TE OGH 2018/9/27 9Ob63/18g

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Veröffentlicht am 27.09.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M*****, 2. N*****, beide vertreten durch Winternitz Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Feststellung und Einwilligung in die Löschung (Streitwert 35.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. Juli 2018, GZ 11 R 83/18h-39, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Freiheitsersitzung nach § 1488 ABGB ist ein Fall der Verjährung einer bestehenden Dienstbarkeit und erfolgt durch die Inanspruchnahme des Vollrechts durch den Eigentümer der belasteten Liegenschaft in Verbindung mit einer manifesten Beeinträchtigung des Servitutsrechts (RIS-Justiz RS0034333; RS0034288).

Dass sich der Verpflichtete der tatsächlichen Ausübung der Dienstbarkeit widersetzt, ist nach der neueren Judikatur nicht mehr erforderlich. Es genügt vielmehr, dass der Dienstbarkeitsberechtigte das Hindernis, das die Ausübung seiner Dienstbarkeit zumindest beeinträchtigt, bei gewöhnlicher Sorgfalt hätte wahrnehmen können (RIS-Justiz RS0034271 [T10, T11]). Die Rechtsprechung verlangt für die Freiheitsersitzung zwar kein unüberwindliches, aber immerhin ein beträchtliches Hindernis, das die ungehinderte Benützung des Dienstbarkeitsweges auf gewöhnliche und allgemein übliche Art unmöglich macht (RIS-Justiz RS0034309 [T6]; RS0037141).

2. Die Freiheitsersitzung kann auch zur Einschränkung einer Dienstbarkeit führen (RIS-Justiz RS0034281). Diese Einschränkung kann sich auf die räumliche Ausdehnung, auf den sachlichen Umfang (zB Gehrecht statt Fahrrecht), aber auch auf den Zeitraum der Ausübung beziehen (RIS-Justiz RS0034281 [T6]).

Ob sich der verpflichtete Teil der Ausübung einer Servitut iSd § 1488 ABGB widersetzt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RIS-Justiz RS0034288 [T2]; RS0034241 [T9]).

3. Nach den Feststellungen haben die Kläger (ihre Rechtsvorgänger) über Jahrzehnte den Innenhofbereich, auf den sich das Fahrrecht der Beklagten und ihrer Rechtsvorgänger bezieht, zwischen 21:00 Uhr und 6:00 Uhr abgesperrt. Zwischen zumindest 1965 und 1998 befanden sich dort regelmäßig Werkstücke des dort situierten Schweißwerks, die schon aufgrund ihrer Ausmaße und ihres Gewichts nur mit speziellen Transportgeräten bewegt werden konnten. Der Innenhof wurde zudem zumindest von 1976 bis 2010 von einer eingemieteten Firma und von Kunden zum Parken benutzt, sodass eine Durchfahrt nur dann möglich gewesen wäre, wenn die Werkstücke entfernt und die parkenden Autos zur Seite gestellt worden wären. Eine Durchfahrt für Fahrzeuge mit durchschnittlich hohem Radstand war darüber hinaus dadurch erheblich erschwert bis unmöglich, da zwischen den Liegenschaften ein baulicher Niveauunterschied von ca 15–20 cm bestand.

Wenn das Berufungsgericht aufgrund dieser Umstände die Rechtsmeinung vertritt, dass das Fahrrecht der Beklagten (ihres Rechtsvorgängers) über einen relevanten Zeitraum nicht nur erschwert oder beeinträchtigt, sondern faktisch unmöglich gemacht wurde, ist dies jedenfalls vertretbar.

4. Entgegen der Ansicht der Beklagten sind die Feststellungen auch ausreichend, um diese Problematik beurteilen zu können. Sie lässt allerdings auch offen, auf welcher Grundlage welche zusätzlichen Feststellungen zu treffen gewesen wären.

Soweit die Revision aus Parallelen zur Entscheidung 3 Ob 47/07v ableiten will, dass auch im vorliegenden Fall nur von einem teilweisen Rechtsverlust auszugehen ist, kann ihr nicht gefolgt werden. Die zugrunde liegenden Sachverhalte sind insoweit nicht vergleichbar, weil in der zitierten Entscheidung nur ein Durchgangsrecht zu beurteilen war, bei dessen Ausübung das behindernde Abstellen von Fahrzeugen nicht im selben Ausmaß beeinträchtigt wie bei einem Fahrrecht.

Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 4 Ob 58/09x mangels ausreichender Sachverhaltsgrundlage offengelassen hat, ob die Beeinträchtigung der Servitutsausübung zu einem Erlöschen des Rechts oder zu einer Einschränkung führte. Letztlich hat aber auch das Berufungsgericht aus diesen Entscheidungen nur abgeleitet, dass nicht nur eine durchgehende, sondern auch eine wiederholte, wenn auch unregelmäßige Beeinträchtigung zum Rechtsverlust führen kann. Ob eine solche Freiheitsersitzung nur eine Beschränkung der Dienstbarkeit oder einen gänzlichen Rechtsverlust zur Folge hat, ist aber letztlich eine Frage des Einzelfalls.

5. Die außerordentliche Revision ist daher mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

Textnummer

E123208

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0090OB00063.18G.0927.000

Im RIS seit

21.11.2018

Zuletzt aktualisiert am

19.02.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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