TE OGH 1990/4/24 10ObS135/90

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Veröffentlicht am 24.04.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl.Ing.Walter Holzer (AG) und Mag.Karl Dirschmied (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Karl R***, 2500 Baden, Pergerstraße 8, vertreten durch Dr.Hermann Gaigg, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien, Friedrich

Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29.Dezember 1989, GZ 33 Rs 246/89-32, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wr.Neustadt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 24.August 1989, GZ 4 Cgs 240/88-29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 3.292,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 548,80 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 15.Jänner 1988 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 14.April 1987 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension mit der Begründung ab, seine Arbeitsfähigkeit sei noch nicht so weit herabgesunken, daß die Ausübung einer zumutbaren Tätigkeit nicht mehr möglich wäre. Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage statt und verurteilte die beklagte Partei, dem Kläger ab 1.Mai 1987 die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Gleichzeitig trug es der beklagten Partei die Erbringung einer vorläufigen Zahlung von monatlich S 1.000 ab 1.Mai 1987 auf. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Der am 20.August 1941 geborene Kläger mußte anläßlich eines Bombenangriffes im Jahr 1943 eine Zeit lang im Luftschutzkeller verbringen. Seine sprachliche Entwicklung war verzögert, bis zu seinem 9.Lebensjahr konnte er nichts reden. Entsprechende Therapien führten dazu, daß der Kläger zwar spricht, jedoch nach wie vor unter Sprechstörungen (Stottern) leidet. Der Kläger besuchte 4 Klassen Volks- und 4 Klassen Hauptschule. Er erlernte keinen Beruf und war 11 Jahre lang bis zu seinem 28.Lebensjahr als Wirtschaftsunteroffizier beim Österreichischen Bundesheer tätig. Von 1969 bis zum Frühjahr 1986 arbeitete er bei einem Finanzamt. Im Zuge eines Disziplinarverfahrens wurde er entlassen und es wurde seine Pragmatisierung aufgehoben. Die Ursache hiefür war, daß der Kläger wegen des Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB sowie wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach den §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden war. Wegen Haftunfähigkeit infolge seines psychischen Gesundheitszustandes mußte der Kläger die Freiheitsstrafe bis heute nicht verbüßen. Er wird von seiner Ehefrau erhalten, verrichtet diverse Hausarbeiten in seinem Eigenheim und bei Verwandten (Rasenmähen, Schneeschaufeln, Einkaufengehen, Führen des Kassabuches) und arbeitet etwa 6 Stunden täglich. Er wird für seine Tätigkeit nicht entlohnt und steht in keinem sozialversicherungsrechtlichen Arbeitsverhältnis.

