TE OGH 2009/2/24 4Ob240/08k

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Veröffentlicht am 24.02.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Walter P*****, vertreten durch Mag. Andreas Zach, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Sonja P*****, vertreten durch Dr. Bernhard Eigner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Vertragsaufhebung (Streitwert 70.000 EUR), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 8. August 2008, GZ 43 R 335/08w-50, womit das Urteil des Bezirksgerichts Hietzing vom 6. März 2008, GZ 2 C 9/06h-38, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.821,24 EUR (darin 303,54 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger bekämpft in dritter Instanz den im November 2003 anlässlich der einvernehmlichen Ehescheidung abgeschlossenen Scheidungsvergleich - der die Vermögensverhältnisse der Streitteile auch hinsichtlich Ehewohnung und ehelichem Gebrauchsvermögen regelt - nur mehr hinsichtlich der darin vereinbarten (wertgesicherten) Unterhaltsleistung von 2.750 EUR monatlich (im März 2008 rund 2.870 EUR) wegen Sittenwidrigkeit; er begehrt deren Herabsetzung auf das gesetzliche Ausmaß.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig.

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) - Ausspruch des Berufungsgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab.

1. Auch ein Vergleich über die Scheidungsfolgen nach § 55a Abs 2 EheG kann wegen Willensmängeln oder Sittenwidrigkeit angefochten werden (RIS-Justiz RS0014757).

2. Liegt bei einem Scheidungsfolgenvergleich ein auffallendes Missverhältnis der beiderseitigen Leistungen vor, fehlt es aber an einem der subjektiven Elemente von Wucher, so liegt dennoch Sittenwidrigkeit nach § 879 Abs 1 ABGB vor, wenn ein zusätzliches, dieses ausgleichendes Element der Sittenwidrigkeit hinzutritt. Das kann dann vorliegen, wenn die Erfüllung des Vergleichs - für den anderen bei Abschluss des Vergleichs erkennbar - die wirtschaftliche Existenz des Anfechtenden bedroht (vgl RIS-Justiz RS0016543).

3. Im Allgemeinen wird dem Unterhaltspflichtigen die Existenzgrundlage nicht entzogen, wenn ihm mindestens noch Einkünfte in der Höhe des Richtsatzes für die Ausgleichszulage verbleiben (RIS-Justiz RS0016554 [T4]), weil davon ausgegangen werden kann, dass die Rechtsordnung, auf deren Wertungsgesichtspunkte es bei der Sittenwidrigkeit ankommt, dem Unterhaltspflichtigen dieselben Einschränkungen zumutet, die sie von einem Pensionsberechtigten verlangt (3 Ob 60/89 = EFSlg 59.971; 3 Ob 133/00f = JBl 2001, 513).

4. Zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit einer vergleichsweisen Unterhaltsverpflichtung sind nicht nur die im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses herrschenden Verhältnisse maßgebend, sondern auch die Einkommensentwicklung und Vermögensentwicklung in der Vergangenheit und die Erwartung in der Zukunft; das ist bei Selbständigen der Durchschnitt aus mehreren Jahren (RIS-Justiz RS0047656).

5. Die Lösung der Frage, ob Sittenwidrigkeit vorliegt, hängt regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab, weshalb einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs dazu keine über den Anlassfall hinausgehende Bedeutung zukommen kann. Anderes gilt nur, wenn dem Berufungsgericht eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (vgl RIS-Justiz RS0042881 [T5, T6], RS0016554 [T10, T14]). Solches ist im Anlassfall jedoch nicht zu erkennen.

6.1. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen sind der Scheidungsverhandlung zumindest drei Gespräche zwischen den damaligen Ehegatten und jenem Rechtsanwalt vorangegangen, der für sie den Vergleichstext vorbereitet hat. Im Rahmen dieser Besprechungen hat der Kläger die Frage des Rechtsanwalts, ob er sich sicher sei, sich eine derartig hohe Unterhaltssumme auch im Hinblick auf künftige Verpflichtungen auf Dauer leisten zu können, damit beantwortet, er verfüge über genug Einkommen, dieser Betrag sei für ihn leistbar. Der überwiegend freiberuflich als Arzt tätige Kläger hat bis dahin immer ein überdurchschnittlich gutes Einkommen erzielt und angenommen, dass er sich den der Beklagten künftig zu zahlenden Unterhalt auch werde leisten können. Die Streitteile gaben in aufrechter Ehe monatlich ca 8.000 EUR aus und pflegten einen sehr großzügigen Lebensstil; es gab keinerlei finanzielle Probleme oder Streitigkeiten. Der Kläger wollte allen Beteiligten ermöglichen, ihren Lebensstil aufgrund der Scheidung nicht einschränken zu müssen. Die Beklagte besaß keinen Einblick in die Buchhaltung des Klägers und damit auch keinen genauen Überblick über dessen Einkünfte.

6.2. Das Berufungsgericht ist von der aufgezeigten Rechtsprechung nicht abgewichen, wenn es daraus den Schluss gezogen hat, die Beklagte habe eine im nunmehrigen Anfechtungsprozess behauptete Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz des Klägers durch den Vergleichsabschluss nicht erkennen können, und eine solche Bedrohung liege angesichts der festgestellten Einkommens- und Vermögensverhältnisse für die Jahre 2003 bis 2007 auch nicht vor, weil dem Kläger - selbst unter Berücksichtigung der geleisteten Unterhaltszahlungen und der Kreditbelastung - mehr als das zweieinhalbfache des Ausgleichszulagenrichtsatzes verblieben seien.

7.1. Von der in der Zulassungsbeschwerde allein aufgeworfenen Frage, ob vom Kläger aus Privatentnahmen geleistete Unterhaltszahlungen bei Berechnung der Unterhaltsbemessungsgrundlage als Abzugsposten zu berücksichtigen seien, hängt die Entscheidung nicht ab. Im Anlassfall geht es nämlich nicht um die Bemessung eines gesetzlichen Unterhalts, sondern um die - im Einzelfall mit vertretbaren Gründen vom Berufungsgericht verneinte - Sittenwidrigkeit einer Unterhaltsvereinbarung.

7.2. Im Übrigen errechnet sich - ausgehend vom Reingewinn des Klägers inklusive unversteuerter Einnahmen, jedoch ohne Bedachtnahme auf seine Privatentnahmen - für die Jahre 2003 bis 2005 ein durchschnittliches Einkommen des Klägers von 6.280 EUR netto monatlich; die vereinbarte Unterhaltszahlung macht davon nur rund 43 % aus und kann damit allein noch keine Existenzgefährdung des Klägers begründen.

7.3. Es bedarf unter diesen Umständen daher keiner weiteren Erörterung, inwieweit die Teilanfechtung eines einzelnen Punktes in einem einheitlichen Scheidungsvergleich (hier: Regelung des Unterhalts) nach rechtskräftiger Abweisung der Anfechtungsklage hinsichtlich aller übrigen Vergleichspunkte überhaupt möglich ist (vgl dazu RIS-Justiz RS0014818).

8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Da die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

Anmerkung

E900534Ob240.08k

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0040OB00240.08K.0224.000

Zuletzt aktualisiert am

14.04.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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