TE OGH 2009/7/2 6Ob46/08w

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Veröffentlicht am 02.07.2009
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Karin S*****, vertreten durch Steiner & Steiner Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei Univ.-Prof. Mag. Dr. Maria N*****, vertreten durch Dr. Albrecht Haller, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Widerrufs, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 29. November 2007, GZ 6 R 179/07a-23, mit dem über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 25. Juli 2007, GZ 24 Cg 77/06i-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 742,27 EUR (davon 123,71 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Spruch

„a) Die (vormals erst- und zweitbeklagten Parteien) Landeshauptstadt Klagenfurt auch als Inhaberin des Einzelhandelsunternehmens Stadtwerke Klagenfurt sowie der Drittbeklagte sind zur ungeteilten Hand schuldig, den klagenden Parteien ATS 76.819,18 samt 4 % Zinsen ... zu zahlen.

b) Es wird festgestellt, dass die (...) Landeshauptstadt Klagenfurt auch als Inhaberin des Einzelhandelsunternehmens Stadtwerke Klagenfurt und der Drittbeklagte den Klägern für alle Schäden haften, die ihnen durch die am 7. 3. 1994 begonnenen und in der Folge ohne Vornahme von Sicherungsmaßnahmen sowie ohne Aufklärung der Kläger über den Inhalt des Befundes des DI K***** am 17. 3. 1993 durchgeführten Grabungsarbeiten auf dem auf der Liegenschaft ... befindlichen Haus K*****, K*****, entstanden sind und in Zukunft durch die Wiederherstellung und Verzögerung der Nutzung noch entstehen werden.

c) Hingegen wird das Leistungs- und das Feststellungsbegehren betreffend die viertbeklagte Partei S***** Bau AG abgewiesen. ... ."

Das Verfahren 24 Cg 167/97h des Landesgerichts Klagenfurt war zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Gewährung der Akteneinsicht ebenfalls bereits rechtskräftig abgeschlossen. In diesem Verfahren hatten die Klägerin und ihr Ehemann gegen die Landeshauptstadt Klagenfurt eine Amtshaftungsklage eingebracht, wobei sich die geltend gemachten Ersatzansprüche ebenfalls auf das von der nunmehrigen Klägerin und ihrem Ehemann auf ihrem Grundstück in Klagenfurt beabsichtigte Bauvorhaben bezogen haben. Das Verfahren war in der Folge (im Hinblick auf den Ausgang des Verfahrens 24 Cg 237/94y) auf Kosten eingeschränkt worden. Mit Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 13. 9. 1999 wurde die dort beklagte Partei Landeshauptstadt Klagenfurt zum Kostenersatz verurteilt.

Das Verfahren 24 Cg 219/04v der klagenden Partei M***** GmbH gegen die nunmehrige Klägerin und ihren Ehemann als beklagte Parteien hatte zum Streitgegenstand Ansprüche im Zusammenhang mit dem von der Klägerin und ihrem Ehemann auf ihrem Grundstück in Klagenfurt beabsichtigten Bauvorhaben. In diesem Verfahren wurden die Anträge der Beklagten auf Gewährung der Akteneinsicht rechtskräftig abgewiesen.

Die Verfahren 24 Cg 145/99a und 23 Cg 149/02i des Landesgerichts Klagenfurt sind noch in erster Instanz anhängig und zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. In diesen Verfahren machen die Klägerin und ihr Ehemann Schadenersatzansprüche gegen die Landeshauptstadt Klagenfurt und DI Heinrich O***** im Zusammenhang mit ihrem Bauvorhaben gestützt auf die mit Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 8. 7. 1998, 9 Ob 69/98g, festgestellte Haftung der Landeshauptstadt Klagenfurt und des Dipl.-Ing. Heinrich O***** für künftige Schäden geltend. In diesen verbundenen Verfahren ist die nunmehrige Beklagte als Nebenintervenientin auf Seiten der dort beklagten Parteien dem Verfahren beigetreten.

