht eine Alterspension in Höhe von 2.677,50 EUR monatlich (unter Einrechnung der Sonderzahlungen). Darüber hinaus lukriert er aus der Inbestandgabe eines Ackers an einen Gartenbaubetrieb Pachtzinse von jährlich rund 12.500 EUR, also monatlich 1.041 EUR. Im Jahr 2016 erhielt er (von einem anderen Landwirt) Pachtzahlungen in Höhe von 4.556,70 EUR.

Die Klägerin bezog bis Mitte September 2018 Arbeitslosengeld von 1.151,96 EUR monatlich, zuletzt bezog sie Krankengeld von 37,16 EUR pro Tag. Sie ist derzeit arbeitsunfähig.

„Während aufrechter Ehe“ [gemeint: bis zur Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft Mitte August 2016] arbeitete die Klägerin im Betrieb des Beklagten mit, war insbesondere für die „Betreuung der Gäste aus den Gästezimmern“ und die in diesem Zusammenhang anfallenden Tätigkeiten zuständig und außerdem mit Haushaltsarbeiten beschäftigt. Bis August 2016 bezog sie dafür kein Gehalt. Erst seit August 2016 bezahlte der Beklagte ihr monatlich Gehalt [in nicht festgestellter Höhe]. Davor zahlte er ihr ein wöchentliches Haushaltsgeld von 700 EUR im Jahr 2015 und von 800 EUR im Jahr 2016. Daneben leistete und leistet er sämtliche Zahlungen für die Ehewohnung; diese betrugen im Jahr 2017 monatlich durchschnittlich 1.045 EUR. Im Jänner 2018 betrugen diese durchschnittlich 622 EUR pro Monat.

Im Jahr 2016 „kam es von [näher bezeichneten] Konten des Beklagten zu Barauszahlungen“ in Höhe von insgesamt 156.000 EUR. Dem gegenüber stehen im Zeitaum Jänner bis Juli 2016 ausbezahlte Gehälter im Ausmaß von knapp 26.000 EUR. Es kann nicht als bescheinigt angenommen werden, dass der Beklagte mit den restlichen entnommenen Beträgen (also rund 130.000 EUR) weitere betriebliche Aufwendungen beglich.

Während des Zusammenlebens der Parteien verreiste die Klägerin mehrmals im Jahr. Der Beklagte zahlte ihr für diese Reisen zwischen 3.000 EUR und 5.000 EUR an „Urlaubsgeld“.

Der Beklagte bezahlte sowohl für die Klägerin als auch für deren zwei erwachsene Söhne sämtliche Aufwendungen, insbesondere Einkäufe, Restaurant-, Zahnarzt- und Friseurrechnungen, Ausgaben für Osteopathen, die Kosten privater Krankenversicherungen, der ÖAMTC-Mitgliedschaft. Darüber hinaus übernahm er auch bis zum Auszug der Klägerin die Kosten für die Wohnung eines ihrer Söhne. Die vom Beklagten bezahlte Krankenversicherung für die Klägerin und ihre Söhne kostete im Jahr 2017 3.981 EUR. Die All-in-One Privat Plus Versicherung, die der Beklagte in der Zeit des Zusammenlebens der Parteien ebenso bezahlte, kostete ab 1. August 2018 jährlich 801,70 EUR. Insgesamt wendete der Beklagte für die Klägerin und deren Söhne für Einkäufe, Zahnarzt, Frisör, Osteopath, Medikamente, Arztkosten, Restaurantbesuche und Reisen im Durchschnitt rund 350 EUR pro Woche (rund 16.000 EUR in einem Zeitraum von ca 45 Wochen) auf.

Zu ihrem 50. Geburtstag (im Februar 2016) schenkte der Beklagte der Klägerin 35.000 EUR für den Ankauf eines Mini Cabrios.

