TE OGH 2010/8/27 1R163/10p

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Veröffentlicht am 27.08.2010
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Jesionek als Vorsitzende, den Richter des Oberlandesgerichts Dr. Rassi und den KR Böhm in der Rechtssache der klagenden Partei D***** Gesellschaft mbH, *****, 1120 Wien, vertreten durch schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei A***** ***** GmbH, *****, 1200 Wien, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren EUR 33.000,--), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 30.05.2010, GZ 18 Cg 62/10x-11, in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung vorläufig, die beklagte Partei hat ihre Rekurskosten endgültig selbst zu tragen.

Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000,--.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

 

Text

B e g r ü n d u n g :

              Die Klägerin ist in Österreich ein führendes Unternehmen im Bereich der Milcherzeugnisse, insbesondere mit den Markenprodukten Actimel, Activia, Danacol, Fruchtzwerge, Dany+Sahne, Topfen Creme, Obstgarten und Vitalinea.

              Zu den von der Agrarmarkt Austria (AMA) nach dem AMA-Gesetz zu vollziehenden Aufgaben gehört auch die „Förderung des Agrarmarketings“. Diese Aufgabe hat die AMA an ihre Tochtergesellschaft, die Beklagte, übertragen, die auch für verschiedene Qualitätssicherungsprogramme zuständig ist und dabei Herkunfts- und Qualitätszeichen, wie das AMA-Gütesiegel vergeben kann. Mit ihren Maßnahmen im Agrarmarketing fördert die Beklagte österreichische Unternehmen. Seit Februar 2010 wirbt die Beklagte ua in Inseraten für mit dem AMA Gütesiegel versehene Joghurt-Produkte, wobei sie sich der bekannten TV-Moderatorin C***** R***** als Testimonial bedient, wie folgt:

              „Sicher ist sicher!

              Jedes Joghurt stärkt Ihre Abwehrkräfte.

              „Jedes Joghurt trägt dazu bei, meine Abwehrkräfte zu stärken – wenn die Qualität stimmt. Daher achte ich stets auf das AMA-Gütesiegel, Sicher ist sicher!“, sagt C***** R*****.

              Schon ein einfaches Naturjoghurt regt die Darmflora an und stimuliert das körpereigene Immunsystem. Wenn Sie beim Einkauf auf das AMA-Gütesiegel achten können Sie sicher sein, nur Milch und Milchprodukte zu genießen, deren Qualität und Herkunft mehrfach kontrolliert wurden.“

              Auch in einem Hörfunkspot der Beklagten ist die Stimme C***** R***** zu hören.

              Nach dem einleitenden AMA Signatursound ist ein Kind zu hören, das offensichtlich einem futuristischen High-tech-Gerät den Befehl gibt: „Abwehrkräfte Aktivieren!“. Daraufhin sagt die Stimme C***** R*****: „Komm Felix, iss Dein Joghurt. Tun auch Sie etwas für ihr Wohlbefinden, denn jedes Joghurt stärkt ihre Abwehrkräfte (dabei ist das Wort „jedes“ stimmlich besonders betont) und achten Sie dabei auch auf die Qualität. Schauen sie auf das AMA Gütesiegel. Sicher ist sicher.“ Ein Sprecher: „Finanziert mit Förderungsmitteln der Europäischen Union und Mitteln der Agrarmarkt Austria Marketing GesmbH.“ AMA Signatursound.

              Die Klägerin vertreibt in Österreich seit dem Jahr 1996 das Joghurtgetränk Actimel. Es handelt sich dabei um ein Joghurt-Produkt, dem die probiotische Kultur Lactobazillus Casei DN-1140011 zugesetzt wird. Diese Bakterienkultur wurde nach einem aufwändigen Verfahren ausgewählt und in zahlreichen klinischen Studien erprobt. Probiotika sind definierte lebende Mikroorganismen, die in ausreichender Menge in aktiver Form in den Darm gelangen und dadurch positive gesundheitliche Wirkungen erzielen. Die positiven Wirkungen probiotischer Mikroorganismen sind insbesondere das Überleben der Magen-Darm-Passage, die Beeinflussung der Darmflora und die Durchfallbekämpfung, der sogenannte Barriereeffekt gegenüber pantogenen Keimen ua. Probiotische Joghurts wie Actimel verfügen über Eigenschaften, die über Eigenschaften eines nicht probiotischen Joghurts hinausgehen. Nicht alle probiotischen Bakterienstämme haben die gleiche Eigenschaft. Über den in Actimel vorhandenen probiotischen Bakterienstamm liegen etwa 30 Studien vor, die die positive Wirkungen auf das Darmmilieu und die Eignung, die Abwehrkräfte zu stärken, bestätigen. Diese klinischen Studien wurden mit dem Joghurtprodukt Actimel durchgeführt. Folgende positive Eigenschaften für die Gesundheit wurden für Actimel festgestellt: Einfluss auf die Darmflora („intestinal microflora“), auf die natürlichen Abwehrkräfte („natural defenses“), auf das Immunsystem („immune system“) auf die oberste Zellschicht des Hautgewebes („intestinal epithelium“) sowie das Überleben des probiotischen Bakterienstammes L. Casei im Verdauungstrakt (survial of L.casei in the digestive tract“). Mit Bescheid vom 19.11.2001 hatte das Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen für Actimel Joghurtgetränk mehrere gesundheitsbezogene Angaben gemäß § 9 Abs 3 LMG 1975 zugelassen, unter anderem „zur Unterstützung der natürlichen Abwehrkräfte“, „aktiviert Abwehrkräfte“, „die aktiv probiotische Kultur L. Casei stärkt die Anzahl der nützlichen Darmbakterien, dadurch werden unerwünschte Bakterien verdrängt und ihre Abwehrkräfte aktiviert“.

