TE OGH 2009/10/28 7Ob94/09p

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.10.2009
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** S*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Hirsch und Dr. Ursula Leissing, Rechtsanwälte in Bregenz, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch Dr. Rolf Philipp und Dr. Frank Philipp, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen 25.000 EUR, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 25. März 2009, GZ 4 R 268/08f, 4 R 269/08b, 4 R 69/09t-28, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 25. Juli 2008, GZ 9 Cg 41/07z-15, in der Fassung der Berichtigungsbeschlüsse vom 15. August 2008, GZ 9 Cg 41/07z-17, und vom 29. November 2008, GZ 9 Cg 41/07z-23, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Teilurteil und das Urteil des Erstgerichts (sofern es nicht zum Zinsenbegehren von 4 % Zinsen aus 68.457 EUR seit 18. 10. 2005 vom Berufungsgericht aufgehoben wurde) werden abgeändert, sodass die Entscheidung unter Einschluss der in Rechtskraft erwachsenen Abweisung des Zinsenbegehrens von 4 % Zinsen aus 153.323,75 EUR vom 18. 8. 2005 bis 17. 10. 2005 als Teilurteil lautet:

Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 25.000 EUR samt 4 % Zinsen aus 153.323,75 EUR vom 18. 8. 2005 bis 17. 10. 2005 und aus 84.866,75 EUR seit 18. 10. 2005 zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.469,90 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin enthalten 739,65 EUR an USt und 32 EUR an Barauslagen), die mit 3.298,65 EUR bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten 394,14 EUR an USt und 934 EUR an Barauslagen) und die mit 2.636,08 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 244,68 EUR an USt und 1.168 EUR an Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Eigentümer eines landwirtschaftlichen Anwesens in S*****, welches ursprünglich bei der B***** Versicherung gegen Feuer versichert war.

1993 schloss er auch eine „Haus und Hof"-Versicherung zum Neuwert bei der B***** Versicherung ab. Die Versicherungssumme betrug 2,8 Mio ATS; die Versicherung wurde als Nachversicherung abgeschlossen mit der Wirkung, dass zusätzlich zur Versicherungsdeckung der B***** Versicherung von 2 Mio ATS die genannte weitere Versicherungssumme hinzukam. Bei Abschluss der Nachversicherung wurde der Kläger von einem Versicherungsvertreter der Rechtsvorgängerin der Beklagten betreut. Der Tarif war so gestaltet, dass für die Ermittlung der Versicherungssumme und der Versicherungsprämie nicht der Wert der Gebäude herangezogen wurde, sondern die landwirtschaftlich (zweimähdig) bewirtschaftete Fläche. Die auf diese Weise ermittelte Höchsthaftungssumme sollte die Obergrenze der Versicherungsleistung darstellen. Nach den Vertragsbestimmungen war der Einwand der Unterversicherung ausgeschlossen. Der Versicherungsvertreter stellte keine Überlegungen dahin an, ob der Neuwert des Gebäudes durch die vertraglich vereinbarte Höchsthaftungssumme ausreichend gedeckt ist. Er besprach dies auch nicht mit dem Kläger, der seinerseits keine Bedenken gegen die vereinbarte Höchsthaftungssumme erhob.

1998 kam es zu einem Neuabschluss einer „Haus und Hof"-Versicherung bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, wobei der Kläger dabei von P***** M***** (in Hinkunft: Versicherungsagent) betreut wurde, der seit 1992 Angestellter eines ausschließlich für die Beklagte und deren Rechtsvorgängerin tätigen Generalagenten ist. Der Versicherungsagent ist gleichzeitig auch gerichtlich beeideter „Ortsschätzer" der Gemeinde S*****. Im Jahr 1998 lief eine der beiden bisher bestehenden Versicherungen aus. Dies war Anlass für den Versicherungsagenten, den Kläger aufzusuchen und diesem eine neue Regelung des Versicherungsvertrags vorzuschlagen. Ergebnis des Kontakts war der Abschluss einer die bisherigen Versicherungen ersetzenden „Haus und Hof"-Versicherung. Tarifmäßige Berechnungsbasis war wiederum nicht der Wert der Gebäude, sondern die landwirtschaftliche Nutzfläche von 5 ha.

