TE OGH 2010/8/31 4Ob65/10b

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Veröffentlicht am 31.08.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** A*****, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Perg, der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei F***** AG, *****, vertreten durch Neumayer, Walter & Haslinger Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei M***** AG, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 20.678,52 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Dezember 2009, GZ 4 R 319/09z-28, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 17. Juli 2009, GZ 19 Cg 4/09y-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.261,80 EUR und der Nebenintervenientin die mit 1.257,48 EUR bestimmen Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 210,30 EUR bzw 209,58 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Schriftsätze der beklagten Partei vom 6. und 7. 4. 2010 sowie der Schriftsatz der Nebenintervenientin vom 28. 4. 2010 werden zurückgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

1997 entstand durch Einbringung von etwa 60 tschechischen und ungarischen Liegenschaften die C*****, später M*****. Der Ankauf wurde durch eine Anleihe institutioneller Anleger finanziert, die aus den Verkäufen der Zertifikate bis 2007 rückgeführt war.

Anteile an der M***** wurden erstmals im November 2002 an der Wiener Börse, in Form von Austrian Depositary Certificates (ADC), gehandelt.

Ab 2003 waren die Einnahmen im Zusammenhang mit der Geschäftsbeziehung der M***** kein unerheblicher Anteil der Betriebserträge der Beklagten. Ihr war unter anderem die Platzierung der Zertifikate an der Börse übertragen. Sie übernahm das Marketmaking, also die Sorge für eine ausreichende Liquidität der Zertifikate wie auch die Kursentwicklung. Zwecks Vertriebs von (unter anderem) M*****-Zertifikaten gründete sie die 100%ige Tochter M***** Success AG, die nicht unmittelbar, sondern über selbständige und unselbständige Anlageberater tätig wurde. Auch andere Banken verkauften die Zertifikate. Aus der Platzierung und dem Marketmaking, der Lizenzierung der Marke M*****, dem Vertrieb von Zertifikaten, sowie im Zusammenhang mit weiteren Bankleistungen, wie Abwicklung von Krediten und Anleihen für die M*****, bezog die Beklagte Einkünfte.

Der erste Marketmakingvertrag sah die Möglichkeit vor, in einem Ausmaß bis zu 10 % eigene Aktien zu erwerben, um die ausreichende Liquidität und geringe Volatilität der Zertifikate zu sichern. Mit Anhang vom 12. 5. 2005 wurde der Beklagten die Befugnis erteilt, nunmehr bis zu 29,9 % der Zertifikate im Namen der M***** und auf deren Rechnung oder jene der Beklagten zurückzukaufen. Nach dem am Sitz der M***** (der Kanalinsel Jersey) geltenden Recht gibt es keine Beschränkungen für solche Rückkäufe. Diese Befugnis wurde 2007 ausgeschöpft, konnte aber den Kursverfall der M*****-Zertifikate nicht aufhalten. Die Platzierung und das Marketmaking besorgte die Beklagte unter Zwischenschaltung einer indirekten 100%igen Tochtergesellschaft (S***** a.v.v.). Die Käufe im Zuge der Platzierung von Kapitalerhöhungen erfolgten teils aus Mitteln dieser Zwischengesellschaft, teils aus Mitteln der M*****, die unter dem Titel Anleihe oder Darlehen flossen. Die Käufe im Zuge der Kurspflege erfolgten aus Mitteln und auf Rechnung der M*****.

Der Kurs der M*****-Zertifikate an der Wiener Börse entwickelte sich von 2003 bis Mitte 2007 mit geringen Schwankungen aufwärts, wobei der Aufwärtstrend sich ab Beginn 2005 verstärkte. Mitte 2007 erreichte der Kurs einen Höchststand von 21,32 EUR. Dann stürzte er - bereits vor und unabhängig von der Finanzkrise - mit ganz kurzen leichten Erholungsphasen auf weniger als die Hälfte ab. Die Beklagte führt diesen Verfall auf Spekulationen zurück, die sich aus den rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten von Bankgeschäften bei Aktien und diesen vergleichbaren Zertifikaten ergeben. Eine Erholung des Kurses fand nicht mehr statt, vielmehr wirkte sich die Finanzkrise so aus, dass er - in etwa entsprechend ähnlichen Titeln - weiter fiel.

Die Finanzierung der einzelnen Projekte erfolgte aus steuerlichen Gründen über Projektgesellschaften, die sich im Alleinbesitz der M***** befanden, wobei die Beklagte als Kreditgeberin auftrat und auf der Liegenschaft als Pfandgläubigerin eingetragen wurde, aber durch Einlagen der M***** in entsprechender Höhe abgesichert war.

Der Kläger beabsichtigte Ende 2005 etwa 10 bis 15 % seiner Ersparnisse, nämlich 5.000 EUR, mit höheren Gewinnmöglichkeiten als auf einem Sparbuch, also ein „bisschen spekulativ“, zu veranlagen. Er dachte dabei an eine Veranlagungsdauer von 5 bis 6 Jahren, ohne großes Risiko, aber doch etwas spekulativ, um eine höhere Rendite zu erzielen. Er hatte eine Fondsbeteiligung von 10.000 EUR bis 20.000 EUR, mit Aktien hatte er keine Erfahrung. Er kannte einen freien Mitarbeiter der Nebenintervenientin, der ihn in einer Versicherungsangelegenheit beraten hatte und von dem er wusste, dass er als Vermögensberater tätig war.

