TE OGH 2011/5/30 2Ob31/11i

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Veröffentlicht am 30.05.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, die Hofrätin Dr. E. Solé und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei A*****, vertreten durch Dr. Johann Fontanesi, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte und widerklagende Partei Lars Göran P*****, vertreten durch DDr. Fürst, Rechtsanwalts-GmbH in Mödling, wegen Ehescheidung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 22. Dezember 2010, GZ 16 R 254/10g, 16 R 255/10d-91, womit das Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 25. März 2010, GZ 13 Cg 76/07g-78, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden in ihrem Verschuldensausspruch dahingehend abgeändert, dass das Verschulden beide Streitteile gleichteilig trifft.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Die beklagte und widerklagende Partei ist hinsichtlich des Rechtsmittelverfahrens zum Ersatz der in § 64 Abs 1 Z 1 ZPO genannten Beträge, von deren Entrichtung die Klägerin befreit ist, im Ausmaß von 50 % verpflichtet.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 3. 5. 1990 in Venedig die Ehe geschlossen, es war für beide die erste Ehe. Die Klägerin und Widerbeklagte (im Folgenden: Klägerin) ist Österreicherin, der Beklagte und Widerkläger (im Folgenden: Beklagte) Schwede. Der Ehe entstammen zwei Kinder, N*****, geboren am 1. 5. 1988 und P*****, geboren am 19. 3. 1992. Der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt war in M*****, die Anwendung österreichischen Rechts ist unstrittig.

Die Klägerin war ursprünglich bei IKEA als Projektarbeiterin tätig, beendete diese Tätigkeit allerdings aufgrund der ersten Schwangerschaft. Seit 2004 ist sie nicht mehr außerhäuslich berufstätig. Der Beklagte ist ebenfalls Projektleiter bei IKEA und als solcher in ganz Europa engagiert und praktisch nur an den Wochenenden zu Hause. Bis 2005 kam er jedes Wochenende nach Österreich, danach jedes zweite und im Jahr 2007 nur noch acht Mal für ein Wochenende. Die Klägerin hat dem Beklagten aber nicht vorgeworfen, sich allein gelassen oder vernachlässigt zu fühlen, und ihn auch nicht ersucht, seine Tätigkeitsschwerpunkte mehr nach Österreich zu verlagern.

Im Laufe der Ehe kam es immer wieder zu Streitigkeiten, die im Laufe der Zeit häufiger und heftiger wurden und Alltägliches wie die Schule oder die Kindererziehung betrafen. Von wem die Streitigkeiten überwiegend ausgingen, konnte nicht festgestellt werden. Beim letzten gemeinsamen Urlaub im Sommer 2003 kam es zu heftigen Streitigkeiten, wonach die Streitteile kaum noch ein Wort miteinander sprachen. Seit dieser Zeit lehnte die Klägerin auch sexuelle Kontakte ab. Ende 2004 Anfang 2005 zog sie aus dem gemeinsamen Schlafzimmer aus. Die Klägerin hatte sich bereits im Jahr 2003 einer Unterleibsoperation unterziehen müssen, auch im Jahr 2004 hatte sie gesundheitliche Probleme.

Im August 2004 fand der Beklagte auf dem Computer im ehelichen Haus den Lebenslauf eines Bekannten der Schwester der Klägerin und ein SMS von diesem auf dem Handy der Klägerin, worin er sie aufforderte, zu ihm zu kommen. Der Beklagte vermutete daraufhin ein Liebesverhältnis und war am Boden zerstört. Ab diesem Moment sah er die Ehe der Streitteile als gescheitert an. Tatsächlich konnte eine außereheliche Beziehung der Klägerin aber erst ab Sommer 2006 festgestellt werden.