Beim Kläger besteht eine psychogene Sprechstörung mit Verkrampfung der Gesichts- und Schlundmuskulatur. Ferner besteht eine neurotische Persönlichkeitsstruktur, vorwiegend in Form einer Klaustrophobie, schlechter Realitätsanpassung, zwanghafter Rituale. Der Kläger leidet an einer reaktiven Depression nach strafgerichtlicher Verurteilung mit drohender Haftstrafe, wobei ihm jegliche Akzeptanz der Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit der Strafe fehlt. Neurotische Fehlhaltungen schweren Grades pflegen im allgemeinen die Arbeitsfähigkeit mehr oder weniger einzuschränken und die Belastbarkeit zu verringern, stellen aber grundsätzlich keinen Grund für eine Arbeitsunfähigkeit dar. Erreicht aber der Schweregrad einer neurotischen Störung den einer Psychose, kann dadurch Arbeitsunfähigkeit gegeben sein. Beim Kläger verquicken sich zwei Hauptstörungsfaktoren, einerseits die Klaustrophobie zusammen mit anderen Ängsten und Hemmungen, die schon seit Jahrzehnten gewisse Behinderungen allerdings mehr im Privatleben als im Arbeitsleben verursachen, andererseits die reaktive Depression, die höchst angstbesetzt ist. Beim Kläger sind die Begriffe Arbeitsfähigkeit und Haftfähigkeit stark verknüpft; dies verschlechtert die Bereitschaft zur offiziellen Arbeitsaufnahme. Die Verquickung erfolgt zum Teil unbewußt, zum Teil was den Krankheitswert seines psychischen Zustands betrifft, vernachlässigbar bewußt. Die neurotische Grundstörung mit ihren klaustrophoben und anderen ängstlichen Mechanismen für sich ist sicherlich beim Kläger nicht so schwerwiegend, daß sie den Krankheitswert einer Psychose besitzt oder ihr auch nur nahekommt. Die reaktive Depression mit ihren lebhaften bis hin zu glaubhafter Suicidneigung sich steigernden Angstmechanismen schließt die Arbeitsspähre gar nicht ein und betrifft ausschließlich Verurteilung und Haft bzw Vermeidung derselben. Trotz der monopolaren Ausrichtung dieser Ängste ist doch die Auswirkung auf die ganze an sich schon neurotisch gestörte Persönlichkeit sehr beträchtlich. So lange diese Situation in Schwebe und nicht entschieden ist, ob die Haft angetreten wird oder vielleicht eine Begnadigung erfolgt, wird eine sinnvolle Wiedereingliederung des Klägers in den Arbeitsprozeß nicht zu erwarten sein. Arbeitsversuche - der Kläger steht schon beim Aufsuchen des Arbeitsprozesses bzw dann bei der Arbeit doch unter Leistungsdruck - werden sicherlich bald wieder abgebrochen werden, darauf werden weitere Frustierungen erwachsen und es kann dadurch zu einer suicidalen Einengung im Zusammenwirken mit den Haftängsten kommen. Das Zusammenwirken der konkreten Lebenssituation des Klägers verbunden mit der Erwartung, die Haftstrafe antreten zu müssen, sowie seiner Erkrankung bringt die Arbeitsunfähigkeit mit sich. Dieser Zustand besteht seit Antragstellung und kann erst nach endgültiger Entscheidung in der Haftsache gebessert werden. Nach Haftverbüßung oder endgültigem Strafnachlaß wäre der Kläger zu Tätigkeiten als Buchhaltungshilfsarbeiter, Karteikraft, Postexpedient, Registraturkraft und Hilfskraft im Lager geeignet. Das Erstgericht folgerte, der Kläger sei berufsunfähig, weil er einer geregelten Arbeit nicht mehr nachgehen könne. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen als Ergebnis einer einwandfreien Beweiswürdigung und teilte die erstgerichtliche Ansicht, der Kläger sei im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG berufsunfähig. Der Kläger habe den Leistungsanspruch auch nicht im Sinne des § 88 Abs 1 ASVG verwirkt. Der erste Fall dieser Gesetzesstelle scheide aus, weil der Kläger den Versicherungsfall nicht durch vorsätzliche Selbstbeschädigung herbeigeführt habe. Da im zweiten Fall dieser Gesetzesstelle von Personen die Rede sei, die den Versicherungsfall veranlaßt haben, der Versicherte aber nicht angeführt sei, könne nur gefolgert werden, daß im zweiten Fall andere Personen als der Versicherte gemeint sei. Außerdem erfülle nur ein vorsätzliches Verhalten des Versicherten den Tatbestand; ein nicht auf die Herbeiführung der Invalidität selbst gerichteter Vorsatz lasse die Anwendbarkeit der Verwirkungsbestimmung nicht zu.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der beklagten Partei. Sie beantragt die Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinne einer Klagsabweisung und stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die beklagte Partei hält die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes aus drei Gründen für unrichtig: Zum einen habe der Kläger den Versicherungsfall durch eine in § 88 Abs 1 Z 2 ASVG umschriebene strafbare Handlung herbeigeführt und deshalb den Leistungsanspruch verwirkt; zweitens könne der Kläger seine Rechtsposition nicht durch Berufung auf sein rechtswidriges Verhalten verbessern und schließlich stehe auch aus dem Gesichtspunkt der Mitwirkungspflicht des Versicherten eine gerichtliche Straftat einem Leistungsanspruch entgegen. Diesen Argumenten ist nicht zu folgen.

§ 88 ASVG regelt die Verwirkung des Leistungsanspruches. Nach dem Abs 2 dieser Gesetzesstelle steht ein Anspruch auf Geldleistungen aus dem betreffenden Versicherungsfall nicht zu

1. Versicherten, die den Versicherungsfall durch Selbstbeschädigung vorsätzlich herbeigeführt haben,

2. Personen, die den Versicherungsfall durch die Verübung einer mit Vorsatz begangenen gerichtlich strafbaren Handlung veranlaßt haben, derentwegen sie zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind. Nach Abs 3 leg cit entfällt das Erfordernis eines rechtskräftigen Strafurteiles, wenn ein solches wegen des Todes, der Abwesenheit oder eines anderen in der betreffenden Person liegenden Grundes nicht gefällt werden kann. Das Gesetz listet hier bestimmte vorwerfbare Handlungen von Leistungsempfängern auf, die zur Folge haben, daß ein Anspruch auf Leistungen aus einem Versicherungsfall überhaupt nicht entsteht. Diese Rechtsfolge trifft kraft Gesetzes ohne irgendein Zutun des Sozialversicherungsträgers ein (Schrammel in Tomandl SV-System

