TE OGH 2018/1/17 6Ob233/17h

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Veröffentlicht am 17.01.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** K*****, vertreten durch Dr. Stephanie Bonner, Rechtsanwältin in Mödling, gegen die beklagte Partei Dr. C***** S*****, vertreten durch Partnerschaft Schuppich Sporn & Winischhofer Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 63.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 4.000 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 7. September 2017, GZ 12 R 119/16g-39, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 12. Oktober 2016, GZ 54 Cg 57/15x-29, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit 5.447,52 EUR (darin 907,92 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Ende des Jahres 2010 wurde dem Kläger ein Nierenkarzinom entfernt. In weiterer Folge schickte der Hausarzt des Klägers diesen zu mehreren Nachkontrollen; unter anderem erfolgte auch eine Zuweisung an den Beklagten, einen Facharzt für Radiologie. Die Zuweisung bezog sich auf die Bereiche Thorax, Abdomen und Becken, die Untersuchung diente der Krebsnachsorge. Bei der Untersuchung des Klägers durch den Beklagten am 9. 3. 2011 lagen diesem weder ein Blutbefund noch ein klinischer Befund vor. Auf den vom Beklagten erstellten Computertomographiebildern sind auch Teile der Schilddrüse abgebildet, damit der von der Zuweisung umfasste Thorax zur Gänze zu sehen war.

Der Beklagte bemerkte im Untersuchungszeitpunkt keine Auffälligkeiten bezüglich der Schilddrüse; erst im Nachhinein – in Kenntnis einer Diagnose medulläres Schilddrüsenkarzinom und bei Betrachtung eines einzelnen Bildes – konnte der Beklagte eine Inhomogenität sehen. Am 9. 3. 2011 erstellte er jedoch einen Röntgenbefund, in dem es unter anderem heißt: „Sonst kein pathologischer Befund.“ Der Halsbereich des Klägers war von der Zuweisung nicht erfasst gewesen. Wäre jedoch die Schilddrüse laut Zuweisung zu untersuchen gewesen, hätte der Beklagte eine Ultraschalluntersuchung (Sonographie) gemacht.

Ende des Jahres 2011 erfuhr der Kläger, dass er an einem medullären Schilddrüsenkarzinom leidet. In weiterer Folge wurden die Schilddrüse entfernt und ein Implantat eingesetzt. Im Jahr 2015 erfuhr er, dass auf einem der von dem Beklagten angefertigten Computertomographiebilder Auffälligkeiten zu erkennen sind.

Bei den von dem Beklagten angefertigten Computertomographiebilder ist die Schilddrüse des Klägers nur teilweise abgebildet, die abgebildeten Anteile reichen nicht in den Thoraxbereich. Die Schilddrüse lag nicht in dem durch die Zuweisungsdiagnose des Hausarztes des Klägers definierten Untersuchungsgebiet. Die Mehrschicht-computertomographie, wie sie von dem Beklagten am Kläger durchgeführt wurde, ist die geeignete Methode der Nachsorgeuntersuchung nach den meisten Tumoren. Weder Computertomographie noch Mehrschichtcomputertomographie sind jedoch geeignete Untersuchungsmethoden der Schilddrüse, insbesondere auch nicht eines medullären Schilddrüsenkarzinoms, wie es beim Kläger vorlag.

Zur Nachsorge eines Nierenzellkarzinoms ist die Untersuchung der Nierenloge und der Regionen Abdomen inklusive Retroperitoneum, Becken sowie Thorax und die in diesem Bereich mitdargestellten Skelettenabschnitte vorzunehmen, weil in diesen Regionen die häufigsten Metastasierungen vorkommen. Das medulläre Schilddrüsenkarzinom, an dem der Kläger erkrankt war, steht in keinem Zusammenhang mit dessen Nierenzellkarzinom.

Die Untersuchung des Klägers am 9. 3. 2011 wurde lege artis durchgeführt. Es wurde eine axiale Schichtführung nach intravenöser Applikation von 90 ml Kontrastmittel, Schichtdicke 0,75 mm, Rekonstruktion in axialer Ebene im Weichteilfenster durchgeführt. Untersuchungsbereich war die obere Thoraxapertur bis zum Unterrand der Symphyse. Die Einstellung war sehr gut, die Bildqualität war ebenfalls sehr gut.

