TE OGH 2011/6/28 14Os52/11w

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Veröffentlicht am 28.06.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juni 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Böhm als Schriftführer in der Strafsache gegen Helga M***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Helga M***** und Werner B***** gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 15. April 2010, GZ 38 Hv 60/09a-30, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Seidl, der Angeklagten und ihrer Verteidiger Mag. Abmayer sowie Mag. Schriefl zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Helga M***** und Werner B***** werden vom Vorwurf, es haben am 27. Februar 2009 in B*****

(A) Helga M***** als Bürgermeisterin der Marktgemeinde B***** und Baubehörde erster Instanz, sohin als Beamtin, mit dem Vorsatz, dadurch die Marktgemeinde B***** an ihren Rechten auf Ausnahme der vom Gemeinderat als Freiflächen beschlossenen Grundflächen von einer Bebauung und auf Abweisung von Ansuchen um Bewilligung von baulichen Anlagen auf solchen Freiflächen sowie auf Einhaltung der Vorschrift des § 68 Abs 1 AVG zu schädigen, ihre Befugnis, im Namen der genannten Gemeinde als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem sie Helmut L***** aufgrund seines Ansuchens vom 12. Februar 2009 mit Bescheid Zl. BAU-5867-3/09 die Baubewilligung zur Errichtung eines Carports auf einem gemäß § 70 Abs 9 der Niederösterreichischen Bauordnung (NÖ BO) zur Freifläche erklärten Teil des Grundstücks Parzelle Nr. 1593/75, EZ 4206 der KG B*****, erteilte;

(B) Werner B***** zur Ausführung der beschriebenen strafbaren Handlung beigetragen, indem er als Leiter des Bauamtes der Marktgemeinde B***** und Bausachverständiger im Wissen um die Unzulässigkeit der von Helmut L***** beantragten Baubewilligung der Bürgermeisterin Helga M***** im Zuge des Vorprüfungsverfahrens die Erlassung eines Bewilligungsbescheides vorschlug,

gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Mit ihren Rechtsmitteln werden die Angeklagten auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Helga M***** (A) und Werner B***** (B) jeweils des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ „15 Abs 1“, 302 Abs 1 StGB (Werner B***** auch nach § 12 zweiter Fall StGB) schuldig erkannt.

Danach haben am 27. Februar 2009 in B*****

(A) Helga M***** als Bürgermeisterin der Marktgemeinde B***** und Baubehörde erster Instanz, sohin als Beamtin, mit dem Vorsatz, dadurch die Marktgemeinde B***** an ihren Rechten auf Ausnahme der vom Gemeinderat als Freiflächen beschlossenen Grundflächen von einer Bebauung und auf Abweisung von Ansuchen um Bewilligung von baulichen Anlagen auf solchen Freiflächen sowie auf Einhaltung der Vorschrift des § 68 Abs 1 AVG zu schädigen, ihre Befugnis, im Namen der genannten Gemeinde als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich „zu missbrauchen versucht“ (richtig: missbraucht), indem sie Helmut L***** aufgrund seines Ansuchens vom 12. Februar 2009 mit Bescheid Zl. BAU-5867-3/09 die Baubewilligung zur Errichtung eines Carports auf einem gemäß § 70 Abs 9 der Niederösterreichischen Bauordnung (NÖ BO) zur Freifläche erklärten Teil des Grundstücks Parzelle Nr. 1593/75, EZ 4206 der KG B*****, erteilte;

(B) Werner B***** zur Ausführung der beschriebenen strafbaren Handlung beigetragen, indem er als Leiter des Bauamtes der Marktgemeinde B***** und Bausachverständiger im Wissen um die Unzulässigkeit der von Helmut L***** beantragten Baubewilligung der Bürgermeisterin Helga M***** im Zuge des Vorprüfungsverfahrens die Erlassung eines Bewilligungsbescheids vorschlug.

