TE Bvwg Erkenntnis 2017/10/25 W131 2134195-2

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Veröffentlicht am 25.10.2017
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Entscheidungsdatum

25.10.2017

Norm

AsylG 2005 §29 Abs3
AsylG 2005 §29 Abs3 Z4
AsylG 2005 §29 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
AVG 1950 §39 Abs2
BFA-VG §21 Abs3
B-VG Art.133 Abs4
B-VG Art.136 Abs2
B-VG Art.18 Abs1
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
VwGVG §27
VwGVG §28 Abs3 Satz2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W131 2134195-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard GRASBÖCK als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. 01.01.1995, StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.09.2017, Zl. XXXX

A)

I. den Beschluss gefasst: In Erledigung der Beschwerde wird Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung einer neuen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverweisen.

II. zu Recht erkannt: Die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheides werden gemäß § 28 Abs 5 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

I. Die Revision gegen Spruchpunkt A) I. ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.

II. Die Revision gegen Spruchpunkt A) II. ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Herr XXXX (= Beschwerdeführer bzw Bf) stellte nach einem bereits rechtskräftig durch das BVwG abgewiesenen Antrag auf internationalen Schutz am 23.08.2017 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz.

Dieser Folgeantrag wurde mit dem angefochtenem Bescheid wegen entschiedener Sache insgesamt zurückgewiesen; und traf die belangte Behörde die in § 10 Abs 1 AsylG diesbezüglich zusätzlich vorgesehenen Aussprüche, erklärte die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 52 Abs 9 FPG für zulässig bzw sprach weiters aus, dass gemäß § 55 Abs 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht.

Der Beschwerdeführer erhob gegen den angefochtenen Bescheid unstrittig rechtzeitig anwaltlich vertreten Bescheidbeschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Über den obigen Verfahrensgang hinaus ist zusätzlich ausdrücklich festzustellen:

1.1. Der Bf wird ausweislich einer von der Behörde vorgelegten Vollmachturkunde vom 07.02.2017 von dem im Entscheidungskopf ersichtlichen Rechtsanwalt vertreten, wobei diese Vollmacht des Rechtsanwalts auch eine Zustellvollmacht enthält. Der Bf legte dieses Vollmachtsverhältnis bereits gelegentlich der Stellung seines Folgeantrags offen.

1.2. Gegenüber dem Bf persönlich konnten im Folgeantragsverfahren - nach der Antragstellung - bislang behördlich keine persönlichen Zustellungen vorgenommen werden, jedoch sehr wohl an den vertretenden Rechtsanwalt.

1.3. Die Behörde verfasste im Folgeantragsverfahren keine Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs 3 Z 4 AsylG und führte dementsprechend auch nicht das in § 29 Abs 4 AsylG vertypte Ermittlungsverfahren durch. Insb unterließ es die Behörde auch, dem ihr bekannten Rechtsanwalt als Zustellbevollmächtigtem gemäß § 9 Abs 3 ZustellG rechtsgültig eine Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs 3 Z 4 AsylG zuzustellen.

1.4. Der angefochtene Bescheid, mit dem im Spruchpunkt I. der Folgeantrag gemäß § 68 Abs 1 AVG zurückgewiesen wurde und in dessen Spruchpunkten II. und III. weitere Aussprüche zu Lasten des Bf und dabei insb eine Rückkehrentscheidung bzw eine Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan getroffen wurden, wurde behördlich an den ausgewiesenen Rechtsanwalt zugestellt.

1.5. Gegen diesen Bescheid wurde unstrittig rechtzeitig Beschwerde erhoben.

1.6. Weder ist von der Behörde behauptet worden noch ist sonst vorgebracht bzw bekannt, dass der Bf nicht mehr im Bundesgebiet wäre.

2. Beweiswürdigung:

Der Sachverhalt ergibt sich aus dem von der belangten Behörde vorgelegten Akteninhalt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das BVwG gegenständlich mangels gesetzlicher Senatsentscheidungsanordnung durch den Einzelrichter und wendet dabei abseits von sondergesetzlichen Verfahrensvorschriften das VwGVG, das AVG und das ZustellG an.