In den cranialen Randschichten, die zusätzlich angefertigt wurden, damit der geforderte Untersuchungsbereich mit Sicherheit zur Gänze abgebildet wird, ist rechts paratracheal eine längliche Struktur mit 23 x 15 mm Durchmesser und einer craniocaudalen Ausdehnung von 44 mm abgrenzbar. Diese Struktur ist landkartenartig begrenzt, weichteildicht und weitgehend schollig verkalkt. Eine analoge Struktur mit 22 x 14 mm Durchmesser und einer craniocaudalen Ausdehnung von etwa 32 mm ist im rechten Schilddrüsenlappen abgrenzbar, wobei die craniale Begrenzung nicht dargestellt ist. Weiters lassen sich einzelne kleine, bis 6 mm im Durchmesser haltende Lymphknoten im Trigonum colli abgrenzen. Die Beurteilung dieses uncharakteristisch erscheinenden, nur teilweise abgebildeten Zufallsbefunds mit dieser knotigen Veränderung, die teilweise verkalkt ist, ist für einen durchschnittlich ausgebildeten Facharzt für Radiologie möglich, war aber für einen Facharzt ohne vertiefte Ausbildung im Kopf-, Hals- und/oder Thoraxbereich schwer erkennbar.

Das medulläre Schilddrüsenkarzinom ist eine seltene, tumoröse Erkrankung der Schilddrüse. Die Häufigkeit dieses Karzinoms in der Bevölkerung beträgt in Österreich weniger als 0,001 %. Bildgebende Verfahren sind keine empfohlenen diagnostischen Verfahren zur Feststellung eines solchen Karzinoms. Die bei einem medullären Schilddrüsenkarzinom vorliegenden Veränderungen sind für bildgebende Verfahren uncharakteristisch und zumeist in der Computertomographie nicht abgrenzbar.

Die Definition für einen pathologischen Befund ist das Vorliegen eines krankhaften oder abnormen Vorgangs oder Zustands. Die in der Computertomographie vom 9. 3. 2011 vorliegenden Veränderungen im rechten Schilddrüsenbereich sind uncharakteristisch, somit nicht eindeutig als gut- oder bösartig zu klassifizieren; sie entsprechen jedoch nicht der Norm. Es bestand damit zwar ein abnormer Befund, jedoch nicht der Nachweis eines krankhaften Prozesses. Es liegt ein pathologischer (abnormer) Befund vor. Hätte der Beklagte die teilverkalkten Knoten im rechten Schilddrüsenbereich erkannt, hätte er somit in seinem Befund darauf hinweisen müssen.

Wenn es zu Metastasierungen nach einem Nierenzellkarzinom kommt, dann erfolgt eine Metastasierung nur in 5 bis 7 % der Fälle in der Schilddrüse. Die Inzidenz von Schilddrüsenzufallsbefunden in der Computertomographie – bei einer Thoraxuntersuchung werden durchschnittlich 2.500 oder mehr Bilder angefertigt – beträgt 15 bis 60 %. In schriftlichen Befunden wurden diese Zufallsbefunde in maximal 50 % der Fälle angeführt. Zufallsbefunde der Schilddrüse werden überwiegend von Ärzten mit vertieften Subspezialitäten, insbesondere bezüglich der Kopf-Hals-Radiologie, dokumentiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Zufallsbefund ein Malignum (einen bösartigen Tumor) beinhaltet, liegt bei Menschen über 40 Jahren bei 1,6 %. Ein Großteil der Radiologen ohne vertiefte Ausbildung erkennt keine Zufallsbefunde bezüglich der Schilddrüse.

Der Beklagte hat die allgemeine Ausbildung als Radiologe absolviert und nimmt an den von der Ärztekammer vorgeschriebenen Fortbildungen teil; er hat keine vertiefte Spezialausbildung, auch nicht bezüglich des Hals-Schilddrüsenbereichs oder in der Kopf-Hals-Radiologie. Ein durchschnittlich ausgebildeter österreichischer Radiologe wie der Beklagte hätte die gegenständlichen Auffälligkeiten nicht erkennen müssen.