Da aufgrund der öffentlichen Bewerbung damals M*****-Zertifikate in aller Munde waren, wandte sich der Kläger an den Mitarbeiter der Nebenintervenientin, der ihm die Verkaufsbroschüre überließ, welche von der Vertriebstochter der Beklagten zusammen mit den bei einem Kaufantrag auszufüllenden Formularen (Anlegerprofil, Depoteröffnungsantrag/Kaufantrag) zu dem Zweck übergeben worden war, sie dem kaufinteressierten Kunden zur Verfügung zu stellen.

Die Verkaufsbroschüre der Vertriebstochter enthält zum Abschluss nicht nur einen Hinweis auf deren Adresse und Kontaktdaten, sondern auch auf die Anschrift und die Kontaktdaten der Beklagten selbst. Unter der Überschrift „M*****, die Immobilienaktie mit Zukunft“ sowie „M*****: Investitionen machen sich bezahlt“ wird der Ankauf der M*****-Zertifikate beworben.

Die Verkaufsbroschüre umfasst 12 DIN-A4 Seiten (davon 5 Seiten mit überwiegend grafischer Gestaltung ohne sachlichen Inhalt) und zeigt mehrfach den im Zusammenhang mit einer früher erfolgreichen Einzelhandelskette bekannten „M*****-Mohren“, insbesondere in blickfangartiger Weise auf der ersten Seite. Auf den ersten neun Seiten gibt es durchgehend positive Aussagen über die beworbene Gesellschaft und die Chancen einer Anlage in deren Papieren. Dabei wird die Gesellschaft als Aktiengesellschaft, ihre Anteilsscheine als Aktien und deren Inhaber als Aktionäre bezeichnet. Unter anderem fanden sich auf den ersten Seiten der Broschüre folgende Formulierungen:

„Investieren in Immobilien- aber mit Köpfchen“, sowie im Zusammenhang damit „Chancen in Zentral- und Osteuropa“. „Was ist M*****“ „M***** notiert als eine der führenden Immobilienaktiengesellschaften seit November 2002 an der Wiener Börse“. „Wem gehört M*****“ „M***** befindet sich nahezu zur Gänze in Streubesitz. Mehr als 60.000 Aktionäre in Österreich und im Ausland halten Unternehmensanteile“. „Das Mietportfolio umfasst bereits mehr als 2.000 europäische und lokale Mieter; im Jahr 2005 generierten die zehn größten Mieter 29 % der Gesamtmieteinnahmen“. Hinweise auf Risiken der Veranlagung gab es in diesem Zusammenhang nicht. Auf Seite 10 der Broschüre wurde unter der Überschrift „Der Erfolg von M*****“ in der linken Spalte die positive Kursentwicklung der Anteilsscheine bis zum 30. 9. 2005 dargestellt; darunter wurde die Mieterstruktur grafisch dargestellt und ergänzend erläutert: „Die Mietpartner von M***** zählen international zu den besten. Die Qualität der Mieterstruktur besitzt einen beträchtlichen Einfluss auf die Entwicklung einer Immobilie.“ In einer Fußnote hieß es, dass „Renditen der Vergangenheit … keine Garantie für zukünftige Gewinne“ seien. In der rechten Spalte fanden sich zunächst in Tabellenform technische Daten, und zwar „Gebühren“, „operative Zahlen“ (Objekte, Mietverträge) und „Eckdaten“. Letztere begannen mit nicht näher erläuterten Kennzahlen und Kürzeln („ISIN: AT*****“; „Reuters: M*****“; „Bloomberg: M*****“). Darauf folgte ohne besondere Hervorhebung die Zeile „Sitz der Gesellschaft:“... „St. Hellier, Jersey“. Die Tabelle schloss mit Angaben zum Wert des Grundkapitals und der Immobilienanlagen. Unter dieser Tabelle fanden sich zwar fettgedruckt, aber in kleinerer Schrift folgende Absätze, die nur durch einen Zeilenwechsel, nicht aber durch einen Abstand oder eine Einrückung als solche zu erkennen waren: „Ein dem Kapitalmarkt und Börsegesetz entsprechender Prospekt wurde ordnungsgemäß veröffentlicht und liegt bei der [Beklagten] während der üblichen Geschäftszeiten auf und steht auch unter [der Internetadressen der Beklagten und ihrer Vertriebstochter] zum Download zur Verfügung. Die Veröffentlichung gemäß § 10 Abs 2 Kapitalmarktgesetz im Amtsblatt der Wiener Zeitung erfolgte im Oktober 2005. Im Zusammenhang mit dem Angebot von Wertpapieren der Gesellschaft gelten lediglich die Angaben im Kapitalmarktprospekt als verbindlich. Die Angaben dieses Verkaufsfolders sind unverbindlich.“

Auf der Seite vor den „technischen Daten“ standen in Form einer Zusammenfassung unter anderem folgende Aussagen:

„Sicherheit. Sichere, breitgestreute Immobilienveranlagung in Zeiten stark schwankender Aktienmärkte, hoher Steuern und niedriger Zinsen.“

„Ertrag. Sie profitieren von frühen, günstigen Einstandspreisen in den stark wachsenden Märkten Zentral- und Osteuropas. Also: Mietrenditen zwischen 9 und 10 % p.a. bezogen auf die Anschaffungskosten und rund einem Drittel Wertsteigerungspotential nach dem EU-Beitritt.“

„Liquidität. Die Aktien von M***** notieren an der Wiener Börse. Damit ist die tägliche Verfügbarkeit ihres Investments sichergestellt.“

„Steuer. Bereits nach einem Jahr können Sie Aktienkursgewinne steuerfrei vereinnahmen.“

„Flexibilität. Sie haben die Wahl Einmalerlag ab 2.500 EUR oder Monatssparplan ab 50 EUR im Monat. Ihren Einmalerlag können Sie sich auch als monatliche Privatpension auszahlen lassen.“

„M*****. M***** war schon 1862 in Tschechien und Ungarn präsent und ist schon 1990 wieder gekommen. Sie profitieren von know how und der ganzen Sicherheit von M*****-Zentraleuropas starken Unternehmen -, wenn es um Service, Qualität und Verlässlichkeit geht.“

Abgeschlossen wird die Seite mit der hervorgehobenen Zusammenfassung: „Investment mit Wachstum und Ertrag“. Auf Risiken der Veranlagung wurde auf dieser Seite wiederum nicht hingewiesen.

