TE OGH 2019/9/12 12Os31/19d

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Veröffentlicht am 12.09.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat am 12. September 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Ruckendorfer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Thomas L***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall, 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 13. September 2018, GZ 35 Hv 46/18m-130, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch über den Verfall aufgehoben, soweit er sich auf einen 35.353,95 Euro übersteigenden Betrag bezieht, und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Einzelrichter des Landesgerichts Innsbruck verwiesen.

Mit seiner gegen den Verfallsausspruch gerichteten Berufung wird der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung wegen des Strafausspruchs werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Thomas L***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall, 15 StGB (A./) sowie mehrerer Vergehen der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 Abs 1 StGB (B./) schuldig erkannt.

Danach hat er in K***** und andernorts

A./ von 2010 bis 2017 mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz gewerbsmäßig Verfügungsberechtigte im Urteil näher bezeichneter Versicherungsunternehmen durch Täuschung über Tatsachen, teils unter Benützung falscher Urkunden und Beweismittel, zu Handlungen verleitet, die diese und im Urteil näher bezeichnete Versicherungsnehmer um einen 300.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten und dies versucht, indem er als selbständiger Versicherungsmakler in 102 Fällen die Überweisung ihm nicht zustehender Leistungen aus Versicherungsverträgen in Gesamthöhe von 415.240,46 Euro auf sein eigenes Konto veranlasste und dies hinsichtlich eines weiteren Betrags von 2.000 Euro versuchte;

B./ im Frühjahr 2016 falsche Beweismittel, nämlich inhaltlich falsche eidesstättige Erklärungen mit dem Vorsatz hergestellt, dass diese in einem Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung, nämlich im Ermittlungsverfahren 23 St 130/16t der Staatsanwaltschaft Innsbruck, gebraucht werden, indem er in 66 Fällen den Kunden inhaltlich falsche Erklärungen unterschob und diese dazu drängte, die Erklärungen ungelesen zu unterschreiben.

Gemäß § 20 Abs 1 StGB erklärte das Erstgericht einen Geldbetrag in der Höhe von 160.006,83 Euro für verfallen.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Verfallsausspruch bekämpft der Angeklagte mit auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gestützter Nichtigkeitsbeschwerde, soweit er sich auf einen 35.353,95 Euro übersteigenden Betrag bezieht.

Zutreffend zeigt die Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall iVm Z 5 zweiter Fall) auf, dass das Erstgericht (mit Blick auf § 20a Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2010/108 sowie § 20a Abs 2 Z 2 StGB idgF) in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ, wonach der Angeklagte Privatbeteiligtenansprüche bereits befriedigt hat (ON 129 S 8 iVm ON 101).

Bleibt klarstellend anzumerken:

1./ Vermögensrechtliche Anordnungen unterliegen auch dem Günstigkeitsvergleich (§ 61 StGB). Dieser ist bei Realkonkurrenz (auch bei Subsumtionseinheiten nach § 29 StGB) für jede Tat gesondert vorzunehmen (RIS-Justiz RS0119545 [T10]). Verfall in der Fassung des strafrechtlichen Kompetenzpakets (BGBl I 2010/108) gibt es erst seit dem 1. Jänner 2011. Für den Zeitraum davor sah das Gesetz als vergleichbare vermögensrechtliche Maßnahme die Abschöpfung der – nach dem Nettoprinzip zu ermittelnden – (unrechtmäßigen) Bereicherung vor, die zudem nach § 20a Abs 2 Z 3 StGB (idF BGBl I 2004/136) zu unterbleiben hatte, wenn sie das Fortkommen des Bereicherten unverhältnismäßig erschwert oder ihn unbillig hart getroffen hätte, und daher für den Angeklagten insgesamt günstiger war. Hinsichtlich der den Schuldsprüchen A./ 6./, 15./, 34./, 81./, 96./ und 99./ bis 101./ zugrunde liegenden Taten wird daher zu prüfen sein, ob in diesem Umfang Abschöpfung der Bereicherung nach § 20 Abs 1 Z 1 StGB idF vor BGBl I 2010/108 in Betracht kommt.

2./ Im Übrigen hindert ein Zuspruch an den Privatbeteiligten die gleichzeitige Anordnung des Verfalls – anders als nach § 20a Abs 1 StGB in der Fassung vor BGBl I 2010/108 die Abschöpfung der Bereicherung – nicht. Der Ausschluss des Verfalls wird durch § 20a Abs 2 Z 2 StGB idgF vielmehr auf Fälle beschränkt, in denen der Betroffene zivilrechtliche Ansprüche aus der Tat befriedigt oder für sie Sicherheit geleistet hat (RIS-Justiz RS0129916).

Mit dem am 13. Juli 2017 (ON 96) gemäß § 115 Abs 5 StPO erlegten – und sodann den Gegenstand der Beschlagnahme nach § 115 Abs 1 Z 3 StPO bildenden (Tipold/Zerbes, WK-StPO § 115 Rz 31 und 36 [zweiter Absatz]) – Betrag von 420.000 Euro (vgl ON 21, 89 und 97) wird eine solche Sicherheitsleistung nicht angesprochen, weil die Beschlagnahme bei Beendigung des Verfahrens ohne einen in § 115 Abs 1 Z 3 StPO genannten Ausspruch aufzuheben ist (Tipold/Zerbes, WK-StPO § 115 Rz 38).

Für den zweiten Rechtsgang ist festzuhalten, dass es – entgegen der Ansicht der Generalprokuratur, welche sich auf eine Literaturmeinung (Tipold/Zerbes, WK-StPO § 115 Rz 43 iVm § 110 Rz 25) stützt – für das Unterbleiben des Verfalls gemäß § 20a StGB idgF nicht ausreicht, wenn sich der Angeklagte in vollstreckbarer Form zur Befriedigung der zivilrechtlichen Ansprüche aus den Taten verpflichtet hat. Eine zivilrechtliche Verurteilung, ein Vergleich im Sinn des § 1 Z 5 EO oder ein vollstreckbarer Notariatsakt im Sinn des § 1 Z 17 EO schließen den Verfall nicht aus, ist doch – wie bereits dargelegt – auch der Zuspruch an den Privatbeteiligten im Strafverfahren kein Hindernis für den Verfall (aA Fuchs/Tipold in WK2 StGB § 20a Rz 20 f; Stricker in Leukauf/Steininger, StGB4 § 20a Rz 7; eine zivilgerichtliche Verurteilung zum Schadenersatz als ausreichend ansehend auch Maleczky, AT II19 89; Medigovic/Reindl-Krauskopf/Luef-Kölbl, AT II2 56; Leitfaden des BMJ, Stand 18. Februar 2014, 146).

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher das angefochtene Urteil wie im Spruch ersichtlich aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Einzelrichter des Landesgerichts Innsbruck (§ 445 Abs 2 StPO; RIS-Justiz RS0100271 [T13, T14]) zu verweisen (§ 285e StPO).

Die Entscheidung über die Berufung des Angeklagten gegen den Strafausspruch kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E126312

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0120OS00031.19D.0912.000

Im RIS seit

16.10.2019

Zuletzt aktualisiert am

09.06.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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