Die Beklagte hat gegen die Klägerin mehrere Strafanzeigen erstattet, die unter anderem den Vorwurf der Fälschung eines Beweismittels (von der Klägerin verfasster, mit 9. 12. und 10. 12. 2002 datierter Aktenvermerk) und Vorlage des gefälschten Beweismittels in den beim Bezirksgericht Klagenfurt geführten Bauverbotsverfahren und Besitzstörungsverfahren enthielten. Diese Anzeigen wurden gemäß § 90 Abs 1 StPO (zum Teil nach Führung gerichtlicher Vorerhebungen) zurückgelegt. Die Beklagte wurde mit Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft Klagenfurt vom 23. 11. 2004 von der Zurücklegung der Anzeigen verständigt.

Die Beklagte hat gegen die Klägerin auch eine Disziplinaranzeige erstattet und dabei insbesondere den Vorwurf eines manipulierten Beweismittels für das Verfahren 22 C 49/03v des Bezirksgerichts Klagenfurt erhoben. Mit Beschluss des Disziplinargerichts vom 22. 8. 2005 wurde die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen die Klägerin abgelehnt.

Die in den einzelnen festgehaltenen Schriftsätzen und Eingaben der Beklagten enthaltenen inkriminierten Äußerungen haben sich auf die Klägerin bezogen. Es konnte nicht festgestellt werden, dass diese Äußerungen nicht auf die Klägerin bezogen gewesen sind. In seiner rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhalts führte das Erstgericht aus, dass sich die den Gegenstand des Klagebegehrens bildenden Äußerungen der Beklagten auf die Klägerin bezogen hätten. Dies gelte insbesondere für den Vorwurf des Diebstahls des „S*****-Bauakts". Angesichts des Umstands, dass die Beklagte mit Ausnahme des Antrags auf Akteneinsicht vom 19. 1. 2004 sämtliche Schriftsätze und Eingaben verfasst habe, nachdem sie von der Zurücklegung der von ihr gegen die Klägerin erstatteten Strafanzeigen verständigt worden war, sei davon auszugehen, dass sie mit ihrer konkret gewählten Formulierung, mit der sie der Klägerin ein kriminelles Handeln unterstelle, unwahre Tatsachen behauptet habe. Die Eingabe vom 19. 1. 2004 sei zudem in einem Zeitpunkt erstattet worden, als bereits seit Jahren rechtskräftig eine Haftung unter anderem der Landeshauptstadt Klagenfurt für die der Klägerin und ihrem Gatten entstandenen Schäden ausgesprochen worden sei. Der Vorwurf, es würden Schäden scheinbar konstruiert und dann im Wesentlichen zu Lasten der Öffentlichkeit (der Landeshauptstadt Klagenfurt) hochlizitiert, sei vor diesem Hintergrund schlichtweg eine unwahre Tatsachenbehauptung. Die Beklagte habe die inkriminierten Behauptungen zum Teil in Verfahren aufgestellt, in denen sie gar nicht oder damals noch nicht Prozesspartei gewesen sei. Sie habe die Äußerungen aufgestellt, nachdem sie in Kenntnis gesetzt worden sei, dass die Strafverfolgungsbehörde die Anzeige zurückgelegt habe. Vor diesem Hintergrund könne der Beklagten nicht zugebilligt werden, dass sie in den beim Bezirksgericht Klagenfurt anhängigen Besitzstörungs- und Bauverbotsverfahren, in denen sie selbst Klägerin sei, ihren in diesen Verfahren eingenommenen Rechtsstandpunkt in einer Weise artikuliere, der dem Prozessgegner kriminelles Handeln vorwerfe. Sie habe sich in den Zivilprozessen nicht damit begnügt, ihren Prozessstandpunkt in einer sachlichen und nicht ehr- und rufverletzenden Weise darzutun, sondern habe subtil und bewusst eine diffamierende Formulierung gewählt. Dies gelte nicht nur für die handfesten