Eine über diese Broschüre hinausgehende umfassende Vermögens- oder Anlageberatung strebte der Kläger nicht an, sie fand auch nicht statt. Er sah sich die Verkaufsbroschüre genau durch und traf auf dieser Grundlage seine Entscheidung. Die Erwähnung der Anschrift der M***** mit Jersey fiel ihm nicht auf. Entscheidend für seinen Kaufentschluss war die Aussage zur Sicherheit mit „sichere, breitgestreute Immobilienveranlagung in Zeiten schwankender Aktienmärkte, hoher Steuern und niedriger Zinsen“, die er durch den übrigen Inhalt der Verkaufsbroschüre gestützt sah. Was Aktien sind, war ihm im Wesentlichen bekannt und er wusste auch, dass derartige Einzeltitel Kursschwankungen unterliegen. Den in der Broschüre erteilten Informationen entnahm er, dass bei „Immobilienaktien“ mit keinen besonderen Schwankungen des Kurses zu rechnen sei, worin ihn die Darstellung des bisherigen Kursverlaufs bestärkte. Bei M***** gibt es keine Dividenden, sodass sich der Ertrag des Anlegers ausschließlich aus den Kurssteigerungen des Papiers ergibt. Mit Schwankungen rechnete der Kläger schon, aber nicht mit solchen, die sich von dem dargestellten Kursverlauf - einer insgesamt kontinuierlichen Steigerung, wobei die mehrmaligen kurzen Kursrückgänge nur gering waren - wesentlich unterscheiden. Den Hinweis, dass Renditen in der Vergangenheit keine Garantie für künftige Gewinne darstellten, nahm er zur Kenntnis, doch erweckte er im Hinblick auf die in Aussicht gestellten Renditen, von denen er annahm, dass sie sich positiv auf den Kurs auswirken müssten, keine Bedenken. Den Hinweis auf den Kapitalmarktprospekt sah er, doch fragte er den Mitarbeiter der Nebenintervenientin nicht nach einem solchen Prospekt und erhielt ihn auch nicht angeboten.

Diese in englischer Sprache gehaltenen Prospekte, zuletzt vom 3. 10. 2005 und 2. 2. 2006, umfassen etwa 50 Seiten. Sie enthalten unter anderem den wahrheitsgemäßen Hinweis, dass der Börsekurs der M*****-Zertifikate schwanken und sich unterschiedlich zu den Entwicklungen der internationalen Kapitalmärkte verhalten kann, weiters, dass er von Währungsschwankungen, insbesondere im Hinblick darauf, dass in nicht Euro-Länder investiert werden kann, abhängig ist. Es kann nicht für den Kursverlauf und den Wert des Gesellschaftseigentums garantiert werden. Teilweiser und auch vollständiger Verlust des eingesetzten Kapitals ist möglich.

Zum Risiko meinte der Mitarbeiter der Nebenintervenientin, dass man diese Papiere ja langfristig behalten solle und dass es in dem Veranlagungszeitraum von 5 bis 6 Jahren zu Schwankungen kommen könne. Dass Kursverluste in einem erheblich höheren Umfang als im bisherigen Verlauf oder gar ein Totalverlust stattfinden könnten, erwähnte der Mitarbeiter nicht. Dies war ihm selbst nicht bewusst.

Um weitere Informationen fragte der Kläger nicht, weil er sich durch die Broschüre ausreichend informiert fühlte, er erhielt sie auch nicht. Der Mitarbeiter der Nebenintervenientin schlug auch andere Aktien vor, der Kläger lehnte dies aber ab, weil ihm M***** aufgrund des Namens M***** als das richtige Produkt erschien.

Wäre dem Kläger bekannt gewesen, dass es bei dem M*****-Zertifikat zu Kursverlusten, die wesentlich die in der Verkaufsbroschüre dargestellten übersteigen, insbesondere bis zur Hälfte des Kurswerts oder mehr, kommen könne, hätte er die Papiere nicht gekauft und auch die späteren Nachkäufe nicht getätigt. Davon, dass das Papier keine Aktie, sondern ein Zertifikat ist, war nicht die Rede. Der Mitarbeiter der Nebenintervenientin wusste das selbst nicht. Eine solche Unterscheidung wäre für die Entscheidung des Klägers nur dann bedeutsam gewesen, wenn sie ihm aufgrund der Erklärungen des Beraters wesentlich erschienen wäre.

Der Mitarbeiter der Nebenintervenientin füllte mit dem Kläger das Anlegerprofil aus, das der Kläger unterschrieb. Er gab sein Jahreseinkommen mit der Bandbreite 10.000 bis 24.999 EUR und sein Vermögen mit der gleichen Bandbreite an. Beim Anlagehorizont wurde „langfristig, über acht Jahre“ angekreuzt, bei der Risikobereitschaft „hoch“ sowie „extrem hoch“. Zur Vorerfahrung wurden Anleihen und Aktien/Aktienfonds angeführt. Die Risikoangabe erfolgte deswegen, weil eine solche Angabe verlangt war. Es stand noch die Kategorie „gering“ und „mittel“ zur Verfügung. Nach dem Wissensstand der Nebenintervenientin hätte die Beklagte das Anbot bei Angabe dieser Kategorien aber nicht angenommen.

