TE OGH 2011/7/14 2Ob43/11d

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Veröffentlicht am 14.07.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Heinz Peter W*****, vertreten durch Mag. Gerald David, Rechtsanwalt in Mödling, und des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei Dr. Heinz-Peter W*****, vertreten durch Dr. Thomas Lederer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Dr. Josef O*****, und 2. Mag. Martin K*****, wegen Feststellung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien in Ablehnungssachen vom 19. Jänner 2011, GZ 16 Nc 34/10m-3, womit der Ablehnungsantrag der klagenden Partei zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten und der zweitbeklagten Partei deren jeweils mit 620,98 EUR (darin 103,50 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die beklagten Rechtsanwälte vertraten den Kläger zwischen 3. 4. 2002 und 19. 8. 2003 in mehreren gerichtlichen Verfahren gegen einen (mittlerweile verstorbenen) Architekten. Im Verfahren 20 Cg 299/05w des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien begehrte der Kläger zuletzt die Feststellung der Haftung der Beklagten für die ihm aus der Erteilung unrichtigen Rats und aufgrund diverser Versäumnisse (künftig) entstehenden Schäden.

Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien gab dem Klagebegehren teilweise statt. Es stellte fest, dass die Beklagten zur ungeteilten Hand für alle Schäden hafteten, die 1. durch die unterlassene Anfechtung eines Übergabsvertrags hinsichtlich näher bezeichneter Liegenschaftsanteile und 2. durch den unterlassenen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zur Erwirkung eines Veräußerungs- und Belastungsverbots ob näher genannter Liegenschaftsanteile entstanden seien, und zwar jeweils bis zu 75 % des Werts der Liegenschaft abzüglich der bereits bestehenden Belastungen. Das weitere Feststellungsbegehren wies das Erstgericht (rechtskräftig) ab.

Das Oberlandesgericht Wien gab den dagegen erhobenen Berufungen der Beklagten Folge,  änderte das angefochtene Urteil im Sinne einer gänzlichen Klagsabweisung ab, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig.

Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger außerordentliche Revision, die er mit einem Ablehnungsantrag gegen die an der Berufungsentscheidung mitwirkende Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Wien Dr. A***** B***** und den ebenfalls mitwirkenden Richter Mag. H***** H***** verband. Dazu führte er zusammengefasst aus, dass ihm der Ablehnungsgrund erst jetzt bekannt geworden sei; die Vorsitzende des Rechtsmittelsenats und der ebenfalls befasste Richter seien Vorsitzende bzw stellvertretender Vorsitzender im Disziplinarausschuss der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und Burgenland (in der Folge: Architektenkammer). Durch diese aufgezeigte Doppelfunktion sei die Unabhängigkeit der abgelehnten Richter in einem Verfahren, bei dem es mittelbar oder unmittelbar um die Haftung eines Architekten gegenüber einem Konsumenten gehe, wegen ihrer immanenten Nahebeziehung zu Mitgliedern der Architektenkammer nicht gewährleistet. Diese Befürchtung habe sich auch in der Berufungsentscheidung manifestiert.

Der Oberste Gerichtshof unterbrach mit Beschluss vom 11. 11. 2010 das Revisionsverfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens über den Ablehnungsantrag und stellte die Akten dem Oberlandesgericht Wien mit dem Auftrag zur Entscheidung über diesen Antrag zurück (3 Ob 199/10a).

Die abgelehnten Richter erklärten, sich nicht befangen zu fühlen. Es treffe zu, dass Dr. A***** B***** seit vielen Jahren als Vorsitzende des Disziplinarausschusses und Mag. H***** H***** seit rund zwei Jahren als stellvertretender Vorsitzender für die Architektenkammer tätig seien. Sie seien in Ausübung dieser Funktionen weisungsfrei. Im vorliegenden Rechtsstreit sei aber die allfällige Haftung von Rechtsanwälten zu beurteilen, der besagte Architekt sei ihnen persönlich nicht bekannt.

Der zur Entscheidung über den Ablehnungsantrag berufene Senat des Oberlandesgerichts Wien wies den Ablehnungsantrag zurück. Im vorliegenden Rechtsstreit sei nicht die Haftung des Architekten, sondern jene der früheren Rechtsvertreter des Klägers zu beurteilen. Ein Zusammenhang mit der Tätigkeit der abgelehnten Richter im Disziplinarausschuss der Architektenkammer sei nicht erkennbar.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Stattgebung des Ablehnungsantrags abzuändern.