              Die Werbung für Actimel wird seit dem Jahr 1996 vom Slogan „Actimel stärkt ihre Abwehrkräfte“ dominiert. Der Slogan „Actimel stärkt ihre Abwehrkräfte“ wurde mit einem durchschnittlichen Werbeetat von über EUR 6 Mio jährlich in den letzten drei Jahren massiv beworben, wobei dieser Werbeetat großteils für TV-Werbung ausgegeben wurde. Die jüngste Actimelwerbung wird durch folgende Aussagen geprägt:

              „Herbert, trink das!“.

              „Actimel aktiviert ihre Abwehrkräfte“.

              Eine im November 2009 durchgeführte Publikumsbefragung ergab, dass 86 % der österreichischen Konsumenten den Slogan „Actimel stärkt ihre Abwehrkräfte“ kennen.

              Joghurt ist das Produkt einer Fermentation von Milch mit den Mikroorganismen Streptococcus thermophilus und Lactobacillus delbrueckii bulgaricus. Es gibt mehrere 100 verschiedene Stämme dieser beiden Mikroorganismen. Etwaige gesundheitliche Effekte von Mikroorganismen, wie den hier genannten, sind stets stammspezifisch. Probiotika sind lebende Mikroorganismen, die in ausreichender Menge einen gesundheitlichen Nutzen für den Menschen haben.

              Die Klägerin begehrt zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsbegehrens, die Verpflichtung der Beklagten, es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, mit der Behauptung „Jedes Joghurt stärkt Ihre Abwehrkräfte“ und/oder mit der Behauptung „Schon ein einfaches Naturjoghurt regt die Darmflora an und stimuliert das körpereigene Immunsystem“ oder mit sinngemäß ähnlichen Behauptungen zu werben.

              Die Klägerin stützt sich im Wesentlichen darauf, dass die Werbung den Vorwurf der irreführenden Geschäftspraktik gem § 2 UWG begründe und auch gegen die Verordnung (EG) Nr 1924/2006 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (im folgenden: Claims-VO) verstoße (womit die Klägerin erkennbar Sittenwidrigkeit iSd § 1 UWG aufgrund Rechtsbruchs behauptet). Die Beklagte betreibe zudem anlehnende Werbung und Rufausbeutung, weshalb ihr eine unlautere Geschäftspraxis iSd § 1 UWG vorzuwerfen sei.

              Die Werbebehauptungen seien unrichtig und damit zur Irreführung geeignet. Es sei nicht richtig, dass jedes Joghurt unabhängig von probiotischen Keimen die Abwehrkräfte in gleicher Weise bzw im gleichen Maß stärke.                             Nach Art 6 Claims-VO müssten sich gesundheitsbezogene Angaben auf allgemein anerkannte wissenschaftliche Nachweise stützen, was bei den Angaben der Beklagten nicht der Fall sei.

              Der Slogan „Stärkt Ihre Abwehrkräfte“ löse eine eindeutige Assoziation zu Actimel aus. Die Beklagte nütze die Bekanntheit und Werbewirksamkeit des Actimel-Slogans und übertrage dessen Zugkraft auf die von ihr beworbenen Produkte. Weiters unterlaufe die Beklagte die Actimel-Werbung und sage dem Verbraucher, dass jedes Joghurt, nicht nur Actimel, die Abwehrkräfte stärke. Das werde durch die weitere Angabe verstärkt, dass schon ein einfaches Naturjoghurt die Darmflora anrege und das körpereigene Immunsystem stimuliere. Mit der kritisierenden vergleichenden Werbung erwecke sie einen falschen Eindruck (womit die Klägerin mit Blick auf § 2a iVm § 2 UWG die Unzulässigkeit der vergleichenden Werbung behauptet).

              Die Beklagte wandte ua ein, dass die beanstandete Werbeaussage wissenschaftlich abgesichert sei. Die inkriminierte Werbeaussage enthalte keine Bezugnahme auf die Marke Danone und/oder Actimel, sondern stelle nur klar, dass entsprechende Qualitätsjoghurts geeignet seien, die Abwehrkräfte zu stärken bzw das körpereigene Immunsystem zu stimulieren. Eine aggressive, unlautere Bezugnahme auf die Produkte der Antragstellerin liege nicht vor.

              Es liege auch kein Verstoß gegen die Claims-VO vor, weil keine spezifische gesundheitsbezogene Angabe vorliege, sondern ein Verweis auf allgemeine, nicht spezifische Vorteile eines Lebensmittels für die Gesundheit im allgemeinen. Art 10 Abs 3 Claims-VO sei noch nicht anwendbar, weil die vorgesehenen Listen durch die Europäische Kommission noch nicht verabschiedet worden seien. Jedenfalls scheide ein Rechtsbruch mangels Verstoßes gegen Art 6 Claims-VO bzw aufgrund einer vertretbaren Rechtsansicht aus.

              Mit dem angefochtenen Beschluss erließ das Erstgericht die beantragte einstweilige Verfügung. Es traf dabei die den Seiten 2 bis 10 der Beschlussausfertigung zu entnehmenden Feststellungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird und deren unstrittiger bzw unangefochten gebliebener Teil eingangs zusammenfassend dargestellt wurde.