Der Kläger begehrt vom Beklagten 63.000 EUR an Schmerzengeld und die Feststellung dessen Haftung für sämtliche zukünftigen Schäden, die aufgrund des Diagnose- und Behandlungsfehlers sowie der mangelnden Warnung und Aufklärung im Zusammenhang mit der Untersuchung am 9. 3. 2011 entstehen. Den Beklagten treffe der objektive Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB, Maßstab für Behandlungsfehler seien weltweite universitäre Standards. Jede Auffälligkeit in einem Befund sei zu beschreiben, dem Patienten eine weitere Abklärung zu empfehlen. Ein gewissenhafter Radiologe hätte die Auffälligkeiten erkennen können und den Kläger darauf aufmerksam machen müssen. Durch den Fehler des Beklagten sei es beim Kläger zu einer zehn Monate verzögerten Behandlung und zwölf Monate verspäteten operativen Entfernung des Schilddrüsentumors gekommen.

Der Beklagte wendet ein, die von ihm vorgenommene Untersuchung habe nicht einer Abklärung der Schilddrüse gedient; der Schilddrüsenkrebs des Klägers habe mit dem davor erlittenen Nierenkrebs nichts zu tun. Dem Beklagten könne hinsichtlich des Halsbereichs nicht dieselbe Aufmerksamkeit zugemutet werden wie hinsichtlich der zu untersuchenden Regionen Thorax, Abdomen und Becken. Eine allfällige Erkennbarkeit sei dem Beklagten nicht vorwerfbar. Selbst bei einer fehlerfreien Diagnose wäre der Verlauf der schicksalhaften Erkrankung des Klägers nicht anders gewesen, als er sich tatsächlich zugetragen hat.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Schilddrüse des Klägers sei nicht von der Zuweisung umfasst gewesen, ihre Untersuchung somit auch nicht Inhalt des Behandlungsvertrags gewesen. Veränderungen im Halsbereich seien auch nicht naheliegend, stehe ein Nierenzellkarzinom doch in keinem Zusammenhang mit einem medullären Schilddrüsenkarzinom. Metastasierungen nach einem Nierenkarzinom erfolgten nur selten im Schilddrüsenbereich; die nähere Krankengeschichte habe der Beklagte nicht gekannt. Ein Teil der Schilddrüse sei nur deshalb von den Bildern erfasst, damit der Thorax zur Gänze zu sehen ist, darüber hinaus sei eine Computertomographie nicht die geeignete Methode, eine Schilddrüse zu untersuchen. Dazu komme, dass bei der gegenständlichen Untersuchung zumindest 2.500 Bilder erstellt wurden. Dass der Beklagte den Zufallsbefund auf einem der Bilder nicht erkannte, sei nicht vorwerfbar. Solche Zufallsbefunde im Schilddrüsenbereich würden nur von wenigen Radiologen ohne vertiefte Ausbildung im Hals- oder Thoraxbereich erkannt; der Beklagte habe zwar alle erforderlichen Ausbildungen und Fortbildungen absolviert, eine Verpflichtung, darüber hinausgehend eine vertiefte Ausbildung bezüglich des Halsbereichs und des Thoraxbereichs zu absolvieren, bestehe nicht.

Das Berufungsgericht verwies die Sache an das Erstgericht zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung zurück und sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig ist; es fehle Rechtsprechung zur Frage, ob sich ein Facharzt für Radiologie, der die Durchführung einer Thoraxcomputertomographie übernimmt, haftungs-befreiend darauf berufen könne, einen Zufallsbefund mangels vertiefter Ausbildung im Thoraxbereich (richtig: im Halsbereich) nicht erkannt zu haben. In der Sache selbst verneinte das Berufungsgericht diese Auffassung.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Beklagten ist zulässig; er ist auch berechtigt.