Dagegen richten sich die auf Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten. Über die an sich zutreffende Argumentation der Rechtsrügen hinaus war aus Anlass der Beschwerden ein weiterer, von den Rechtsmittelwerbern nicht geltend gemachter, sich jedoch zu ihrem Nachteil auswirkender Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO von Amts wegen wahrzunehmen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO), sodass sich ein Eingehen auf die Mängelrügen (Z 5) erübrigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen (US 4 - 7) ersuchte Helmut L***** am 26. Mai 2008 um die Erteilung einer Baubewilligung für einen Carport auf seinem Grundstück. Mit Bescheid vom 20. Oktober 2008 wies die Angeklagte Helga M***** in ihrer Eigenschaft als Bürgermeisterin und Baubehörde erster Instanz diesen Antrag im Rahmen des Vorprüfungsverfahrens (§ 20 Abs 1 Z 2 iVm Abs 3 NÖ BO 1996) mit rechtskräftigem Bescheid ab, weil im Bebauungsplan an der in Aussicht genommenen Errichtungsstelle eine Freifläche gemäß § 70 Abs 9 NÖ BO 1996 verordnet worden war. Nach Interventionen durch den Bauwerber und einer neuen - unveränderten (US 9) - Antragstellung vom 12. Februar 2009 empfahl der Angeklagte Werner B***** der Bürgermeisterin am 27. Februar 2009, trotz der rechtskräftigen Ablehnung des Bauansuchens nunmehr die Baubewilligung bescheidmäßig zu erteilen, was sie am selben Tag auch tat.

Beide Angeklagten wussten dabei, dass Helga M***** bei der von Werner B***** vorgeschlagenen Erteilung der Baubewilligung ihre Befugnis, im Namen der Marktgemeinde B***** als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, missbrauchte. Sie hielten es auch ernstlich für möglich, dadurch die Gemeinde an ihrem Recht auf Ausnahme der vom Gemeinderat als Freifläche beschlossenen Grundflächen von einer Bebauung und auf Einhaltung der Vorschrift des § 68 Abs 1 AVG zu schädigen, und fanden sich damit ab.

Bei rechtlicher Prüfung der für eine Tatbeurteilung nach § 302 Abs 1 StGB aktuell maßgeblichen verwaltungsrechtlichen Vorfragen kam das Schöffengericht - ausgehend von der Vorschrift des § 70 Abs 9 NÖ BO 1996, wonach Freiflächen von einer Bebauung ausgenommen sind - zum Ergebnis, dass auf einer Freifläche keine Bauwerke, somit auch keine baulichen Anlagen, wie der von der inkriminierten Baubewilligung betroffene Carport, errichtet werden dürfen. Die Baubewilligung wäre daher schon aus diesem Grund nicht zu erteilen gewesen (US 10 f). Darüber hinaus hätte das neuerliche Baubewilligungsansuchen des Helmut L***** gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden müssen (US 11).

Diese Ansicht ist - worauf die Beschwerdeführer zutreffend hinweisen - rechtlich verfehlt.

Die NÖ BO 1996 erfasst unter dem Oberbegriff Bauwerke (§ 4 Z 3 NÖ BO 1996) Gebäude und bauliche Anlagen. Während als Gebäude ein oberirdisches Bauwerk mit einem Dach und wenigstens zwei Wänden, welches von Menschen betreten werden kann und dazu bestimmt ist, Menschen, Tiere oder Sachen zu schützen, beschrieben ist (§ 4 Z 7 NÖ BO 1996 idgF), ist unter einer baulichen Anlage jedes Bauwerk zu verstehen, das kein Gebäude ist (§ 4 Z 4 NÖ BO 1996). Ein Carport ohne die entsprechende Anzahl an Wänden stellt daher eine bauliche Anlage nach § 4 Z 4 NÖ BO 1996 dar (vgl nunmehr auch § 15 Z 19 NÖ BO 1996 idgF: „überdachte und höchstens an einer Seite abgeschlossene Abstellanlagen für Kraftfahrzeuge [Carports]“; idS wohl schon Hauer/Zaussinger, Niederösterreichisches Baurecht7 § 14 BO Anm 5). § 70 NÖ BO 1996 regelt die Art und Weise, wie Gebäude auf Grundstücken oder Bauplätzen zu errichten sind. Bauliche Anlagen werden in der zitierten Bestimmung hingegen nicht erwähnt, sodass auf solche Bauwerke schon bei bloßer Wortinterpretation die Vorschrift des § 70 Abs 9 NÖ BO 1996, wonach zur Ortsbildgestaltung oder um unzumutbare Belästigungen zu vermeiden, bestimmte Teile oder ein bestimmtes Ausmaß von Grundflächen von einer Bebauung ausgenommen und zu Freiflächen erklärt werden, nicht anzuwenden ist. Mit Blick darauf, dass die Regelung der Bebauung in § 70 NÖ BO 1996 nach Absicht des (Landes-)Gesetzgebers zur NÖ BO 1996 im Wesentlichen unverändert aus der vorher geltenden NÖ BO 1976 übernommen werden sollte (siehe Motivenbericht des Amtes der NÖ LReg zur NÖ BO 1996, R/1-A-200/192, S 50; Liehr/Riegler, NÖ BauO2 MB zu § 70, S 246), führt aber auch die historische Interpretation des § 70 Abs 9 NÖ BO 1996 zum selben Ergebnis: Während der Begriff „Freifläche“ in der NÖ BO 1996 nicht definiert ist, war gemäß § 2 Z 15 NÖ BO 1976 als Freifläche eine Grundfläche im Bauland zu verstehen, auf der Gebäude (iS der - inhaltlich § 4 Z 7 NÖ BO 1996 entsprechenden - Vorgängervorschrift des § 2 Z 5 zweiter Halbsatz NÖ BO 1976) nicht errichtet werden durften und deren Abgrenzung und Gestaltung im Bebauungsplan festgelegt ist.

