TE OGH 2018/5/15 5Ob58/18t

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Veröffentlicht am 15.05.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragsteller 1. P*****, 2. M*****, 3. W*****, alle vertreten durch Schaffer Sternad Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die Antragsgegnerin A*****, vertreten durch Mag. Michael Rebasso, Rechtsanwalt in Wien, wegen § 46a Abs 2 MRG iVm § 37 Abs 1 Z 8 MRG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsteller gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 10. Jänner 2018, GZ 39 R 227/17x-25, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Text

Begründung:

Die Antragsteller sind – als Erben nach dem am 3. 10. 2005 verstorbenen Mieter – nunmehr Mitmieter eines Geschäftslokals im Ausmaß von ca 432 m². Gegenstand des Verfahrens ist die Auslegung eines im Jahr 1992 zwischen dem Erst- und Drittantragsteller als Vertreter des damaligen Mieters und Vertretern der Rechtsvorgängerin der Antragsgegnerin geschlossenen Übereinkommens, in dessen Zug der Mieter auf seine Mit- und Nutzungsrechte an Dachboden- und Kellerabteilen verzichtete und dafür ein gänzliches Untervermietrecht eingeräumt erhielt.

Das Erstgericht stellte fest, dass die Anhebung des Hauptmietzinses im Sinn des § 46a Abs 2 MRG bereits dem Grunde nach unstatthaft sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsgegnerin Folge und wies das Feststellungsbegehren ab.

Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 10.000 EUR übersteige und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsteller zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1. Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, wirft nur dann eine erhebliche Rechtsfrage auf, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RIS-Justiz RS0042936; RS0042776). Dies gilt auch für die ergänzende Vertragsauslegung (RIS-Justiz RS0044358 [T41]). Eine derartige Fehlbeurteilung des Rekursgerichts liegt nicht vor.

2. Dass es anlässlich der mündlichen Vereinbarung vom 11. 3. 1992 im Zusammenhang mit deren Klarstellung durch das Telefonat vom 23. 3. 1992 nicht zu einer Einigung dahingehend kam, dass der Mietzins für das Geschäftslokal als „frei vereinbart“ gelten solle, ein Weitergaberecht eingeräumt werde oder der Mietvertrag auf die Rechtsnachfolger des damaligen Hauptmieters für alle Eventualitäten zu gleichen Konditionen übergehen solle, ziehen die Revisionsrekurswerber nicht mehr in Zweifel. Wenn auch ein Verzicht auf die Anhebung des Hauptmietzinses im Fall künftiger Gesetzesänderungen ungeachtet der diesbezüglich missverständlichen Formulierung des Rekursgerichts nicht nur im Weg einer ausdrücklichen, sondern auch einer schlüssigen Vereinbarung grundsätzlich denkbar wäre (vgl RIS-Justiz RS0014090), bietet der festgestellte Sachverhalt hier keine ausreichende Grundlage dafür, im Sinn des § 863 ABGB gebe es keinen vernünftigen Grund daran zu zweifeln, die Rechtsvorgänger der Antragsgegnerin hätten auf ein allenfalls erst in Zukunft durch Gesetzesänderung entstehendes Mietzinsanhebungsrecht verzichten wollen, zumal bei Annahme eines Verzichtswillens große Zurückhaltung geboten ist (Griss/P. Bydlinski in KBB5 § 1444 Rz 4 mwN zur Rsp).

3.1. Die Revisionsrekurswerber argumentieren im Wesentlichen mit der Notwendigkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung. Diesbezüglich sei das Rekursgericht in unvertretbarer Weise von höchstgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen. Dies ist nicht der Fall.