2005 kaufte der Kläger Grund dazu, wodurch die in seinem Eigentum stehende Grundfläche auf ca 7 ha vergrößert wurde. Der Versicherungsagent erhielt davon Kenntnis und wies den Kläger darauf hin, dass die Versicherung angepasst werden müsse. Er schlug vor, die Versicherung in eine solche der Beklagten zu konvertieren. Ergebnis war eine Anpassung der Versicherung durch Abschluss einer „Hof & Ernten"-Versicherung mit Indexvereinbarung, datierend vom 1. 3. 2005, die dem vom Versicherungsagenten vorbereiteten Versicherungsantrag vom 21. 2. 2005 an die Beklagte entsprach. Die Prämie für diese Versicherung betrug nunmehr insgesamt 1.284,16 EUR jährlich. Davon entfielen 405,27 EUR auf das Feuerrisiko für die Gebäude, wobei die Grunddeckung („Höchsthaftungssumme") 601.300 EUR zuzüglich Nebenkosten von 60.130 EUR betrug. Unverändert handelte es sich um eine Neuwertversicherung.

Vereinbart wurde die Geltung der „Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung" (ABS), Fassung 6/2003, deren Art 10 lautet:

„Begrenzung der Entschädigung, Unterversicherung

1. Die Versicherungssumme bildet die Grenze für die Ersatzleistung des Versicherers ...

2. Ist die Versicherungssumme niedriger als der Versicherungswert (siehe Bestimmungen über den Versicherungswert in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der betreffenden Sachversicherungssparte) zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalls (Unterversicherung), wird der Schaden nur nach dem Verhältnis der Versicherungssumme zum Versicherungswert ersetzt. ..."

Ebenfalls vereinbart wurde die Gültigkeit der „H***** (L*****)", Fassung 1/2003, deren Art 8 lautet:

„Wertgrundlage und Unterversicherung.

Grundlage für die Festsetzung der Höchsthaftungssumme und der Prämienberechnung für die Grunddeckung bzw für den gesamten Viehbestand ist die ha-Anzahl der landwirtschaftlichen Nutzfläche an Äckern, Wiesen, Obst-, Gemüse- und Weingärten inklusive vorübergehend brachliegenden Flächen.

Diese Höchsthaftungssumme darf nur dann unterschritten werden, wenn für die Risiken mehrfache Versicherungen bestehen ...

Bei unrichtiger Angabe der ha-Zahl bzw bei nachträglicher Veränderung (zB Zukauf) vermindert sich die Leistung des Versicherers im gleichen Verhältnis, in dem die vertragliche Höchsthaftungssumme zur Höchsthaftungssumme aufgrund der tatsächlichen landwirtschaftlichen Nutzfläche steht. ...

Wichtig!

- Die so festgesetzte Höchsthaftungssumme kann bei Bedarf erhöht werden. Bei jenen Risiken, die auf der Polizze oder in gegenständlicher Bedingung mit dem Text 'Erstes Risiko' gekennzeichnet wurden, wird innerhalb der festgesetzten Höchsthaftungssumme der volle Schaden ersetzt, ohne dass auf die Bestimmungen über die Unterversicherung des Art 10 (2) ABS Rücksicht genommen wird."

Bei den Konvertierungen der Versicherungsverträge in den Jahren 1998 und 2005 war vom Wert der zu versichernden Gebäude nicht die Rede. Der Versicherungsagent wies auch nicht auf eine von ihm erkannte Unterversicherung hin. Der Kläger äußerte bezüglich der abzuschließenden neuen Versicherungsverträge keine Einschränkung dahin, dass sich die Prämie gegenüber der bisherigen nicht erhöhen dürfe. Ob der Kläger bei diesen Gelegenheiten erklärt hat, er wolle eine „ordentliche" Versicherung, kann nicht festgestellt werden.