3. ErgLfg 162 f; vgl auch EB 599 BlgNR 7.GP, 40 zu § 88 ASVG). Dies bedeutet, daß trotz Erfüllung sämtlicher Tatbestandsmerkmale, die für das Entstehen eines Leistungsanspruches (§ 85 ASVG) erforderlich sind, der Anspruch nicht entsteht (Wendl, Verwirken, Versagen und Ruhen von Leistungsansprüchen, SoSi 1973, 274 f;

ebenso - Obiter - SSV-FN 2/33 = JBl 1988, 601). Wegen dieser kraft Gesetzes eintretenden Folge schadet es auch nicht, daß die beklagte Partei in erster Instanz Verwirkung (im Sinne einer Eventualeinwendung) gar nicht geltend machte, sondern lediglich das Vorliegen der Berufsunfähigkeit bestritt. Die gebotene allseitige rechtliche Beurteilung (Fasching in Tomandl SV-System 3.ErgLfg 728/22) ermöglicht daher ohne Verletzung des Neuerungsverbotes das Eingehen auf die Frage der Verwirkung.

Ein Fall der vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalls durch Selbstbeschädigung (Z 1 leg cit) liegt auch nach Ansicht der beklagten Partei nicht vor, so daß sich weitere Ausführungen hiezu erübrigen. Was den Tatbestand der Z 2 leg cit betrifft, so kann allerdings der Auffassung des Berufungsgerichtes, die Veranlassung des Versicherungsfalls durch Verübung einer strafbaren Handlung müsse durch eine andere Person als den Versicherten erfolgt sein, nicht geteilt werden; diese Auffassung wurde auch in der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung SV-Slg 21.278 = SSV 13/108 vom Oberlandesgericht Wien als damaligem Höchstgericht in Leistungsstreitsachen nicht vertreten. Der Gebrauch des Ausdrucks "Personen" in der Z 2 gegenüber dem Begriff "Versicherte" in der Z 1 des § 88 Abs 1 ASVG bedeutet, daß auch andere Personen als der Versicherte, etwa Hinterbliebene (Gehrmann-Rudolph-Teschner-Fürböck ASVG 44, ErgLfg 523 Anm 6 zu § 88 unter Hinweis auf SSV 13/108) den Leistungsanspruch verwirken können, nimmt aber den Versicherten selbst nicht aus (ebenso - Obiter - SSV-NF 2/33). Hier sind Selbstbeschädigungen denkbar, die der Versicherte sich durch die oder bei der Verübung einer strafbaren Handlung zufügt, ohne daß sein Vorsatz auf die Herbeiführung des Versicherungsfalles (Z 1 leg cit) gerichtet ist, wie zB eine Verletzung, die der Versicherte bei Verübung eines Sprengstoffanschlages erleidet. Verwirkung tritt also auch ein, wenn sich der Versicherte die Invalidität oder Berufsunfähigkeit durch die (bei der) Verübung einer mit Vorsatz begangenen strafbaren Handlung zugezogen hat, derentwegen er zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist.

Entgegen der - den Wortlaut und den Normzweck der Verwirkungsbestimmung der Z 2 leg cit außer acht lassenden - Ansicht des Berufungsgerichtes muß der dort genannte Vorsatz nicht auf die Herbeiführung der Invalidität oder Berufsunfähigkeit selbst gerichtet sein; vielmehr soll die Herbeiführung des Versicherungsfalles durch Fahrlässigkeitsdelikte von der Verwirkung ausgenommen sein. Der Meinung des Berufungsgerichtes, bei dieser Betrachtung wäre die Verwirkungsbestimmung der Z 1 leg cit nicht verständlich, hält die Revisionswerberin zutreffend entgegen, daß Selbstbeschädigung für sich allein im allgemeinen keinen strafrechtlich relevanten Tatbestand darstellt (Leukauf-Steininger, KommzStGB2 567; Burgstaller im WK zum StGB Rz 5 zu § 83) und deshalb von der Z 2 leg cit nicht erfaßt wird.