Der Kläger unterfertigte weiters einen Konto- und Depoteröffnungsantrag an die Beklagte. Darin ist der Mitarbeiter der Nebenintervenientin als Vertriebspartner der Vertriebstochter der Beklagten angeführt. Er enthält den Auftrag zum Kauf der Wertpapiere. Der Kläger überflog die kleingedruckten Risikohinweise (Hinweis auf möglichen Teil- oder Totalverlust, Immobilienwertschwankungen, Mieterausfall, Sachmängel etc); sie erweckten aber keine Bedenken bei ihm. Vom Mitarbeiter der Nebenintervenientin erhielt er dazu keine Erläuterungen, er wurde auch nicht zu ihrer Beachtung eigens aufgefordert.

Die Beklagte bestätigte dem Kläger am 17. 1. 2006 die Ausführung seines Auftrags (Ankauf von M*****-Zertifikaten um 5.000 EUR zuzüglich 5 % Ausgabeaufschlag) zum Kurs von 15,11 um 5.160,82 EUR (einschließlich Spesen). Im Februar und im Herbst 2006 verständigte die Beklagte den Kläger jeweils über Kapitalerhöhungen und seine diesbezüglichen Bezugsrechte samt formularmäßigem Kaufauftrag. Demgemäß beauftragte der Kläger die Beklagte zu Nachkäufen, und zwar per 6. 3. 2006 zum Kurs von 15,43 um 5.174,30 EUR sowie per 10. 10. 2006 zum Kurs von 17,25 um 10.343,70 EUR (je einschließlich Spesen).

Der Kläger begehrte die Aufhebung dieser zwischen ihm und der Beklagten abgeschlossenen Kommissions- und Kaufverträge sowie Rückzahlung des Kaufpreises von insgesamt 20.678,52 EUR Zug um Zug gegen Rückstellung der Zertifikate. Die Beklagte habe die Kommissionsaufträge durch Selbsteintritt als Verkäuferin ausgeführt. Er fechte den Vertrag wegen listiger Irreführung und wegen eines von der Beklagten veranlassten Irrtums an. Er habe seine Kaufentscheidung unter Zugrundelegung der Verkaufsbroschüre getroffen. Auf der Rückseite dieser Broschüre sei im Impressum auch die Beklagte genannt, diese sei daher für die darin enthaltenen Werbeaussagen verantwortlich. Die Werbung der Beklagten sei irreführend gewesen, der Kläger sei davon ausgegangen, mittelbar in Immobilien zu investieren, sodass das Wertpapier nicht den generellen Schwankungen der Aktienmärkte unterliege.

Die Beklagte wendete ein, sie habe dem Kläger keine Beratungsleistung erbracht. Der Werbeprospekt habe keine wesentliche Fehlvorstellung über Eigenschaften des Kaufgegenstands hervorgerufen. Sie habe einen allfälligen Irrtum des Klägers nicht veranlasst.

Das Erstgericht hob die Kommisions- und Kaufverträge auf und verpflichtete die Beklagte, dem Kläger Zug um Zug gegen Rückstellung von insgesamt 1.232 Stück der Zertifikate den Klagebetrag zu bezahlen. Der Kläger habe sich bei Geschäftsabschluss über eine wesentliche Eigenschaft des Kaufgegenstands, nämlich die Sicherheit des gekauften Wertpapiers und die bei diesem möglichen Kursrückgänge insoferne in Irrtum befunden, als er davon ausgegangen sei, das Papier sei weniger risikoreich als andere Aktien und könne keinen wesentlichen Kursverlusten unterliegen. Diesen Irrtum habe die Beklagte aufgrund der Verkaufsbroschüre, die sie nenne und für die sie einzustehen habe, veranlasst. Die darin enthaltene Aussage zur Sicherheit werde durch den weiteren Inhalt gestützt. Auch werde der Eindruck erweckt, dass man - wie ein Immobilieninvestor  - an den Werten, dem Ertrag und der Sicherheit, die eine Immobilie biete, teilnehme. Dadurch sei beim Kläger die Überzeugung hervorgerufen worden, das Papier sei erheblich sicherer als andere Aktien, sowie Kursschwankungen im Sinn erheblicher dauerhafter Verluste könnten nicht auftreten.

Das Berufungsgericht bestätigte die Klagestattgebung und sprach aus, dass die ordentliche Revision im Hinblick auf die Vielzahl der aufgrund derselben Verkaufsbroschüre potentiell in die Irre geführten Anleger zulässig sei.