Am 17. 9. 2005 kam es zu einem Brand, bei dem das Wohnhaus des Klägers samt angebautem Stall und Stadel praktisch total zerstört wurde.

Nach dem Brand wurde die Schadenshöhe durch Sachverständige ermittelt, und zwar der Neuwertschaden am Gebäude mit insgesamt 691.498,65 EUR und der Neuwertschaden an landwirtschaftlichen Maschinen und Werkzeugen mit 65.007 EUR. Die Beklagte leistete die vereinbarte Höchsthaftungssumme von 601.300 EUR abzüglich des vereinbarten Selbstbehalts von 1.450 EUR. Der Brandschaden übersteigt allerdings die vereinbarte Höchstversicherungssumme zumindest um 1 EUR.

Eine Aufforderung des Klagsvertreters vom 3. 1. 2006, den höheren durch Gutachten ermittelten Neuwertschaden zu ersetzen, blieb erfolglos.

Der Kläger begehrt die Zahlung von 25.000 EUR samt 4 % Zinsen aus 153.323,75 EUR. Er sei unter anderem gegen Feuerschäden zum Neuwert versichert gewesen und habe das Stallgebäude und das Wohngebäude nach dem Brand weitgehend wiederhergestellt und die zerstörten Maschinen wieder angeschafft. Die Beklagte habe die volle Versicherungssumme abzüglich des Selbstbehalts von 599.850 EUR anerkannt und überwiesen. Allerdings sei die Versicherungssumme wesentlich geringer als der tatsächliche Neuwert des Objekts, sodass eine Unterversicherung vorliege. Nach der gemäß Art 11 ABS erfolgten bindenden Feststellung der Schadenshöhe durch Sachverständige betrage der gesamte Neuwertschaden (an Gebäuden, Inventar etc) insgesamt 755.535,85 EUR, was eine Unterdeckung von 154.235,85 EUR ergebe. In Abzug bringen lasse sich der Kläger die für den Zeitraum vom 1. Oktober 1998 bis zum Brand entstandene Prämienersparnis von 912,10 EUR.

2005 habe er den Versicherungsagenten beauftragt, das Gebäude samt Inventar „ordentlich" zu versichern. Er habe davon ausgehen können, dass der Versicherungsagent die Versicherungssumme seinem Auftrag entsprechend so ansetze, dass im Schadensfall volle Neuwertdeckung bestehe, zumal dieser die zu versichernden Objekte gekannt habe und gleichzeitig auch „Ortsschätzer" der Gemeinde S***** gewesen sei. Für den Kläger sei nicht erkennbar gewesen, dass eine Unterdeckung bestehe, während der Versicherungsagent dies bei Abschluss des Versicherungsvertrags erkannt habe; trotzdem habe er den Kläger weder darüber informiert noch die Einholung eines Gutachtens empfohlen, was ein schuldhaftes Verhalten darstelle. Vielmehr habe er die Versicherungssumme lediglich anhand der landwirtschaftlichen Nutzfläche ermittelt, ohne den Kläger darauf hinzuweisen, dass unabhängig von der Fläche die Versicherungssumme auch höher angesetzt werden könne und wegen der Unterversicherung auch höher angesetzt werden müsse. Der Versicherungsagent sei der Erfüllungsgehilfe der Beklagten gewesen, für den sie gemäß § 1313a ABGB einzustehen habe. Hätte dieser den Kläger darüber aufgeklärt, dass im Fall eines Totalschadens durch Brand eine Unterversicherung vorliege, hätte der Kläger eine Versicherungssumme gewählt, bei der volle Deckung bestanden hätte; diesfalls hätte er den von den Sachverständigen bindend festgestellten Schaden erhalten, weshalb eine mittelbare Bindungswirkung der Gutachten gegeben sei. Der Kläger sei daher so zu stellen, als hätte er sich, richtig beraten, ausreichenden Versicherungsschutz verschafft, sodass ihm die bestehende Unterdeckung als Schaden zu ersetzen sei. Er mache hievon vorerst 25.000 EUR geltend. Gemäß § 94 VersVG sei die Entschädigung nach Ablauf eines Monats seit der Anzeige des Versicherungsfalls (18. 10. 2005) mit 4 % zu verzinsen.

Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, dem Kläger sei bei Abschluss des Versicherungsvertrags bekannt gewesen, wie sich die Höchsthaftungssumme errechne (Betrag je ha x Anzahl der ha). Der Versicherungsagent habe den Kläger auch darauf hingewiesen, dass er im Totalschadensfall maximal die Höchsthaftungssumme erhalten könne. Er habe dem Kläger auch angeboten, eine höhere Höchsthaftungssumme zu wählen, was der Kläger abgelehnt habe. Ein schuldhaftes und rechtswidriges Verhalten des Versicherungsagenten liege nicht vor. Der Kläger habe den Schaden dadurch selbst verursacht und verschuldet, dass er trotz Kenntnis davon, dass eine Höchstversicherungsleistung unabhängig vom konkreten Wert des versicherten Objekts nach abstrakten Kriterien festgelegt worden sei, weder den Wert des versicherten Objekts habe ermitteln lassen noch eine Anpassung der Versicherungssumme an den Wert des Gebäudes verlangt oder die abstrakte Ermittlung der Versicherungsleistung hinterfragt habe.

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 25.000 EUR samt Anhang und wies ein Zinsenmehrbegehren ab. Es liege eine Unterversicherung vor, weil die vereinbarte Höchsthaftungssumme nicht den höheren Versicherungswert (Neuwert) der versicherten Gebäude erreiche. Bei der umfassenden Sachversicherung eines landwirtschaftlichen Anwesens sei, nicht zuletzt mit Rücksicht auf die in dieser Versicherungssparte im Vergleich zur Versicherungssumme verhältnismäßig niedrigen Prämie, davon auszugehen, dass der Eigentümer im Allgemeinen einen möglichst vollständigen Versicherungsschutz anstrebe. Der Kläger habe weder eine Obergrenze hinsichtlich der zu zahlenden Versicherungsprämie bestimmt noch habe er bewusst eine Unterversicherung in Kauf genommen. Der Versicherungsagent, der die Unterversicherung erkannt habe, wäre verpflichtet gewesen, den Kläger auf die drohende Unterversicherung hinzuweisen. Dies gelte umso mehr, als sich - für einen Laien in seinen Auswirkungen nicht ohne weiteres durchschaubar - sowohl die Höhe der Versicherungssumme als auch der Versicherungsprämie aus einem Tarif ergebe, der nicht am Gebäudewert orientiert sei, sondern an der vom landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers bewirtschafteten Fläche. Die schuldhafte Unterlassung sei ursächlich dafür geworden, dass der Kläger sein Anwesen nicht mit einer ausreichenden Summe versichert habe. Er wäre bereit gewesen, die damit verbundene Erhöhung der jährlichen Versicherungsprämie in Kauf zu nehmen. Die Beklagte sei daher verpflichtet, den Kläger so zu stellen, als ob er eine Versicherung mit einer ausreichenden, dem Versicherungswert der beim Versicherungsfall zu Schaden gekommenen Gebäude entsprechenden Summe (Höchsthaftungssumme) eingegangen wäre.