Vorwürfe der Herstellung und Vorlage eines gefälschten Beweismittels, sondern auch für die inkriminierten Behauptungen betreffend die im Dienst der Klägerin stehenden Zeugen und den Diebstahl des S*****-Bauakts. Diese konkreten Ausführungen ließen bei Berücksichtigung der weiteren Ausführungen der Beklagten im Zusammenhang mit diesen Äußerungen nur den Schluss zu, dass die Beklagte bewusst der Klägerin den Diebstahl „des von ihr beabsichtigten Bauvorhabens" und auch vorgeworfen habe, dass „Zeugen in ihren Diensten stehen". Ziehe man weiters in Betracht, dass die Beklagte bewusst und ständig in ihren Äußerungen den Beruf der Klägerin, der in den Zivilprozessen keine Rolle spiele, miteinbeziehe, dann könne sie sich nicht darauf berufen, sie habe die Äußerungen in Ausübung eines Rechts aufgestellt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Was die Rüge anlange, das Verfahren des Erstgerichts sei mangelhaft geblieben, weil es die von der Beklagten angebotenen Wahrheitsbeweise nicht aufgenommen habe, so lege die Berufung nicht dar, welche konkret im Einzelfall angebotenen Beweise das Erstgericht nicht aufgenommen habe. Sie lege im Einzelnen auch nicht die Erheblichkeit der Unterlassung der Beweisaufnahme dar. Es liege auch nicht die von der Beklagten gerügte Aktenwidrigkeit vor. Das Berufungsgericht übernahm den festgestellten Sachverhalt als unbedenklich und für die rechtliche Beurteilung ausreichend und legte ihn seiner Entscheidung zu Grunde. Dem Erstgericht sei darin beizupflichten, dass die Beklagte die Äußerungen rechtsmissbräuchlich und wider besseres Wissen gemacht habe. Sie habe sie großteils in Verfahren getätigt, in denen sie nicht einmal Verfahrenspartei gewesen sei; sie habe jedenfalls leichtfertig handgreiflich unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt, weshalb ihr der von ihr behauptete Rechtfertigungsgrund nicht zukommen könne. Sie habe mit ihren Äußerungen auch jeweils weit über das Ziel geschossen und somit Rechtsmissbrauch begangen. Daher könnten die Äußerungen nicht mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung gerechtfertigt werden. Es liege auch kein Anwendungsfall des § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB vor. Die gegen den Widerrufsauftrag erhobene Rechtsrüge sei nicht gesetzmäßig ausgeführt. Dass die Äußerungen jeweils den Personen zugegangen seien, denen gegenüber die Beklagte zu widerrufen habe, sei aktenkundig.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR, nicht jedoch 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Nachträglich (§ 508 ZPO) ließ das Berufungsgericht die ordentliche Revision zu, weil die Auffassung vertreten werden könnte, das Vorbringen in Anträgen Dritter auf Akteneinsicht nach § 219 Abs 2 ZPO begründe ein berechtigtes Interesse des Empfängers an der Mitteilung und sei daher vom Rechtfertigungsgrund des § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB erfasst.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist Richterin und in Strafsachen tätig. Sie und ihr Ehemann sind Miteigentümer einer Liegenschaft in Klagenfurt. Die Beklagte ist Universitätsprofessorin und Eigentümerin der Nachbarliegenschaft.

Zwischen den Streitteilen waren und sind Verfahren anhängig, vor allem im Zusammenhang mit einem Bauvorhaben der Klägerin und ihres Ehemanns auf ihrer Liegenschaft in Klagenfurt.