Dennoch ist der Leistungsanspruch des Klägers nicht verwirkt, weil der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit nicht durch die strafbare Handlung des Klägers im Sinne der Z 2 leg cit veranlaßt wurde. Es fehlt nämlich am rechtlich relevanten ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Begehen der strafbaren Handlung (Mißbrauch der Amtsgewalt und schwerer gewerbsmäßiger Betrug) und dem Eintritt der Berufsunfähigkeit (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung IV 69.Nachtrag 727). Dieser ursächliche Zusammenhang kann nach Ansicht des erkennenden Senates nicht im Sinne der im Unfallversicherungsrecht herrschenden Theorie der wesentlichen Bedingung oder der Äquivalenztheorie bejaht werden. Stellt die gesetzliche Zurechnung - wie im Fall des § 88 Abs 1 Z 2 ASVG - auf das Verschulden (Vorsatz) und die Verantwortlichkeit (rechtskräftige Verurteilung) des Täters ab, dann ist - anders als im Recht der Unfallversicherung - die auch im Schadenersatzrecht allgemein anerkannte Adäquanztheorie sehr wohl am Platz (vgl Tomandl SV-System 4.ErgLfg 304; Binder in Tomandl aaO 243 f zu dem hier nicht anwendbaren aber nach dem Regelungszweck vergleichbaren § 142 Abs 1 ASVG). Daß aus bestimmten Gründen das Erfordernis eines rechtskräftigen Strafurteils entfällt (§ 88 Abs 3 ASVG), steht dem nicht entgegen. Demnach hat eine Person den Versicherungsfall nur dann veranlaßt, wenn die Handlung ihrer allgemeinen Natur nach für die Herbeiführung eines derartigen Erfolges nicht als völlig ungeeignet erscheinen muß und nicht nur infolge einer ganz außergewöhnlichen Verkettung von Umständen zu einer Bedingung des Versicherungsfalles wurde (vgl für viele Koziol-Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts8 I 413). Im vorliegenden Fall war der Eintritt der Berufsunfähigkeit des Klägers angesichts der von ihm begangenen strafbaren Handlungen unvorhersehbar und völlig atypisch; die Begehung von Delikten wie Amtsmißbrauch und Betrug ist im allgemeinen nicht geeignet, eine reaktive Depression hervorzurufen, die im Zusammenhang mit der beim Täter bereits bestehenden neurotischen Veranlagung als Folge der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe letztlich zur Arbeitsunfähigkeit führt. Der Ansicht der beklagten Partei, dem Kläger stehe die Berufsunfähigkeitspension wegen Verwirkung nicht zu, kann daher nicht gefolgt werden. Da die hier in Betracht kommenden Fälle der Verwirkung eines Leistungsanspruches im § 88 ASVG näher geregelt sind und eine planwidrige Gesetzeslücke nicht vorliegt, ist ein Zurückgreifen auf natürliche Rechtsgrundsätze (§ 7 ABGB) wie etwa auf das Prinzip, daß niemand seine Rechtsposition durch Berufung auf sein rechtswidriges Verhalten verbessern könne (Koziol-Welser aaO 27), nicht geboten. Die diesbezüglichen Revisionsausführungen sind daher nicht geeignet, auf dem Umweg rechtspolitischer Wünsche (Bydlinski in Rummel ABGB2 Rz 2 zu § 7) zu einer über § 88 ASVG und andere hier nicht anwendbare Bestimmungen hinausgehenden Verwirkung von Leistungsansprüchen zu führen.

Schließlich ist auch aus den Grundsätzen über die Mitwirkungspflicht des Versicherten für die Revisionswerberin nichts zu gewinnen. In der von ihr zitierten Entscheidung vom 12.April 1988, 10 Ob S 149/87 = SSV-NF 2/33 = JBl 1988, 601, hat der erkennende Senat ausgesprochen, daß der Versicherte verpflichtet ist, eine notwendige Krankenbehandlung, die zu einer Heilung und Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit führen würde, durchzuführen, soferne diese für ihn nicht mit unzumutbaren Gefahren verbunden ist, sich also etwa unter ärztlicher Leitung einer Alkoholentziehungskur zu unterziehen. Der in der Revision angestellte Größenschluß - als Unterfall der Gesetzesanalogie (Koziol-Welser aaO 25) - setzt wiederum eine planwidrige Gesetzeslücke voraus, die mit Rücksicht auf § 88 ASVG nicht vorliegt. Der Revision, welche ansonsten die Berufsunfähigkeit des Klägers im Sinn des § 273 Abs 1 ASVG nicht mehr in Zweifel zieht, ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASVG.

Anmerkung

E20777

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00135.9.0424.000

Dokumentnummer

JJT_19900424_OGH0002_010OBS00135_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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