TE OGH 2019/4/11 12Os21/19h

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Veröffentlicht am 11.04.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. April 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Korner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Leon W***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufungen der Staatsanwaltschaft und der gesetzlichen Vertreterin des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Jugendschöffengericht vom 30. Oktober 2018, GZ 39 Hv 76/18d-100, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Leon W***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Leon W***** der Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB (1./) und nach §§ 15 Abs 1, 75 StGB (2./) schuldig erkannt.

         Danach hat er in der Nacht auf den 24. September 2017 in G*****

1./ seinen Vater Thomas O***** vorsätzlich getötet, indem er ihm mit einem Messer drei wuchtige Stiche in den Oberkörper versetzte, wodurch dieser tiefe Rumpfstichverletzungen erlitt und an dem damit verbundenen Blutverlust starb;

2./ seine Mutter Andrea W***** vorsätzlich zu töten versucht, indem er ihr mit einem Messer drei Stiche in den Rücken versetzte.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit auf § 281 Abs 1 Z 4 StPO gestützter Nichtigkeitsbeschwerde, welche sich als nicht berechtigt erweist.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch Abweisung (ON 99 S 43 f) des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf „Durchführung eines MRT nach Epilepsieprotokoll (Dauer zumindest 20 Minuten) und eines Langzeit-EEG mit Videoaufzeichnung sowie Einholung eines neurologischen Gutachtens“ „zum Beweis dafür, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt an einem fokal komplexen Anfall, damit an einem epileptogenen Zustand litt, der seine Zurechnungsfähigkeit ausschloss“ (ON 99 S 38 ff), Verteidigungsrechte nicht verletzt. Der Beweisantrag zielte nämlich auf eine im Hauptverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung ab (RIS-Justiz RS0118444, RS0107040):

Er legte nämlich – auch unter Berücksichtigung der Hinweise auf Fälle von Epilepsie in der Familie des Angeklagten, auf Zeugenaussagen betreffend dessen „starren Blick“ und Fieberkrämpfe in der Kindheit – nicht dar, warum die begehrten Beweisaufnahmen Feststellungen für die Annahme von Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) im Tatzeitpunkt erwarten ließen.

Mängel im Sinn des § 127 Abs 3 StPO der eingeholten Expertisen der Sachverständigen Prim. Univ.-Prof. Dr. Reinhard H*****, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, und Prim. Univ.-Prof. Dr. Kathrin S*****, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, welche übereinstimmend einen § 11 StGB entsprechenden Zustand des Angeklagten zur Tatzeit verneinten (insb ON 93 S 28 ff, 31, 38; ON 99 S 22 unten), wurden vom Rechtsmittelwerber nicht aufgezeigt. Weshalb konkret ein über die bereits eingeholten hinausgehender oder davon abweichender Erkenntniswert durch Einholung eines neurologischen Gutachtens oder Vornahme der begehrten Untersuchungen zu erwarten wäre, wird nicht klar (vgl RIS-Justiz RS0117263, RS0097380, RS0102833).

Auch soweit sich die Verfahrensrüge (Z 4) gegen die Abweisung des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf Ausschluss der Öffentlichkeit (ON 93 S 3 und 5) richtet, ist sie nicht berechtigt.

Der Antrag des Angeklagten bezog sich pauschal auf die gesamte weitere Hauptverhandlung mit der Begründung, dass „durch die Erörterung des Tathergangs und die im Ermittlungsverfahren eingeholten psychiatrischen Gutachten Details über das Leben des Angeklagten und seine emotionale Verfassung erörtert werden, dies würde sein späteres Fortkommen gefährden“ (ON 93 S 3), „zumal die Krankengeschichte dargetan wird“ (ON 93 S 5).

Dem Nichtigkeitswerber ist zunächst zu entgegnen, dass

im Hinblick auf die Grundrechtsgarantie einer öffentlichen Verhandlung nach Art 90 Abs 1 B-VG und Art 6 Abs 1 MRK der Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 42 Abs 1 JGG tunlichst auf Teile der Hauptverhandlung zu beschränken ist. Fehlende sachliche Rechtfertigung einer (zu extensiven) Ausschlussverfügung begründet Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO (Schroll in WK2 JGG § 42 Rz 2). In diesem Zusammenhang lässt der Rechtsmittelwerber außer Acht, dass während der Gutachtenserörterungen durch Prim. Univ.-Prof. Dr. Kathrin S***** (ON 99 S 16, 23, 37, 38) und Prim. Univ.-Prof. Dr. Reinhard H***** (ON 93 S 26, 41) die Öffentlichkeit ohnehin ausgeschlossen wurde.

Der Einwand, wonach ein weiterer Ausschluss der Öffentlichkeit für das spätere Fortkommen des Jugendlichen geboten gewesen wäre (§ 42 Abs 1 JGG), kann auf sich beruhen, weil ein nachteiliger Einfluss auf die Entscheidung im Sinn des § 281 Abs 3 StPO auszuschließen ist (RIS-Justiz RS0087062).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E124815

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0120OS00021.19H.0411.000

Im RIS seit

30.04.2019

Zuletzt aktualisiert am

30.04.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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