Die Klägerin begehrt mit ihrer am 5. 5. 2006 eingebrachten Klage, die Beklagte schuldig zu erkennen,

„die Erhebung folgender Behauptungen betreffend die Klägerin bzw die Erhebung jeder ähnlichen Behauptung zu unterlassen, insbesondere

a) die Klägerin habe (insbesondere als Strafrichterin) ein Beweismittel gefälscht und bei Gericht vorgelegt;

b) die Klägerin habe die Beklagte mit illegalen Mitteln attackiert bzw die Klägerin habe Malversationen begangen;

c)

die Klägerin habe Zeugen in ihren Diensten;

d)

die Klägerin sei als Richterin eine Gefahr für die Gesellschaft und habe das Vertrauen in den Rechtsstaat geschädigt;

              e)              die Klägerin habe zu Lasten der Öffentlichkeit (nämlich der Landeshauptstadt Klagenfurt) Schäden scheinbar konstruiert und hochlizitiert;

              f)              die Klägerin habe den 'S*****-Bauakt' gestohlen;" und die Behauptungen gegenüber namentlich angeführten Personen zu widerrufen.

Die Beklagte habe in dem von ihr gegen die Klägerin und ihren Ehemann

zu 22 C 49/03v des Bezirksgerichts Klagenfurt angestrengten und noch

anhängigen Prozess (Bauverbotsklage) der Klägerin unter Nennung ihrer

Funktion als amtierende Strafrichterin in Schriftsätzen

- vorgeworfen, ihre (= der Beklagten) „Nachbarrechte laufend mit

illegalen Mitteln zu attackieren", und der Klägerin dabei „notorische

Illegalität" bzw einen „Illegalitätstrieb" und „Malversationen"

angelastet,

- wiederholt die „Herstellung und Vorlage eines falschen

Beweismittels im gegenständlichen Verfahren" angelastet und

behauptet, dass

- „die im Dienste der [Klägerin] stehenden Zeugen ... ihrer

Auftraggeberin ... prozessual dienlich seien",

- ein Aktenvermerk von der Klägerin als Strafrichterin im

entscheidenden Punkt „mit falschem Inhalt hergestellt und dem Gericht

zur Beweisführung vorgelegt" worden sei.

Die Beklagte habe in Anträgen auf Akteneinsicht in Zivilprozessen der Klägerin und ihres Ehemanns

              a)              gegen die Landeshauptstadt Klagenfurt und DI Heinrich O*****

-

behauptet, die Klägerin habe „Schäden scheinbar konstruiert und dann im Wesentlichen zu Lasten der Öffentlichkeit (der Landeshauptstadt Klagenfurt) hochlizitiert";

-

und der Klägerin den „Diebstahl des S*****-Bauaktes" angelastet;

und

              b)              gegen die M***** GmbH behauptet,

-

die Klägerin „verleihe dem Verfahren ein kriminelles Kolorit, weil sie (...) ein falsches Beweismittel herstellte und bei Gericht vorlegte, um die Verfristung der Bauverbotsklage einzureden",

-

Zeugen stünden in ihren (nämlich der Klägerin) Diensten,

-

„eine Richterin, die (jedenfalls hinsichtlich ihrer Liegenschaft ...) Beweismittel fälscht (in 22 C 49/03v des Bezirksgerichts Klagenfurt) --- - schädigt das Vertrauen in den Rechtsstaat und ist eine Gefahr für die Gesellschaft",

-

„eine amtierende Richterin, die ein so großflächiges Schädigungsfeld so raffiniert aufbereitet, die den Behörden und mir als Privatperson und anderen Privatpersonen derart penetrant sogar betrugsverdächtige Prozesse zumutet, die Beweismittel fälscht, ist unerträglich und kann nicht scharf genug etikettiert werden". Diese Äußerungen der Beklagten, deren Unterlassung und Widerruf begehrt werde, seien unwahre, kreditschädigende Tatsachenbehauptungen, die die Beklagte wider besseres Wissen, jedenfalls aber fahrlässig in den Schriftsätzen verbreitet habe. Die Klägerin habe weder ein Beweismittel gefälscht noch ein gefälschtes Beweismittel bei Gericht vorgelegt. Sie habe kein kriminelles Verhalten gesetzt. Sie habe auch keine illegalen Mittel gegen die Beklagte eingesetzt und keine Malversationen begangen; es stünden auch nicht irgendwelche Zeugen „in ihren Diensten"; sie habe auch nicht Schäden zum Nachteil der Landeshauptstadt Klagenfurt und damit der Öffentlichkeit „hochlizitiert", ebensowenig wie sie ihren „eigenen Bauakt" gestohlen habe.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klagebegehren. Sie habe die beanstandeten Äußerungen in Gerichtsverfahren zu ihrer eigenen Rechtswahrnehmung gemacht. Sie habe keine Tatsachenbehauptungen wider besseres Wissen aufgestellt. Soweit die inkriminierten Behauptungen überhaupt die Klägerin beträfen, seien sie wahr.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es stellte - auszugsweise - schriftsätzliche Äußerungen der Beklagten in dem von ihr zu 22 C 49/03v des Bezirksgerichts Klagenfurt gegen die Klägerin und ihren Ehemann betriebenen Zivilprozess (Bauverbotsklage) und in Anträgen der Beklagten auf Akteneinsicht in den Verfahren 24 Cg 237/04y, 23 Cg 167/97h, 24 Cg 145/99a, 23 Cg 149/02i und 24 Cg 219/04v des Landesgerichts Klagenfurt und Folgendes fest:

Das Verfahren 24 Cg 237/94y des Landesgerichts Klagenfurt war zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Gewährung der Akteneinsicht bereits rechtskräftig beendet. In diesem Verfahren hatten die Klägerin und ihr Ehemann im Zusammenhang mit dem von ihnen auf ihrem Grundstück in Klagenfurt beabsichtigten Bauvorhaben gegen die Stadtwerke Klagenfurt, die Landeshauptstadt Klagenfurt, Dipl.-Ing. Heinrich O***** und die Firma S***** eine Schadenersatzklage eingebracht. In diesem Verfahren wurde mit Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 8. 7. 1998, 9 Ob 69/98g, zu Recht erkannt:

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin beantwortete Revision der Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig, weil die Entscheidung weder von der vom Berufungsgericht bezeichneten Rechtsfrage noch von jenen abhängt (§ 502 Abs 1 ZPO), die die Beklagte in ihrem Rechtsmittel geltend macht.

Die Revisionswerberin führt zusammengefasst im Wesentlichen aus:

1. Der Sachverhalt, den das Erstgericht festgestellt und das Berufungsgericht übernommen habe, enthalte keine Feststellung, dass die Beklagte ihre Äußerungen wider besseres Wissen erhoben hätte. Mit der Zurücklegung der Strafanzeigen durch den Staatsanwalt sei nicht gesagt, dass die Vorwürfe nicht zuträfen, und um so weniger, dass die Beklagte von der Unwahrheit der von ihr gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfe wisse. Eine Bindung des Zivilgerichts an Verfahrenseinstellungen bestehe nicht. Da nicht feststehe, dass die Beklagte die beanstandeten Äußerungen, die in Ausübung eines Rechts getätigt worden seien, wider besseres Wissen erhoben habe, seien die Äußerungen zulässig, sodass das Klagebegehren abzuweisen sei.

2. Es sei unzulässig, von einer Partei die Erbringung des Beweises der Wahrheit der beanstandeten Äußerung zu verlangen, zugleich aber die Aufnahme der angebotenen Beweise abzulehnen. Die vom Berufungsgericht vermisste Darlegung, welche Beweisergebnisse zu erwarten gewesen wären, ergebe sich beim Wahrheitsbeweis aus dessen Natur und müsse daher nicht wortreich ausgeführt werden.

3. Zumindest die mit dem Unterlassungsgebot d) verbotene Äußerung sei ein reines Werturteil; die vom Berufungsgericht erhobene Forderung, die Beklagte hätte die Wahrheit von Tatsachen beweisen müssen, sei unmöglich zu erfüllen.

4. Die beiden „am stärksten wertenden Äußerungen" (Unterlassungsgebote b) und d)) überschritten die Grenzen zulässiger Kritik nicht.

5. Das Berufungsgericht sei von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen, wonach auch die Anwendung der Unklarheitenregel am Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung zu messen sei. Es wende die Unklarheitenregel undifferenziert und ausnahmslos an und billige die „vom Erstgericht konstruierten, teils nur mehr als höchst spekulativ zu bezeichnenden Auslegungsvarianten", obwohl es aufgrund der Rechtsrüge der Beklagten den objektiven Bedeutungsinhalt der einzelnen Äußerungen hätte ermitteln und dann die Klage hätte abweisen müssen.

Mit alldem zeigt die Rechtsmittelwerberin keine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage auf:

Zu 1.:

6.1. Gemäß § 1330 Abs 2 letzter Satz ABGB haftet der Verbreiter für eine nicht öffentlich vorgebrachte Mitteilung, deren Unwahrheit der Mitteilende nicht kennt, nicht, wenn er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hatte. Dieser Rechtfertigungsgrund (6 Ob 37/95 SZ 69/12 ua; Reischauer in Rummel, ABGB³ § 1330 Rz 24 mwN), ist daher nicht gegeben, wenn der Mitteilende die Äußerung wider besseres Wissen macht (6 Ob 60/97k ua). Dass der Täter die Unrichtigkeit der Mitteilung kannte, hat der Betroffene zu beweisen (6 Ob 2133/96m; 6 Ob 60/97k; 6 Ob 233/01k; Reischauer aaO § 1330 Rz 24).

6.2. In die Ehre oder den wirtschaftlichen Ruf des Prozessgegners eingreifende Parteienbehauptungen werden im Interesse einer ordnungsgemäßen Rechtspflege als gerechtfertigt angesehen, sofern sie nicht wider besseres Wissen erhoben wurden (RIS-Justiz RS0031798). Auf die mangelnde Vertraulichkeit kommt es bei der Beurteilung von Prozessbehauptungen nicht an (6 Ob 184/04h mwN). Bei wissentlich falschen Prozessbehauptungen trifft den Betroffenen die Beweislast für die Kenntnis des Täters von der Unwahrheit seiner Äußerungen (RIS-Justiz RS0105665).

6.3. Ob die Beklagte die Unrichtigkeit einer bestimmten Tatsachenbehauptung kannte, ist eine Tatsachenfeststellung (1 Ob 726/77 ÖBl 1978, 151; RIS-Justiz RS0031795). Enthalten die Rechtsausführungen im Urteil auch Ausführungen, die dem Tatsachenbereich zuzuordnen sind, dann handelt es sich um Tatsachenfeststellungen, weil es nur auf die Qualität und nicht auf den Ort der Aussage in den Entscheidungsgründen eines Urteils ankommt (3 Ob 2116/96w). Im Anlassfall hat das Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung wenn auch nicht wörtlich, so doch mit - auch nach dem Verständnis des Berufungsgerichts - hinreichender Deutlichkeit die Kenntnis der Beklagten von der Unrichtigkeit von Tatsachenbehauptungen, die den Verfahrensgegenstand bilden, festgestellt und dies durch Schlussfolgerungen aus Tatsachen begründet. Schlussfolgerungen dieser Art sind Akte der nicht revisiblen Beweiswürdigung (2 Ob 560/91 SZ 64/147 mwN). Die Bekämpfung dieser Schlussfolgerungen in der Revision ist demnach unzulässig.

6.4. Ist daher in der rechtlichen Beurteilung davon auszugehen, dass die Beklagte Tatsachenbehauptungen, die Gegenstand des Klagebegehrens sind, wider besseres Wissen mitteilte, so stellt sich die vom Berufungsgericht für im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erheblich gehaltene Rechtsfrage nicht.

Zu 2.:

7.1. Es kann keine Rede davon sein, dass das Berufungsgericht die Aufnahme der angebotenen Wahrheitsbeweise abgelehnt hätte. Vielmehr hat es die Verfahrensrüge der Berufung als nicht gesetzmäßig ausgeführt erachtet.