Gegen die Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens erhob der Kläger und gegen den klagsstattgebenden Teil des Ersturteils erhob die Beklagte Berufung. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten in der Hauptsache nicht Folge, jedoch sowohl der Berufung des Klägers als auch jener der Beklagten bezüglich der Zinsen teilweise Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass es mit Teilurteil die Beklagte verpflichtete, dem Kläger 25.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 18. 10. 2005 aus 84.866,75 EUR zu bezahlen und Kostenersatz für das erstinstanzliche Verfahren zu leisten, während es das Zinsenmehrbegehren abwies. Im Umfang der teilweisen Abweisung und Stattgebung eines Zinsenmehrbegehrens von 4 % aus 68.457 EUR seit 18. 10. 2005 wurde das Ersturteil aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt. Die geltend gemachten Verfahrensmängel verneinte das Berufungsgericht; es hielt auch die Beweisrügen für unberechtigt.

In rechtlicher Hinsicht führte es aus: Auch wenn ein Versicherungsagent nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht prüfen müsse, ob die Versicherungsbedingungen das Versicherungsbedürfnis eines Versicherungsnehmers voll abdeckten und ein Versicherungsnehmer auch nicht erwarten könne, dass jedes denkbare Risiko in den Schutzbereich der Versicherung falle, so müsse der Agent doch Fehlvorstellungen, die der Versicherungsnehmer über den Deckungsumfang äußere, richtigstellen. Der Versicherungsagent habe erkannt, dass bei einem Totalschaden eine Unterversicherung vorliege. Da der Kläger keinerlei Einschränkungen hinsichtlich des abzuschließenden neuen Versicherungsvertrags dahingehend geäußert habe, dass sich die Prämie nicht erhöhen dürfte, wäre aufgrund des dem Versicherungsrecht innewohnenden Prinzips von „Treu und Glauben" der Versicherungsagent verpflichtet gewesen, den Kläger darauf hinzuweisen, dass trotz Neuwertversicherung bei einem Totalschaden keine gänzliche Deckung bestehe, dass allerdings die Möglichkeit bestehe, gegen Leistung einer höheren Prämie die Höchsthaftungssumme auf den tatsächlichen Neuwert, allenfalls nach vorhergehender Einholung eines Schätzungsgutachtens, zu erhöhen. Durch diese unterlassene Aufklärung habe der Versicherungsagent der Beklagten vorvertragliche Aufklärungs- und Sorgfaltspflichten verletzt, sodass die Beklagte für „culpa in contrahendo" zu haften habe. Denn bei einer Neuwertversicherung gehe der Versicherungskunde grundsätzlich davon aus, dass er nicht nur bei einem Teilschaden, sondern auch bei einem Totalschaden den Neuwert ersetzt bekomme. Dabei müsse der Versicherungskunde gar nicht von sich aus ausdrücklich äußern, dass auch bei einem Totalschaden die gesamten Wiedererrichtungskosten vom Versicherungsvertrag gedeckt sein sollten. Für ein Mitverschulden des Klägers finde sich kein Anhaltspunkt. Die Beklagte hafte daher für den gesamten durch die Verletzung ihrer vorvertraglichen Aufklärungs- und Sorgfaltspflichten ihres Erfüllungsgehilfen entstandenen Schaden.