Der Beklagte verfügt über ein privates Konto, dessen genauer Stand nicht feststellbar ist. „Auf diesem Konto befinden sich auch die Entnahmen des Beklagten und dessen Pensionseinkommen, von welchen dieser seinen Lebenswandel finanziert(e).“

Die Klägerin erhob am 8. September 2016 eine Stufenklage auf Rechnungslegung über das Einkommen des Beklagten ab 1. Jänner 2016 und auf Leistung des sich daraus ergebenden monatlichen Unterhaltsbeitrags. Der Beklagte verfüge neben seinem Pensionseinkommen über umfangreiche Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, sodass eine recht großzügige Lebensgestaltung geübt worden sei. Unter anderem erhalte der Beklagte Pachtzinse für zwei Kleingartenanlagen in Wien 22, Mietzinse für zwei an einen Spengler und diverse andere Gewerbebetriebe vermietete Hallen, „Einkünfte der Firma G***** für Plakatwände“ und Einnahmen aus Zimmervermietung in beträchtlichem Ausmaß. Die Liegenschaft in Wien 22, auf der die Zimmervermietung betrieben werde, stehe zwar im Eigentum der Tochter des Beklagten, dieser habe aber ein Fruchtgenussrecht. Das genaue Einkommen des Beklagten – und damit die Bemessungsgrundlage für ihren Unterhaltsanspruch – sei der Klägerin nicht bekannt. Der Beklagte verletze seit 11. August 2016 seine Unterhaltspflicht gegenüber der Klägerin, indem er keine Zahlungen mehr an sie leiste, weshalb sie völlig mittellos sei.

Nach Rechtskraft des Teilurteils über das Rechnungslegungsbegehren bezifferte die Klägerin mit Schriftsatz vom 28. August 2018 ihr Leistungsbegehren (vorläufig) dahin, dass sie 106.575,50 EUR sA an rückständigem Unterhalt (vom 1. September 2016 bis 31. August 2018) und beginnend mit 1. September 2018 einen laufenden Unterhalt in Höhe von 4.867 EUR monatlich zusätzlich zur Zahlung der Kosten für das eheliche Wohnhaus fordert. Trotz bisher unvollständiger Rechnungslegung sei von monatlichen Einnahmen des Beklagten in Höhe von zumindest 20.000 EUR auszugehen, weil er während der aufrechten ehelichen Lebensgemeinschaft durchschnittliche Zahlungen von 7.600 EUR an bzw für die Klägerin erbracht habe, die er mit seinem Pensionseinkommen niemals aufbringen hätte können. Der Klägerin stehe daher jedenfalls ein monatlicher Unterhaltsbeitrag von 6.000 EUR – abzüglich des von ihr derzeit noch bezogenen Arbeitslosengeldes von 1.133 EUR monatlich – zu.

Gleichzeitig beantragte die Klägerin die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO, womit ein vorläufiger Unterhalt von 3.000 EUR monatlich ab Antragstellung festgesetzt werde. Darüber hinaus begehrte sie den Zuspruch eines Prozesskostenvorschusses in Höhe von 8.000 EUR.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Provisorialantrags. Er beziehe neben seiner Pension lediglich geringe Einnahmen aus der Vermietung von Zimmern. Auch in der Vergangenheit habe er kein höheres Einkommen gehabt. Die von der Klägerin angeführten hohen Zahlungen hätten hauptsächlich aus Ersparnissen (seinem „Altvermögen“) gestammt, sodass er darauf nicht für die Zukunft angespannt werden könne. Er leiste der Klägerin außerdem ohnehin Naturalunterhalt von monatlich rund 608 EUR (Betriebskosten für das Haus), der bei der Unterhaltsfestsetzung zu berücksichtigen sei.

Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten mit einstweiliger Verfügung zur Leistung eines vorläufigen Unterhalts von monatlich 3.000 EUR ab 28. August 2018 und zur Zahlung eines Prozesskostenvorschusses von 8.000 EUR. Wie sich aus dem bescheinigten Sachverhalt ergebe, verfüge der Beklagte über ein [gemeint: monatliches] Einkommen von zumindest 10.000 EUR; dieses setze sich aus seinem Pensionseinkommen, den Entnahmen und dem Einkommen aus Vermietung und Verpachtung zusammen. Die Klägerin beziehe derzeit nur Krankengeld von 37,16 EUR pro Tag, sodass sie angesichts des sehr hohen Einkommens des Beklagten wie eine einkommenslose Ehefrau Anspruch auf 33 % des Nettoeinkommens des Beklagten habe. Dieser bezahle zwar nach wie vor die Betriebskosten des von der Klägerin bewohnten Hauses, trotzdem müsse ihr ausgehend von den Lebensverhältnissen während aufrechter Ehe die Möglichkeit gegeben werden, diese Verhältnisse annähernd aufrecht zu halten. Angesichts der hohen in diesem Verfahren noch anfallenden Prozesskosten habe der Beklagte der Klägerin auch den beantragten Prozesskostenvorschuss zu leisten. Der Prozessaufwand sei so hoch, dass die Klägerin ihn nicht aus den Unterhaltszahlungen bestreiten könne.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung über den Prozesskostenvorschuss und änderte die einstweilige Verfügung (nur) hinsichtlich des vorläufigen Unterhalts dahin ab, dass es der Klägerin lediglich einen vorläufigen Unterhalt von 1.230 EUR monatlich zusprach und das Mehrbegehren abwies. Der Beklagte weise in seinem Rekurs zutreffend darauf hin, dass die vom Erstgericht angenommene Unterhaltsbemessungsgrundlage von 10.000 EUR dem als bescheinigt angenommenen Sachverhalt nicht zu entnehmen sei. Bescheinigt seien nur monatliche Einnahmen des Beklagten von 3.718,50 EUR (Pension und Pachtzins). Da es für den Zuspruch von Provisorialunterhalt auf die Verhältnisse am Tag der Beschlussfassung über die einstweilige Verfügung ankomme, seien die als bescheinigt angenommenen Zahlungen, Einkünfte und sonstigen Vermögensverschiebungen im Jahr 2017 und davor nicht relevant. Ausgehend von einer Unterhaltsbemessungsgrundlage von 3.718,50 EUR stehe der Klägerin ein Provisorialunterhalt von gerundet 1.230 EUR monatlich zu.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

Gegen den abweisenden Teil der Rekursentscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin, mit dem diese primär die Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung anstrebt; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Gegen den die erstgerichtliche Entscheidung bestätigenden Teil der Rekursentscheidung, inhaltlich allerdings nur gegen die Zuerkennung vorläufigen Unterhalts und nicht auch gegen die Zuerkennung eines Prozesskostenvorschusses, richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Beklagten mit einem Abänderungsantrag in Richtung gänzlicher Abweisung des Antrags auf einstweiligen Unterhalt.

In ihren vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsrekursbeantwortungen beantragen beide Parteien (der Beklagte trotz verfehlten Antrags ersichtlich), dem Revisionsrekurs der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionsrekurse sind wegen einer vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden Fehlbeurteilung des Rekursgerichts zulässig und im Sinn des – hilfsweise gestellten bzw im Abänderungsantrag enthaltenen – Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Zum Revisionsrekurs des Beklagten:

1.1. Gegenstand einer Provisorialmaßnahme nach § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO ist der einstweilige angemessene und nicht bloß der notwendige Unterhalt. Es handelt sich um eine besondere einstweilige Verfügung, die dem Berechtigten einen in der Regel endgültig zustehenden Unterhalt zuerkennt, wobei die materiell-rechtlichen Grundlagen des Unterhaltsanspruchs im Haupt- und im Provisorialverfahren gleich sind (RS0127789). Da die Ehe der Streitteile noch aufrecht ist, richtet sich der Unterhaltsanspruch der Klägerin nach § 94 ABGB.

1.2.1.