7.2. Unterstellte das Berufungsgericht rechtsirrig, eine Rüge des Verfahrens erster Instanz entbehre der gesetzmäßigen Ausführung, so liegt darin eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (6 Ob 2176/96k; Zechner in Fasching/Konecny² § 503 ZPO Rz 31 mwN). Ausdrücklich macht die Beklagte den Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) nicht geltend. Sie führt ihn auch nicht inhaltlich aus, verlangt doch die Ausführung des Revisionsgrundes nach der Rechtsprechung die namentliche Anführung der Zeugen, die nach Ansicht der Rechtsmittelwerberin zu Unrecht nicht zugelassen wurden (1 Ob 193/48 EvBl 1948/623, 378), und die Bezeichnung der vorgelegten Urkunden, die unzutreffend gewürdigt wurden (vgl RIS-Justiz RS0042939 [T2]). Wie schon in der Berufung unterlässt die Revisionswerberin diese Angaben. Dass die Erheblichkeit des Mangels im Sinn des § 496 Abs 1 Z 2 ZPO nicht darzulegen ist, wenn sie offenkundig ist (1 Ob 277/00t SZ 74/33 mwN), und das Beweisthema in der Mängelrüge zumindest dann nicht wiederholt werden muss, wenn nach der Aktenlage kein Zweifel daran bestehen kann, welche streitentscheidenden Feststellungen der ersten Instanz der Berufungswerber durch das übergangene Beweismittel zu widerlegen können glaubt (1 Ob 613/78 RZ 1979/8, 38; RIS-Justiz RS0042939 [T1]), ist daher für die Entscheidung im Anlassfall nicht wesentlich.

Zu 3. und 4.:

8.1. Ob eine bestimmte Äußerung als Wertungsexzess zu qualifizieren ist, ist eine Frage des Einzelfalls und deshalb in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0113943).

8.2. Nach ständiger Rechtsprechung sind ehrverletzende Werturteile, die auf der Grundlage unrichtiger Tatsachenbehauptungen geäußert werden, durch das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht gerechtfertigt. Diese Rechtsprechung hat das Berufungsgericht angewendet.

8.3. Da die den Unterlassungsgeboten b) und d) zugrundeliegenden wertenden Äußerungen der Beklagten nach den Feststellungen der Vorinstanzen auf unwahren Tatsachenbehauptungen beruhen, entspricht ihr Verbot der höchstgerichtlichen Rechtsprechung.

Zu 5.:

9.1. Nach der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist die Anwendung der Unklarheitenregel am Grundrecht der Meinungsfreiheit zu messen. Liegt die Annahme eines bestimmten Tatsachenkerns nahe, der wahr ist und die damit verbundenen Werturteile als nicht exzessiv rechtfertigt, muss die entfernte Möglichkeit einer den Kläger noch stärker belastenden Deutung unbeachtlich bleiben. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung schließt es aus, eine entferntere, bloß mögliche Deutung der beanstandeten Formulierungen zur Ermittlung des für ihre rechtliche Beurteilung relevanten Tatsachenkerns heranzuziehen (6 Ob 218/08i; 4 Ob 236/07w; 4 Ob 98/07a; 4 Ob 71/06d).

9.2. Das Berufungsgericht hat die Unklarheitenregel, wonach der Täter seine Äußerung in der für ihn ungünstigsten Auslegung gelten lassen muss (6 Ob 235/02f), bloß zur weiteren Begründung dafür herangezogen, dass sich die dem Unterlassungsgebot c) zugrundeliegende beanstandete Äußerung der Beklagten auf die Klägerin bezog. Weshalb diese Auslegung und die Auslegung anderer relevanter Äußerungen der Beklagten unzutreffend sind und welchen objektiven Bedeutungsinhalt die Äußerungen nach Auffassung der Beklagten haben, legt die Revision jedoch nicht konkret dar, sodass auch in diesem Punkt keine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage dargelegt wird.

10. Zur Bekämpfung des Widerrufsbegehrens führt die Revision nichts aus.

11. Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision kann sich auf die Angabe der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

12. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels der Beklagten hingewiesen.

Anmerkung

E913746Ob46.08w

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0060OB00046.08W.0702.000

Zuletzt aktualisiert am

31.08.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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