TE OGH 2010/6/1 10ObS80/10b

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Veröffentlicht am 01.06.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger und Hon.-Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter ADir Brigitte Augustin (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Georg Eberl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Markus K*****, vertreten durch Mag. Oliver Simoncic, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, Kremser Landstraße 3, 3100 St. Pölten, wegen Krankengeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8. April 2010, GZ 7 Rs 146/09f-13, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger wurde am 16. 4. 2008 gegen 2:30 Uhr im Ortsgebiet von St. Pölten bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt, als er als Fußgänger von einem unbekannt gebliebenen silberfarbenen Fahrzeug angefahren wurde. Im Zeitpunkt der Kollision hielt er sich infolge seiner Alkoholisierung von mehr als 1,76 Promille ohne feststellbares konkretes Ziel schwankend auf der Fahrbahn der K*****gasse auf. Es ist nicht feststellbar, dass der Kläger lediglich die Straße überqueren wollte.

Unfallbedingt befand sich der Kläger vom 18. 4. 2008 bis 29. 6. 2008 und in der Folge vom 24. 7. 2008 bis 3. 10. 2008 im Krankenstand.

Mit Bescheid vom 22. 8. 2008 versagte die beklagte Niederösterreichische Gebietskrankenkasse die Gewährung von Krankengeld für den Zeitraum vom 18. 4. 2008 bis 29. 6. 2008 und ab 24. 7. 2008 mit der Begründung, dass die Krankheit unmittelbare Folge einer Trunkenheit gewesen sei.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Der Kläger habe sich unter Missachtung des § 76 StVO als unmittelbare Folge seiner starken Alkoholisierung auf der Fahrbahn aufgehalten; dieses Verhalten sei (auch) kausal für den Unfall gewesen. Trotz der Tragik des Falls bestehe aufgrund der eindeutigen Regelung des § 142 ASVG kein Anspruch auf Krankengeld; diese Bestimmung stelle nicht auf ein Verschulden, sondern lediglich auf die Kausalität ab. Allerdings treffe den Kläger auch ein maßgebliches Mitverschulden am Unfall.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und ließ die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu. Es verneinte eine Aktenwidrigkeit (in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Alkoholisierung und Unfall), übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und fasste seine rechtliche Beurteilung dahin zusammen, dass die Alkoholisierung des Klägers eine adäquate und direkte Ursache für den Unfall und die daraus entstandene Arbeitsunfähigkeit gewesen sei, weshalb nach § 142 Abs 1 Z 2 ASVG kein Krankengeld gebühre.

In seiner außerordentlichen Revision macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass Rechtsprechung zur Frage fehle, ob das Mitverschulden eines Dritten an den den Leistungsanspruch auslösenden Verletzungen zumindest einen teilweisen Leistungsanspruch gegenüber dem Krankenversicherungsträger begründe. Eine gänzliche Verwirkung des Leistungsanspruchs sei nur aufgrund des (Allein-)Verschuldens des potenziellen Leistungsempfängers rechtfertigbar. Im Übrigen fehle im konkreten Fall jeglicher Zusammenhang zwischen der Alkoholisierung und der beim Überqueren der Fahrbahn eingetretenen Verletzung; die bloße Möglichkeit reiche nicht aus.

Dem letztangeführten Revisionsvorbringen stehen eindeutig die vom Berufungsgericht übernommenen erstgerichtlichen Feststellungen zum unmittelbaren kausalen Zusammenhang zwischen Alkoholisierung und Unfall entgegen; die Negativfeststellung zur Frage, ob sich der Unfall beim Überqueren der Fahrbahn ereignete, ist im Lichte der übrigen (positiven) Feststellungen zu sehen, dass sich der Kläger im Zeitpunkt der Kollision infolge seiner Alkoholisierung von mehr als 1,76 Promille ohne feststellbares konkretes Ziel schwankend auf der Fahrbahn aufhielt.

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts hält sich im Rahmen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu § 142 Abs 1 Z 2 ASVG. Nach dieser mit „Versagung“ überschriebenen Verwirkungsbestimmung gebührt Krankengeld nicht für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit „infolge einer Krankheit, … die sich als unmittelbare Folge von Trunkenheit … erweist“. Für die Beurteilung des erforderlichen unmittelbaren (RIS-Justiz RS0083743) ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Trunkenheit und dem Eintritt der Gesundheitsschädigung ist nach der Rechtsprechung die Adäquanztheorie heranzuziehen (10 ObS 259/93 = SSV-NF 4/66; RIS-Justiz RS0083746; ebenso Binder in Tomandl, SV-System [21. ErgLfg] 264/15 [2.2.4.5.2.B]). Demnach führen Verletzungen, die sich nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge kausal aus der Trunkenheit ergeben, zum Leistungsausschluss (10 ObS 369/01i = SSV-NF 16/13; RIS-Justiz RS0083744).

Die vom Kläger gewünschte Rechtsfolge eines teilweisen Leistungsanspruchs gegenüber dem Krankenversicherungsträger ist dem Gesetz nicht zu entnehmen: Eine Verwirkung tritt nicht nur teilweise ein, sondern es besteht entweder ein Leistungsanspruch oder es besteht keiner (10 ObS 259/93 = RIS-Justiz RS0083965; in diesem Sinn auch 10 ObS 135/90 = SSV-NF 4/66 = RIS-Justiz RS0083751 zu § 88 ASVG).

Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO wird daher nicht aufgezeigt.

Schlagworte

12 Sozialrechtssachen,

Textnummer

E94204

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:010OBS00080.10B.0601.000

Im RIS seit

15.07.2010

Zuletzt aktualisiert am

04.10.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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