 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass bei beiderseitigen Einkünften dem weniger verdienenden Ehegatten 40 % des Familieneinkommens abzüglich seines Eigeneinkommens zustehen (RS0009722). Nur in den Fällen, in denen die Berücksichtigung des (im Vergleich geringen) Einkommens des Unterhaltsberechtigten dazu führen würde, dass der (überdurchschnittlich gut verdienende) Unterhaltspflichtige mehr zu bezahlen hätte als 33 % seines Einkommens, hat das Einkommen des Unterhaltsberechtigten außer Betracht zu bleiben. Nur auf diese Weise kann nämlich verhindert werden, dass sich die Unterhaltspflicht dadurch erhöht, dass der Berechtigte ein (geringes) Eigeneinkommen hat (

RS0057433 [T5]).

1.2.2. Das Rekursgericht ist, wie der Beklagte zutreffend aufzeigt, von den Grundsätzen dieser Rechtsprechung abgewichen, indem es – anders als das Erstgericht – von einer Unterhaltsbemessungsgrundlage von lediglich 3.718,50 EUR und damit gerade keinem markant höheren Einkommen des Beklagten im Vergleich zu jenem der Klägerin ausging, aber dennoch deren (jedenfalls bis Mitte September 2018 bezogenes) Eigeneinkommen von (zuletzt) 1.151,96 EUR monatlich unberücksichtigt ließ und ihr Unterhalt im Ausmaß von 33 % der Bemessungsgrundlage zusprach. Ob die Klägerin zwischen Mitte September 2018 und der Erlassung der einstweiligen Verfügung Mitte Dezember 2018 ein Eigeneinkommen bezog, ist der erstgerichtlichen Entscheidung nicht mit Sicherheit („zuletzt“?) zu entnehmen. Schon deshalb kommt eine sofortige Abänderung des angefochtenen Beschlusses nicht in Betracht.

1.3.1.

 Hat der Unterhaltsberechtigte nicht für die Kosten der Wohnversorgung aufzukommen, so bedarf er regelmäßig nicht mehr des gesamten festgesetzten Geldunterhalts, um seinen vollständigen Unterhalt zu decken.

Für die Überlassung einer Wohnung an den Unterhaltsberechtigten ist (nur) der fiktive Mietwert der Wohnung wegen der damit verbundenen Verminderung des Unterhaltsbedarfs aufgrund der Wohnkostenersparnis ganz oder teilweise als

Naturalunterhalt anzurechnen, sofern diese Leistungen regelmäßig erfolgen (

9 Ob 45/16g = RS0130891 [T1, T2]).

1.3.2. Der Beklagte bemängelt zu Recht, dass das Rekursgericht nicht auf den von ihm nach den Feststellungen geleisteten Naturalunterhalt eingegangen ist. Dieser wird im fortgesetzten Verfahren im Sinn der Rechtsprechung (vgl RS0130891) zu berücksichtigen sein.

2. Zum Revisionsrekurs der Klägerin:

2.1. In die Unterhaltsbemessungsgrundlage ist das gesamte Nettoeinkommen des unterhaltsverpflichteten Eheteils miteinzubeziehen (RS0113786 [T4]). Ist der Unterhaltspflichtige, wie hier der Beklagte, (auch) selbständig erwerbstätig, ist für die Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit in erster Linie die sich aus seinem Gesamteinkommen nach Abzug von Steuern und öffentlichen Abgaben vom Einkommen ergebende tatsächliche wirtschaftliche Lage, somit die Summe der ihm tatsächlich zufließenden verfügbaren Mittel maßgeblich (RS0013386).

2.2. Die Beurteilung des Rekursgerichts, wonach es für den Zuspruch von Provisorialunterhalt nur auf die Verhältnisse am Tag der Beschlussfassung ankomme, greift, wie die Klägerin zu Recht rügt, zu kurz: Es trifft zwar zu, dass es – wie generell – auch bei der Entscheidung über den Provisorialunterhalt auf die Sach- und Rechtslage am Tag der Beschlussfassung ankommt (vgl § 406 ZPO). Das bedeutet allerdings nicht, dass für die Beurteilung der Bemessungsgrundlage isoliert auf diesen Tag abzustellen wäre. Vielmehr gilt auch im Provisorialverfahren nach § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO, dass für die Festsetzung des von einem selbständig erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen künftig zu leistenden Unterhalts als Bemessungsgrundlage üblicherweise sein Durchschnittseinkommen der drei letzten der Beschlussfassung vorangegangenen Wirtschaftsjahre heranzuziehen ist. Auf diese Weise sollen nämlich Einkommensschwankungen, die auf steuerliche Gestaltungsmöglichkeit zurückzuführen sind, ausgeschaltet werden, weil nur so eine verlässliche Bemessungsgrundlage gefunden werden kann (

RS0053251 [T4, T5, T12, T14]).