              Nach Ansicht des Erstgerichts lasse sich die Feststellung „Jedes Joghurt stärkt Ihre Abwehrkräfte“ und „Schon ein einfaches Naturjoghurt regt die Darmflora an und stimuliert das körpereigene Immunsystem“ nicht treffen.

              Rechtlich stützte das Erstgericht die erlassene einstweilige Verfügung auf einen Verstoß gegen die Claims-VO. Die Verordnung etabliere ein grundsätzliches Verbot nährwert- und gesundheitsbezogener Angaben, solange diese nicht den in der Verordnung vorgesehenen Nährwertprofilen und sonstigen Bedingungen entsprächen und nach den vorgesehenen Zulassungsverfahren für zulässig erklärt worden seien. Unter „gesundheitsbezogenen Angaben“ seien im Sinne der Claims-VO alle Angaben zu verstehen, mit denen zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht. Die von der Beklagten aufgestellten Werbebehauptungen „Jedes Joghurt stärkt ihre Abwehrkräfte“ sowie „Schon ein einfaches Naturjoghurt regt die Darmflora an und stimuliert das körpereigene Immunsystem“ seien eindeutig als gesundheitsbezogene Angaben im Sinne der Claims-VO zu qualifizieren. Gesundheitsbezogene Angaben dürften jedoch nach der Claims-VO nur dann in kommerziellen Mitteilungen verwendet werden, wenn sie auch, als conditio sine qua non, in die Health Claims-Liste aufgenommen worden seien. Die Aufnahme in die Gemeinschaftsliste erweise sich als konstitutive Voraussetzung für deren Verwendung. Da die von der Beklagten verwendeten gesundheitsbezogenen Angaben nicht in der Health Claims-Liste aufschienen, dürften sie nicht verwendet werden, unabhängig davon, ob wissenschaftliche Arbeiten einen einzelnen Aspekt dieser Behauptung stützen oder nicht. Die Rechtsansicht der Beklagten zur Claims-VO sei auch nicht vertretbar.

              Die Werbung der Beklagten nehme auch eindeutig Bezug auf die von der Klägerin mit hohem finanziellen Aufwand seit Jahren lancierte Werbekampagne. Die Werbung der Beklagten unter Verwendung der inkriminierten Behauptungen sei eindeutig als unlautere Geschäftspraktik zu qualifizieren, die durchaus geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil der Klägerin nicht nur unerheblich zu beeinflussen (§ 1 UWG).

              Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und unrichtiger Tatsachenfeststellungen. Die Beklagte beantragt, den Beschluss im abweisenden Sinn abzuändern.

              

Rechtliche Beurteilung

Die Klägerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

              Die Claims-VO legt Werbebeschränkungen fest (Röttinger in Wiebe/Kodek UWG Einl Rz 80). Die Verwendung nährwert- und gesundheitsbezogener Angaben auf Lebensmitteln soll damit im Sinne des Verbraucher- und Gesundheitsschutzes limitiert und harmonisiert werden. Ein Verstoß gegen die Werbebeschränkungen der Claims-VO ist – wie bei anderen vergleichbaren Rechtsnormen (vgl 4 Ob 137/09i und 4 Ob 14/10b [Werbeverbot nach TabakG]; Schmid in Wiebe/Kodek § 1 UWG Rz 780) – der Fallgruppe des Rechtsbruchs nach § 1 Abs 1 Z 1 UWG unterzuordnen, weil die Claims-VO als eine nicht dem Lauterkeitsrecht im engeren Sinn zuzuordnende generelle Norm zu qualifizieren ist.

              Der Oberste Gerichtshof warf in letzter Zeit im Zusammenhang mit Werberegelungen mehrfach die Frage auf, ob es auch außerhalb des UWG Bestimmungen mit spezifisch lauterkeitsrechtlichem Charakter gibt und wie deren Verletzung zu behandeln wäre (4 Ob 27/08m [Werberegelungen des Arzneimittelrechts]; 4 Ob 199/08f [WerbeRL]). Das könnte allenfalls zur Folge haben, dass es bei einer Klage eines Mitbewerbers nicht auf das Vertretbarkeitskriterium ankommt (vgl dazu auch 4 Ob 225/07b; RIS-Justiz RS0123246). Letztendlich wurde diese Frage - bei einer Klage eines Mitbewerbers - offen gelassen (zum Unterlassungsanspruch nach § 85a AMG vgl 4 Ob 81/07a = ÖBl 2007, 287 [Kresbach/Schnider] – Femara; RIS-Justiz RS0122177). Im Zentrum der Claims-VO steht der Verbraucher- und Gesundheitsschutz, sodass diese VO im hier zu prüfenden Bereich keinen spezifisch (sondern allenfalls nur einen indirekten) lauterkeitsrechtlichen Charakter hat, zumal sich aus der Claims-VO etwa keine (zivilrechtlichen) Ansprüche (Unterlassung, Schadenersatz) zugunsten eines Unternehmers (bzw eines Mitbewerbers) direkt ableiten lassen. Derartiges wäre aber einer dem Lauterkeitsrecht im engeren Sinn zuzuordnenden generellen Norm wesensimmanent (vgl etwa die Bestimmungen des UWG [§ 1, §§ 10 ff leg cit] oder der Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über irreführende und vergleichende Werbung [Art 5 und 8 leg cit]). In der Claims-VO wird auf die Mitbewerber gar nicht Bezug genommen und die Förderung des freien Wettbewerbs nur am Rande in den Erwägungsgründen erwähnt (vgl Erwägungsgründe 2 und 8). Inhaltlich handelt es sich bei der Verordnung um öffentliches Recht, was auch damit korreliert, dass Anträge (betreffend die von der Verordnung umfassten Angaben) einer zuständigen nationalen Behörde zugeleitet bzw dort eingereicht werden müssen (vgl zB Art 15 und 18 Claims-VO).