1. Es ist zwischen den Parteien nicht strittig, dass auf den Beklagten als Facharzt der Haftungsmaßstab des § 1299 ABGB anzuwenden ist. Ärzte haben den Mangel der gewissenhaften Betreuung ihrer Patienten nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung zu vertreten, also jene Sorgfalt, die von einem ordentlichen und pflichtgetreuen Durchschnittsarzt in der konkreten Situation erwartet wird (RIS-Justiz RS0038202; 6 Ob 168/10i). Die Behandlung muss entsprechend den Grundsätzen der medizinischen Wissenschaft und den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgen (RIS-Justiz RS0038202 [T3]). Ob ein Arzt seine Sorgfaltspflichten erfüllt hat, hängt daher stets davon ab, wie sich ein verantwortungsbewusster und gewissenhafter Arzt in concreto verhalten hätte (Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB4 [2016] § 1299 Rz 2, § 1300 Rz 43). Der Arzt handelt nicht fahrlässig, wenn die von ihm gewählte Behandlungsmethode einer Praxis entspricht, die von angesehenen, mit dieser Methode vertrauten Medizinern anerkannt ist (RIS-Justiz RS0026324 [T1]). Ein Verstoß gegen die Regeln medizinischer Kunst liegt dagegen vor, wenn die vom Arzt gewählte Maßnahme hinter dem in Fachkreisen anerkannten Standard zurückbleibt. Ein Arzt handelt fehlerhaft, wenn er das in Kreisen gewissenhafter und aufmerksamer Ärzte oder Fachärzte vorausgesetzte Verhalten unterlässt (RIS-Justiz RS0026368 [T2, T3], RS0113383).

Konkret zur Diagnostik ist anerkannt, dass der Arzt Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den aktuell anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst schuldet (RIS-Justiz RS0123136 [T1]). So kann beispielsweise eine Haftung entstehen, wenn eine weitere Diagnostik unterlassen wird, obwohl diese indiziert gewesen wäre (1 Ob 244/16p; vgl auch 6 Ob 604/91). Auch bei der Erstellung einer Diagnose ist daher entscheidend, wie ein verantwortlicher Arzt in der konkreten Situation vorgegangen wäre; weitergehende Untersuchungen können dort nicht verlangt werden, wo nach den Umständen des konkreten Falls keine Anhaltspunkte oder konkrete Verdachtsmomente für eine durch eine solche Untersuchung feststellbare Erkrankung oder Verletzung vorliegen (10 Ob 23/15b).

2. Im vorliegenden Fall ist entscheidungsrelevant, dass der Kläger dem Beklagten von dessen Hausarzt zur Nachkontrolle nach Entfernung eines Nierenkarzinoms überwiesen worden war; die Zuweisung bezog sich auf die Bereiche Thorax, Abdomen und Becken. Wie bereits das Erstgericht zutreffend hervorgehoben hat, war somit die Untersuchung der Schilddrüse des Klägers nicht Gegenstand der Zuweisung und daher auch nicht des Behandlungsvertrags zwischen den Parteien. Nach den Feststellungen hat der Beklagte die allgemeine Ausbildung als Radiologe absolviert und nimmt an den von der Ärztekammer vorgeschriebenen Fortbildungen teil; dass er für die Durchführung der vom Hausarzt angeordneten Nachkontrolle ungeeignet gewesen wäre, behauptet der Kläger nicht. Nach den weiteren Feststellungen hätte aber „ein Großteil der Radiologen ohne vertiefte Ausbildung“ Zufallsbefunde bezüglich der Schilddrüse nicht erkannt; gerade darauf kommt es hier aber an (vgl RIS-Justiz RS0026535 [T2]).

Der Arzt haftet als Sachverständiger im Sinn des § 1299 ABGB nicht für außergewöhnliche Kenntnisse und außergewöhnlichen Fleiß, wohl aber für die Kenntnisse und den Fleiß, den seine Fachgenossen gewöhnlich haben (RIS-Justiz RS0026489). Entscheidend ist der Leistungsstand der betreffenden Berufsgruppe (RIS-Justiz RS0026489 [T2]), folglich gilt ein objektiver Verschuldensmaßstab (RIS-Justiz RS0026422 [T5]), der sich durch die typischen Fähigkeiten des jeweiligen Berufsstands definiert (vgl RIS-Justiz RS0026489 [T6], RS0026422). Da es auf die übliche Sorgfalt jener Personen ankommt, die die betreffende Tätigkeit ausüben, kann sich der Einzelne nicht unter Berufung auf mangelnde individuelle Fähigkeiten entlasten (vgl RIS-Justiz RS0026524). Allerdings darf der Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB auch nicht überspannt werden (RIS-Justiz RS0026535). Wenn Maßstab nicht die spezifische individuelle Erfahrung eines Mitglieds einer bestimmten Untergruppe eines Berufszweigs, sondern das durchschnittlich in der Branche zu erwartende Wissen ist (RIS-Justiz RS0026535 [T13]), wird auch nicht für außergewöhnliche Kenntnisse und außergewöhnlichen Fleiß gehaftet (RIS-Justiz RS0026489). So hat der erkennende Senat erst jüngst eine Haftung verneint, weil – damals der bevorstehende Kurzschluss bei einem Traktor – nur bei einer „überragenden Spitzenleistung“ des Beklagten erkennbar gewesen wäre (6 Ob 16/16w).