IdZ ist festzuhalten, dass der Bundesverfassungsgesetzgeber ausweislich des Art 11 Abs 2 B-VG und synchron auch in Art 136 Abs 2 B-VG evident anstrebt, dass das Verfahren der Verwaltungsbehörden und der Verwaltungsgerichte jeweils immer möglichst nach den identen Verfahrensvorschriften gestaltet sein soll und dass nur ausnahmsweise va im Falle der Erforderlichkeit Sonderverfahrensvorschriften (insb abweichend vom AVG bzw VwGVG) zulässig sein sollen. Dementsprechend sind nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen Sonderverfahrensvorschriften im AsylG und im BFA - VG, soweit diese vom AVG, VwGVG und ZustellG abweichen, einschränkend auszulegen, da der Verfassungsgesetzgeber insoweit den Grundsatz des möglichst einheitlichen Verfahrensrechts aufgestellt hat. Obiter wird insoweit als Beispiel für den genannten Grundsatz und dessen Verletzung die jüngst erfolgte Gesetzeskassation des VfGH vom 26.09.2017 zu G 134/2017-12, G 207/2017-8 iZm den ursprünglich normierten verkürzten Bescheidbeschwerdefristen in § 16 BFA - VG erwähnt.

Klargestellt wird weiters, dass die zurückverweisende Kassation des Spruchpunkt I. des Bescheids gemäß § 28 Abs 1 und Abs 3 VwGVG in Beschlussform erfolgte, während die ersatzlose Kassation des Restbescheids nach § 28 Abs 1 VwGVG in Erkenntnisform zu erfolgen hatte.

Zu A)

3.2. Zur Aufhebung und Zurückverweisung des Spruchpunkts I., mit dem wegen entschiedener Sache zurückverwiesen wurde:

3.2.1. Vorauszuschicken ist, dass sich die vorliegende Aufhebung und Zurückverweisung des Spruchpunkts I. des angefochtenen Bescheids aus der Aktenlage ergeben hat, womit eine Einvernahme des Bf nicht notwendig war und damit der § 24 Abs 2 AsylG nicht einschlägig war, siehe dazu Filzwieser et al, Asyl- und Fremdenrecht § 24 AsylG K14. und K15. (Die Restkassation des Bescheids ist schlichte Rechtsfolge der zurückverweisenden Primärkassation des Spruchpunkts I. des Bescheids.)

Gleichfalls vorangestellt wird, dass § 21 BFA – VG (hier anwendbar und zitiert idF BGBl I 2015/70, nach seinem Wortlaut generell nicht und insb auch nicht in seinem Abs 3 die Anwendung des § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG ausdrücklich ausgeschlossen hat, so dass nach hier vertretener Ansicht verfassungskonform gemäß Art 136 Abs 2 B-VG davon ausgegangen wird, dass die Vorschrift des § 21 Abs 3 BFA – VG den § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG nicht verdrängt, zumal derart nicht näher zu hinterfragen ist, ob der § 21 Abs 3 BFA – VG erforderlich gemäß Art 136 Abs 2 B-VG ist.

§ 28 Abs 3 VwGVG hat es jedenfalls dem Materiengesetzgeber nicht freigestellt, jederzeit Abweichendes zu regeln, wie in Art 136 Abs 2 B-VG als legistische Gestaltungsmöglichkeit vorgesehen. Anders als zB in § 18 Abs 7 BFA - VG iZm dem Institut der aufschiebenden Wirkung hat es der Gesetzgeber des BFA - VG gerade nicht unternommen, im Bereich des § 21 Abs 3 BFA - VG eine vergleichbare "Unanwendbarkeitsvorschrift" für den § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG zu normieren.

(Wenn – obiter - der Materiengesetzgeber in § 21 Abs 3 Satz 2 BFA – VG die Variante der Verhandlungswiederholungsnotwendigkeit im Zulassungsverfahren als Anwendungsvoraussetzung für in dieser Bestimmung vorgesehene Rechtsfolgen normiert, stellt sich idZ die Frage, inwieweit das BFA zwecks ansatzweise gehöriger Ermittlung im Zulassungsverfahren ohnehin selbst immer eine mündliche Verhandlung durchführen muss.)

