TE OGH 2010/9/28 11Os114/10i

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Veröffentlicht am 28.09.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. September 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Prammer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Heidi Maria W***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Geschworenengericht vom 12. Mai 2010, GZ 37 Hv 24/10x-160, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Heidi Maria W***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat sie am 17. September 2009 in S***** Gert B***** durch das Versetzen mehrerer Schläge gegen den Kopf mit dem Sockel eines Pokals sowie durch die Zufügung von mindestens 25 Stichverletzungen des Rumpfes (überwiegend Brustkorb-Vorderseite), die zu einem stumpfen Schädelhirntrauma sowie zu Lungen- und Herzverletzungen führten, getötet.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Schuldspruch richtet sich die auf Z 4, 6, 10 und 10a des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten; sie verfehlt ihr Ziel.

Mit der Verfahrensrüge (Z 4) macht die Angeklagte geltend, es sei ihrem Verteidiger trotz dessen  - aktenmäßig nicht belegter - Aufforderung zwar das Verhandlungsprotokoll, nicht aber die Rechtsbelehrung und die Niederschrift der Geschworenen zugestellt worden. Indes zu Unrecht, weil nach § 271 StPO bloß das gänzliche Unterlassen der Aufnahme des Hauptverhandlungsprotokolls mit Nichtigkeit bedroht ist (Danek, WK-StPO § 271 Rz 5; RIS-Justiz RS0113211 [T3]). Zudem wurde die Niederschrift der Geschworenen im Beisein des Verteidigers der Angeklagten verlesen (ON 159 S 85). Im Übrigen wird von der Beschwerde nicht dargetan, wodurch der Verteidiger an einer Akteneinsicht oder einer Urgenz der Übermittlung gehindert gewesen wäre (zur Möglichkeit eines Wiedereinsetzungsantrags nach § 364 StPO bei einer allfälligen Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten durch die verspätete Zustellung eines Teils des Protokolls vgl RIS-Justiz RS0124686).

Die Fragenrüge (Z 6) verfehlt den gesetzlichen Bezugspunkt: Der § 314 Abs 1 StPO zugrundeliegende Begriff des Tatsachenvorbringens ist iSd § 258 Abs 1 StPO zu verstehen, kann also nur aus der in der Hauptverhandlung gewählten Verantwortung des Angeklagten oder den dort vorgeführten Beweismitteln abgeleitet werden (RIS-Justiz RS0117448 [T3]). Abstrakte Denkvarianten, wie Hypothesen über das allfällige (sexuelle) Verhalten des Opfers vor der Tat oder Mutmaßungen über die psychische Reaktion junger Mädchen auf sexuelle Belästigung (RIS-Justiz RS0100871 [T12]), genügen diesen Erfordernissen nicht.

Überdies unterlässt das Rechtsmittel jeden in Verfahrensergebnissen begründeten Hinweis auf das Vorliegen einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung.

Soweit die Moniturrüge (Z 10) weiters unter Verweis auf § 331 Abs 2 StPO kritisiert, die Niederschrift der Geschworenen habe entgegen dieser Gesetzesbestimmung unkenntliche Ausstreichungen enthalten, übersieht sie einerseits, dass sich diese Anordnung auf den Wahrspruch der Geschworenen bezieht (der keine Ausstreichungen enthält), und andererseits, dass die monierten Streichungen in der Niederschrift der Geschworenen über ihre Erwägungen vom Obmann der Geschworenen durch Abzeichnung genehmigt wurden. Für die Notwendigkeit eines Moniturverfahrens liegt somit kein Anhaltspunkt vor.

Im Übrigen ist auf den Vermerk der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und jenen der Vorsitzenden des Schwurgerichtshofs zu verweisen, wonach die von der Nichtigkeitsbeschwerde reklamierten Streichungen im Einvernehmen mit dem Verteidiger veranlasst wurden (ON 1 S 70 und 73).

Schließlich vermag auch die Tatsachenrüge (Z 10a) mit dem Hinweis, der die Angeklagte befördernde Taxilenker habe weder die Tatwaffen noch Blutspuren an der Bluse der Angeklagten wahrnehmen können, sowie mit auf selektiv wiedergegebenen Zeugenaussagen beruhenden Erwägungen zum tatsächlichen Tatzeitpunkt keine erheblichen Bedenken beim Obersten Gerichtshof gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen zu erwecken.

Soweit sie Überlegungen in der Niederschrift der Geschworenen anzweifelt, geht sie schon deshalb fehl, weil diese eine Begründung für die Beweiswürdigung der Geschworenen darstellt und somit nicht deren - nichtigkeitsrelevanten - Gegenstand zu bilden vermag (RIS-Justiz RS0115549; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 16).

Das von der Angeklagten in einem an den Obersten Gerichtshof gerichteten Schreiben angebotene „neue Beweismaterial“ konnte schon aufgrund des im Nichtigkeitsverfahrens geltenden Neuerungsverbots keine Berücksichtigung finden, es kann allenfalls in ein Wiederaufnahmeverfahren Eingang finden.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Linz zur Entscheidung über die Berufungen ergibt (§§ 344, 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E95348

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0110OS00114.10I.0928.000

Im RIS seit

12.11.2010

Zuletzt aktualisiert am

12.11.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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