              Der hier der Beklagten vorgeworfene Rechtsbruch ist somit nach § 1 UWG zu beurteilen. Da das Tatbestandsmerkmal „zu Zwecken des Wettbewerbs“ mit der Novelle aus § 1 UWG entfallen ist, kommt es nach neuer Rechtslage im Verhältnis zwischen Unternehmern zumindest auf eine Wettbewerbsabsicht des Beklagten nicht mehr an (4 Ob 225/07b = ÖBl 2008, 237 [Mildner] = MR 2008, 114 [Haidinger 108] = wbl 2008, 290 [Artmann 253] = ecolex 2008, 551 [Tonninger] – Stadtrundfahrten; Wiltschek/Majchrzak, Die Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in Österreich, ÖBl 2008/2).

              Nach mittlerweile stRsp zur lauterkeitsrechtlichen Fallgruppe „Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch“ ist ein Verstoß gegen eine nicht dem Lauterkeitsrecht im engeren Sinn zuzuordnende generelle Norm (nur) dann als unlautere Geschäftspraktik oder als sonstige unlautere Handlung im Sinne von § 1 Abs 1 Z 1 UWG in der Fassung der UWG-Novelle 2007 zu werten, wenn die Norm nicht auch mit guten Gründen in einer Weise ausgelegt werden kann, dass sie dem beanstandeten Verhalten nicht entgegensteht (4 Ob 225/07b, 4 Ob 154/09i uva; RIS-Justiz RS0123239).               Der Unterlassungsanspruch setzt ferner voraus, dass das beanstandete Verhalten geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil von rechtstreuen Mitbewerbern nicht bloß unerheblich zu beeinflussen. Mit der UWG-Novelle 2007 wurde somit die Spürbarkeit als ein bisher für den Rechtsbruchtatbestand konstitutives Element verallgemeinert (4 Ob 225/07b).

              Ein allfälliger Verstoß gegen die Claims-VO fällt bei einer vertretbaren Rechtsansicht somit nicht unter § 1 UWG. Das ist hier der Fall (vgl unten), weshalb vom Rekursgericht nicht zu prüfen war, ob das Verhalten der Beklagten gegen die Claims-VO verstößt.

              Die Vertretbarkeit einer Rechtsansicht ist nach dem Wortlaut und offenkundigen Zweck der angeblich verletzten Normen, sowie gegebenenfalls nach den dazu ergangenen Entscheidungen der Gerichte und der ständigen Praxis der zuständigen Behörden zu beurteilen (4 Ob 15/09y = ÖBl-LS 2009/172 – Blockhütte; 4 Ob 223/08k = MR 2009, 171 – Missio-Spot; 4 Ob 225/07b; RIS-Justiz RS0123239).               

              Entgegen der Ansicht des Erstgerichts kann die von der Beklagten vertretene Rechtsansicht, dass ihre Werbebotschaften keinen Verstoß gegen die Claims-VO darstellen, jedenfalls als vertretbar qualifiziert werden.

              Die von der Beklagten vertretene Rechtsansicht hängt von drei Prämissen ab. Die Beklagte geht davon aus, dass sie nur mit Verweisen auf allgemeine, nicht spezifische Vorteile eines Lebensmittels für die Gesundheit im Allgemeinen (iSd Art 10 Abs 3 Claims-VO) und nicht mit speziellen gesundheitsbezogenen Angaben (iSd Art 10 Abs 1 Claims-VO) geworben hätte (Prämisse 1). Ein Verstoß von Art 10 Abs 3 Claims-VO sei davon abhängig, dass die Gemeinschaftsliste iSd Art 13 Abs 3 Claims-VO bereits vorliege (Prämisse 2). Die Europäische Kommission habe diese Liste noch nicht erlassen (Prämisse 3). Aus diesen Prämissen leitet die Beklagte die Schlussfolgerung ab, dass ein Verstoß gegen die Claims-VO nicht vorliege.

              Die 3. Prämisse ist zweifellos richtig. Die Verabschiedung der Liste ist als Verordnung einzustufen (Meyer, Health Claims-Verordnung [2007] 67), weshalb die Frage der Erlassung keine Tatsachenfrage, sondern eine Rechtsfrage ist („iura novit curia“). Zutreffend weist die Beklagte auf den Umstand hin, dass die Gemeinschaftsliste iSd Art 13 Abs 3 noch nicht verabschiedet wurde, was sich aus einer Einsicht in das Amtsblatt der EU ergibt. Mit einer Veröffentlichung ist frühestens im Herbst 2010 zu rechnen (vgl auch http://www.health-claims-verordnung.de/).