Im Übrigen verwies das Berufungsgericht auf eine Vorentscheidung in einem ähnlich gelagerten Fall, in dem es die Anfechtung infolge veranlassten Irrtums als gerechtfertigt angesehen habe. Dass das verkaufte Anlageprodukt im wesentlichen Einflussbereich der Beklagten stehe und sie dessen Verkauf auch selbst mit den im Werbeprospekt dargelegten Gründen beworben habe, ergebe sich schon daraus, dass sie selbst im Werbeprospekt aufscheine. Die im Prospekt enthaltenen Informationen seien grob irreführend gewesen, weil die Investition in dieses Papier mit einer Investition in Immobilien gleichgesetzt worden sei. Die Papiere als „sichere Anlage in Zeiten stark schwankender Aktienmärkte“ anzupreisen und so einen in Wahrheit nicht existierenden Unterschied zwischen der beworbenen Investition und anderen von den Aktienmärkten abhängigen Anlageformen zu konstruieren, sei gleichermaßen grob irreführend. Beide Aspekte seien für den Kaufentschluss des Klägers auch entscheidend gewesen. Wäre ihm die Möglichkeit ganz erheblicher Kursverluste bekannt gewesen, hätte er weder den ersten Kauf noch die späteren Nachkäufe getätigt. Der Kläger mag bei den Nachkäufen vom positiven Kursverlauf beeinflusst gewesen sein, der Werbeprospektinhalt mag nicht seine ausschließliche Entscheidungsgrundlage gewesen sein. Der von der Beklagten daraus gezogene Umkehrschluss, die ursprünglichen Informationen seien für die Nachkäufe gänzlich unerheblich gewesen, entbehre jedoch jeder Grundlage. Mache die Beklagte vom Selbsteintrittsrecht des Kommissionärs Gebrauch, habe sie die vertragsgegenständlichen Wertpapiere selbst als Verkäufer zu liefern oder als Käufer zu übernehmen. Das Kommissionsgeschäft werde dadurch zwar nicht zu einem reinen Kaufvertrag, es trete aber eine kaufvertragliche Rechtsbeziehung zur Kommission hinzu. Die Regeln der Kommission verdrängten nicht etwa jene des Kaufvertrags, sondern würden umgekehrt allenfalls die Kommissionsregeln von den Kaufvertragsregeln verdrängt. Daraus folge, dass primär Kaufvertragsrecht einschließlich der diesbezüglichen Irrtumsregeln anzuwenden sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt führte die Beklagte die Aufträge des Klägers zum Ankauf der M*****-Zertifikate als Kommissionär durch Selbsteintritt aus. Macht die Bank von Selbsteintrittsrecht Gebrauch, so hat sie die vertragsgegenständlichen Wertpapiere selbst als Verkäufer zu liefern oder als Käufer zu übernehmen (§ 400 Abs 1 HGB [nunmehr UGB]). Das Kommissionsgeschäft wird dadurch zwar nicht zu einem reinen Kaufvertrag, es tritt aber eine kaufvertragliche Rechtsbeziehung zur Kommission hinzu. Deren Regeln werden insofern verdrängt, als sie mit der Position der Parteien als Käufer oder Verkäufer unvereinbar sind, also vor allem bezüglich der Hauptleistungspflichten (2 Ob 31/07h mwN = RIS-Justiz RS0123390). Zu beurteilen ist im vorliegenden Fall daher, ob der Kläger als Käufer der von der Beklagten verkauften Wertpapiere diesen Kaufvertrag gemäß § 871 ABGB wegen Irrtums anfechten kann.

Der Kläger stützt sich auf einen durch die Werbebroschüre der Beklagten verursachten Irrtum. Die Verantwortung der Beklagten für den Inhalt des Verkaufsprospekts ist in diesem Verfahren unstrittig. Strittig ist in diesem Zusammenhang, ob es sich bei dem festgestellten Irrtum des Klägers um einen zur Vertragsanfechtung berechtigenden Geschäftsirrtum oder um einen zur Anfechtung des entgeltlichen Rechtsgeschäfts nicht berechtigenden bloßen Motivirrtum handelt. Weiters zu prüfen bleibt im Revisionsverfahren auch, ob die Anfechtungsvoraussetzung einer Irrtumsveranlassung durch die Beklagte verwirklicht ist. Nicht entscheidungsrelevant ist dagegen, ob die Beklagte eine Aufklärungspflicht (etwa neben der Nebenintervenientin als zwischengeschaltetes Wertpapierdienstleistungsunternehmen) traf und ob das Verhalten der Nebenintervenientin als Erfüllungsgehilfin beim Wertpapierkauf zuzurechnen ist. Ebenso wenig von Bedeutung für diese Entscheidung ist die lauterkeitsrechtliche Beurteilung des Verkaufsprospekts, die Gegenstand der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 4 Ob 188/08p war. Hier ist der dem Kläger konkret unterlaufene Irrtum zu beurteilen, nicht die Irreführungseignung des Verkaufsprospekts im Allgemeinen. Die Revisionsausführungen zur lauterkeitsrechtlichen Beurteilung des Werbeprospekts können daher ebenso auf sich beruhen wie die Frage, ob diese Beurteilung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim Europäischen Gerichtshofs bedarf. Das Berufungsgericht nahm auf die lauterkeitsrechtliche Beurteilung des Verkaufsprospekts insoweit Bezug, als es die dort ausgesprochene Irreführungseignung beim Kläger konkret verwirklicht sah. Es verwies darauf, dass zwei als irreführend beurteilte Aussagen des Werbeprospekts für den Kaufentschluss des Klägers entscheidend waren, weil er in Kenntnis des wahren Sachverhalts, insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit ganz erheblicher Kursverluste, weder den ersten Kauf noch die späteren Nachkäufe getätigt hätte.

Wenn die Beklagte zunächst vorbringt, die Werbebroschüre hätte gar keine Fehlvorstellung hervorgerufen, weil ihr weder zu entnehmen gewesen wäre, dass damit eine direkte Investition in Immobilien beworben werde, noch, dass die Anlage von den Schwankungen der Aktienmärkte unabhängig sei, so entfernt sie sich von den Feststellungen der Vorinstanzen. Es steht fest, dass der Kläger aufgrund der Broschüre zwar mit Schwankungen des Kurses rechnete, aber nicht mit solchen, die sich von dem dargestellten Kursverlauf (einer insgesamt kontinuierlichen Steigerung, wobei die mehrmaligen kurzen Kursrückgänge nur gering waren) wesentlich unterscheiden. Die Werbebroschüre der Beklagten (und ihrer 100%igen Vertriebstochter) verursachte somit eine Fehlvorstellung des Klägers.