Im Herbst des Jahres 2004 äußerte die Klägerin ihren Scheidungswunsch, wozu der Beklagte grundsätzlich bereit war. Spätestens zu diesem Zeitpunkt bestand keine einer Ehe entsprechende Lebensgemeinschaft mehr. Die Klägerin suchte in der Folge die Rechtsanwältin ihrer Familie auf, verfolgte die Scheidung aber infolge ihrer Krankheit danach nicht weiter. Anfang 2005 wurde bei der Klägerin nämlich Brustkrebs diagnostiziert und eine Brustamputation durchgeführt. Der Beklagte nahm sich damals eine Woche Urlaub, um die gemeinsamen Söhne zu betreuen, war ansonsten berufsbedingt ortsabwesend und verließ die Klägerin noch am Tag oder am Tag nach der Entlassung aus dem Spital. Er kümmerte sich nicht darum, ob jemand der Klägerin nach der Entlassung aus dem Spital Hilfe leistete. Die beiden Söhne waren in der Schule, auch danach hatte die Klägerin von ihnen nur wenig Hilfe. Sie stand unter starker Medikation und war stark belastet. Während des Spitalaufenthalts hat der Beklagte die Klägerin einmal besucht. Als die Klägerin nach ihrer Krebsoperation aus dem Spital entlassen wurde, verhielt sich der ältere Sohn ihr gegenüber wiederholt aggressiv, er beschimpfte und bedrohte sie und schlug „gelegentlich“ mit einem „Fetzen“ oder einem Tuch auf sie hin. Nachdem die Klägerin den Beklagten ersucht hatte, dagegen etwas zu unternehmen, führte der Beklagte ein Gespräch mit dem Sohn, dass dies „nicht ok“ sei.

Die Klägerin begehrt die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten. Er habe sowohl die Beistandspflicht als auch die Pflicht zur anständigen Begegnung verletzt, sei jahrelang aggressiv gewesen, habe Tobsuchtsanfälle bekommen und die Klägerin beschimpft. Auch während ihrer Krebserkrankung habe er auf sie keine Rücksicht genommen. Weiters habe er die Unterhaltspflicht ihr gegenüber verletzt.

Der Beklagte stützte sein Scheidungsbegehren auf das Alleinverschulden der Klägerin insbesondere wegen Ehebruchs, der sogar im ehelichen Haus in einer Art Lebensgemeinschaft stattgefunden habe. Auch habe die Klägerin Geld aus dem Familienbudget für diese Gemeinschaft entnommen, dem Lebensgefährten im ehelichen Haus die Rolle eines Hausherren zugewiesen und ihm Erziehungsaufgaben gegenüber den ehelichen Kindern übertragen.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem Alleinverschulden der Klägerin. Der Ehebruch der Klägerin sei zwar erst viel später als vom Beklagten angenommen feststellbar gewesen, aber dennoch geeignet, eine Vertiefung der Zerrüttung herbeizuführen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. In Bezug auf die Klägerin sei die unheilbare Zerrüttung im Jahr 2004 anzunehmen und daher die nachfolgende Vernachlässigung und mangelnde Unterstützung durch den Beklagten während ihrer Krebserkrankung im Jahr 2005 nicht mehr in Anschlag zu bringen.

Die ordentliche Revision sei im Hinblick auf die Einzelfallbezogenheit der Entscheidung nicht zuzulassen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag die Ehe aus dem Alleinverschulden, in eventu dem überwiegenden Verschulden des Beklagten zu scheiden, in eventu dessen überwiegendes Verschulden an der Ehezerrüttung gemäß § 61 Abs 3 EheG auszusprechen, in eventu die Ehe gemäß § 55 EheG ohne Verschuldensausspruch zu scheiden.

Der Beklagte beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Vorinstanzen von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Berücksichtigung von Eheverfehlungen nach eingetretener Zerrüttung abgewichen sind, und teilweise berechtigt.

Die Klägerin macht geltend, dass, wenn man schon ihre außereheliche Beziehung ab Sommer 2006 trotz angenommener vollständiger Ehezerrüttung ab Herbst 2004 als rechtserhebliche Eheverfehlung berücksichtige, dies auch für die im Zeitraum ab 2005 begangenen Eheverfehlungen des Beklagten im Zusammenhang mit der Krebserkrankung der Klägerin gelten müsse, die erst der Anlass dafür gewesen seien, dass sie sich dem Bekannten zugewandt habe.