Bei entsprechender Vereinbarung einer höheren Haftungssumme wären unzweifelhaft ebenfalls die ABS der Beklagten zur Anwendung gekommen, insbesondere deren Art 11, wonach die Feststellungen, die die Sachverständigen im Rahmen ihrer Zuständigkeit getroffen hätten, verbindlich seien, wenn nicht nachgewiesen werde, dass sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abwichen. Damit sei aber die Höhe des von diesen Sachverständigen ermittelten Gebäudeneuwertschadens von 691.498,65 EUR jedenfalls verbindlich. Eine offenbar von der wirklichen Sachlage erhebliche Abweichung sei von der Beklagten nicht ausreichend behauptet worden. Auf die Frage, ob die Ermittlung des Neuwertschadens an Maschinen und Werkzeugen ebenfalls bindend sei, müsse - betreffend den Hauptsachenbetrag - nicht eingegangen werden, weil der Kläger bislang nur einen Teilbetrag seines über die Deckungssumme hinausgehenden Schadens eingeklagt habe und dieser jedenfalls in der Ermittlung des Gebäudeneuwertschadens Deckung finde. Daher habe das Erstgericht dem Kläger zu Recht den geltend gemachten (Teil-)Betrag von 25.000 EUR zuerkannt. Die Verbindlichkeit des ebenfalls bereits von einem Sachverständigen ermittelten Neuwertschadens betreffend die landwirtschaftlichen Geräte, Maschinen und Vorräte erscheine allerdings fraglich. Hinsichtlich eines Teilbetrags von 68.457 EUR liege daher keine ausreichende Grundlage zur Beurteilung der Berechtigung des Zinsenbegehrens vor, sodass in diesem Umfang der Berufung der Beklagten stattzugeben, das Ersturteil aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung durch Erörterung mit den Parteien, ob und inwieweit diese Schadensermittlung dem Art 11 ABS entspreche, zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen sei.

Da sich das Berufungsgericht bei den zu lösenden Rechtsfragen an der zitierten einheitlichen höchstgerichtlichen Judikatur orientieren habe können und die Frage eines allfälligen Mitverschuldens des Klägers ausschließlich von den Umständen des Einzelfalls abhängig sei, fehle es an den Voraussetzungen für die Zulassung der ordentlichen Revision.

Gegen das klagsstattgebende Teilurteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung in eine Klagsabweisung, hilfsweise auf Aufhebung. Als erhebliche Rechtsfragen releviert die Beklagte Fehlbeurteilungen des Berufungsgerichts zur Bindungswirkung des Brandschaden-Gutachtens betreffend den Gebäudeschaden und zur angenommenen Verletzung der Aufklärungspflicht des Versicherungsagenten. In der Ausführung der Revision wird darüber hinaus die Rechtsansicht des Berufungsgerichts bekämpft, den Kläger treffe kein Mitverschulden.

Dem tritt der Kläger in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung entgegen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Annahme der Verletzung der Aufklärungspflicht angesichts der bestehenden Judikatur des Obersten Gerichtshofs korrekturbedürftig ist. Sie ist aus folgenden Gründen auch berechtigt:

1.1. Der Versicherungsagent muss nicht prüfen, ob die Versicherungsbedingungen das erkennbare Versicherungsbedürfnis voll abdecken (RIS-Justiz RS0080898); der Versicherungsnehmer muss vielmehr die von ihm für aufklärungsbedürftig erachteten Punkte bezeichnen oder erkennbar eine irrige Vorstellung haben (RIS-Justiz RS0080130). Doch muss der Agent Fehlvorstellungen, die der Versicherungsnehmer über den Deckungsumfang äußert, richtigstellen (RIS-Justiz RS0080898 [T1]); es besteht daher eine Aufklärungspflicht des Versicherers über einen Risikoausschluss, wenn erkennbar ist, dass der Versicherungsnehmer den Versicherungsschutz gerade für ein ausgeschlossenes Risiko anstrebt. Umso eher liegt ein pflichtwidriges Verhalten vor, wenn der Versicherungsnehmer in seinen irrigen Vorstellungen über den Inhalt des Versicherungsprodukts noch bestärkt wird (RIS-Justiz RS0106980), ebenso, wenn dem Versicherungsagenten aus den Äußerungen des Versicherungsinteressenten klar erkennbar ist, dass dieser über einen für ihn ganz wesentlichen Vertragspunkt, wie etwa über den angestrebten ehesten Haftungsbeginn, eine irrige Vorstellung hat (RIS-Justiz RS0080141). Ebenso stellt es einen Verstoß gegen die vorvertraglichen Sorgfaltspflichten dar, wenn die unrichtige Ansicht des Antragstellers durch eine unzutreffende Belehrung des Versicherungsvertreters hervorgerufen, jedenfalls aber bekräftigt wurde (7 Ob 8/86). Ein Versicherer ist zu einer sachkundigen Beratung und Aufklärung dann verpflichtet, wenn der andere Vertragsteil nach der im Verkehr herrschenden Auffassung redlicherweise dies erwarten darf (RIS-Justiz RS0119747 = 7 Ob 1/05f). Kein Versicherungsnehmer kann aber erwarten, dass jedes denkbare Risiko in den Schutzbereich einer Versicherung fällt (RIS-Justiz RS0016133 [T1], ähnlich RS0119747). Die Belehrungspflicht des Versicherers oder seines Agenten darf nicht überspannt werden und erstreckt sich nicht auf alle möglicherweise eintretende Fälle (RIS-Justiz RS0080386 [T2]).

