TE OGH 2011/2/22 8Ob14/11h

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Veröffentlicht am 22.02.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, durch den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** B*****, vertreten durch Dr. Franz Grauf, Dr. Bojan Vigele, Rechtsanwälte in Völkermarkt, gegen die beklagte Partei A***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Andreas Weiler, Rechtsanwalt in Wien, wegen 6.246,84 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Teil- und Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 8. Juli 2010, GZ 4 R 62/10g-59, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 2. Februar 2010, GZ 46 Cg 53/08a-55, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrt Schadenersatz für die Folgen einer schweren Verätzung, die sie durch Hautkontakt mit einem von der Beklagten in Österreich vertriebenen Backofenreinigungsmittel erlitten hat. Die Beklagte hafte sowohl nach § 1 Abs 1 Z 2 PHG als auch wegen Verletzung eines Schutzgesetzes, weil sie durch den Versandvertrieb des chemisch aggressiven Reinigungsmittels gegen § 5 SelbstbedienungsVO verstoßen habe.

Die Beklagte wandte ein, die Klägerin habe die auf der Verpackung des Backofenreinigers angebrachten, den gesetzlichen Vorschriften entsprechenden Warnhinweise und Notfallinstruktionen missachtet. Das grobe Eigenverschulden der Klägerin überwiege selbst dann, wenn auch der Beklagten ein geringfügiger Instruktionsfehler zuzurechnen sein sollte. Die Beklagte habe auch gegen kein Schutzgesetz verstoßen, weil der SelbstbedienungsVO durch das FernabsatzG 1998 derogiert worden sei. Selbst wenn von der Weitergeltung der SelbstbedienungsVO auszugehen wäre, sei die Vertriebsform der Beklagten zulässig gewesen. Die Klägerin habe das Reinigungsmittel nicht unmittelbar von der Beklagten bezogen, sondern im Wege einer Weitergabe im Familienkreis. Diese Erwerbsart werde vom Schutzzweck der SelbstbedienungsVO nicht erfasst.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ein gegen die eigene Fahrlässigkeit der Klägerin ins Gewicht fallender, für die Verletzungsfolgen kausaler Instruktionsfehler liege nicht vor. Die Beklagte könne sich hinsichtlich ihrer Vertriebsform auf die Ausnahmebestimmung in § 5 SelbstbedienungsVO (Lieferung durch ein befugtes Transportunternehmen) berufen und habe daher auch nicht gegen ein Schutzgesetz verstoßen.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Klägerin teilweise Folge. Es stellte mit Zwischenurteil fest, dass das Klagebegehren dem Grunde nach zu drei Vierteln zu Recht bestehe und bestätigte mit Teilurteil die Abweisung des Zahlungsbegehrens im Ausmaß von 1.561,71 EUR samt Zinsen. Im Übrigen hob es das angefochtene Urteil zur Verfahrensergänzung auf.

Rechtlich gelangte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, der Backofenreiniger sei mit einem Instruktionsfehler iSd § 5 PHG behaftet gewesen, weil auf die Wichtigkeit des besonders gründlichen Reinigens der mit dem Produkt in Berührung gekommenen Haut unter Fließwasser nicht ausreichend deutlich hingewiesen worden sei. Der Backofenreiniger falle wegen seiner ätzenden Eigenschaften zudem in den Anwendungsbereich der als Schutzgesetz anzusehenden SelbstbedienungsVO. Die vom Erstgericht herangezogene Ausnahmebestimmung beziehe sich nicht auf den vorliegenden Fall eines Versandhandels mit einer Person, die zu diesem Zeitpunkt keine gewerbliche Händlerin gewesen sei; die Beklagte habe aber auch damit rechnen müssen, dass die Käuferin das Produkt an Dritte weitergeben könnte. Unter Berücksichtigung des erheblichen Eigenverschuldens der Klägerin sei eine Verschuldensteilung von 3 : 1 zu Lasten der Beklagten angemessen.

Mit Beschluss vom 29. 11. 2010 erklärte das Berufungsgericht nachträglich über Antrag der Beklagten gemäß § 508 ZPO die ordentliche Revision für zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Geltung der SelbstbedienungsVO im Hinblick auf eine mögliche materielle Derogation durch die FernabsatzRL 1997/7/EG bislang fehle.

Die von der Klägerin beantwortete, erkennbar (nur) gegen das Zwischenurteil des Berufungsgerichts gerichtete Revision der Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508 Abs 1 ZPO) nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Das Berufungsgericht hat die erstgerichtlichen Feststellungen ausdrücklich übernommen; dieser Vorgang kann schon begrifflich keine Aktenwidrigkeit begründen (RIS-Justiz RS0043240). Die konkret von der Revisionswerberin beanstandete Passage findet in der Feststellung des Erstgerichts, dass die Klägerin „einige Minuten“ nach dem Vorfall ins Bad ging, um die betroffene Hautstelle zu reinigen und anschließend die Sicherheitshinweise las, Deckung.