3.2.2. Im Allgemeinen judiziert der VwGH zum Verfahrensrecht va zum Zurückweisungsgrund der Rechtsmittelverspätung, wie zB zu Zl 95/19/1302 ersichtlich:

... Zwar ist dem Beschwerdeführer dahingehend beizupflichten, daß die Behörde das Risiko der Aufhebung ihres Bescheides trägt, wenn sie die vermeintliche Verspätung eines Rechtsmittels dem Rechtsmittelwerber nicht vorhält und dieser in der Folge einen Sachverhalt vorbringt, welcher geeignet ist darzutun, daß die belangte Behörde bei Gewährung von Parteiengehör zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. ...

Aus der Rsp des VwGH zum Verspätungsvorhalt ist daher als allgemeiner Verfahrensgrundsatz abzuleiten, dass Sachverhalte, die einen Zurückweisungsgrund darstellen könnten, der durch den angedachten Zurückweisungsgrund potentiell nachteilig betroffenen Partei zur Wahrung des Parteiengehörs zwecks Äußerungsmöglichkeit vorzuhalten sind.

3.2.3. Der Gesetzgeber hat nunmehr ein derartiges Vorhalteverfahren zu einem angedachten Zurückweisungsgrund in § 29 Abs 3 Z 4 und Abs 4 sowie Abs 5 AsylG (idF BGBl I 2015/70) zum Zeitpunkt dieser Entscheidung verfahrensrechtlich sogar sondergesetzlich wie folgt gestaltet, soweit hier interessierend:

[...]

Sonderbestimmungen im Zulassungsverfahren

§ 29. (1) Zulassungsverfahren sind mit Einbringen von Anträgen auf internationalen Schutz zu beginnen.

(Anm.: Abs. 2 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 70/2015)

(3) Nach Durchführung der notwendigen Ermittlungen hat das Bundesamt je nach Stand des Ermittlungsverfahrens

1. [...];

4. dem Asylwerber mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen, dass beabsichtigt ist, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen ([ ] und § 68 Abs. 1 AVG);

[...].

Eine Mitteilung gemäß Z 3 bis 6 hat nicht zu erfolgen, wenn der Asylwerber nicht mehr im Bundesgebiet aufhältig ist.

(4) Bei Mitteilungen nach Abs. 3 Z 3 bis 6 hat das Bundesamt den Asylwerber zu einem Rechtsberater (§ 49 BFA-VG) zu verweisen. Dem Asylwerber ist eine Aktenabschrift auszuhändigen und eine 24 Stunden nicht zu unterschreitende Frist zur Vorbereitung einzuräumen. Der Asylwerber und der Rechtsberater (§ 49 BFA-VG) sind unter einem zu einer Einvernahme zur Wahrung des Parteiengehörs nach Verstreichen dieser Frist zu laden. In dieser Frist hat eine Rechtsberatung (§§ 49, 50 BFA-VG) zu erfolgen; dem Rechtsberater (§ 49 BFA-VG) ist unverzüglich eine Aktenabschrift, soweit diese nicht von der Akteneinsicht ausgenommen ist (§ 17 Abs. 3 AVG), zugänglich zu machen (§ 29 Abs. 1 Z 15 BFA-VG). Die Rechtsberatung hat, wenn der Asylwerber in der Erstaufnahmestelle versorgt wird, in dieser stattzufinden. Wird der Asylwerber angehalten, kann die Rechtsberatung auch in den Hafträumen erfolgen.

(5) Bei der Einvernahme zur Wahrung des Parteiengehörs hat der Rechtsberater (§ 49 BFA-VG) anwesend zu sein. Zu Beginn dieser Einvernahme ist dem Asylwerber das bisherige Beweisergebnis vorzuhalten. Der Asylwerber hat die Möglichkeit, weitere Tatsachen und Beweismittel anzuführen oder vorzulegen.

(6) Zu Beginn

[...]