              Die Richtigkeit der beiden anderen Prämissen musste vom Rekursgericht nicht inhaltlich geprüft werden, weil sie mit Blick auf die Materialien und die zur Claims-VO veröffentlichte Literatur jedenfalls vertretbar sind. Es ist vertretbar, die Angaben der Beklagten über die Stärkung der Abwehrkräfte, Anregung der Darmflora und Stimulierung des körpereigenen Immunsystems noch als Verweise auf allgemeine, nicht spezifische Vorteile eines Lebensmittels für die Gesundheit im Allgemeinen zu qualifizieren. Zutreffend verweist der Rekurs hier auf den Erwägungsgrund 19 des VO-Entwurfs der Europäischen Kommission vom für eine Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (KOM[2003] 424 endgültig). Darin heißt es:

              „Zahlreiche Angaben, die auf dem Markt bereits anzutreffen sind, beziehen sich auf allgemeine, nicht spezifische Vorteile und allgemeines Wohlbefinden. Beispiele: ,sehr gut für Ihren Organismus´, ,stärkt die Abwehrkräfte des Körpers´, ,hilft Ihrem Körper, besser mit Stress fertig zu werden´, ,reinigt Ihren Organismus´ ,wirkt sich positiv auf Ihr Wohlbefinden aus´, ,trägt zu einem ausgeglichenen Stoffwechsel bei´, ,hilft, Ihr gutes Körpergefühl zu erhalten´, hält Sie jung´, usw; all diese Angaben sind derzeit auf Lebensmitteln zu finden, die in der Gemeinschaft verkauft werden. Nicht nur, dass diese Angaben vage und oft bedeutungslos sind, sie sind auch nicht nachprüfbar. Daher sollten sie nicht zugelassen werden.“

 

              Diese Erwägungen bezogen sich auf den vorgeschlagenen Art 11, nach dem Angaben, die auf allgemeine, nichtspezifische Vorteile des Nährstoffs oder Lebensmittels in Bezug auf allgemeine Gesundheit und Wohlbefinden verweisen, unzulässig sein sollten.

              Als Ergebnis eines Kompromisses (Blass et al, LMR³ [2007] Art 10 Claims-VO Rz 16) gelten derartige allgemein gehaltene Angaben nicht mehr generell als unzulässig. Verweise auf allgemeine, nichtspezifische Vorteile des Nähstoffs oder Lebensmittels für die Gesundheit im Allgemeinen oder das gesundheitsbezogene Wohlbefinden sind nur dann zulässig, wenn ihnen eine (in einer der Listen nach Art 13 oder 14 Claims-VO enthaltene) spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt ist. Wenngleich sich der Tatbestand von Art 10 Abs 3 Claims-VO mit Art 11 des Entwurfs nicht 1:1 deckt, ist es nicht unvertretbar, die oben referierten Beispiele der Kommission auch auf Art 10 Abs 3 anzuwenden (idS etwa Meyer aaO 24; Blass et Rz 16 f). Die Lehre geht davon aus, dass das Verbot des Art 11 lit a des Entwurfs „in Art 10 Abs 3 Claims-VO verschoben (wurde)“ (vgl Meisterernst/Haber, WRP 4/2007, 375). Aus diesen Erwägungen ist es nicht unvertretbar, dass die Beklagte ihre Angaben nicht als gesundheitsbezogene Angaben iSd Art 2 Abs 2 Z 5 bzw Art 13 Abs 1 Claims-VO qualifiziert. Das trifft neben „Jedes Joghurt stärkt Ihre Abwehrkräfte“ auch auf die Behauptung „Schon ein einfaches Naturjoghurt regt die Darmflora an und stimuliert das körpereigene Immunsystem“ zu. Das Stimulieren des körpereigenen Immunsystem kann inhaltlich im Wesentlichen mit der Abwehr der eigenen Abwehrkräfte gleichgesetzt werden. Die Aussage über die Darmflora ist wiederum mit den von der Kommission gebrachten Beispielen („reinigt Ihren Organismus" oder „trägt zu einem ausgeglichenen Stoffwechsel bei") vergleichbar (oder etwa auch mit „Gut für das Verdauungssystem“, vgl Meisterernst, WRP 4/2010, 486). Auch das im Internet zugängliche Thesenpapier von Heinz über „Werbungs- und Auslobungsmöglichkeiten für Lebensmittel...“ (vgl http://www.health-claims-verordnung.de/resources/hcvo-thesenpapier.pdf) qualifiziert auf Rz 16 Aussagen wie „fördert die Abwehrkräfte, stabilisiert das Immunsystem, fördert die Verdauung“ als Angaben iSd Art 10 Abs 3 Claims-VO.

              Das Rekursgericht verkennt nicht, dass etwa der Hinweis „stärkt die Abwehrkräfte“ (uä) in der Literatur geradezu als erstes Beispiel bzw Aufhänger für eine gesundheitsbezogene Angabe angeführt wird (vgl Heinz, Netcoo Magazin 06 2007, 114; Jung, WRP 4/2007 392; Töpner, Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel, http://www.bfr.bund.de/cm/232/verordnung_ueber_naehrwert_und_gesundheitsbezogene_angaben_ueber_lebensmittel.pdf), von anderen wiederum mit Blick auf ihre Allgemeinheit und Ungenauigkeit als generell unzulässig eingestuft wird (Müller, Network-Karriere Juni 2007, 19 [„stärkt die Abwehrkräfte, unterstützt das Immunsystem“]).