1.2. Im Hinblick auf die Negativfeststellung zum behaupteten Wunsch des Klägers, er wolle eine „ordentliche" Versicherung, kann nicht von einer für den Versicherungsagenten erkennbaren irrigen Vorstellung des Klägers, mit der vereinbarten Höchsthaftungssumme werde sich eine Wiederherstellung des bei einem Brand komplett zerstörten Objekts jedenfalls finanzieren lassen, ausgegangen werden. Die Meinung der Vorinstanzen, bei der umfassenden Sachversicherung eines landwirtschaftlichen Anwesens sei, nicht zuletzt mit Rücksicht auf die in dieser Versicherungssparte im Vergleich zur Versicherungssumme verhältnismäßig niedrigen Prämie, anzunehmen, dass der Eigentümer im Allgemeinen einen möglichst vollständigen Versicherungsschutz anstrebe und dass er bei einer Neuwertversicherung grundsätzlich davon ausgehe, dass er auch bei einem Totalschaden den Neuwert ersetzt bekomme, kann für den vorliegenden Fall nicht aufrecht erhalten werden. Sie lässt zum einen außer Betracht, dass dem Kläger die (ausdrücklich so bezeichnete) Höchsthaftungssumme bekannt war. Zum anderen musste dem Kläger weiters klar sein, dass deren tarifmäßige Berechnungsbasis nicht der Wert der Gebäude, sondern die landwirtschaftliche Nutzfläche bildete, weil (alleiniger) Anlass der vom Versicherungsagenten angeregten Modifizierung des Versicherungsvertrags einschließlich der Versicherungssumme im Jahr 2005 der Zukauf von 2 ha Grund war. Für eine Vermutung, die Höchsthaftungssumme werde die Kosten eines völligen Neubaus der Gebäude abdecken, obwohl die Ermittlungskriterien den (Neubau-)Wert des Objekts gar nicht berührten, bestand daher kein Anlass. Es lag daher jedenfalls am Kläger als Versicherungsnehmer, sich Gedanken zu machen, ob er damit „im schlimmsten Fall" das Auslangen für die Deckung der Kosten eines Neubaus finden wird. Dass er (dennoch) irrtümlich von einer solchen Deckung ausging, war aber für den Versicherungsagenten nach dem festgestellten Sachverhalt nicht erkennbar, weshalb insofern eine Aufklärungspflicht des Versicherungsagenten zu verneinen ist.

2. Zur Feststellung, der Versicherungsagent habe 2005 auf eine von ihm erkannte Unterversicherung nicht hingewiesen, ist auf die Judikatur zu verweisen, dass der Agent nicht prüfen muss, ob die Versicherungsbedingungen das erkennbare Versicherungsbedürfnis voll abdecken. Besteht keine (vorangehende) Prüfpflicht, ist auch eine (daran anknüpfende) Informationspflicht zu verneinen. Dann bleibt aber nur der vom Berufungsgericht angewendete Rückgriff auf das dem Versicherungsrecht innewohnende Prinzip von Treu und Glauben (RIS-Justiz RS0018055), um eine Warnpflicht des Versicherungsagenten annehmen zu können.

