TE AsylGH Erkenntnis 2013/09/19 S25 437667-1/2013

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Veröffentlicht am 19.09.2013
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Spruch

S25 437.667-1/2013-3E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Nigeria, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Lennart BINDER LL.M, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.08.2013, Zl. 13 10.932-EAST-Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 AsylG idgF als unbegründet abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

 

1. Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte am 28.07.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Eine im Zuge der Antragstellung durchgeführte EURODAC-Abfrage ergab, dass der Beschwerdeführer am 23.05.2011 in Griechenland und am 21.11.2012 in der Schweiz einen Asylantrag gestellt hatte (jeweils EURODAC-Treffer der Kat. 1) [Aktenseite des Verwaltungsverfahrensaktes (AS) 5].

 

Bei der am 30.07.2013 durchgeführten Erstbefragung gab der Beschwerdeführer an, er sei im Februar 2011 von Lagos in die Türkei geflogen und habe sich anschließend in Istanbul ungefähr drei Monate aufgehalten. Anschließend sei er illegal nach Griechenland gereist, wo er von der Polizei aufgegriffen worden sei und man ihm die Fingerabdrücke abgenommen habe. Er sei eine Woche danach nach Athen gefahren, habe dort einen Asylantrag gestellt und habe dort eineinhalb Jahre gelebt, bis er im November 2012 mit einem Schiff nach Italien gefahren sei. Über Mailand sei er mit dem Zug in die Schweiz gelangt und habe dort einen Asylantrag gestellt. Nach zwei Monaten sei sein Antrag negativ entschieden worden, er habe eine Ausweisung erhalten und habe das Asyllager verlassen müssen. Mit dem Zug sei er dann nach Lausanne gefahren und habe dort bis 27.07.2013 gelebt, ehe er mit dem Zug zur österreichischen Grenze, mit einem Taxi nach Österreich und anschließend mit dem Zug nach Wien gefahren sei, um sich hier nach einem Asyllager zu erkundigen. In die Schweiz wolle er nicht mehr zurück, die Lage dort sei sehr schlecht, er habe keine Unterkunft und keine Unterstützung vom Staat gehabt. Zur Begründung seiner Ausreise aus seiner Heimat gab er an, homosexuell zu sein und deshalb um sein Leben gefürchtet zu haben, da dies in seiner Heimat nicht akzeptiert und anerkannt werde (AS 15).

 

Am 09.08.2013 richtete das Bundesasylamt gemäß Art 16 Abs 1 lit e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II-VO) ein Ersuchen um Wiederaufnahme an die schweizerischen Behörden (AS 25).

 

Am 14.08.2013 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs 3 AsylG 2005 mitgeteilt, dass das Bundesasylamt seit 09.08.2013 Dublin-Konsultationen mit der Schweiz führe und aufgrund dieser Mitteilung die Zwanzigtagesfrist des Zulassungsverfahrens nicht mehr gelte. Darüber hinaus wurde ihm mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen (AS 43).

 

Mit Schreiben vom 13.08.2013 teilte die Schweiz mit, dass dem Ersuchen gemäß Art 16 Abs 1 lit e Dublin II-VO vom 09.08.2013 um Wiederaufnahme des Beschwerdeführers nach Art 16 Abs 1 lit e zugestimmt werde (AS 51).

 

Am 21.08.2013 wurden dem Beschwerdeführer Länderfeststellungen der Staatendokumentation zur Schweiz ausgefolgt und ihm mitgeteilt, dass er im Rahmen der Einvernahme zur Wahrung des Parteiengehörs die Möglichkeit habe, eine Stellungnahme zu diesen Feststellungen abzugeben (AS 61).

 

Am 27.08.2013 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt nach einer zuvor erfolgten Rechtsberatung in Anwesenheit eines Rechtsberaters einvernommen. Zu Beginn gab er dabei an, gesund zu sein und sich körperlich und geistig in der Lage zu fühlen, die Einvernahme durchzuführen. Weiters gab er an, keine Verwandten oder sonstigen Bezugspersonen in Österreich oder der EU zu haben und auch mit keiner sonstigen Person in einer Familiengemeinschaft oder familienähnlichen Lebensgemeinschaft zu leben. Dazu befragt, was einer Ausweisung seiner Person entgegenstehe, führte der Beschwerdeführer aus, er sei zwei Monate in der Schweiz aufhältig gewesen, habe direkt im Lager einen negativen Bescheid erhalten und habe danach das Lager verlassen müssen. Normalerweise werde man woanders hin verlegt, wenn man nicht mehr im Lager bleiben könne. Er aber habe das Lager verlassen müssen und sei nicht woanders hin verlegt worden. Sein Verfahren in der Schweiz sei rechtskräftig abgeschlossen. Der Grund, weshalb er nicht in die Schweiz zurück wolle sei, dass er sechs Monate im Freien habe schlafen müssen, da man ihm dort keine weitere Unterkunft mehr gegeben habe.

 

Zu den Feststellungen zur Schweiz wollte der Beschwerdeführer keine Stellungnahme abgeben (AS 71).

 

2. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und wurde ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich des Beschwerdeführers gemäß Art 16 Abs 1 lit e der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates die Schweiz zuständig sei (Spruchpunkt I). Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Schweiz ausgewiesen und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Schweiz gemäß § 10 Abs 4 AsylG zulässig sei (Spruchpunkt II) (AS 75 ff).

 

Das Bundesasylamt traf in diesem Bescheid insbesondere die Feststellungen, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststehe, beim Beschwerdeführer keine Erkrankung vorliege, welche bei einer Überstellung/Abschiebung in die Schweiz eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes bewirken würde, sich die Schweiz gemäß Art 16 Abs 1 lit e der Dublin II-VO für zuständig erklärt habe, eine Zuständigkeit Griechenlands nicht habe festgestellt werden können und auch keine relevanten familiären oder privaten Bindungen festzustellen gewesen sei.

 

Weiters wurden vom Bundesasylamt Feststellungen zum schweizerischen Asylverfahren, insbesondere zu Rechten und Pflichten des Asylwerbers und zur Versorgung, mit entsprechenden Quellenangaben in den Bescheid aufgenommen. Aus diesen Feststellungen ergibt sich zentral, dass das schweizerische Asylverfahren keine wesentlichen menschenrechtlichen Mängel aufweist, an den Grundsätzen der Genfer Flüchtlingskonvention orientiert ist, und das Asylverfahren wieder aufgenommen wird, wenn eine Person, deren Asylgesuch abgeschrieben wurde, erneut ein Asylgesuch stellt. Wenn sich im Rahmen eines Dublin-Verfahrens herausstellt, dass die Schweiz für die Behandlung des Asylgesuches zuständig ist, werden die Fluchtgründe und allfällige Wegweisungshindernisse geprüft und das Asylverfahren wird in der Schweiz abgeschlossen. Mittellose Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene, Schutzbedürftige und anerkannte Flüchtlinge werden durch die öffentliche Fürsorge (Sozialhilfe) unterstützt. Sie erhalten ein (soziales) Existenzminimum und sind gegen Krankheit versichert.

 

Spruchpunkt I wurde zusammengefasst im Wesentlichen damit begründet, dass sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers und dem amtswegigen Ermittlungsverfahren ergebe, dass Art 16 Abs 1 lit e Dublin II-VO erfüllt sei. Dieser Staat sei auch bereit, den Beschwerdeführer einreisen zu lassen und ihm gegenüber die sich aus der Dublin II-VO ergebenden Verpflichtungen zu erfüllen. Festzustellen sei, dass die Schweiz ein Mitgliedstaat der EU sei und auf Grund der allgemeinen Lage nicht hinreichend wahrscheinlich sei, dass es im gegenständlichen Fall bei einer Überstellung zu einer entscheidungsrelevanten Verletzung der EMRK komme. Auch aus der Rechtsprechung des EGMR und aus sonstigem Amtswissen ließen sich keine systematischen, notorischen Verletzungen fundamentaler Menschenrechte in der Schweiz erkennen. Ein vom Beschwerdeführer im besonderen Maße substantiiertes und glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter exzeptioneller Umstände, die die Gefahr einer maßgeblichen Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen lassen, sei im Verfahren nicht hervorgekommen und auch nicht behauptet worden. Die Regelvermutung des § 5 Abs 3 AsylG treffe daher zu. Es habe sich im Ergebnis kein Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechtes gemäß Art 3 Abs 2 Dublin II-VO ergeben, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

 

Hinsichtlich Spruchpunkt II verneinte das Bundesasylamt das Vorhandensein eines hinreichend relevanten Privat- und Familienlebens in Österreich, weshalb die Ausweisung nicht unzulässig in diese verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte eingreife. Beachtliche Hinweise auf die Notwendigkeit eines Aufschubs der Durchführung der Ausweisung gemäß § 10 Abs 3 AsylG hätten sich im Verfahren nicht ergeben.

 

Der Bescheid des Bundesasylamtes wurde dem Beschwerdeführer am 28.08.2013 ordnungsgemäß zugestellt (AS 75).

 

Mit Verfahrensanordnung des Bundesasylamtes vom 27.08.2013 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs 1 AsylG für das Beschwerdeverfahren ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt (AS 103).

 

3. Der ausgewiesene Vertreter gab mit Telefax vom 03.09.2013 die Bevollmächtigung durch den Beschwerdeführer und die Übernahme der Vertretung für diesen bekannt und erhob gegen den Bescheid des Bundesasylamtes fristgerecht und vollumfänglich Beschwerde. Beantragt wurde, die bekämpfte Entscheidung zu beheben; festzustellen, dass die Zurückweisung des Asylantrages und die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Schweiz nicht zulässig seien; die Sache zur nochmaligen Bearbeitung an das Bundesasylamt zurückzuverweisen mit der Anordnung, ein inhaltliches Asylverfahren durchzuführen bzw. eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen um schließlich Asyl oder in eventu subsidiären Schutz zu gewähren; der gegenständlichen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen (AS 119 f).

 

Dazu wurde ausgeführt, dass die Entscheidung inhaltlich falsch und ebenso rechtswidrig aufgrund von mangelhafter Verfahrensführung sei. Dem Beschwerdeführer sei nach sehr kurzem Asylverfahren keine Grundversorgung mehr gewährt worden, weshalb dieser die Schweiz verlassen müssen habe und weiter nach Österreich gelangt sei. Er habe individuelle Gründe vorgelegt, die gegen eine Abschiebung in die Schweiz sprechen. Die belangte Behörde vermöge den konkreten Bedenken des Beschwerdeführers nicht entgegenzutreten und hafte in Bezug auf die zentrale Befürchtung des Beschwerdeführers dem Bescheid des Bundesasylamtes somit ein qualifizierter Begründungsmangel an. Es sei vom Bundesasylamt übersehen worden, dass die vom Beschwerdeführer persönlich vorgebrachten Befürchtungen real seien. Zur Lage der Flüchtlinge in der Schweiz und zum rechtlichen Prozedere des Asylverfahrens treffe der bekämpfte Bescheid ungenügende und veraltete Feststellungen. So habe das Bundesasylamt etwa die Möglichkeit einer Asylantragstellung über eine Botschaft der Schweiz behauptet. Die im Zusammenhang mit den Länderfeststellungen zitierten Judikate seien allesamt aus dem Jahr 2005 oder noch älter. Diese veralteten Informationen würden aufzeigen, dass sich das Bundesasylamt mit der aktuellen Situation der Schweiz überhaupt nicht auseinandergesetzt habe. Sämtliche aktuelle Verschlechterungen für Asylsuchende in der Schweiz lasse das Bundesasylamt außer Acht, was umso bemerkenswerter sei, als diese Verschlechterungen in den internationalen Medien breit diskutiert würden. Das Bundesasylamt gehe auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers nicht ein und begnüge sich mit abgedroschenen Textbausteinen. Der Beschwerdeführer sei homosexuell und bringe deutlich dar, dass er in der Schweiz gegenüber anderen Flüchtlingen schlechter gestellt worden sei. Der Beschwerdeführer habe erstinstanzlich ebenso ein extrem kurzes und unfaires Verfahren ohne jegliche Ermittlungstätigkeit behauptet. Im Hinblick auf das dichte Vorbringen des Beschwerdeführers sei der Sachverhalt seitens des Bundesasylamtes zu wenig erhellt worden. Keine Hinweise finde die belangte Behörde für mangelnde Schutzwürdigkeit der Schweiz. Diese Aussage der Behörde stehe aber im Widerspruch zu den konkreten Angaben des Beschwerdeführers. Als Homosexueller sei der Beschwerdeführer besonders vulnerabel. In der Schweiz sei keine Rücksicht auf die Vulnerabilität genommen worden. Gemäß den unbestritten gebliebenen Angaben habe der Beschwerdeführer nach kurzer Zeit des Aufenthaltes keine Unterkunft und keine sonstige Versorgung mehr gehabt. Der Beschwerdeführer bringe konkret die reale Gefahr einer Verletzung des Art 3 EMRK dar, das Bundesasylamt heiße die Handlungsweise der Schweiz gut und bezweifle dieses Vorbringen des Beschwerdeführers nicht (einmal) im Geringsten. Der Asylantrag des Beschwerdeführers wäre daher entsprechend § 5 Abs 1 und 3 nicht als unzulässig zurückzuweisen gewesen.

 

4. Die gegenständliche Beschwerde langte samt Verwaltungsverfahrensakt der Aktenlage nach am 10.09.2013 beim Asylgerichtshof ein.

 

II. Der Asylgerichtshof hat gemäß § 61 Abs 3 und 4 AsylG 2005 durch den zuständigen Richter als Einzelrichter über die gegenständliche Beschwerde erwogen

 

1. Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsverfahrensaktes.

 

2. Auf alle ab dem 1.1.2006 gestellten Anträge auf internationalen Schutz ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, BGBl I Nr 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl I Nr 144/2013 (AsylG), anzuwenden.

 

Hinsichtlich des Verfahrens vor dem Asylgerichtshof sind die einschlägigen Bestimmungen des AsylG 2005 und das Bundesgesetz über den Asylgerichtshof, BGBl I Nr 4/2008 in der Fassung BGBL I Nr 140/2011 (AsylGHG) sowie subsidiär das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl Nr 51/1991 in der geltenden Fassung (AVG) anzuwenden. Schließlich war das Bundesgesetz über die Zustellung behördlicher Dokumente, BGBl Nr 200/1982 in der geltenden Fassung (ZustG) maßgeblich.

 

3. Zur Frage der Zuständigkeit zur Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz (Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides)

 

3.1. Gemäß § 5 Abs 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs 3 und Abs 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden.

 

Die Dublin II-VO ist eine Verordnung auf Basis des Unionsrechtes der Europäischen Union (vgl Art 78 AEUV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

Die - uneingeschränkte - Anwendbarkeit der Dublin II-VO für die Schweiz als Nichtmitglied der EU seit 12.12.2008 folgt aus den Beschlüssen des Rates vom 28.01.2008, 2008/147/EG und vom 27.11.2008, 2008/903/EG. Die diesbezüglichen entgegenstehenden Ausführungen im Bescheid, wonach die Schweiz ein Mitgliedstaat der EU sei, (vgl AS 98, vorletzter Absatz) waren insofern zu berichtigen.

 

3.2. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

Im vorliegenden Fall steht aufgrund des EURODAC-Treffers zunächst fest, dass der Beschwerdeführer am 23.05.2011 in Griechenland einen Asylantrag gestellt hat. Der Beschwerdeführer selbst hat angegeben, er sei im Februar 2011 von Lagos in die Türkei geflogen und habe sich anschließend in Istanbul ungefähr drei Monate aufgehalten. Anschließend sei er illegal nach Griechenland gereist, dort von der Polizei aufgegriffen worden und man habe ihm die Fingerabdrücke abgenommen. Nach einer Woche sei er nach Athen gefahren und habe dort einen Asylantrag gestellt. Davon ausgehend war Griechenland auch berechtigt, ein Asylverfahren des Beschwerdeführers selbst durchzuführen, da das Zuständigkeitskriterium des Art 10 Abs 1 Dublin II-VO verwirklicht war.

 

In der Folge steht auch aufgrund des weiteren EURODAC-Treffers in Verbindung mit der schriftlichen Mitteilung der schweizerischen Behörden vom 13.08.2013 fest, dass der Beschwerdeführer dort einen Asylantrag gestellt hat. Der Beschwerdeführer selbst brachte dazu vor, im November 2012 von Griechenland über Italien in die Schweiz gereist zu sein, wo er einen Asylantrag gestellt habe. Zum Zeitpunkt der Einreise des Beschwerdeführers in die Schweiz, im November 2012, war jedenfalls die Überstellung von Beschwerdeführern nach der Dublin-II-VO nach Griechenland wegen der dortigen Lage weiterhin im Allgemeinen nicht zulässig war. Sohin war die Schweiz gehalten, jedenfalls gestützt auf Art 3 Abs 2 VO 343/2003, mit der Prüfung des Asylantrages zu beginnen. Die Schweiz war berechtigt und auch verpflichtet, das Asylverfahren des Beschwerdeführers selbst durchzuführen, da das Zuständigkeitskriterium des Art 13 Dublin II-VO verwirklicht war - offenbar auch mangels Vorliegens von Beweismitteln betreffend den Reiseweg in die Schweiz im Sinne des Art 18 Dublin II-VO. So hat der Beschwerdeführer auch nicht vorgebracht, auf seinem Weg von Griechenland in die Schweiz in Italien aufgegriffen oder dort einen Asylantrag gestellt zu haben und liegt diesbezüglich auch kein EURODAC-Treffer vor.

 

Weiters gab der Beschwerdeführer an, dass sein Verfahren in der Schweiz rechtskräftig abgeschlossen sei. Nach den Kriterien der Dublin II-VO kommt daher durch die bereits erfolgte Prüfung des Asylantrages durch die Schweiz im vorliegenden Fall Art 16 Abs 1 lit e iVm Art 13 Dublin II-VO für die Wiederaufnahme in Betracht und hat das Bundesasylamt demzufolge ein materiell berechtigtes Wiederaufnahmeersuchen an die Schweiz gestellt. Die Schweiz hat ihre ausdrückliche Zustimmung zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführer auch auf Art 16 Abs 1 lit e der Dublin II-VO gestützt.

 

In einem Wiederaufnahmeverfahren nach Art 16 Dublin II-VO findet eine neuerliche Überprüfung der Richtigkeit der seinerzeit erfolgten Zuständigkeitsbestimmung nicht mehr statt. Es ist vielmehr lediglich zu prüfen, ob die Zuständigkeit inzwischen wieder erloschen ist (vgl. Filzwieser/Sprung, Dublin-II-VO³, K5 zu Art 16), was im vorliegenden Fall durch die direkte weitere Reisebewegung des Beschwerdeführers von der Schweiz nach Österreich zu verneinen ist, da dadurch von einer Verwirklichung der Tatbestände des Art 16 Abs 3 und 16 Abs 4 Dublin II-VO nicht gesprochen werden kann.

 

Aus der Aktenlage sind keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II-VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, 2005/20/0444). Derartiges wurde im Verfahren auch nicht behauptet. Das Konsultationsverfahren erfolgte nach Ansicht des Asylgerichtshofes ohne relevante Mängel. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.

 

3.3. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art 3 Abs 2 Dublin II-VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung von maßgeblichen Vorschriften der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, B 336/05, festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht [nunmehr: Unionsrecht] nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich [unionsrechtlich] zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art 3 Abs 2 Dublin II-VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059):

"Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Es ist auch nicht Aufgabe der österreichischen Asylbehörden, hypothetische Überlegungen über den möglichen Ausgang eines von einem anderen Staat zu führenden Asylverfahrens anzustellen. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art 16 Abs 1 lit e Dublin II-VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582; 31.05.2005, 2005/20/0025; 25.04.2006, 2006/19/0673; 31.5.2005, 2005/20/0095), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Sprung, Dublin II VO3, K15. zu Art 19 Dublin II-VO).

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die unionsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Unionsrechtes entstehen. Zur effektiven Umsetzung des Unionsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Unionsrecht verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II-VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risiken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II-VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen. Diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Unionsrechtes und aus Beachtung der unionsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II-VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex 1/2007, 18ff, Filzwieser/Sprung, Dublin II-VO3, K8-K15 zu Art 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht [Unionsrecht] kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen [unionsrechtlichen] Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts [Unionsrechts] regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Unionsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären. Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls unionsrechtswidrig.

 

In Bezug auf Griechenland wurde seitens des erkennenden Gerichtshofes bereits seit längerem in zahlreichen Entscheidungen faktisch nicht mehr von einer generellen Annahme der Sicherheit ausgegangen und eine umso genauere Einzelfallprüfung durchgeführt. Der EGMR hat in diesem Kontext mit Urteil vom 21.01.2011 in der Rechtssache M.S.S. vs Belgien/Griechenland (30696/09) klargelegt, dass fehlende Unterkunft in Verbindung mit einem langwierigen Asylverfahren (welches selbst schwerwiegende Mängel aufweist) unter dem Aspekt des Art 3 EMRK relevant sein kann (vgl insb Rz 263 des zitierten Urteils). Ein entsprechend weiter Prüfungsumfang in Bezug auf relevante Bestimmungen der EMRK (Art 3, 8 und 13) ist daher unter dem Hintergrund einer Berichtslage wie zu Griechenland angebracht (wodurch auch die "effet utile"-Argumentation einzelfallbezogen relativiert wird) - was der herrschenden Praxis des Asylgerichtshofes entspricht (anders wie die in Rz 351 und 352 des zitierten Urteils beschriebene Situation im belgischen Verfahren).

 

Eine solche Berichtslage liegt zur Schweiz nun jedenfalls nicht vor, ebenso wenig eine vergleichbare Empfehlung von UNHCR (wie jene zu Griechenland), von Überstellungen abzusehen.

