TE OGH 2011/6/16 6Ob100/11s

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Veröffentlicht am 16.06.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.- Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** M***** vertreten durch Mag. Gregor Kohlbacher, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Dr. G***** E*****, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen 117.890,82 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. März 2011, GZ 13 R 254/10h-17, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

Der beklagte Rechtsanwalt vertrat den Kläger anlässlich eines Verkehrsunfalls im Jahr 1985 und erwirkte für ihn eine Entschädigungszahlung von umgerechnet rund 180.000 EUR. Der Kläger veranlagte da von einen Betrag von rund 160.000 EUR in mehreren Teilbeträgen bei Rechtsanwalt Dr. A***** im Zeitraum März bis Mai 1995. Am 30. 5. 1995 wurde gegen Dr. A***** die Voruntersuchung wegen schweren gewerbsmäßigen Betrugs eingeleitet; er wurde im Jahr 1998 unter anderem wegen schweren gewerbsmäßigen Betrugs zum Nachteil des Klägers verurteilt. Das Urteil ist seit dem Jahr 2000 rechtskräftig.

Im Jahr 2005 brachte der Kläger beim Landesgericht Klagenfurt eine Klage gegen die Rechtsanwaltskammer für Kärnten über 123.752,25 EUR aus dem Titel der Amtshaftung ein, weil sie ihre Überwachungspflichten gegenüber Rechtsanwalt Dr. A***** als damaligem Mitglied verletzt habe. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren teilweise mit 77.589,70 EUR statt; das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht wies das Klagebegehren zur Gänze wegen Verjährung ab. Die dagegen erhobene Revision des Klägers blieb erfolglos (1 Ob 19/08p).

Nunmehr begehrt der Kläger vom Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes 77.589,70 EUR sA sowie 40.301,12 EUR an vorprozessualen Kosten aus dem Vorprozess gegen die Rechtsanwaltskammer für Kärnten. Er sei vom Beklagten im Jahr 2000 nicht über die Verjährungsfrist belehrt worden.

Der Beklagte wandte ein, der Kläger habe ihn im Jahr 2000 kontaktiert, um zu erfahren, wie er zu seinem Geld kommen könne. Er habe dem Kläger daraufhin mitgeteilt, dass die dreijährige Verjährungsfrist, die gegenüber allen außer Rechtsanwalt Dr. A***** gelten würde, wohl abgelaufen sein müsse. Er habe sodann nur das Mandat gehabt, Vermögen des Rechtsanwalts Dr. A***** zu ermitteln, was ihm aber nicht gelungen sei. Daraufhin habe er die Tätigkeit für den Kläger abgeschlossen und ein Honorar von 87,20 EUR erhalten. Das Klagebegehren gegen die Rechtsanwaltskammer für Kärnten wäre aber jedenfalls - unabhängig von der Verjährung - abgewiesen worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, dass eine Schadenersatzpflicht des Beklagten nur dann in Betracht komme, wenn man unterstelle, dass der Kläger bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die Verjährungsfrist und rechtzeitiger Klagseinbringung im Verfahren gegen die Rechtsanwaltskammer für Kärnten obsiegt hätte. § 23 RAO in der 1995 geltenden Fassung sei aber kein Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Weder § 23 RAO noch § 1 DSt seien als Schutzgesetze zu qualifizieren. Im Vorprozess habe sich das Oberlandesgericht Graz bei seiner Abweisung der Klage nicht nur auf Verjährung gestützt, sondern auch ausführlich begründet, dass auch unabhängig von einer Verjährung kein Anspruch in Betracht komme.

Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht gegeben seien.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Die außerordentliche Revision ist nicht zulässig.

1. Soweit der Kläger eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend macht, wendet er sich der Sache nach offenbar gegen die rechtliche Beurteilung des § 23 RAO durch das Berufungsgericht. Primäre Verfahrensmängel in erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt wurden, können im Revisionsverfahren nach § 503 Z 2 ZPO nicht geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0042963).