Nur wenn der Fachmann tatsächlich über den Standard seiner Berufsgruppe hinausgehende, also auch für einen Fachmann außergewöhnliche Kenntnisse besitzt, muss er diese zur Schadensabwendung einsetzen, wenn ihm das nur jedermann zumutbare Anstrengungen abfordert: So darf beispielsweise ein Arzt, der auf Grund eigener Forschung um die besondere Schädlichkeit eines in der Fachwelt als harmlos beurteilten Medikaments weiß, dieses nicht einsetzen (10 Ob 501/89); desgleichen hat ein Chirurg, der auch ausgebildeter Anästhesist ist, erforderlichenfalls sein Zusatzwissen einzusetzen (Reischauer in Rummel, ABGB³ [2007] § 1297 ABGB Rz 3 unter Hinweis auf 14 Ob 140/86).

3. Für über das übliche Ausmaß hinausgehende Kenntnisse wird somit nicht gehaftet (RIS-Justiz RS0026489; 6 Ob 16/16w). Nach den Ausführungen des Sachverständigen im Verfahren erster Instanz (nur 15 % der Radiologen erkannten Auffälligkeiten im Schilddrüsenbereich) und den Feststellungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der durchschnittliche Radiologe das Karzinom als Zufallsbefund erkannt hätte. Auch der Kläger verweist in seiner Rekursbeantwortung selbst auf Pitzl/Huber/Lichtenegger (Der Sorgfaltsmaßstab des behandelnden Arztes, RdM 2007/2), wonach der Sorgfaltsmaßstab nicht anhand eines Universitätsprofessors, sondern anhand eines Durchschnittsarztes zu definieren ist, der nicht sub auspiciis promoviert, sondern im Durchschnitt „befriedigende“ Leistungen erbracht hat.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass nach den Feststellungen ein Nierenzellkarzinom mit einem medullären Schilddrüsenkarzinom nicht im Zusammenhang steht, es zu Metastasierungen nach einem Nierenzellkarzinom in die Schilddrüse nur in 5 bis 7 % der Fälle kommt, die Häufigkeit eines medullären Schilddrüsenkarzinoms in der österreichischen Bevölkerung bei weniger als 0,001 % liegt, weder Computertomographie noch Mehrschicht-computertomographie geeignete Untersuchungsmethoden der Schilddrüse sind, insbesondere auch nicht eines medullären Schilddrüsenkarzinoms, sondern vielmehr eine Sonographie anzuwenden wäre, und dass die Computertomographie beim Kläger mehr als 2.500 Einzelbilder beziehungsweise 320 Mehrschichtbilder erbrachte, wobei der pathologische (abnorme) Befund nur auf ein bis drei Bildern im Randbereich erkennbar gewesen wäre.

4. Für die Annahme eines haftungsbegründenden Verhaltens des Beklagten besteht unter Berücksichtigung all dieser Umstände somit kein Anlass. Für ein vertieftes Spezialwissen, über das er nicht verfügte, hat der Beklagte hier nicht einzustehen. Dass sich ein Arzt, der sich nirgendwo vertieft, dann in vielen Bereichen exkulpieren könnte, wie der Kläger meint, entspricht nicht § 1299 ABGB, der einen objektiven Maßstab in Gestalt der durchschnittlich vorherrschenden Kenntnisse anlegt.

5. Damit war aber die abweisliche Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Ersatz der vom Beklagten für seinen erfolgreichen Rekurs an den Obersten Gerichtshof getragenen Pauschalgebühr in Höhe von 2.861 EUR wurde nicht begehrt.

Textnummer

E120552

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00233.17H.0117.000

Im RIS seit

07.02.2018

Zuletzt aktualisiert am

13.05.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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