              Weder diese Lehrmeinungen noch die vom Erstgericht referierten Gutachten der EFSA, die die Aufnahme von bestimmten Aussagen in die Liste der gesundheitsbezogenen Angaben nach Art 13 Abs 1 Claims-VO prüft, machen die Rechtsansicht der Beklagten unvertretbar. Vielmehr ist den Beklagten zuzugestehen, dass die Abgrenzung zwischen den Angaben gem Art 10 Abs 3 Claims-VO und den gesundheitsbezogenen Angaben iSd Art 13 Abs 1 Claims-VO Probleme bereitet (vgl Meisterernst, WRP 4/2010, 486). Bei dieser Auslegung beschreitet die Beklagte mit der Einordnung ihrer Angaben unter Art 10 Abs 3 Claims-VO mit guten Gründen einen gangbaren Weg, weshalb auch die 1. Prämisse der Beklagten nicht unvertretbar ist.

              Schließlich widerspricht auch die 2. Prämisse, wonach Art 10 Abs 3 Claims-VO erst dann anwendbar ist, wenn die Listen nach Art 13 und 14 Claims-VO veröffentlicht wurden, nicht dem Wortlaut der Claims-VO. Sie kann sich vielmehr auf gewichtige Stimmen im Schrifttum stützen (Blass et al, LMR³ Art 10 Claims-VO Rz 19). Demnach erscheine es unzumutbar, dass dem Lebensmittelunternehmer bereits jetzt Verpflichtungen auferlegt werden, die ein Wissen der noch nicht absehbaren Zulassungspraxis der Kommission voraussetzt (Blass et al, LMR³ Art 10 Claims-VO Rz 19). Das entspricht auch dem im Rekurs zitierten (und im Internet veröffentlichten) Orientierungserlass zur Claims-VO des Bundesministeriums für Gesundheit, Familie und Jugend vom 02.07.2007 (AZ BMGFL-75100/0018-IV/B/7/2007), wonach mangels Listen ein Vollzug von Art 10 Abs 3 Claims-VO „derzeit nicht möglich (ist).“

              Zusammengefasst ist daher festzuhalten, dass kein offenkundiger Gesetzesverstoß vorliegt, den die Beklagte mit spitzfindigen Argumenten zu rechtfertigen versucht (vgl 4 Ob 29/07d). Vielmehr ist die Ansicht der Beklagten, wonach kein Verstoß gegen die Claims-VO vorliegt im Hinblick auf die zitierte Literatur, die Materialien, den Wortlaut der Claims-VO und die fehlende Rsp und Verwaltungspraxis soweit von der Verordnung gedeckt, dass sie mit gutem Grund vertreten werden kann.

              Das Unterlassungsgebot kann daher nicht auf einen Verstoß gegen die Claims-VO gestützt werden. Auf den unter Punkt 2 des Rekurses im Zusammenhang mit der Claims-VO gerügten sekundären Feststellungsmangel musste daher nicht eingegangen werden.

              Es war weiter zu prüfen, ob dessen ungeachtet das Unterlassungsgebot auf § 1 bzw § 2 UWG gestützt werden kann. Das Erstgericht sah es als rechtlich irrelevant an, ob die inkriminierten Behauptungen richtig sind. In Anknüpfung an die obigen Ausführungen erachtet es der Rekurssenat hingegen für wesentlich, inwieweit die Werbeaussagen zutreffend bzw irreführend sind, weshalb auf die in Punkt 3 des Rekurses ausgeführte Beweisrüge einzugehen war.

              Darin bekämpft die Beklagte den Sachverhalt insoweit, als das Erstgericht die Richtigkeit ihrer Werbeaussagen verneint hat. Die Beklagte begehrt Ersatzfeststellungen, aus denen sich diese Aussagen ableiten lassen können und auch die Feststellung, dass ein konventionelles Joghurt tendenziell sogar wirkungsvoller als ein probiotisches Joghurt sei.

              Der Beweisrüge kommt teilweise Berechtigung zu.

              Teile der begehrten Ersatzfeststellungen sind insoweit irrelevant als festgestellt werden soll, welchen konkreten Inhalt wissenschaftliche Studien, Beiträge oder Vorträge haben. Für die rechtliche Beurteilung ist es entscheidend, welche Wirkungen konventionelle Joghurts haben und nicht, was darüber in wissenschaftlichen Studien steht. Letzteres kann eine Rolle in der Würdigung der Bescheinigungsmittel spielen und zur Untermauerung der Feststellungen dienen. Insoweit die Beklagte aber aus ihren Ausführungen erkennbar festgestellt haben will, dass auch konventionelle Joghurts positive Wirkungen auf die Abwehrkräfte, das körpereigene Immunsystem oder die Darmflora haben, ist die Beweisrüge erfolgreich.

              In seiner Würdigung der Bescheinigungsmittel begründete das Erstgericht die bekämpften Feststellungen lediglich mit dem Hinweis, dass sich die Richtigkeit der Werbeaussagen in dieser Allgemeinheit nicht aus den vorgelegten Urkunden ableiten lasse. Weitere beweiswürdigende Erwägungen sind der Entscheidung nicht zu entnehmen, was darauf zurückzuführen ist, dass das Erstgericht das Unterlassungsgebot ausschließlich auf die Claims-VO stützte.

