TE OGH 2011/1/27 2Ob97/10v

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Veröffentlicht am 27.01.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Kristina E*****, vertreten durch Ing. Mag. Dr. Roland Hansely, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. G***** AG, *****, und 2. Ingeborg H*****, beide vertreten durch Mag. Ralf Mössler, Rechtsanwalt in Wien, wegen 2.347,55 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 9. März 2010, GZ 35 R 62/10t-15, womit die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 19. Oktober 2009, GZ 28 C 755/09b-11, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Am 26. 11. 2008 ereignete sich an einer ampelgeregelten Kreuzung ein Verkehrsunfall, an welchem die Klägerin und die Zweitbeklagte als Pkw-Lenkerinnen beteiligt waren.

Die Zweitbeklagte hatte (dort als Klägerin) zu AZ 34 C 133/09a des Erstgerichts den ihr nach Abwicklung mit dem Kaskoversicherer verbliebenen Schaden von 350 EUR sA gegen den Haftpflichtversicherer der Klägerin geltend gemacht. Mit am 25. 5. 2009 verkündetem Urteil wurde das Klagebegehren abgewiesen. Dem lag die Feststellung zu Grunde, dass die (nunmehrige) Klägerin bei Grünlicht in die Kreuzung eingefahren sei. Die entgegenkommende, nach links abbiegende (nunmehrige) Zweitbeklagte habe ihren Vorrang verletzt. Dieses Urteil erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.

Mit ihrer am 20. 5. 2009 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrte nun die Klägerin ihrerseits den Ersatz ihres Schadens, den sie mit 2.347,55 EUR sA bezifferte. Sie brachte vor, die Zweitbeklagte habe mit dem bei der erstbeklagten Partei haftpflichtversicherten Pkw als Linksabbiegerin ihren Vorrang verletzt. Das Erstgericht sei an die Entscheidung des Vorprozesses gebunden, ein Verschulden der Klägerin sei daher auszuschließen.

Die beklagten Parteien wandten ein, die Klägerin treffe das Alleinverschulden, weil sie bei Rotlicht in die Kreuzung eingefahren sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, dass die Klägerin bei Rotlicht in die Kreuzung eingefahren, die Zweitbeklagte hingegen bei Grünlicht für die Linksabbieger losgefahren sei.

Die Klägerin bekämpfte dieses Urteil aus den mit Nichtigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung bezeichneten Berufungsgründen.

Das Berufungsgericht wies mit dem angefochtenen Beschluss die Berufung der Klägerin zurück. Es führte aus, ein allfälliger Verstoß gegen die Bindungswirkung begründe nur einen Verfahrensmangel, nicht aber eine Nichtigkeit. Die Rechtsrüge richte sich in Wahrheit gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts und enthalte die Behauptung weiterer primärer Verfahrensmängel. Da somit inhaltlich nur gemäß § 501 ZPO unzulässige Berufungsgründe ausgeführt worden seien, sei die Berufung zurückzuweisen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht die inhaltliche Entscheidung über die Berufung aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Eine Rekursbeantwortung wurde nicht erstattet.

Der Rekurs ist zulässig, weil gegen den Beschluss, mit dem das Berufungsgericht eine Berufung aus formellen Gründen zurückweist, gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO der Rekurs ohne Rücksicht auf den Wert des Entscheidungsgegenstands und auf das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO erhoben werden kann (2 Ob 244/05d; 7 Ob 185/09w; 2 Ob 35/10a; RIS-Justiz RS0043893).

Der Rekurs ist auch berechtigt.

Die Klägerin führt aus, es sei unerfindlich, warum das Berufungsgericht die im Verstoß gegen die Bindungswirkung des Urteils aus dem Vorprozess gelegene Nichtigkeit nicht aufgreifen wolle. Jedenfalls hätte es die Frage der Bindung im Rahmen der Rechtsrüge zu prüfen gehabt.

Hiezu wurde erwogen:

Nach § 501 Abs 1 ZPO idF des Art 15 Z 18 lit a BudgetbegleitG, BGBl I 2009/52, ist dann, wenn das Erstgericht über einen Streitgegenstand entschieden hat, der an Geld oder Geldeswert 2.700 EUR nicht übersteigt, das Urteil nur wegen Nichtigkeit und wegen einer ihm zugrunde liegenden unrichtigen rechtlichen Beurteilung bekämpfbar. Der Oberste Gerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Rechtsansicht, dass in Rechtsstreitigkeiten mit einem diese Bagatellgrenze nicht übersteigenden Streitgegenstand Berufungen, in denen ausschließlich andere als die in § 501 Abs 1 ZPO genannten Berufungsgründe geltend gemacht werden, als unzulässig zurückzuweisen sind (RIS-Justiz RS0041863). Eine sachliche Entscheidung ist nur dann zu treffen, wenn zulässige Berufungsgründe geltend gemacht und inhaltlich ausgeführt werden (2 Ob 244/05d mwN; 7 Ob 185/09w; 2 Ob 35/10a). Dabei kommt es nicht darauf an, wie die geltend gemachten Berufungsgründe bezeichnet werden, sondern darauf, welchem Berufungsgrund die Ausführungen im Rechtsmittel zuzuzählen sind (RIS-Justiz RS0111425).

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bildet der Verstoß gegen die Bindungswirkung einer Vorentscheidung einen Nichtigkeitsgrund (17 Ob 28/09f; RIS-Justiz RS0074226). Bei der Bindungswirkung handelt es sich ebenso wie bei der Einmaligkeitswirkung um einen Aspekt der materiellen Rechtskraft (2 Ob 42/93; 17 Ob 28/09f; RIS-Justiz RS0102102). Sie äußert sich dahin, dass das Gericht zwar über das zweite Begehren mit Sachentscheidung abzusprechen hat, dabei aber die rechtskräftige ältere Entscheidung zugrunde legen muss (2 Ob 42/93; 17 Ob 28/09f; RIS-Justiz RS0041205).

Die Klägerin hat in ihrer Berufung einen Verstoß des Erstgerichts gegen die ihrer Ansicht nach bestehende Bindung an die rechtskräftige Entscheidung des Vorprozesses und damit im Sinne der erörterten Rechtsprechung - eindeutig -  einen Nichtigkeitsgrund geltend gemacht. Die Frage, ob der behauptete Nichtigkeitsgrund tatsächlich verwirklicht wurde, die Nichtigkeitsberufung also berechtigt ist, ist für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht maßgeblich und auch in diesem Rekursverfahren nicht zu prüfen. Von der inhaltlichen Rüge eines Verfahrensmangels kann entgegen der nicht näher begründeten Auffassung des Berufungsgerichts jedenfalls keine Rede sein. Dieses ist daher auch zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Berufung keinen nach § 501 ZPO zulässigen Rechtsmittelgrund enthält.

Diese Fehlbeurteilung muss zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses führen. Das Berufungsgericht wird über die Berufung der Klägerin meritorisch zu entscheiden haben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

Schlagworte

Zivilverfahrensrecht

Textnummer

E96378

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0020OB00097.10V.0127.000

Im RIS seit

07.03.2011

Zuletzt aktualisiert am

07.06.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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