3. Die Bejahung der Verletzung der Warnpflicht des Versicherungsagenten würde unter anderem voraussetzen, dass dem beklagten Versicherer das Wissen des für ihn auftretenden Versicherungsagenten davon, dass eine Unterversicherung vorliegt, also der Neubauwert die Höchsthaftungssumme übersteigt, zuzurechnen ist. Es geht dabei um ein Wissen des Versicherungsagenten, das dieser - wie vom Kläger unbestritten behauptet - als gerichtlich beeideter „Ortsschätzer" der Gemeinde S***** erworben hat, also weder im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Versicherungsagent für die Beklagte noch im Zusammenhang mit der Vermittlung des hier zu beurteilenden Versicherungsvertrags. Beim für die Beklagte einschreitenden Versicherungsagenten handelt es sich - hier unstrittig - um einen solchen nach § 43 VersVG, also um einen Vermittlungsagenten. § 44 VersVG schließt für diesen eine Wissenszurechnung an den Versicherer aus, wenn es sich um Kenntnisse handelt, die vom Vermittlungsagenten nicht in Ausübung der ihm vom Versicherer erteilten Vollmacht nach § 43 Abs 2 Z 1 und 2 VersVG erlangt wurden (vgl RIS-Justiz RS0113310; RS0080781 = SZ 61/77; Fenyves in Fenyves/Kronsteiner/Schauer, Kommentar zu den Novellen zum VersVG § 44 Rz 6). Dem Versicherer ist daher im Allgemeinen beim Abschlussagenten alles Wissen zuzurechnen, beim Vermittlungsagenten hingegen nur das anlässlich der Antragsentgegennahme erlangte, nicht jedoch das sogenannte „Privatwissen". Der dem Versicherungsagenten offensichtlich aus anderer Tätigkeit bekannte Neubauwert des Anwesens des Klägers (als Grundlage für das Erkennen einer Unterversicherung) stellt aber solches „Privatwissen" dar und ist deshalb der Beklagten nicht zuzurechnen. Dass dem Versicherungsagenten die Relevanz seines „Privatwissens" für den Versicherer tatsächlich bewusst war (vgl RIS-Justiz RS0117406), wurde weder behauptet noch festgestellt.

Der Vorwurf eines Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben wegen eines unterbliebenen Hinweises auf den Neubauwert und die sich daraus allenfalls ergebenden Konsequenzen kann daher gegenüber der Beklagten nicht erhoben werden. Es mangelt somit an der Rechtswidrigkeit, um eine schadenersatzrechtliche Haftung der Beklagten annehmen zu können.

4. Der vom Kläger geltend gemachte Schadenersatzanspruch besteht daher aus den dargelegten Gründen nicht zu Recht. Das muss zur Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen führen, sofern sie nicht vom (unbekämpfbaren) Aufhebungsbeschluss betroffen und nicht schon in Teilrechtskraft erwachsen sind. Eine Bindung des Erstgerichts an die Rechtsmeinung des Berufungsgerichts im Aufhebungsbeschluss im Sinn des § 499 Abs 2 ZPO besteht in diesem Fall nicht (RIS-Justiz RS0042279).

5. Die Kostenentscheidung gründet sich für das erstinstanzliche Verfahren auf § 41 ZPO, im Übrigen auch auf § 50 ZPO. Für das Verfahren vor dem Erstgericht ist die Kostennote dahin zu korrigieren, dass für die Mitteilung vom 31. 5. 2007 nur Honorar nach TP 1 RATG zusteht; weiters ist der unzulässige, weil gegen § 257 Abs 3 ZPO verstoßende Schriftsatz vom 25. 10. 2007 gar nicht zu entlohnen. Im Übrigen hat die Beklagte ihre Kosten richtig verzeichnet.

Textnummer

E92354

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0070OB00094.09P.1028.000

Im RIS seit

27.11.2009

Zuletzt aktualisiert am

17.03.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten