TE OGH 2009/2/19 2Ob270/08g

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Veröffentlicht am 19.02.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Kaspar M*****, vertreten durch Dr. Dietmar Fritz, Rechtsanwalt in Bezau, gegen die beklagten Parteien 1. Dominik R*****, und 2. G***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Walter Geißelmann, Dr. Günther Tarabochia, Mag. Daniel Vonbank, Rechtsanwälte in Bregenz, wegen 11.182,12 EUR sA, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 2. Oktober 2008, GZ 4 R 172/08p-31, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 28. Juni 2008, GZ 8 Cg 180/07h-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die hinsichtlich des Zuspruchs von 5.440,48 EUR samt 10 % Zinsen seit 16. 9. 2007 als unangefochten unberührt bleiben, werden im Übrigen aufgehoben; die Rechtssache wird in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Am 29. 6. 2007 ereignete sich in B***** ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger mit dem von ihm gehaltenen Traktor, B*****, und der Erstbeklagte mit dem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Pkw, B*****, beteiligt waren. Am Traktor war ein Einachs-Viehanhänger befestigt, dessen Bauartgeschwindigkeit an der Rückseite des Anhängers mit 10 km/h gekennzeichnet war. Der Anhänger war mit einer Lichtanlage und einer Hydraulikbremse ausgestattet.

Die Unfallstelle liegt auf einer einspurigen Privatstraße im Bereich einer Linkskurve aus Fahrtrichtung des Klägers gesehen. Die Breite des Asphaltbandes beträgt 3,85 m, links und rechts schließt jeweils ein befahrbares Bankett in einer Breite von rund 1 m an. Im Kollisionsbereich beträgt die gegenseitige Sichtweite rund 50 m.

Der Kläger näherte sich der Unfallstelle mit einer Geschwindigkeit von etwa 20 bis 25 km/h, der Erstbeklagte mit einer solchen zwischen 44 und 50 km/h. Der Kläger reagierte bei erster Sicht auf das Fahrzeug des Erstbeklagten mit einer Bremsung und kam mit seinem Traktor noch vor der Kollision innerhalb seiner halben Sichtstrecke zum Stillstand. Der Erstbeklagte war aufgrund eines klingelnden Handys abgelenkt und nahm den Traktor daher erst rund 1,4 bis 1,6 Sekunden vor der Kollision bzw rund 17,4 bis 20,4 m vor der Kollisionsstelle wahr. Er reagierte darauf ebenfalls mit einer Bremsung, fuhr aber in die halbe Sichtstrecke des Klägers ein und kollidierte mit einer Geschwindigkeit von 25 bis 35 km/h mit dem Traktor. Der Erstbeklagte hätte den Traktor bei aufmerksamer Fahrweise ca 1,4 bis 1,6 Sekunden früher wahrnehmen und diesfalls innerhalb seiner halben Sichtstrecke anhalten können.

Durch die Kollision wurde der Traktor des Klägers beschädigt. Die Zahlung der begehrten Kosten für die Reparatur, Abschleppung und einen „Leihtraktor" wurde dem Kläger bis zur Beendigung des Prozesses gestundet. Dafür wurden 10 % Zinsen vereinbart. Weiters sind dem Kläger 40 EUR pauschale Unkosten entstanden.

Der Kläger begehrt den Ersatz dieses Schadens auf Basis des Alleinverschuldens des Erstbeklagten, der eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten habe und durch das Klingeln seines Mobiltelefons abgelenkt gewesen sei. Bei einem Anhänger mit Beleuchtung und Hydraulikbremse dürfe eine höhere Geschwindigkeit als 10 km/h eingehalten werden. Im Übrigen bestehe der Zweck dieser Norm nicht darin, einem entgegenkommenden Fahrzeug bei Gebot des Fahrens auf halbe Sicht die zur Verfügung stehende Anhaltestelle über die Hälfte der Sichtstrecke hinaus zu verlängern. Die allfällige Übertretung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit sei für den Unfall nicht kausal.

Die Beklagten wandten dagegen das Alleinverschulden des Klägers ein. Er sei reaktionslos mit zumindest 30 km/h bis zur Kollision weitergefahren, aufgrund des Anhängers aber verpflichtet gewesen, eine Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h einzuhalten. Bei dieser Geschwindigkeit wäre die Kollision vermieden worden. Durch die überhöhte Fahrgeschwindigkeit habe er den Bremsweg des Erstbeklagten verkürzt. Der Schaden des Erstbeklagten in Höhe von 6.042,80 EUR wurde als Gegenforderung eingewendet.

Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung als zur Gänze zu Recht bestehend, die Gegenforderung dagegen als nicht zu Recht bestehend und verurteilte daher die Beklagten zur ungeteilten Hand dem Kläger den gesamten Schaden samt Zinsen zu ersetzen. Der Erstbeklagte habe gegen das Gebot des Fahrens auf halbe Sicht verstoßen, dem Kläger sei dagegen kein Fehlverhalten vorzuwerfen. Die Überschreitung der zulässigen Bauartgeschwindigkeit sei nicht vom Schutzzweck des § 20 StVO umfasst.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Die Frage, ob der Kläger mit seinem Traktor eine zulässige Bauarthöchstgeschwindigkeit von 10 km/h oder mehr habe einhalten dürfen, müsse nicht geklärt werden. Als Schutzzweck jener Normen, die eine Höchstgeschwindigkeit vorschreiben, komme die Vermeidung aller Gefahren in Betracht, die sich aus der mit Rücksicht auf die Art der betreffenden Fahrzeuge erhöhten Betriebsgefahr bei Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit ergebe, so etwa die im Vergleich zu anderen Fahrzeugen größere Masse und geringere Bremsverzögerung im Fall der Überschreitung der Bauartgeschwindigkeit nach § 58 Abs 1 Z 2 lit e und c KDV. Diese Überlegungen hätten auch Gültigkeit für die Bauartgeschwindigkeit nach lit a leg cit. Bei den für landwirtschaftliche Anhänger vorgesehenen Bauartgeschwindigkeiten von 10 km/h oder 25 km/h spiele die Masse des gesamten Fahrzeugs nur eine untergeordnete Rolle und sei vorrangiges Ziel die Vermeidung der Gefahren durch unkontrolliertes Ausbrechen eines technisch verhältnismäßig einfachen Fahrzeugs oder Verlängerung des Bremswegs bei einfachen Bremsvorrichtungen. Es möge sein, dass die Kollision verhindert worden oder mit geringerer Geschwindigkeit erfolgt wäre, wenn der Kläger eine Geschwindigkeit von 10 km/h eingehalten und damit einen kürzeren Anhalteweg benötigt hätte. Es sei aber nicht der Schutzzweck einer die Bauartgeschwindigkeit regelnden Norm, dem Unfallgegner einen längeren Anhalteweg einzuräumen, als es dem Gebot des Fahrens auf halbe Sicht entspreche. Die Beklagten könnten sich auch nicht darauf berufen, dass der Erstbeklagte durch den Anschein einer niedrigeren Bauartgeschwindigkeit irregeführt worden sei, weil die entsprechende Hinweistafel auf der Rückseite des Anhängers angebracht und daher nicht im Sichtbereich des entgegenkommenden Erstbeklagten gewesen sei. Eine allfällige, nicht feststehende Überschreitung der Bauartgeschwindigkeit durch den Kläger sei somit zwar kausal für den entstandenen Schaden, nicht aber spezifisch rechtswidrig. Zu dieser Frage liege keine oberstgerichtliche Judikatur vor, weshalb die Revision zuzulassen sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidung im Sinne einer Verschuldensteilung 2 : 1 zu Lasten des Erstbeklagten abzuändern, in eventu sie aufzuheben.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist zulässig im Sinne der vom Berufungsgericht aufgezeigten Rechtsfrage und berechtigt im Sinne des eventualiter gestellten Aufhebungsantrags:

Soll das Zuwiderhandeln gegen ein Gesetz einen Schadenersatzanspruch auslösen, muss es jene Interessen verletzen, deren Schutz die Rechtsnorm bezweckt (RIS-Justiz RS0031143). Das Wesen des Rechtswidrigkeitszusammenhangs liegt darin, dass aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens nur für jene verursachten Schäden zu haften ist, die die übertretene Verhaltensnorm nach ihrem Schutzzweck gerade verhindern sollte (RIS-Justiz RS0022933). Der Schutzzweck einer Norm ergibt sich aus ihrem Inhalt. Um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den im konkreten Fall eingetretenen Schaden verhindern wollte, ist das anzuwendende Schutzgesetz teleologisch zu interpretieren (RIS-Justiz RS0027553 [T7]).

Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits mehrfach mit dem Schutzzweck der Normen über die Bauartgeschwindigkeit von Fahrzeugen nach § 58 Abs 2 KDV aber auch jene nach § 58 Abs 1 KDV über die von Kraftfahrzeugen auf Straßen mit öffentlichen Verkehr nicht zu überschreitenden Geschwindigkeiten befasst:

Der Zweck der Normen über die Bauartgeschwindigkeit wurde darin gesehen, Gefahren im Straßenverkehr zu verhindern, die eine erhöhte Geschwindigkeit mit sich bringt (RIS-Justiz RS0027474). So wurde zu § 58 Abs 1 Z 1 lit c KDV ausgesprochen, dass es sich dabei um eine Schutznorm im Sinn des § 1311 ABGB handelt, deren Zweck in der Verhinderung aller Gefahren im Straßenverkehr besteht, die eine erhöhte Geschwindigkeit mit sich bringt (RIS-Justiz RS0065754). Ebenso zielt die Festsetzung der Höchstgeschwindigkeit für Kraftwagenzüge gemäß § 58 Abs 1 Z 2 lit e KDV auf die Vermeidung aller Gefahren ab, die sich aus der mit Rücksicht auf die Art solcher Fahrzeuge erhöhten Betriebsgefahr bei Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit ergeben, so auch die im Vergleich zu anderen Fahrzeugen größere Masse und geringere Bremsverzögerung (RIS-Justiz RS0065757). Letztlich wurde auch die Vorschrift des § 58 Abs 1 Z 2 lit a KDV als ein Schutzgesetz gewertet, das der Verhinderung aller Gefahren dient, die eine erhöhte Geschwindigkeit mit sich bringt (RIS-Justiz RS0075478; 2 Ob 63/95).

Mag auch die Vermeidung der Gefahr durch unkontrolliertes Ausbrechen eines technisch einfachen Anhängers oder durch Verlängerung des Bremswegs bei einfachen Bremsvorrichtungen primäres Ziel der Regelung des § 58 KDV, insbesondere dessen Abs 1 Z 2 lit a sein, beinhalten diese Bestimmungen aber zumindest auch die Hintanhaltung der Gefahren aus der erhöhten Geschwindigkeit allgemein. Für die Bejahung des Rechtswidrigkeitszusammenhangs ist es aber ausreichend, dass die Verhinderung des Schadens bloß mitbezweckt ist (RIS-Justiz RS0027553 [T6]).

Entgegen der Meinung der Vorinstanzen ist daher hier von einem Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der allenfalls vom Kläger eingehaltenen überhöhten Geschwindigkeit und dem Unfallgeschehen auszugehen und kommt daher der Frage der tatsächlich von ihm einzuhaltenden Höchstgeschwindigkeit (10 oder 25 km/h) entscheidungswesentliche Bedeutung zu. Hiezu fehlen aber ausreichende Feststellungen.

Die Entscheidung 2 Ob 63/95 betraf den Fall eines Zugfahrzeugs samt Anhänger, das die höchstzulässige Fahrgeschwindigkeit von 10 km/h überschritten hatte, während es von einem Lkw-Kleintransporter überholt wurde, wobei dieser in der Folge mit dem entgegenkommenden Pkw kollidierte. Dort wurde eine Verschuldensteilung im Verhältnis 1 : 3 zu Gunsten des Traktorlenkers, der die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 100 % überschritten hatte, als angemessen angesehen, weil die überhöhte Geschwindigkeit kausal war und der Unfall bei Einhaltung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit vermieden hätte werden können.

Zwar braucht ein Lenker sein Fahrzeug nach § 10 Abs 2 StVO nicht unverzüglich bei erster Sicht oder Erkennen der Notwendigkeit, anzuhalten, zum Stillstand zu bringen, sondern genügt es, wenn er vor der Mitte der Sichtstrecke anhalten kann. Dies reicht allerdings dann nicht aus, wenn er angesichts eines erkennbar verkehrswidrigen Verhaltens des entgegenkommenden Lenkers nicht damit rechnen kann, dass dieser seinerseits innerhalb der halben Sichtstrecke anhalten werde (RIS-Justiz RS0073597 [T2]). Nach den Feststellungen des Erstgerichts reagierte hier der Kläger bei erster Sicht auf das Fahrzeug des Erstbeklagten mit einer Bremsung. Ob eine in diesem Zeitpunkt allenfalls eingehaltene überhöhte Geschwindigkeit insofern kausal wurde, als bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit der Unfall hätte verhindert werden können bzw geringere Folgen ausgelöst hätte, hat das Erstgericht nicht festgestellt, sodass über das allfällige Mitverschulden des Klägers noch nicht abgesprochen werden kann. Gegebenenfalls wäre allerdings das Verschulden des Erstbeklagten als überwiegend anzusehen, was in der Revision auch eingeräumt wird.

Sollten die Vorinstanzen im fortgesetzten Verfahren zu einem Mitverschulden des Klägers gelangen, werden auch Feststellungen zur Compensandoforderung zu treffen sein.

Da somit noch entscheidungsrelevante Feststellungen fehlen, war die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

Textnummer

E90254

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0020OB00270.08G.0219.000

Im RIS seit

21.03.2009

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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