              Das Rekursgericht kann Feststellungen ändern, wenn diese allein auf Grund mittelbarer Beweisaufnahmen und (oder) durch Urkundeneinsicht getroffen wurden. Aus den von der Beklagten, aber auch von der Klägerin vorgelegten Urkunden kann mit dem für das Bescheinigungsverfahren notwendigen (dh abgeschwächten) Beweismaß abgeleitet werden, dass auch ein konventionelles Joghurt die Abwehrkräfte stärkt, das körpereigene Immunsystem stimuliert bzw die Darmflora anregt. So ergibt sich aus dem von der Klägerin vorgelegten Auszug aus dem Praxishandbuch Functional Food (./G), dass Personen, die regelmäßig ein konventionelles Joghurt konsumieren, weniger oft Durchfall haben als Personen, die kein Joghurt essen, wenngleich ein konventionelles Joghurt nicht die Wirkungen eines probiotischen Joghurts erreicht. Positive Wirkungen eines konventionellen Joghurts auf die Darmflora lassen sich auch aus den Beilagen ./30 bis ./32 ableiten. Eine Studie über ein konventionelles Joghurt der Universität Kalifornien (Beilage ./6 und ./7) dokumentiert, dass mit dem regelmäßigen Konsum eines konventionellen Joghurts Erkältungen, Husten und Schweratmigkeit abnahmen. Auch ein im Magazin Annals of Nutrition & Metabolism (Beilage ./8 und ./9) veröffentlichter wissenschaftlicher Artikel kommt zum Schluss, dass die tägliche Aufnahme von (auch konventionellem) Joghurt eine stimulierende Wirkung auf die Immunfunktionen von Zellen hätte (wobei im Gegensatz zum Rekurs daraus eine Überlegenheit des konventionellen Joghurts gegenüber einem probiotischen Joghurt nicht abgeleitet werden kann). Eine von der Universität Wien angenommene Dissertation von Mag. Petra Klein vom Juli 2009 bescheinigt, dass Lactobacillen einen stimulierenden Einfluss auf das menschliche Immunsystem haben können, wobei sowohl konventionelle als auch probiotische Keime zu Veränderungen der zellulären Immunfunktion, sowie zur Anregung der Produktion von Zytokinen durch stimulierte Immunzellen führen kann (Beilage ./15). Die stimulierende Wirkung eines konventionellen Joghurts auf das Immunsystem lässt sich auch mit den Beilagen ./16 und ./19 stützen.

              Die Beweiskraft der Fülle der oben genannten Bescheinigungsmittel kann auch nicht durch die Beilagen ./JJ und ./HH widerlegt werden, zumal es sich dabei nur um sehr allgemein und knapp gehaltene Zusammenfassungen von Beurteilungen über gesundheitsbezogene Angaben im Sinne der Claims-VO handelt. Gegenständlich ist aber nicht zu beurteilen, ob die Werbeaussagen der Beklagten den Anforderungen der Claims-VO widersprechen bzw iSd Verordnung eindeutig belegt sind, sondern ob diese Werbeaussagen zutreffend und/oder irreführend sind. Diese Problematik kann aus den Beilagen ./JJ und ./HH nicht hinreichend geklärt werden.

              Die Beilage ./G dokumentiert, dass der positive Einfluss auf die Gesundheit des Konsumenten durch ein probiotisches Joghurt im Vergleich zu einem konventionellen Joghurt höher ist. Auch einige von der Beklagten vorgelegte Unterlagen weisen auf diese Unterschiede zugunsten von probiotischen Joghurtprodukten hin (vgl Seite 9 in Beilage ./15, Beilage ./9 und Beilage ./19). Das wird von der Beklagten auch zugestanden (vgl Seite 9 in ON 3: „Dass durch den Verzehr konventionellen Joghurts die Wirkungen probiotischer Joghurts erreicht oder gar übertroffen würden, haben wir wohlgemerkt gar nicht behauptet.“) Das korreliert mit der unangefochten gebliebenen (allgemein gehaltenen) Feststellung, dass probiotische Joghurts wie Actimel über Eigenschaften verfügten, die über Eigenschaften eines nicht probiotischen Joghurts hinausgingen.

              Nach Einsicht in die erwähnten Urkunden trifft der Rekurssenat anstelle der bekämpften Feststellung, dass sich die Aussagen „Jedes Joghurt stärkt Ihre Abwehrkräfte“ und „Schon ein einfaches Naturjoghurt regt die Darmflora an und stimuliert das körpereigene Immunsystem“ nicht treffen lassen können (vgl Absatz 4 auf Seite 9 der Urteilsausfertigung) folgende Feststellungen:

              Joghurt ist ein gutes immunstimulierendes Nahrungsmittel. Es hat eine stimulierende Wirkung auf die Immunfunktionen von Zellen und ist in der Lage, die Abwehrkräfte des Körpers zu stimulieren. Nicht nur probiotische sondern auch konventionelle Bakterienstämme zeigen in unterschiedlichen in vitro Testsystemen eine spezifische immunmodulierende Wirkung. Auch ein einfaches Naturjoghurt regt die Darmflora an und stärkt damit die Abwehrkräfte bzw das körpereigene Immunsystem. Allerdings erreicht in Bezug auf die Stärkung der Abwehrkräfte, des Immunsystems bzw hinsichtlich der Anregung der Darmflora nicht jedes herkömmliche (Natur-)Joghurt die gleichen Wirkungen wie ein probiotisches Joghurt.

              Zur Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage trifft der Rekurssenat auch noch folgende Feststellung:

              Die Klägerin bewirbt ihr Produkt Actimel auch damit, dass dieses Produkt die Darmflora ins Gleichgewicht bringt, die Darmflora unterstützt und der Darmbarriere hilft.