 

Nichtsdestotrotz hat der Asylgerichtshof - unter Berücksichtigung dieser Unterschiede - auch im gegenständlichen Fall nachfolgend untersucht, ob die Anwendung des Selbsteintrittsrechts aus Gründen der EMRK angezeigt ist. Im Lichte der eben getroffenen Ausführungen zur Auslegung des Art 3 EMRK ist schließlich nicht erkennbar und wurde auch nicht behauptet, dass die Grundrechte-Charta der EU für den konkreten Fall relevante subjektive Rechte verliehe, welche über jene durch die EMRK gewährleisteten, hinausgingen. Auch spezifische Verletzungen der unionsrechtlichen Asylrichtlinien, die in ihrer Gesamtheit Verletzungen der Grundrechtscharta gleichkämen, sind nicht behauptet worden. Weitergehende Erwägungen dazu konnten also mangels Entscheidungsrelevanz in concreto entfallen.

 

3.3.1. Mögliche Verletzung von Art 3 EMRK

 

Gemäß Art 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung seiner relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, 95/18/1293; 17.7.1997, 97/18/0336). So auch der EGMR in stRsp, welcher anführt, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller "Beweise" zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt - so weit als möglich - Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht (zB EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005). Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.2.1993, 92/03/0011; 1.10.1997, 96/09/0007).

 

Nach der hier maßgeblichen Regelvermutung des § 5 Abs 3 AsylG 2005 ist zu beachten, dass, sofern nicht besondere (exzeptionelle) Gründe, die in der Person des Asylwerbers glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesasylamt oder beim Asylgerichtshof offenkundig sind, die für die "reale Gefahr" (darunter ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen [vgl VwGH 19.02.2004, 99/20/0573, mwN auf die Judikatur des EGMR]) des fehlenden Schutzes sprechen, davon auszugehen ist, dass der Asylwerber im zuständigen Dublin-Staat hinreichenden Schutz findet.

 

Erst wenn es dem Asylwerber gelingt die oa. "besonderen Gründe" glaubhaft zu machen, ist die dem § 5 Abs 3 AsylG 2005 immanente Vermutung der im zuständigen Mitgliedstaat gegebenen Sicherheit widerlegt. In diesem Fall sind die Asylbehörden gehalten, allenfalls erforderliche weitere Erhebungen (auch) von Amts wegen durchzuführen, um die Prognose, der Asylwerber werde bei Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat der realen Gefahr ("real risk") einer dem Art 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein, erstellen zu können. Die Ermittlungspflicht ergibt sich aus § 18 AsylG 2005, die insoweit von § 5 Abs 3 AsylG 2005 unberührt bleibt.

 

Schweizer Asylwesen unter dem Gesichtspunkt des Art 3 EMRK

 

Im gegenständlichen Verfahren brachte der Beschwerdeführer im Zuge der Erstbefragung vor, deshalb nicht in die Schweiz zu wollen, da die Lage dort sehr schlecht sei, er dort keine Unterkunft und keine Unterstützung vom Staat gehabt habe. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt führte der Beschwerdeführer aus, er sei zwei Monate in der Schweiz aufhältig gewesen, habe direkt im Lager einen negativen Bescheid erhalten und habe danach das Lager verlassen müssen. Normalerweise werde man woanders hin verlegt, wenn man nicht mehr im Lager bleiben könne. Er aber habe das Lager verlassen müssen und sei nicht woanders hin verlegt worden. Sein Verfahren in der Schweiz sei rechtskräftig abgeschlossen. Der Grund, weshalb er nicht in die Schweiz zurück wolle sei, dass er sechs Monate im Freien schlafen müssen habe, da man ihm dort keine weitere Unterkunft mehr gegeben habe.

 

Der Beschwerdeführer konnte damit nicht darlegen, dass das Schweizer Asylverfahren im Allgemeinen oder im individuellen Fall des Beschwerdeführers Mängel aufweist, die eine Menschenrechts- oder Grundrechtsverletzung im individuellen Fall wahrscheinlich erschienen ließen. So ist dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu entnehmen, dass er für die Dauer des Verfahrens in der Schweiz sehr wohl in einer Einrichtung für Asylwerber aufgenommen wurde und er erst nach Abschluss seines Verfahrens und nach Erhalt einer Ausweisungsentscheidung das Lager zu verlassen hatte. Der Beschwerdeführer brachte - entgegen der Beschwerdebehauptung - auch während des gesamten Verfahrens vor dem Bundesasylamt nicht vor, dass er in der Schweiz kein ordnungsgemäßes und kein faires Verfahren erhalten hätte. Soweit zudem in der Beschwerde implizit ein Zusammenhang zwischen der vom Beschwerdeführer vorgebrachten sexuellen Orientierung und seiner Behandlung in der Schweiz hergestellt wird, erweist sich dies als völlig haltlos, zumal derlei vom Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt zu keinem Zeitpunkt behauptet wurde und sich auch sonst keine Anhaltspunkte für eine derartige Annahme ergeben haben. Im gegenständlichen Fall hat sich die Schweiz ausdrücklich zur Übernahme des Beschwerdeführers aufgrund der Dublin II-Verordnung bereit erklärt und ist somit unionsrechtlich zur Prüfung des Asylantrages verpflichtet. Ebenso hat die Schweiz die Statusrichtlinie, die Verfahrensrichtlinie und die Aufnahmerichtlinie anzuwenden, ein den dort genannten Anforderungen entsprechendes Asylverfahren zu führen, beim Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen Schutz zu gewähren und für die Dauer des Verfahrens eine entsprechende Grundversorgung zu bieten.