2. Gemäß § 1 Abs 1 Z 2 PHG haftet auch der Importeur eines Produkts für den Schaden, der durch einen Fehler dieses Produkts verursacht worden ist. Fehlerhaft ist ein Produkt nach § 5 Abs 1 PHG, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist, wobei sowohl Konstruktionsfehler, als auch Produktionsfehler und Instruktionsfehler vorliegen können (RIS-Justiz RS0107606).

Bei einem Instruktionsfehler - nur ein solcher kommt hier in Betracht - macht die unzureichende Darbietung das Produkt fehlerhaft (4 Ob 87/97s = SZ 70/61 = ZVR 1998/19 = ecolex 1997, 749; Fitz/Purtscheller in Fitz/Grau/Reindl, PHG § 5 Rz 45 ff). Kann die Verwendung des Produkts mit erheblichen Gefahren für die Gesundheit verbunden sein, so müssen die Warnhinweise die Art der drohenden Gefahr deutlich herausstellen und Funktionszusammenhänge klar machen, sodass erkennbar wird, warum das Produkt gefährlich ist (1 Ob 53/98w).

Es entspricht durchaus der alltäglichen Erfahrung, dass es bei der Verwendung von aggressiven Putzmitteln zu einem unbeabsichtigten Hautkontakt kommen kann, weshalb der durchschnittliche Verbraucher auf der Verpackung nicht nur eine Warnung vor konkreten Gefahren eines solchen Kontakts erwarten darf, sondern auch klare, unmissverständliche Anweisungen zum richtigen Verhalten im Notfall.

Welche Informationen konkret erforderlich sind, um einen durchschnittlich informierten Verbraucher in die Lage zu versetzen, richtig zu reagieren, ist eine Frage des Einzelfalls. Die Revision stellt in ihren Rechtsausführungen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die auf der Backofenreinigerflasche enthaltenen knappen Anweisungen zur Behandlung kontaminierter Hautstellen nicht ausreichend deutlich waren und einen Instruktionsmangel begründeten, gar nicht mehr in Frage, sodass es genügt, auf die Richtigkeit dieser Beurteilung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

3. Der Klägerin oblagen sowohl der Beweis eines nach dem Produkthaftungsgesetz ersatzfähigen Schadens, als auch des Produktfehlers und des Kausalzusammenhangs zwischen Produktfehler und Schaden (vgl Fitz/Grau aaO § 1 Rz 107). Es genügt dafür die nach allgemeinen Grundsätzen zu beurteilende adäquate Verursachung des Schadens durch das fehlerhafte Produkt (RIS-Justiz RS0117103 [T3]; Fitz/Grau aaO § 1 Rz 32). Ist eine Verhaltensanweisung so unzureichend formuliert, dass der Adressat irrtümlich glaubt, alles Nötige vorgekehrt zu haben, ist ein aus der Unterlassung weiterer Maßnahmen resultierender Schaden kausal und adäquat verursacht. Darauf, dass die Klägerin eine präzisere Anweisung über das notwendige Vorgehen bei Hautkontakt mit dem Reinigungsmittel ohnehin nicht befolgt hätte, sodass die ungenügenden Instruktionen für den eingetretenen Schaden nicht kausal wären, hat sich die Beklagte in erster Instanz nicht berufen. Auf ein solches hypothetisches Verhalten der Klägerin nimmt sie erstmals in der Revision Bezug, sodass dem Obersten Gerichtshof eine Auseinandersetzung mit dieser Frage verwehrt ist.

4. Die vom Berufungsgericht für angemessen erachtete Verschuldensteilung wird in der Revision nicht bekämpft. Da die Haftung der Beklagten bereits nach § 1 Abs 1 Z 2 PHG zu bejahen ist und das Verfahren keine Sachschäden zum Gegenstand hat (§ 2 PHG), kommt den im Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts und in den Revisionsausführungen relevierten Fragen der Geltung und Reichweite der SelbstbedienungsVO keine entscheidungswesentliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO mehr zu.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 40, 50 ZPO. Da die Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung nicht auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen hat, ist ihr kein Kostenersatz zuzuerkennen (8 Ob 121/07p); ein Kostenvorbehalt kommt in diesem Fall nicht in Betracht (vgl auch RIS-Justiz RS0123222 [T10]; nur teilweise ggt RS0117737).

Textnummer

E96498

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0080OB00014.11H.0222.000

Im RIS seit

17.03.2011

Zuletzt aktualisiert am

19.12.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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