Aus der vorstehenden Regelung und insb aus § 29 Abs 3 Z 4 AsylG ergibt sich, dass dem Asylwerber, der einen Folgeantrag stellt, der von der belangten Behörde wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs 1 AVG zurückzuweisen angedacht ist, eine Verfahrensanordnung zuzustellen ist, in der auf die in Aussicht genommene Zurückweisung hinzuweisen ist.

Der Gesetzgeber hat danach in § 29 Abs 4 AsylG unter Parteiengehörsgesichtspunkten zusätzlich insb normiert, dass neben einer Rechtsberaterverständigung dem Asylwerber eine Aktenabschrift auszufolgen ist und ihm eine Mindestvorbereitungszeit für eine danach erfolgende Einvernahme einzuräumen ist. Aus § 29 Abs 5 AsylG ergibt sich weiters, dass der Asylwerber nach der Mindestvorbereitungsfrist zwingend einzuvernehmen ist, wobei der Asylwerber abseits asylrechtlicher Sondervorschriften gemäß AVG zusätzlich jedenfalls auch schriftlich zum vorgehaltenen Zurückweisungsgrund "entschiedene Sache" Stellung nehmen kann.

3.2.4. Aus § 10 AVG iVm § 9 Abs 3 ZustellG ergibt sich, dass eine wirksame Zustellung, zB auch einer Verfahrensanordnung nach § 29 Abs 3 Z 4 AsylG, mangels sondergesetzlicher Vorschrift bei einer aufrechten Zustellvollmacht eines Zustellbevollmächtigten, wie hier eben eines Rechtsanwalts, eine Zustellung bzw zumindest ein Zukommen dieser Verfahrensanordnung an den zustellbevollmächtigten Rechtsanwalt voraussetzt.

3.2.5. Mag § 11 BFA - VG insb in seinen Absätzen 2 und 3 Sondervorschriften für mögliche Zustelladressaten enthalten, so gilt der zitierte Abs 2 nur für Ladungen und der Abs 3 nur für zurück- oder abweisliche Entscheidungen.

Als Zwischenergebnis ist damit festzuhalten, dass für die Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs 3 Z 4 AsylG allgemeines Zustellrecht gilt.

Unstrittig und insb ausweislich des Verwaltungsakts hat der mit Vollmachtsurkunde vom 07.02.2017 nachweislich bestellte zustellbevollmächtigte Rechtsanwalt vor der Erlassung des angefochtenen Bescheids niemals eine Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs 3 Z 4 AsylG (samt der Aktenabschrift des § 29 Abs 4 AsylG) amtswegig zugestellt erhalten, die es diesem Rechtsanwalt ermöglicht hätte, für seinen Klienten innerhalb der Vorbereitungsfrist gemäß § 29 Abs 4 AsylG bzw bis zur Bescheiderlassung rechtsfreundlich einzuschreiten und zu dem im Bescheid herangezogenen Zurückweisungsgrund vorab Stellung zu nehmen, zumal der Gesetzgeber insoweit keinen absoluten Beweispräklusionszeitpunkt normiert hat.

Evident erscheint dabei, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ausgeschlossen ist, dass zB auch der gegenständliche Beschwerdeführer mit dem ihn vertretenden Rechtsanwalt in Kontakt stehen kann und daher vom Prozedere gemäß § 29 Abs 3 Z 4 AsylG erfahren kann und damit seine diesbezüglichen Verfahrensrechte wahrnehmen kann, auch wenn der Bf für die Behörde nicht erreichbar gewesen sein könnte.

3.2.6. Wie der VwGH zu § 27 VwGVG iZm den Beschwerdegründen gemäß § 9 Abs 1 Z 3 VwGVG ständig judiziert, hat das BVwG auch abseits ausdrücklicher Beschwerdegründe erkannte Rechtswidrigkeiten amtswegig aufzugreifen, derart mwN zB VwGH Zl Ra 2015/07/0057:

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im Erkenntnis vom 17. Dezember 2014, Ro 2014/03/0066, zur Auslegung des § 27 VwGVG grundsätzlich ausgeführt, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Gesetzgeber den Prüfungsumfang der Verwaltungsgerichte ausschließlich an das Vorbringen des jeweiligen Beschwerdeführers binden wollte, weil dann ein für den Beschwerdeführer über den Bescheidabspruch hinausgehender nachteiliger Verfahrensausgang vor dem Verwaltungsgericht wohl ausgeschlossen wäre, obgleich ein Verbot der "reformatio in peius" im VwGVG nicht vorgesehen sei. Schließlich komme das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG für die Verwaltungsgerichte nicht bloß subsidiär zum Tragen, sei doch dieses im Grunde des § 17 VwGVG auch für die Verwaltungsgerichte maßgebliche Prinzip jedenfalls in den der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht unterliegenden Fällen, im Rahmen der von diesen Gerichten zu führenden Ermittlungsverfahren, zu beachten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063).

Die Prüfungsbefugnis der Verwaltungsgerichte ist aber keine unbegrenzte. Der äußerste Rahmen für die Prüfbefugnis ist die "Sache" des bekämpften Bescheides (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. März 2015, Ra 2014/07/0077). "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ist jedenfalls nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Jänner 2015, Ra 2014/06/0055).

Dementsprechend hatte das BVwG gegenständlich auch amtswegig die Abs 3 und 4 des § 29 AsylG zu beachten, um dem Rechtsstaatsprinzip und dem Art 18 Abs 1 B-VG bei der vorliegenden Verwaltungssache zu entsprechen.

3.2.7. IZm den Anträgen auf internationalen Schutz judiziert der VwGH, dass die Rechtmäßigkeit einer "Zurückweisung wegen entschiedener Sache" auf Grund des von der Behörde zu berücksichtigenden Sachverhalts zu erfolgen hat. Derart zB der VwGH zu Zl Ra 2017/18/0220:

... "Sache" der Beschwerdeverfahren vor dem BVwG war die Frage, ob die Zurückweisung der verfahrenseinleitenden Anträge durch das BFA gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht erfolgte. Das BVwG hatte dementsprechend zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zu den rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist (VwGH vom 12. Oktober 2016, Ra 2015/18/0221). ...

Im vorliegenden Fall wäre von der Behörde daher der Sachverhalt zu berücksichtigen gewesen, der sich für die Behörde nach den in § 29 Abs 3 Z 4, Abs 4 und Abs 5 AsylG gesetzlich vorstrukturierten Ermittlungen und allfälligen zusätzlich denkmöglichen Beweisergebnissen bis zu ihre Entscheidungszeitpunkt ergeben hätte. Durch die Unterlassung einer Zustellung einer Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs 3 Z 4 AsylG an den gewillkürten Vertreter des Bf samt Unterlassung der Aktenübermittlung gemäß § 29 Abs 4 AsylG an seinen gewillkürten Vertreter hat die Behörde nicht jene zentralen Sachverhaltsermittlungsschritte vorgenommen, die der Gesetzgeber zur Erforschung des wahren Parteiwillens des Bf gemäß § 29 Abs 3 Z 4 und Abs 4 AsylG von der Behörde verlangt. Das BVwG hatte iSv VwGH Zl Ra 2017/18/0220 zu beurteilen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist.

Wenn das BVwG maW zu prüfen hat, ob die Behörde auf Grund des zu berücksichtigenden Sachverhalts, der sich zentral aus den in § 29 Abs 3 Z 4 und Abs 4 AsylG strukturierten Ermittlungsschritten ergibt, die Zurückweisung wegen entschiedener Sache rechtmäßig vorgenommen hat, kann es dabei nicht umgekehrt Aufgabe des BVwG sein, vorab den für die behördliche Entscheidung relevanten Sachverhalt durch Setzung der diesbezüglichen Parteiengehörsschritte gemäß § 29 Abs 3 Z 4 und Abs 4 AsylG zu ermitteln.

3.2.8. Der VwGH judiziert aktuell die Aufhebungs- und Zurückverweisungsmöglichkeit gemäß § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG beginnend mit Zl Ro 2014/03/0063 aus wie folgt:

... Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl...