Somit ist festzuhalten, dass die Errichtung von baulichen Anlagen (auch) auf Freiflächen (§ 70 Abs 9 NÖ BO 1996) zulässig ist. Konstatierungen, ob der gegenständliche Carport als Gebäude oder bauliche Anlage gemäß den eingangs erwähnten Begriffsbestimmungen zur Bauausführung gelangen sollte, sind zwar dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Die für einen allfälligen Schuldspruch erforderlichen Feststellungen, dass ein der Gebäudedefinition des § 4 Z 7 NÖ BO 1996 unterliegender Carport errichtet werden sollte, sind jedoch mit Blick auf die dem Akt angeschlossenen Baupläne (Säulenkonstruktion mit einem auf Pfetten aufgesetzten Sparrendach - ON 4) in einem zweiten Rechtsgang nicht zu erwarten (RIS-Justiz RS0100239, RS0118545; Ratz, WK-StPO § 288 Rz 24). Eine Verletzung der Freiflächenerklärung im gegenständlichen Bebauungsplan (§ 70 Abs 9 NÖ BO 1996) durch die am 27. Februar 2009 erteilte Baubewilligung ist daher nicht auszumachen.

Bei amtswegiger Überprüfung aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden (§ 290 Abs 1 StPO) überzeugte sich der Oberste Gerichtshof weiters davon, dass - von den Angeklagten unbekämpft - auch der Verstoß gegen § 68 Abs 1 AVG nicht angelastet werden kann.

Gemäß § 68 Abs 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 (Wiederaufnahme des Verfahrens) und 71 AVG (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheids begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs 2 bis 4 AVG findet. Gemäß § 68 Abs 2 AVG können Bescheide, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist, ua von der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, aufgehoben oder abgeändert werden. Darunter fällt auch ein Bescheid, mit dem in einem Einparteienverfahren das Begehren des Antragstellers abgewiesen wird (Hengstschläger/Leeb, AVG § 68 Rz 85; Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren17 § 68 AVG Anm 6). Da die Ablehnung des (ersten) Baubewilligungsansuchens des Helmut L***** zunächst im Vorprüfungsverfahren nach § 20 NÖ BO 1996 erfolgte, in welchem die Nachbarn (noch) nicht beizuziehen sind (VwGH 16. 9. 1997, 96/05/0083; Liehr/Riegler, NÖ BauO2 MB zu § 20, S 104), lagen sowohl in materieller als auch formeller Hinsicht die Voraussetzungen für die Beseitigung des abweisenden Bescheids vom 20. Oktober 2008 durch die Erlassung des bewilligenden Bescheids vom 27. Februar 2009 vor, sodass die Angeklagten das Tatbild des § 302 Abs 1 StGB bereits objektiv nicht erfüllt haben.

In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war daher schon aus diesem Grund das angefochtene Urteil aufzuheben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst dahin zu erkennen, dass die Angeklagten gemäß § 259 Z 3 StPO freizusprechen sind.

Mit ihren Rechtsmitteln waren die Beschwerdeführer auf diese Entscheidung zu verweisen.

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E97958

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0140OS00052.11W.0628.000

Im RIS seit

19.08.2011

Zuletzt aktualisiert am

19.08.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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