Diesem Einwand kann Berechtigung nicht abgesprochen werden:

Das Erstgericht stützte sich bei seinem Verschuldensausspruch auf die Entscheidung 8 Ob 597/92 = EFSlg 69.223, wonach die Partner auch nach Erreichung eines gewissen Zerrüttungsgrads einander weiterhin anständig begegnen und die eheliche Treue einhalten müssen (vgl auch RIS-Justiz RS0056332). Bereits in 1 Ob 838/82 ua = EFSlg 43.688 sowie in 5 Ob 517/88 = EFSlg 57.221 wurde aber ausgesprochen, dass ein Ehebruch, der nach der Ehezerrüttung begangen wurde, keine entscheidende Rolle spielt (ebenso RIS-Justiz RS0056900).

Die vom Erstgericht zitierte Judikatur wäre nur dann heranzuziehen, wenn die davor gesetzten Eheverfehlungen zwar zu einer Zerrüttung, aber eben noch nicht zu einer unheilbaren Zerrüttung geführt haben (vgl 3 Ob 158/07t).

Dies muss umso mehr seit dem EheRÄG 1999, BGBl I 1999/125, gelten, mit dem der Ehebruch als absoluter Scheidungsgrund aufgegeben wurde.

Voraussetzung für die Scheidung einer Ehe ist deren unheilbare Zerrüttung. Dies ist dann der Fall, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft objektiv - zumindest bei einem der Ehepartner auch subjektiv - zu bestehen aufgehört hat. Dafür müssen die gesetzten Verfehlungen objektiv schwer sein und subjektiv als ehezerstörend empfunden werden (RIS-Justiz RS0056832; Aichhorn in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht § 49 EheG Rz 3 mwN).

War daher die Ehe, wie die Vorinstanzen angenommen haben, bereits 2004 objektiv unheilbar zerrüttet, was nach den Feststellungen auch von beiden Streitteilen so empfunden wurde, spielen nicht nur die nachfolgende Vernachlässigung der Klägerin während ihrer Krebserkrankung durch den Beklagten sondern auch der Ehebruch der Klägerin keine entscheidende Rolle mehr. Es bleiben dann die festgestellten häufigen Streitigkeiten, deren Ausgangspunkt nicht festgestellt werden konnte, die im Laufe der Zeit häufiger und heftiger wurden, und die Tatsache, dass Urlaube nicht mehr gemeinsam verbracht wurden bzw im letzten kaum ein Wort gewechselt wurden.

Bei der Ablehnung sexueller Kontakte seitens der Klägerin und der Aufgabe eines gemeinsamen Schlafzimmers 2004/2005 ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin sich bereits im Jahr 2003 einer Unterleibsoperation unterziehen musste und auch im Jahr 2004 gesundheitliche Probleme hatte.

Schon diese verbleibenden Eheverfehlungen haben nach den Feststellungen der Vorinstanzen zu einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe in subjektiver und objektiver Hinsicht geführt. Da der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens nur in Frage kommt, wenn das mindere Verschulden fast völlig in den Hintergrund tritt und der erhebliche graduelle Unterschied zwischen den beiderseitigen Eheverfehlungen augenscheinlich hervortritt (RIS-Justiz RS0057821, RS0057858), ein solcher erheblicher Unterschied nach den Feststellungen aber nicht ersichtlich ist, war der Verschuldensausspruch auf ein gleichteiliges Verschulden zu korrigieren.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 50, 43 Abs 1, ZPO. Da die klagende und widerbeklagte Partei Verfahrenshilfe genießt, sind ihr Pauschalgebühren des Rechtsmittelverfahrens nicht zu ersetzen. Der Ausspruch über die Ersatzpflicht hinsichtlich der zu § 64 Abs 1 Z 1 ZPO genannten Beträge erfolgt gemäß § 70 Satz 2 ZPO (2 Ob 230/10b mwN).

Textnummer

E97624

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0020OB00031.11I.0530.000

Im RIS seit

05.07.2011

Zuletzt aktualisiert am

18.03.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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