3.2. Eine ergänzende Vertragsauslegung wird von der Rechtsprechung in zwei (nicht immer scharf ganz voneinander abgrenzbaren) Fällen vorgenommen: Einerseits ist der Vertrag zu ergänzen, wenn feststeht, dass der schriftliche Vertragsinhalt die Absicht der Parteien nicht richtig wiedergibt (RIS-Justiz RS0017791, RS0017865). Andererseits können nach Abschluss der Vereinbarung Problemfälle auftreten, die von den Parteien nicht bedacht und daher auch nicht ausdrücklich geregelt wurden. Wollten die Parteien in einem solchen Fall (allenfalls vorhandenes) dispositives Recht nicht angewendet wissen oder erweist sich die gesetzliche Regelung für den konkreten Fall als unangemessen, ist von einer planwidrigen Unvollständigkeit des Vertrags (Vertragslücke) auszugehen. Dann ist im Rahmen ergänzender Vertragsauslegung zu prüfen, welche Lösung redliche und vernünftige Parteien für diesen Fall vereinbart hätten (RIS-Justiz RS0017758, RS0017890, RS0113932; 4 Ob 142/17m). Jedenfalls setzt die ergänzende Vertragsauslegung eine „Vertragslücke“ voraus (RIS-Justiz RS0017829, also eine planwidrige Unvollständigkeit des Vertrags (RIS-Justiz RS0017829 [T2]).

3.3. Die Auffassung des Rekursgerichts, die Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung in dem von den Antragstellern angestrebten Sinn lägen nicht vor, bedarf keiner Korrektur im Einzelfall. Das Rekursgericht legte die im März 1992 getroffene Vereinbarung dahin aus, dass der Mieter ein gänzliches Untervermietrecht an wen auch immer ohne Rücksicht auf die Höhe des Untermietzinses für sich und seine Rechtsnachfolger gegen Aufgabe des Rechts an den Dachbodenabteilen oder einem Kellerabteil erhalten sollte, wobei es ungeachtet der Verminderung der Bestandflächen zu keiner Reduktion des Mietzinses, wegen der Einräumung des Untervermietrechts aber auch zu keinem Mietzinsanhebungsrecht des Vermieters kommen sollte. Seine Rechtsansicht, diese Vereinbarung sei ausreichend deutlich, sodass keine Notwendigkeit einer Vertragsergänzung bestehe, bedarf keiner Korrektur im Einzelfall. Gegen eine planwidrige Unvollständigkeit des Vertrags (somit eine Vertragslücke) bzw einen von den Parteien nicht bedachten Problemfall spricht insbesondere die Feststellung, dass die Vertreter der Rechtsvorgängerin der Antragsgegnerin eine vertragliche Regelung des Mietzinses für den Fall des Übergangs der Mietrechte im Todesfall des damaligen Hauptmieters – wenn auch unter Hinweis auf die damalige Rechtslage – gerade nicht wünschten. Anlässlich des – die schriftliche Bestätigung der mündlichen Einigung vom 1. 3. 1992 klarstellenden – Telefonats vom 12. 3. 1992 wurde die unklare Formulierung in diesem Schreiben „sondern gilt (der Hauptmietzins) als für das restliche Bestandobjekt für den Mieter und dessen Rechtsnachfolger als frei vereinbart“ zwar besprochen, das Erstgericht konnte aber nicht feststellen, dass eine Einigung dahin zustande gekommen wäre, dass der Mietzins für das Lokal tatsächlich als „frei vereinbart“ gelten solle, dem Mieter ein Weitergaberecht eingeräumt werde oder der Mietvertrag auf die Rechtsnachfolger des damaligen Mieters für alle Eventualitäten zu den gleichen Konditionen übergehen solle. Die Auffassung, auf Basis dieser Feststellungen stehe weder fest, dass der Vertragsinhalt die Parteienabsicht nicht richtig wiedergebe noch dass es nach Abschluss der Vereinbarung zu Problemfällen gekommen wäre, die die Parteien nicht bedacht und daher auch nicht ausdrücklich geregelt hätten, ist jedenfalls vertretbar. Das Inkrafttreten des 3. WÄG mit 1. 3. 1994 konnte im Übrigen schon deshalb kein solcher nicht bedachter Problemfall sein, weil es sich – für sich allein betrachtet – nicht unmittelbar auf das Bestandverhältnis zwischen den Rechtsvorgängern der Streitteile auswirkte. Das Mietzinsanhebungsrecht nach § 46a Abs 2 MRG setzte vielmehr den Tod des Hauptmieters voraus, der aber – entgegen den anlässlich der Verhandlungen im Jahr 1992 geäußerten Befürchtungen des Erst- und Drittantragstellers – erst am 3. 10. 2005 verstorben ist. Zwischen der hier zu beurteilenden Vereinbarung im März 1992 und dem Todestag des Hauptmieters
lagen 13 ½ Jahre, somit ein Zeitraum eines – unverändert günstigen – Mietzinses für den Hauptmieter, der im Sinn des festgestellten Wunsches seiner Vertreter im Jahr 1992 nach allgemeinem Sprachgebrauch durchaus als „längere Zeit“ gewertet werden kann.