2.3. Entgegen der vom Erstgericht eingangs seiner rechtlichen Beurteilung vertretenen Ansicht ist aus dem bescheinigten Sachverhalt nicht abzuleiten, dass der Beklagte in den letzten drei Jahren vor Beschlussfassung über ein laufendes Einkommen von zumindest 10.000 EUR monatlich verfügt hätte. Wie (nur) seiner Beweiswürdigung zu entnehmen ist, ging das Erstgericht davon aus, dass der Beklagte die festgestellten Zahlungen, die er nicht aus seinen Pensionseinnahmen allein aufbringen konnte, durch Entnahmen von seinem Betriebskonto finanzierte. Konkret lassen sich den Feststellungen folgende laufende Zahlungen des Beklagten entnehmen:

- alle Zahlungen für die Ehewohnung: monatlich rund 1.000 EUR (2017) bzw rund 600 EUR (2018);

bis zur Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft im August 2016 außerdem:

- Haushaltsgeld: wöchentlich 700 EUR (2015) bzw 800 EUR (2016), also rund 3.000 EUR pro Monat;

- „Urlaubsgeld“ der Klägerin für Reisen: „mehrmals im Jahr“ jeweils „zwischen 5.000 EUR und 3.000 EUR“, also im Durchschnitt maximal 1.000 EUR pro Monat;

- Zahlungen für diverse Aufwendungen der Klägerin und ihrer Söhne (einschließlich der Wohnung des einen Sohnes): rund 350 EUR pro Woche, somit ca 1.400 EUR monatlich;

- offenbar zusätzlich Kosten der Krankenversicherung, die 2017 3.981 EUR betrugen, und der „All-in-One Privat Plus Versicherung“, die 2018 801,70 EUR ausmachten, daher durchschnittlich maximal 400 EUR pro Monat.

Addiert man diese Summen, kommt man auf Aufwendungen des Beklagten von bis zu (nur) rund 7.000 EUR pro Monat, die er zweifellos nicht allein aus seinem Pensionsbezug und seinen festgestellten Pachtzinseinnahmen bestreiten konnte. Es ist daher grundsätzlich durchaus naheliegend, dass der Beklagte aus seiner selbständigen Erwerbstätigkeit (insbesondere der Zimmervermietung) ein deutlich höheres Einkommen bezieht (bezog) als von ihm eingeräumt. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass es sich beim Geldgeschenk zum 50. Geburtstag der Klägerin offensichtlich nicht um eine wiederkehrende Aufwendung, sondern um eine einmalige Zahlung handelte, die daher keine Rückschlüsse auf laufende Einnahmen des Beklagten zulässt.

2.4. Unmittelbar finanziert wurden die festgestellten erheblichen Ausgaben des Beklagten für die Klägerin und deren Söhne zumindest im Jahr 2016 offenbar durch die für dieses Jahr festgestellten Barauszahlungen von seinen Konten im Ausmaß von insgesamt 156.000 EUR, wovon nur knapp 26.000 EUR zur Auszahlung von Gehältern verwendet wurden, während hinsichtlich der weiteren rund 130.000 EUR nicht als bescheinigt angenommen werden konnte, dass sie zur Bezahlung betrieblicher Aufwendungen des Beklagten verwendet wurden. Im Umkehrschluss ist daher davon auszugehen, dass der Beklagte diese Mittel im Jahr 2016 für private Zwecke (insbesondere für die Klägerin und ihre Söhne) aufwendete. Feststellungen dazu, ob der Kläger allenfalls auch in den Jahren 2017 und 2018 vergleichbare Barauszahlungen bzw Privatentnahmen getätigt hat, wurden bisher allerdings nicht getroffen.