 

Was die allgemeine Situation in der Schweiz betrifft, so geht der Asylgerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die allgemeine Lage für in die Schweiz überstellte Asylwerber keineswegs die reale Gefahr einer gegen menschenrechtliche Bestimmungen verstoßenden Behandlung erkennen lässt.

 

Relevant wären im vorliegenden Zusammenhang schon bei einer Grobprüfung erkennbare grundsätzliche schwerwiegende Defizite im Asylverfahren des zuständigen Mitgliedstaates (also etwa:

grundsätzliche Ablehnung aller Asylanträge oder solcher bestimmter Staatsangehöriger oder Angehöriger bestimmter Ethnien; kein Schutz vor Verfolgung "Dritter", kein Rechtsmittelverfahren). Solche Mängel (die bei einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht vorausgesetzt werden können, sondern zunächst einmal mit einer aktuellen individualisierten Darlegung des Antragstellers plausibel zu machen sind, dies im Sinne der Regelung des § 5 Abs 3 AsylG 2005) sind schon auf Basis der Feststellungen des Bundesasylamtes nicht erkennbar und wurden weder im Verfahren noch in der Beschwerde substantiiert vorgebracht. Zwar wurde in der Beschwerde grundsätzlich berechtigt darauf hingewiesen, dass in der Schweiz die Möglichkeit einer Asylantragstellung über eine Botschaft nicht mehr vorgesehen ist, wie dies noch in den Länderfeststellungen des Bundesasylamtes enthalten ist, doch erweist sich dies im vorliegenden Fall als nicht relevant und sind davon abgesehen die darüber hinaus vom Bundesasylamt herangezogenen Länderfeststellungen auch ausreichend aktuell, zumal diesen in der Beschwerde auch nicht konkret sondern nur pauschaliert entgegengetreten wurde. Insbesondere sind die Praxis der asylrechtlichen und subsidiären Schutzgewährung, die Grund- und Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage unbedenklich und genügen den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts.

 

Es besteht auch kein Grund zur Annahme, dass die Schweiz allgemein oder insbesondere gegenüber Schutzsuchenden aus Nigeria oder Homosexuellen unzulässige Sonderpositionen vertrete. Hinweise auf konkrete individuelle Vulnerabilität im Verhältnis der schweizerischen Asylbehörde zu gerade diesem Beschwerdeführer wurden zwar in der Beschwerde unsubstantiiert behauptet, sind aber aus der Aktenlage nicht ersichtlich. Offenkundige Zweifel der Integrität der so mit dem Beschwerdeführer durchgeführten asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren in der Schweiz ergeben sich aus der individuellen Aktenlage daher nicht.

 

Dass letztlich auch eine negative Entscheidung über einen Asylantrag eines anderen Mitgliedstaates nicht durch die Einräumung eines neuen inhaltlichen Asylverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat relativiert werden kann, ist (solange keine unzumutbaren rechtlichen Sonderpositionen vertreten werden, was in concreto nicht der Fall ist) eines der Grundprinzipien der Dublin-II-VO, welches von allen staatlichen Organen in allen Mitgliedstaaten zu akzeptieren ist.

 

Der Beschwerdeführer konnte sohin keine besonderen Gründe, die für eine reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK in der Schweiz sprechen, glaubhaft machen, weshalb die Regelvermutung des § 5 Abs 3 AsylG 2005, wonach ein Asylwerber in einem "Dublinstaat" Schutz vor Verfolgung findet, greift.

 

Medizinische Krankheitszustände; Behandlung in der Schweiz

 

Nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, wäre eine Überstellung in den für die Prüfung des Antraes zuständigen Staates nicht zulässig, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre: In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH 06.03.2008, B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D vs UK, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

 

Zusammenfassend führte der VfGH aus, das sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D vs UK).