              Diese Feststellung stützt sich auf die Beilagen ./N, ./U und ./Y, deren Richtigkeit nicht bestritten wurden. Sie sind für die Beurteilung der Frage wesentlich, inwieweit sich die Werbung der Beklagten an jene der Klägerin anlehnt.

              Unter Berücksichtigung der unbekämpft gebliebenen erstgerichtlichen Feststellungen im Zusammenhang mit den im Rekursverfahren getroffenen Feststellungen erweist sich das Rechtsmittel im Ergebnis als unberechtigt.

              Eine anlehnende Werbung ist eine Art der vergleichenden Werbung und nicht per se, sondern nur dann unzulässig, wenn sie gegen §§ 1, 1a, 2, 7 oder 9 Abs 1 bis 3 verstößt (vgl § 2a UWG). Die Werbung der Beklagten beutet in sittenwidriger Weise den Ruf der Klägerin aus und ist auch irreführend, weshalb sie gegen §§ 1 und 2 UWG verstößt.

              Die Werbung der Beklagten ist deshalb irreführend, weil die Vorstellungen, die die Umworbenen über ihre Bedeutung haben, mit den wirklichen Verhältnissen nicht in Einklang stehen (RIS-Justiz RS0078541). Dabei ist der Gesamteindruck der Werbung heranzuziehen (Anderl/Appl in Wiebe/Kodek § 2 UWG Rz 152).              Das Erstgericht hat zutreffend herausgearbeitet, dass die beanstandete Werbung der Beklagten eindeutig auf die Werbung der Klägerin Bezug nimmt. Die Betonung, dass jedes Joghurt die Abwehrkräfte stärkt, reflektiert auf die bekannte Werbelinie für Actimel. Das wird durch den Umstand unterstrichen, dass in diesem Zusammenhang auch auf die Anregung der Darmflora hingewiesen wird, was in ähnlicher Form auch in Werbungen für Actimel geschieht. Schließlich erfolgt durch den Satz „Komm Felix, iss Dein Joghurt“ eine Anlehnung an die Aufforderung „Herbert, trink das“ des Spots für Actimel. Beide Spots sind ua dadurch geprägt, dass ein enges Familienmitglied (Ehemann bzw Sohn) mit einer saloppen Aufforderung im Imperativ angesprochen wird, das beworbene Produkt zu konsumieren.

              Durch die gestalterische und inhaltliche Anlehnung an die Actimel-Werbung signalisiert die Beklagte, dass sich die Produkte beider Streitteile auch in ihrer Wirkung gleichen, was vor allem durch den betonten Ausdruck „jedes Joghurt“ dokumentiert wird. Die Werbung der Beklagten suggeriert, es sei für die Stärkung der Abwehrkräfte (bzw die Stimulierung des körpereigenen Immunsystems) und die Anregung der Darmflora einerlei, welches Joghurt-Produkt man konsumiere. Die positiven Wirkungen könnten genau so gut mit einem „normalen“ (idR auch billigeren) Joghurt erreicht werden. Damit werden konventionelle und probiotische Joghurt-Produkte auf eine Stufe gestellt. Eine Irreführung durch den vorgenommenen Vergleich wäre nur dann ausgeschlossen, wenn die Wirkungen eines konventionellen Joghurts die Wirkungen eines probiotischen Joghurts erreichen, was aber nach den Feststellungen nicht der Fall ist. Der Tatbestand des § 2 UWG ist daher erfüllt.

              Eine Rufausbeutung ist wettbewerbswidrig, wenn sich der Verletzer an den guten Ruf einer fremden Ware anhängt, um diesen für den Absatz seiner eigenen Ware auszunutzen (Wiebe in Wiebe/Kodek § 1 UWG Rz 602). Durch die Inanspruchnahme eines bekannten Werbespots versucht die Beklagte die vom Publikum mit Actimel verbundenen positiven Vorstellungen auch auf ihre Produkte zu übertragen.

              Eine sittenwidrige unzulässige Rufausbeutung liegt dann nicht vor, wenn der Hinweis auf das fremde Konkurrenzprodukt ausschließlich dazu dient, Unterschiede bzw Gemeinsamkeiten der Konkurrenzprodukte deutlich zu machen (Herzig in Wiebe/Kodek § 2a UWG Rz 33). Von der Beklagten war Letzteres intendiert. Die suggerierten Gemeinsamkeiten (=gleiche Wirkungen aller Joghurts bezüglich Abwehrkräfte, Immunabwehr, Darmflora) liegen aber nicht in dem Umfang vor, wie von der Beklagten in ihrer Werbung transportiert. Die Werbung der Beklagten erfüllt daher auch eine unlautere Geschäftspraktik iSd § 1 Abs 1 Z 1 UWG, die geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil der Klägerin nicht nur unerheblich zu beeinflussen.

              Dem Rekurs war daher keine Folge zu geben.

              Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands folgt dem von der Klägerin angegebenen Interesse.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung vorliegt. Ob eine Angabe zur Irreführung geeignet ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RIS-Justiz RS0043000, RS0053112). Das trifft auch für die Frage zu, ob eine unlautere Geschäftspraktik iSd § 1 UWG vorliegt (vgl RIS-Justiz RS0109241).

 

Textnummer

EW0000509

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2010:00100R00163.10P.0827.000

Im RIS seit

04.08.2011

Zuletzt aktualisiert am

07.08.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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