Durch die Unterlassung des gesetzlich in § 29 Abs 3 Z 4 und Abs 4 AsylG vorstrukturierten Ermittlungsprozederes und insb durch die Unterlassung der Versendung einer Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs 3 Z 4 AsylG an den bei der Behörde aktenkundigen gewillkürten Vertreter des Bf, an den die Behörde auch den angefochtenen Bescheid (mit der Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache) zugestellt hat, hat die Behörde nach hier vertretener Auffassung den zu berücksichtigenden Sachverhalt bloß ansatzweise ermittelt. Damit erscheint gegenständlich eine Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG zulässig, zumal dazu keine Verhandlung nach § 21 Abs 3 BFA - VG erforderlich war und umgekehrt die fehlende Verhandlungsnotwendigkeit iSd § 21 Abs 3 BFA - VG die Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG iSd Gedankens des möglichst einheitlichen Verfahrensrechts Art 136 Abs 2 B-VG nicht ausschließt.

3.2.9. Zusammenfassend war Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung einer neuerlichen Entscheidung im Zulassungsverfahren gemäß § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG an die Behörde zurückzuverweisen. Diese Vorgangsweise erscheint sachgerecht, da der Zurückweisungsausspruch "wegen entschiedener Sache" nach der Rsp des VwGH auf Basis des zu berücksichtigenden Sachverhalts zu erfolgen hat und Sache dieses Beschwerdeverfahrens eben nur die Frage der Rechtsmäßigkeit der Zurückweisung "wegen entschiedener Sache" vor dem Hintergrund genau dieses bereits behördlich zu beurteilenden Sachverhalts zu sein hat.

3.3. Die Behörde hat mit den Spruchpunkten II. und III. keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt und in einem eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan festgestellt und weiters ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise nach Afghanistan besteht.

Der VwGH judiziert insoweit insb zur Rückkehrentscheidung, dass eine solche nicht ergehen bzw bestehen darf, so lange nicht über einen Antrag auf internationalen Schutz, also den hier gegenständlichen Folgeantrag abgesprochen wurde – siehe zB VwGH Zl Ra 2016/21/0162.

Dementsprechend waren die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids ersatzlos in Erkenntisform aufzuheben, um zu gewährleisten, dass diese Absprüche nicht erfolgen, bevor – entsprechend der Systematik des § 10 Abs 1 AsylG - über den hier vorrangig zu entscheidenden zweiten Antrag des Bf auf internationalen Schutz abgesprochen ist.

3.4. Eine mündliche Verhandlung konnte bereits mangels Verhandlungsantrags in diesem Verfahrensgang jedenfalls unterbleiben - § 24 VwGVG

Zu B) Zur teilweisen Zulässigkeit der Revision:

3.3. Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.3.1. Zur Revisionszulassung bei Spruchpunkt A) I:

Die Revision war insoweit zuzulassen, da bislang noch keine gefestigte Rsp des VwGH vorliegt, ob eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG neben § 21 Abs 3 BFA – VG in den Fällen erstinstanzlicher Zurückweisung im Zulassungsverfahren wegen entschiedener Sache zulässig ist, sofern man nicht – mit gleichem Ergebnis der Revisionszulässigkeit davon auszugehen hätte, dass in dieser Entscheidung des BVwG von der Entscheidung des VwGH zu Zl Ra 2016/19/0208 abgewichen wird; wiewohl der VwGH in der letztzitierten Entscheidung ausgeführt hat wie folgt: " Um eine zurückverweisende Entscheidung darauf gründen zu können, bedarf es aber entsprechender Feststellungen durch das Verwaltungsgericht, auf deren Basis die oben genannten Voraussetzungen des § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG als gegeben angenommen werden können. " und diese Ausführungen wiederum für die Anwendbarkeit der zurückverweisenden Kassation gemäß § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG iVm Art 136 Abs 2 B-VG im vorliegenden Fall sprechen könnten.

3.3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision bei Spruchpunkt A) II:

Betreffend die ersatzlose Aufhebung des Spruchpunkts II. und III. des Bescheids liegt die vorliegende Entscheidung auf der stRsp – Linie des VwGH, wie zB zu Zl Ra 2016/21/0162 dokumentiert, womit die Revision nicht zuzulassen war.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, entschiedene Sache, Ermittlungspflicht,
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Revision zulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2017:W131.2134195.2.00

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2017
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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