2. Zutreffend haben die Vorinstanzen erkannt, dass ein Schadenersatzanspruch des Klägers voraussetzt, dass er bei früherer Einleitung des Prozesses gegen die Rechtsanwaltskammer für Kärnten obsiegt hätte. Bei der Beurteilung des hypothetischen Verfahrensausgangs des Vorprozesses hat das Regressgericht, das mit dem gegen den Prozessbevollmächtigten wegen behaupteter Unterlassung erhobenen Schadenersatzanspruch befasst ist, nicht darauf abzustellen, wie das Gericht des Vorprozesses, wären die beanstandeten Unterlassungen unterblieben, seinerzeit entschieden hätte, sondern darauf, wie nach seiner Auffassung der Vorprozess - oder auch nur eine Teilfrage desselben - richtigerweise hätte entschieden werden müssen (RIS-Justiz RS0115755).

3.1. § 23 RAO lautete in der 1995 anzuwendenden Fassung wie folgt: „Die Rechtsanwaltskammer besorgt ihre Geschäfte teils unmittelbar in Plenarversammlungen, teils mittelbar durch ihren Ausschuss. Sowohl der Kammer als auch dem Ausschuss obliegt die Wahrung der Ehre, des Ansehens und der Rechte wie auch die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltsstands.“

3.2. Nach ständiger Rechtsprechung handelt der Ausschuss im Rahmen des § 23 Satz 2 RAO nicht als Disziplinarinstanz, sondern als Aufsichtsbehörde (RIS-Justiz RS0072123). Diese außerhalb eines Disziplinarverfahrens auszuübende Standesaufsicht stellt nur einen programmatischen, die Aufsichtsziele umschreibenden Auftrag an die jeweils zuständigen Organe der Rechtsanwaltskammer dar, auf dessen Durchführung niemandem ein Rechtsanspruch zusteht (ZfVB 1985/1342).

3.3. Nach § 1 Abs 2 DSt in der 1995 anzuwendenden Fassung waren Disziplinarvergehen vom Disziplinarrat zu behandeln. Im Übrigen oblag nach § 1 Abs 3 DSt die standesrechtliche Aufsicht dem Ausschuss der Rechtsanwaltskammer. Diese Bestimmung verwies auf § 23 RAO.

4.1. Zwar stellen die Verletzung von Treuhandverpflichtungen (RIS-Justiz RS0054896), die Mitwirkung an „bedenklichen Finanztransaktionen“ (RIS-Justiz RS0056472) und die Unzuverlässlichkeit in Bankgeschäften (RIS-Justiz RS0106282) Disziplinarvergehen dar. Allerdings bieten die Verfahrensergebnisse nicht den geringsten Hinweis darauf, dass die Rechtsanwaltskammer für Kärnten im Zeitpunkt der Überweisungen durch den Kläger an Rechtsanwalt Dr. A***** bereits entsprechende Anhaltspunkte für die Erteilung von Aufträgen oder die Einleitung eines Diszplinarverfahrens gehabt hätte. Umso weniger kann davon ausgegangen werden, dass die Rechtsanwaltskammer für Kärnten eine Schädigung des Klägers rechtzeitig hätte verhindern können. In diesem Zusammenhang ist nochmals darauf zu verweisen, dass der Kläger nach den Feststellungen der Vorinstanzen die Zahlungen an Rechtsanwalt Dr. A***** zwischen März und Mai 1995 leistete und erst am 30. 5. 1995 die Voruntersuchung gegen Rechtsanwalt Dr. A***** eingeleitet wurde.

4.2. Nach den Ergebnissen des Vorprozesses wurde die Rechtsanwaltskammer für Kärnten Ende Oktober 1994 durch Übermittlung einer Mustertreuhandvereinbarung davon in Kenntnis gesetzt, dass Rechtsanwalt Dr. A***** möglicherweise Treuhandvereinbarungen mit ungewöhnlichem Inhalt abschloss. Welche weiteren Maßnahmen die Rechtsanwaltskammer für Kärnten zum damaligen Zeitpunkt gegebenenfalls hätte setzen müssen, ist auf Basis des damals vorhandenen Kenntnisstandes zu beurteilen. Hinweise für ein betrügerisches Vorgehen von Dr. A***** lagen damals jedoch nicht vor. Die Anordnung einstweiliger Maßnahmen nach § 19 Abs 3 DSt 1990 wäre erst ab der Einleitung der Voruntersuchung gegen Dr. A***** möglich gewesen, sohin zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger das Geld Dr. A***** bereits übergeben hatte.