Zur Anfechtung des Kaufvertrags berechtigt allerdings nur ein Geschäftsirrtum. Der Geschäftsirrtum betrifft den Inhalt des Parteiwillens, der (nicht zur Anfechtung berechtigende) Motivirrtum betrifft den Grund des für den Vertragsabschluss maßgebenden Parteiwillens (stRsp RIS-Justiz RS0014902). Der Irrtum des Erklärenden über die Natur des Geschäfts, dessen Inhalt (Gegenstand) oder eine für das Geschäft bedeutsame Eigenschaft (oder Identität) der Person des Geschäftspartners, also über Punkte, die Inhalt des Rechtsgeschäfts sind, ist nach der Rechtsprechung ein beachtlicher Geschäftsirrtum (RIS-Justiz RS0014910; vgl Rummel in Rummel3 § 871 ABGB, Rz 9 f mwN).

Was Vertragsinhalt wurde, nur ein Irrtum darüber ist Geschäftsirrtum, bestimmt sich danach, wie die Vertragserklärungen objektiv zu verstehen waren (Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont). Dabei ist die Parallele zum Gewährleistungsrecht zu beachten (Rummel aaO, Rz 10). Mangel ist dort die Abweichung des Geleisteten vom vertraglich Geschuldeten. Was geschuldet wird, bestimmt sich nach § 922 ABGB (auch) nach den „öffentlichen Äußerungen des Übergebers“. Die Beklagte musste das Kaufangebot des Klägers aufgrund ihrer eigenen Werbung (der von ihr [mit-]verfassten Werbebroschüre) dahin verstehen, dass er Wertpapiere kaufen wollte, die die dort beschriebenen Merkmale aufweisen. Auch der Kläger musste die Annahme seines Anbots (den Eintritt der Beklagten als Verkäufer) im Sinn der Werbung verstehen. Konnte die Werbung (die Werbebroschüre) bei objektiver Betrachtung bestimmte Vorstellungen über das geringere Risiko gegenüber anderen Aktien erwecken, so wurde diese wertbildende Eigenschaft zum Vertragsinhalt. Nur wenn im Einzelfall - etwa aufgrund einer umfassenden Aufklärung durch den Vermittler oder eines von vornherein höheren Wissensstands des Käufers - bei beiden Vertragspartnern tatsächlich eine andere (richtige) Vorstellung besteht, wenn also der Käufer ohnehin weiß, was er in Wahrheit (im Gegensatz zu bestimmten Werbeaussagen) bekommt, wird das objektiv zugesicherte Merkmal des Kaufgegenstands nicht Vertragsinhalt; dann liegt kein Irrtum vor. Dafür bietet der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt aber keine Anhaltspunkte.

Als beachtlicher Geschäftsirrtum wird allgemein der Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften der Sache angesehen. Verkehrswesentlichkeit ist in Abstimmung mit den Gewährleistungsregeln zu umschreiben. Demnach sind solche Eigenschaften „Inhalt der Erklärung“, die üblicherweise bei entsprechenden Geschäften vorausgesetzt werden, so wie solche, die besonders bedungen wurden (Rummel aaO Rz 10 mwN). Ein Irrtum über den Wert der Sache ist ein Irrtum im Beweggrund (Motivirrtum; RIS-Justiz RS0014920); ein Irrtum über eine wertbildende Eigenschaft gehört hingegen zum Inhalt des Geschäfts; ein Irrtum darüber ist daher ein Geschäftsirrtum (RIS-Justiz RS0014922).

Der Irrtum über die zukünftige Kursentwicklung eines Wertpapiers wird nach hL in der Regel nicht Vertragsinhalt, es liegt also kein Geschäftsirrtum vor (Koziol in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht2 VI Rz 1/65; Oppitz aaO Rz 2/35). Der Oberste Gerichtshof ordnete gleichfalls Ertragsprognose und -erwartung sowie Marktentwicklung als Beweggrund der Wertpapieranschaffung dem zufolge § 901 ABGB unbeachtlichen Motivirrtum zu (7 Ob 267/02v = RIS-Justiz RS0052949 [T4]). Wenn die Werbebroschüre hingegen echte Zusicherungen enthält, hat die Bank davon auszugehen, dass der Kunde seine Offerte nur mit dem entsprechenden Inhalt abgeben will, sodass bei Annahme durch die Bank diese Zusicherungen als vereinbart gelten (Koziol aaO Rz 1/65).

Im Zusammenhang mit einem Schadenersatzanspruch wegen einer Kapitalveranlagung wurde bereits wiederholt ausgesprochen, dass ein zu ersetzender Schaden bereits darin liegt, dass ein Anleger kein wertstabiles (wie von ihm gewünscht), sondern ein Kursschwankungen unterliegendes Wertpapier erworben hat (7 Ob 253/97z = ÖBA 1999/388 [Klete?ka]; 8 Ob 123/05d = ÖBA 2006, 682). Die Risikogeneigtheit einer Anlageform ist daher als Produkteigenschaft anzusehen. Zu 7 Ob 177/98z (= ÖBA 1999, 663 und 900 [Apathy]) wurden aufgrund von Zusicherungen des Verhandlungsgehilfen im Zusammenhang mit den Prospektangaben über die Entwicklung bestimmter Aktien beim Anleger hervorgerufene Fehlvorstellungen über die Risikogeneigtheit einer bestimmten Anlage als Irrtum über wesentliche Eigenschaften der Beteiligung und damit als wesentlicher Geschäftsirrtum beurteilt (insoweit zust Wilhelm, ecolex 1999, 619).

Auch im Anlassfall irrte der Kläger nicht über die konkrete Kursentwicklung, etwa über das Ausmaß der jährlichen Wertsteigerung, sondern über das Risiko der gezeichneten Anlage. Er gelangte nach den getroffenen Feststellungen aufgrund der Verkaufsbroschüre zur Ansicht, dass die von ihm erworbene Aktie (das Zertifikat) anders als andere Aktien ein grundlegend geringeres Risiko des Kursverlustes bzw langfristigen Ausfalls hätte, weil in Gewerbeimmobilien mit langfristiger Vermietung an gute Kunden investiert würde. Die Verkaufsbroschüre rief bei ihm den Eindruck hervor, dass im Gegensatz zu den sonstigen Gefahren des Aktienmarkts bei dieser beworbenen Anlage die Sicherheit eines Immobilieninvestments maßgebend wäre. Er irrte hiebei über eine wesentliche wertbildende Eigenschaft; er unterlag somit einem Geschäftsirrtum.

Da der klägerische Irrtum durch ein positives Tun der Beklagten (ihre Aussagen in der Werbebroschüre) hervorgerufen wurde, müssen eine allfällige Irreführung durch Unterlassung (etwa unvollständige Aufklärung) sowie die Beklagte allenfalls treffende Aufklärungspflichten in diesem Fall nicht untersucht werden.

Es bleibt zu prüfen, ob der Geschäftsirrtum des Klägers im vorliegenden Fall iSd § 871 Abs 1 erster Fall ABGB veranlasst wurde.

Durch den anderen veranlasst ist nach hL und Rechtsprechung der Irrtum, wenn der andere für den Irrtum (adäquat) ursächlich war (RIS-Justiz RS0016195; Rummel aaO Rz 15 mwN; Bollenberger in KBB2 § 871 Rz 14 mwN). Absichtliche oder zumindest fahrlässige Irreführung wird nicht vorausgesetzt; es genügt jedes für die Entstehung des Irrtums ursächliche Verhalten (RIS-Justiz RS0016188); ob dem Irrenden sein Irrtum selbst hätte auffallen müssen, ist für die Irrtumsanfechtung (grundsätzlich) belanglos (RIS-Justiz RS0016213).

Rummel (aaO) betont gegenüber uneingeschränkter Anfechtbarkeit nach reiner Verursachungszurechnung die Notwendigkeit einer wertenden Einschränkung (wie im Schadenersatzrecht); entscheidend sei die Frage, ob der andere (oder sein Vertreter oder Verhandlungsgehilfe) so viel zur Entstehung des Irrtums beigetragen hat, dass sein Vertrauen auf die Erklärung nicht schutzwürdig ist. Bei Irrtumserregung durch positives Tun möge die Adäquanzgrenze ausreichen.

Auch Thunhart (Die Beachtlichkeit des Irrtums als Interessenabwägung, ÖJZ 2000, 447 [449]) hält fest, dass der Anfechtungsgegner eine Anfechtung in Kauf nehmen muss, wenn er den Irrtum (wenn auch schuldlos) veranlasst hat. Wurde der Irrtum nämlich (wenn auch schuldlos) vom Anfechtungsgegner veranlasst, so erscheint der Fehler dem Irrenden weit weniger vorwerfbar, als wenn dies nicht der Fall wäre. Deshalb rechtfertige hier auch schuldloses Verhalten die Zurechnung des Fehlers zum Anfechtungsgegner. Liege der Ursprung des Irrtums aber in der Sphäre des Irrenden, müssten schwerwiegendere Argumente vorliegen, um den Fehler dem anderen Vertragspartner zurechnen zu können. Wer fehlerhaft handle, solle auch die daraus entstehenden Nachteile tragen. Nach § 871 Fall 1 und 2 ABGB sei ein Irrtum beachtlich, wenn das Fehlverhalten des Anfechtungsgegners jenes der irrenden Partei überwiege.

Noch etwas weitergehend betont Krejci (Zur Anfechtung von Wertpapierkäufen wegen irreführender Werbung und Beratung, ÖJZ 2010/10), dass es befremde, wenn der Anfechtungsgegner den Vertrag auch dann nachträglich verliere, wenn ein wesentlicher Grund für den Irrtum in einem fehlerhaften Verhalten des Irrenden selbst liege; dies insbesondere dann, wenn dem Irrenden grobe Nachlässigkeit vorgeworfen werden könne. Auch in Fällen der Veranlassung des Irrtums durch den anderen Teil sei das Anfechtungsrecht der schuldhaft irrenden Partei einzuschränken. Führe das Verhalten des anderen Teils auch deshalb zum Irrtum des Erklärungsempfängers, weil diesen selbst der Vorwurf sorglosen Verhaltens treffe, so sei eine Irrtumsanfechtung nach § 871 erster Fall ABGB nicht gerechtfertigt, denn dann stamme ein wesentlicher Grund für die Veranlassung des Irrtums auch aus der Sphäre des Irrenden selbst. In solchen Fällen sei eine Abwägung der aus den unterschiedlichen Sphären stammenden Irrtumsursachen erforderlich. Überwiege die Veranlassung durch den anderen Teil, so werde die Anfechtung zuzulassen sein; überwiege das Fehlverhalten auf Seiten des Irrenden, sei hingegen eine Anfechtung unzulässig.

Vonkilch (Rechtsfragen der Irrtumsanfechtung von Wertpapierkäufen, ÖJZ 2010, 579 ff) lehnt hingegen den Ausschluss der Irrtumsanfechtung bei Fahrlässigkeit des Irregeführten als unverhältnismäßigen Eingriff in dessen Willensfreiheit und Selbstbestimmung ab.