2.5. Zwischen den Parteien ist strittig, ob es sich bei den festgestellten Barauszahlungen um Privatentnahmen des Beklagten aus seinem Unternehmen handelte (das Vorbringen der Klägerin kann nur so verstanden werden, dass sie auf dem Standpunkt steht, der Beklagte erziele insgesamt, also insbesondere aus seiner selbständigen Erwerbstätigkeit, zumindest Einnahmen in Höhe der von ihr detailliert angeführten Ausgaben), oder ob es sich dabei um einen Teil des vom Beklagten behaupteten „Altvermögens“ handelte, das nach seinem Standpunkt „nicht Gegenstand des Verfahrens“ sei.

2.6. Privatentnahmen eines selbständigen Unternehmers bilden dann die

Unterhaltsbemessungsgrundlage, wenn sie höher sind als der bilanzmäßige Reingewinn, weil der

Unterhaltspflichtige die

Unterhaltsberechtigten an dem dadurch aufrecht erhaltenen Lebensstandard teilhaben lassen muss (RS0047382 [T5]; RS0011596). Soweit die Privatentnahmen jedoch der Sicherung und Erhaltung der wirtschaftlichen Existenz des Unterhaltsschuldners dienen oder sonstige betrieblich veranlasste Aufwendungen darstellen, vermindern sie wie sonstige Betriebsausgaben die Unterhaltsbemessungsgrundlage (RS0011596 [T1]). Im Regelfall sind in die Unterhaltsbemessungsgrundlage nur die Erträgnisse des Vermögens des Unterhaltspflichtigen einzubeziehen, die Vermögenssubstanz selbst aber grundsätzlich nicht. Letztere findet bei der Unterhaltsbemessung aber dann ausnahmsweise Berücksichtigung, wenn und soweit der Unterhaltspflichtige sie angreift, um damit die Kosten der von ihm gewählten Lebensführung zu decken (

RS0117850 [T1]). Es spielt also im Ergebnis für die Unterhaltsbemessung prinzipiell keine Rolle, ob der Unterhaltspflichtige seine Lebensführung (auch) durch Privatentnahmen aus seinem Unternehmen oder aber durch Verwertung seines privaten Vermögens finanziert.

2.7. Entgegen der Ansicht der Klägerin führt die Tatsache, dass der Beklagte während aufrechter ehelicher Lebensgemeinschaft auch ihre Söhne – wie sie selbst einräumt, ohne jede rechtliche Verpflichtung – finanziell unterstützte, allerdings keineswegs dazu, dass er auch nach Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft weiterhin Zahlungen in diesem Ausmaß an die Klägerin leisten müsste. Seine tatsächlichen Aufwendungen in der Vergangenheit können also für sich allein keine entsprechende Verpflichtung für die Zukunft begründen. Entscheidend ist vielmehr nur, welches Einkommen der Beklagte im relevanten Zeitraum – im Sinn der dargelegten Rechtsprechung (oben Pkt 2.2.) also in den Jahren 2016 bis 2018 – erzielte. Da der Beklagte die noch im Jahr 2016 (bis zur Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft) erbrachten Leistungen seither unstrittig nicht mehr erbringt, kann nicht schon aus den Barauszahlungen des Jahres 2016 auf entsprechende Einnahmen in den Folgejahren geschlossen werden. Während zum Jahr 2016 bereits ausreichende Feststellungen vorliegen, wird das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren konkrete Feststellungen zur Unterhaltsbemessungsgrundlage für die Jahre 2017 und 2018 nachzuholen haben.

3. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Kosten der Klägerin auf § 393 Abs 1 EO und hinsichtlich jener des Beklagten auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 52 ZPO.

Textnummer

E126818

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0030OB00127.19A.1104.000

Im RIS seit

12.12.2019

Zuletzt aktualisiert am

12.12.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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