 

Rechtsprechung des EGMR (N vs UK, 27.05.2008) und Literaturmeinungen (Premiszl, Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren", migralex 2/2008, 54ff) bestätigen diese Einschätzung, wobei noch darauf hinzuweisen ist, dass EU-Staaten verpflichtet sind, die Aufnahmerichtlinie umzusetzen und sohin jedenfalls eine begründete Vermutung des Bestehens einer medizinischen Versorgung vorliegt.

 

Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.

 

Nach der geltenden Rechtslage ist eine Überstellung dann unzulässig, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufs oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde (siehe Feststellungen des Innenausschusses zu § 30 AsylG 2005 in der Stammfassung); dabei sind die von den Asylinstanzen festzustellenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat als Hintergrundinformation beachtlich, sodass es sich quasi um eine "erweiterte Prüfung der Reisefähigkeit" handelt.

 

Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art 3 EMRK-Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.

 

Im vorliegenden Fall konnte seitens des Beschwerdeführers kein akut die Existenz bedrohender Krankheitszustand oder Hinweis einer unzumutbaren Verschlechterung eines Krankheitszustandes im Falle einer Überstellung in die Schweiz belegt werden. Aus der Aktenlage sind keine Hinweise auf das Vorliegen von (schweren) Erkrankungen ersichtlich. Der Beschwerdeführer selbst hat bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt angegeben, gesund zu sein (AS 69). Auch in der Beschwerde finden sich keine Anhaltspunkte auf das Vorliegen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung des Beschwerdeführers. Aufgrund dessen ergibt sich auch keine Notwendigkeit, weitere Erhebungen dazu durchzuführen.

 

3.3.2. Mögliche Verletzung des Art 8 EMRK

 

Familiäre Bezüge in Österreich sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Der Beschwerdeführer hat vor dem Bundesasylamt selbst angegeben, keine Familienangehörigen oder sonstige besondere Bezugspersonen in Österreich oder in der EU zu haben und auch in der Beschwerde kein anderes Vorbringen dazu erstattet. Der Beschwerdeführer befindet sich erst rund eineinhalb Monate in Österreich. Es ist daher insbesondere auf Grund der kurzen Aufenthaltsdauer in Österreich nicht davon auszugehen, dass hinreichend starke private Anknüpfungspunkte zu Österreich bestehen, die zu einem relevanten Privatleben iSd Art 8 EMRK führen würden (vgl zB VfGH 6.3.2008, B 2400/07: "Zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides hielt sich der minderjährige Beschwerdeführer also rund vier Monate in Österreich auf. Der Behörde kann nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, dass die Ausweisung schon wegen der kurzen Aufenthaltsdauer auch Art 8 EMRK nicht verletzt."). Derartige Umstände sind im Übrigen auch vom Beschwerdeführer nicht behauptet worden.

 

3.3.3. Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Sichtweise der Erstbehörde keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Art 3 Abs 2 Dublin II-VO infolge drohender Verletzung von Art 3 oder Art 8 EMRK zu verpflichten.

 

3.4. Spruchpunkt I der Entscheidung des Bundesasylamtes war sohin in Bestätigung der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung des Bundesasylamtes mit obiger näherer Begründung zu bekräftigen.

 

4. Zur Frage der Zulässigkeit der Ausweisung (Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides)

 

Gem. § 10 Abs 1 Z 1 AsylG war gegenständlicher Bescheid mit einer Ausweisung zu Verbinden. Ein Sachverhalt, welcher unter § 10 Abs 2 oder 3 bzw Abs 5 zu subsumieren wäre, kam im Ermittlungsverfahren nicht hervor. Weder kommt dem Beschwerdeführer ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zu, noch liegt eine Verletzung von Art 8 EMRK vor. Hier wird auf die bereits zuvor getätigten Ausführungen verwiesen (s.o. II.3.3.2.). Weiters kam bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Sachverhalt hervor, welcher den Schluss zuließe, dass die Durchführung der Ausweisung eine Verletzung des Art 3 EMRK darstellen würde oder gem. Abs 4 leg cit die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung unzulässig erscheinen lassen würde.

 

5. Eine Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 37 Abs 1 AsylG konnte aufgrund der getroffenen Entscheidung in der Hauptsache entfallen.

 

6. Gemäß § 41 Abs 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

7. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, real risk, unverzügliche Ausreiseverpflichtung
Zuletzt aktualisiert am
25.09.2013
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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