4.3. Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer kann Standesangehörige nicht bestrafen, sondern nur ermahnen, auf Missstände aufmerksam machen und Ratschläge oder Weisungen erteilen. Abgesehen davon, dass für die Annahme, Dr. A*****, der in der Folge wegen schweren gewerbsmäßigen Betrugs rechtskräftig zu einer 8-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, hätte eine - nicht durch entsprechende Sanktionen bewährte - Weisung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer befolgt, keinerlei Grundlage besteht, bot der bei der Rechtsanwaltskammer für Kärnten vorhandene Kenntnisstand vor Einleitung des Strafverfahrens gegen Dr. A***** keine Grundlage für die Erteilung entsprechender Aufträge, bei denen davon ausgegangen werden könnte, dass sie eine Schädigung des Klägers verhindert hätten. Damit war aber eine allfällige Unterlassung weiterer Maßnahmen seitens der Rechtsanwaltskammer für Kärnten für die Schädigung des Klägers nicht kausal, sodass ein Anspruch des Klägers schon aus dieser Überlegung scheitert, ohne dass es eines Eingehens auf den vom Berufungsgericht verneinten Schutzgesetzcharakter des § 23 RAO bedurfte.

4.4. Daher hätte der Kläger im Vorprozess gegen die Rechtsanwaltskammer für Kärnten unabhängig von der Frage der Verjährung nicht obsiegt, sodass den Beklagten auch dann keine Haftung träfe, wenn er es im Sinne des diesbezüglichen Vorbringens des Klägers unterlassen hätte, ihn auf das Verjährungsrisiko gegenüber der Rechtsanwaltskammer für Kärnten hinzuweisen.

5.1. Für eine Haftung des Beklagten besteht aber auch aus einer weiteren Erwägung keine Grundlage: Nach ständiger Rechtsprechung darf sich der Geschädigte nicht einfach passiv verhalten und es darauf ankommen lassen, von den Klagsvoraussetzungen eines Tages zufällig Kenntnis zu erlangen (RIS-Justiz RS0065360). Kann er die für die entsprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe und in zumutbarer Weise in Erfahrung bringen, so gilt die Kenntnis schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in dem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre (RIS-Justiz RS0034327). Gerade in Amtshaftungssachen ist der Geschädigte, sobald ihm klar ist, dass er, ohne selbst tätig zu werden, seinen Wissensstand über ein allfälliges Organverschulden nicht mehr erhöhen kann, nach ständiger Rechtsprechung gegebenenfalls zur Einholung sachverständigen Rats verpflichtet (RIS-Justiz RS0050360).

5.2. Der Kläger wusste bereits seit 1995, dass gegen Dr. A***** ein Strafverfahren geführt wurde. Ihm war auch bekannt, dass dieser Rechtsanwalt war. Um weitere Informationen über allfällige Versuche seitens der Rechtsanwaltskammer für Kärnten, eine Fortsetzung der betrügerischen Malversationen des Dr. A***** zu verhindern, hat sich der Kläger zwischen 1995 und 2000 nicht bemüht. Eine Anfrage nach Art der sodann im Jahr 2000 gestellten hätte der Kläger aber auch schon wesentlich früher stellen können. Dass der Kläger fünf Jahre lang mit einer derartigen Anfrage zuwartete, vermag den Beginn der Verjährungsfrist nicht hinauszuschieben. Aus diesem Grund war ein allfälliger Schadenersatzanspruch gegen die Rechtsanwaltskammer für Kärnten bereits im Jahr 1998, sohin bereits lange vor der neuerlichen Befassung des Beklagten durch den Kläger, verjährt.

6. Damit hängt die Entscheidung des vorliegenden Falls aber nicht von der Lösung von Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung ab, sodass die Revision spruchgemäß zurückzuweisen war.

Textnummer

E97671

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0060OB00100.11S.0616.000

Im RIS seit

12.07.2011

Zuletzt aktualisiert am

12.07.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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