3.4. Die Entscheidung 1 Ob 573/90 bejahte eine Vertragsergänzung nach dem hypothetischen Parteiwillen im Hinblick auf die durch § 15 Abs 2 MRG ermöglichte Überwälzung der Umsatzsteuer auf den Mieter auch bei Altverträgen über Einfamilienhäuser im Einzelfall und ist ebensowenig einschlägig wie 3 Ob 78/95, wo es um die Auslegung eines Exekutionstitels, der im Wesentlichen mit dem Wortlaut des Gesetzes übereinstimmte, nach Änderung der entsprechenden gesetzlichen Bestimmung ging. 8 ObA 99/04y betraf die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Abänderung einer Pensionszusage in Form einer freien Betriebsvereinbarung möglich ist und hatte die Auslegung eines darin enthaltenen Änderungsvorbehalts zum Gegenstand. Auch daraus ist für die Antragsteller nichts zu gewinnen.

4. Fragen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage stellen sich hier nicht. Einerseits könnte nur der Wegfall einer geschäftstypischen Voraussetzung geltend gemacht werden, wenn er für die betroffene Partei nicht vorhersehbar war und sich nicht in ihrer Sphäre ereignete (Bollenberger in KBB5 § 901 Rz 7 mwN). Andererseits ist die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage jedenfalls nur als letztes Mittel heranzuziehen (6 Ob 148/07v; vgl RIS-Justiz RS0017454).

Der Verzicht auf ein – erst in Zukunft durch Gesetzesänderung allenfalls zu begründendes – Mietzinsanhebungsrecht im Zusammenhang mit einer Vereinbarung über den Verzicht auf Nutzungsrechte an Keller- bzw Dachbodenabteilen gegen Einräumung eines Untervermietungsrechts ist keine typische – im Sinn einer überhaupt und allgemein bei Abschluss von Geschäften dieser Art vorausgesetzte – Geschäftsgrundlage (vgl 6 Ob 154/02v; Bollenberger aaO Rz 9). Abgesehen davon fehlt es nach der jedenfalls vertretbaren Auffassung des Rekursgerichts hier an einer ausreichenden Feststellungsgrundlage für eine – für den Wegfall der Geschäftsgrundlage ebenfalls erforderliche (Bollenberger aaO Rz 10) – Störung der Äquivalenz. Das als Gegenleistung für den Verzicht auf die vom damaligen Hauptmieter ohnedies nicht mehr benötigten Keller- und Dachbodenabteile eingeräumte uneingeschränkte Recht zur Untervermietung eines Geschäftslokals in Bestlage des ersten Wiener Gemeindebezirks als äquivalente Gegenleistung anzusehen, liegt nahe und bedarf keiner Korrektur im Einzelfall. Dass die Rechtsvorgängerin der Antragsgegnerin auf den Verzicht des damaligen Hauptmieters auf seine Nutzungsrechte zur Ermöglichung des Dachgeschossausbaues angewiesen gewesen wäre, ist in dieser Allgemeinheit nicht richtig. Der Vermieterin wäre 1992 die Möglichkeit der Teilkündigung nach § 31 Abs 5 MRG offengestanden, seit Inkrafttreten des 3. WÄG auch ein Verfahren nach § 18c Abs 2 MRG.

5. Der außerordentliche Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Textnummer

E121750

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0050OB00058.18T.0515.000

Im RIS seit

20.06.2018

Zuletzt aktualisiert am

19.10.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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