Der Oberste Gerichtshof sprach bereits in mehreren Fällen aus, dass Umstände, die ein Verschulden des Irrenden begründen, die Annahme ausschließen, dass der Irrtum durch den anderen veranlasst wurde (RIS-Justiz RS0016205). Es handelte sich dabei um Fälle, in denen ganz offensichtlich unrichtige Angaben eines Vertragspartners, deren Überprüfung dem anderen Teil offen stand und leicht möglich war, nicht als zur Täuschung geeignete Irreführungshandlungen angesehen wurden. Hatte sie der Erklärungsempfänger dennoch als wahr hingenommen, wurde sein Irrtum als nicht durch den anderen Teil veranlasst angesehen (7 Ob 553/88 = wbl 1988, 341 ua; zuletzt 9 Ob 41/04a = SZ 2004/160). In solchen Fällen liegt schon deshalb kein Geschäftsirrtum vor, weil der Vertrag unter Bedachtnahme auf den objektiven Empfängerhorizont ohnehin nicht im Sinn der unrichtigen Angabe zustandekam (die leicht erkennbar fehlenden wertbildenden Eigenschaften nicht vereinbart waren).

Der erkennende Senat hält an der ständigen Rechtsprechung fest, wonach adäquate Verursachung ausreicht, um die Anfechtungsvoraussetzung nach § 871 Abs 1 erster Fall ABGB zu erfüllen. Im vorliegenden Fall kann keine Rede davon sein, dass die den festgestellten Irrtum des Klägers über die Risikogeneigtheit der von ihm erworbenen Beteiligungspapiere hervorrufenden Angaben offensichtlich unrichtig gewesen wären und für den Kläger eine Überprüfung leicht möglich gewesen, aber von ihm nicht vorgenommen worden wäre. Weder die allgemein bekannte Tatsache, dass Aktien risikobehaftete Wertpapiere sind, die sich auch der Kläger entgegenhalten lassen muss, noch der Verweis auf den Kapitalmarktprospekt und die allgemein gehaltenen Hinweise auf das (Total-)Verlustrisiko, etwa im Kontoeröffnungs- bzw Wertpapierkaufantrag ändern etwas daran, dass die von der Beklagten aufgelegte, dem Kläger im Sinn der von der Beklagten/ihrer 100%igen Vertriebstochter initiierten Verkaufsstrategie übergebene und vom Kläger zur Grundlage seiner Kaufentscheidung gemachte Verkaufsbroschüre das mit den angepriesenen Wertpapieren verbundene Risiko - im Gegensatz zu sonstigen Aktien - als im Hinblick auf die Investition in Immobilien und deren langfristige lukrative Verwertung als deutlich geringer hinstellt. Bei der für die Kaufentscheidung des Klägers maßgeblichen Broschüre handelt es sich auch nicht um offensichtlich verkürzte, bloß die Aufmerksamkeit erweckende blickfangartige und möglicherweise von vornherein als marktschreierisch anzusehende Werbeaussagen wie etwa Inseratüberschriften, Kurzwerbespots oder ähnliches, sondern um die für den durchschnittlichen Privatanleger wie den Kläger verständliche und (scheinbar) auch vollständige Information, die den Zweck verfolgt, dem Privatanleger eine vernünftige Anlageentscheidung zu ermöglichen. Es wird das Investitionsmodell näher erläutert und daher für den Kunden nachvollziehbar, warum die in den Überschriften und der Zusammenfassung verkürzten Werbeaussagen zutreffend sein sollen. Dem gegenüber treten allgemein gehaltene Risikohinweise völlig in den Hintergrund und veranlassten den Kläger daher, der plausibel aufbereiteten Werbebotschaft zu vertrauen, wonach die hier beworbene Anlage grundlegend sicherer wäre als eine Veranlagung in sonstigen Einzelaktien.

Selbst wenn man der zitierten Ansicht Krejcis folgend die Anfechtungsvoraussetzung der Irrtumsveranlassung verneinen wollte, sofern ein überwiegendes Fehlverhalten auf Seiten des Irrenden vorliegt, wäre für die Beklagte nichts gewonnen. Der Vorwurf, der Kläger habe sich insoweit in eigenen Angelegenheiten sorglos verhalten, als er der Verkaufsbroschüre der Beklagten vertraute und nicht den Kapitalmarktprospekt studierte und die möglicherweise in einem Gegensatz zu den Aussagen des Verkaufsprospekts stehenden allgemein gehaltenen Risikohinweise zum Anlass weiterführender Recherche machte, tritt gegenüber der für den Irrtum des Klägers primär ursächlichen Fehldarstellung des Wertpapierrisikos in der Verkaufsbroschüre der Beklagten, die überdies auch die sie als Effektenkommissionär treffenden Schutzpflichten gegenüber dem Kommittenten vernachlässigte (kein Hinweis auf ihre Verträge und Verdienstmöglichkeiten im Zusammenhang mit der Platzierung und Betreuung des Wertpapiers [Interessenkollision]; vgl Griss in Straube, HGB3 § 384 Rz 3 mwN) völlig zurück.

Die Anfechtung der vom Kläger mit der Beklagten geschlossenen Kaufverträge über die M*****-Zertifikate wegen von der Beklagten veranlassten Geschäftsirrtums erweist sich daher als berechtigt, weshalb der insgesamt unberechtigten Revision ein Erfolg versagt bleiben musste.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Die Zurückweisung der weiteren Schriftsätze im Revisionsverfahren beruht auf dem Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels (Kodek in Rechberger3 vor § 461 ZPO Rz 12 mwN).

Textnummer

E94985

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0040OB00065.10B.0831.000

Im RIS seit

30.09.2010

Zuletzt aktualisiert am

26.08.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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