Die beklagten Parteien beantragen in ihren Rekursbeantwortungen, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig (§ 24 Abs 2 JN), aber nicht berechtigt.

Der Kläger macht geltend, nach der Entscheidung EvBl 1992/117 (= 6 Ob 616/91) und laut Fasching (in Lehrbuch² Rz 164) dürfe ein Richter an einer im Gerichtsverfahren einschreitenden Kapitalgesellschaft oder einem Verein nicht beteiligt sein, wenn er daraus einen wirtschaftlichen Vorteil ziehe. Im vorliegenden Fall würden die abgelehnten Richter finanzielle Vorteile aus ihrer Tätigkeit bei der Architektenkammer ziehen. Selbst wenn ein Richter eine Funktion im Gemeinderat einer Streitpartei ausübe, liege Befangenheit vor.

Hiezu ist auszuführen:

1. Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung 4 Ob 143/10y mit eingehender Begründung jüngst dargelegt, dass das Verfahren über die Ablehnung eines Richters sowohl in erster als auch in zweiter Instanz grundsätzlich zweiseitig ist. Die in der gegenständlichen Ablehnungssache erstatteten Rekursbeantwortungen der Beklagten sind demnach zulässig.

2. Ein Richter ist nach § 19 Z 2 JN befangen, wenn Umstände vorliegen, die es nach objektiver Prüfung und Beurteilung rechtfertigen, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Befangen ist ein Richter, der nicht unparteiisch entscheidet, sondern sich von unsachlichen psychologischen Motiven leiten lässt (2 Ob 96/10x; RIS-Justiz RS0046024 [T2 und T3]). Im Interesse des Ansehens der Justiz ist bei der Beurteilung, ob Befangenheit vorliegt, grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen, soll doch schon der Anschein, ein Richter lasse sich bei der Entscheidung von anderen als rein sachlichen Gesichtspunkten leiten, jedenfalls vermieden werden (RIS-Justiz RS0045949, RS0046052). Es genügt, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss - auch wenn der Richter tatsächlich unbefangen sein sollte - oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte (4 Ob 193/03s mwN; 17 Ob 30/08y; 4 Ob 143/10y). Andererseits soll es durch die Regelungen über das Ablehnungsrecht nicht ermöglicht werden, sich nicht genehmer Richter entledigen zu können (4 Ob 217/07a; 17 Ob 30/08y; 8 Ob 121/09s; RIS-Justiz RS0109379, RS0046087).

3. Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage hat der Oberste Gerichtshof auch schon die Befangenheit von Richtern bejaht, die in einer Streitschlichtungseinrichtung bzw einer Personengesellschaft tätig waren:

3.1 In 4 Ob 193/03s handelte es sich um einen an einer Rechtsmittelentscheidung mitwirkenden Richter, der auch Vorsitzender der bei einer am Verfahren beteiligten Partei eingerichteten Schlichtungsstelle für ärztliche Behandlungsfehler sowie stellvertretender Vorsitzender der bei derselben Partei eingerichteten gemeinsamen Schlichtungsstelle für Krankenanstalten war. Der 4. Senat führte aus, es komme nicht darauf an, welche Berufspflichten der abgelehnte Richter zu erfüllen habe, ob er als Mitglied der Schlichtungsstelle weisungsfrei handeln könne oder wie hoch die ihm für diese Tätigkeit zufließenden finanziellen Zuwendungen seien. Entscheidend sei allein, dass die zwischen dem abgelehnten Richter und der Verfahrenspartei bestehenden besonderen außerdienstlichen Beziehungen objektiv geeignet seien, den Eindruck zu erwecken, seine Erwägungen in diesem Verfahren könnten durch Rücksichtnahme auf die Partei beeinflusst werden.

3.2 In 17 Ob 30/08y ging es um einen fachkundigen Laienrichter (Patentanwalt), der Gesellschafter einer in der Rechtsform einer OEG betriebenen Patentanwaltskanzlei mit sieben Gesellschaftern war, von denen ein Mitgesellschafter in einem Parallelverfahren mit vergleichbarer Problemstellung die dort beklagte Partei gegen die (mit den im Anlassverfahren identen) klagenden Parteien vertrat. Die darauf gestützte Vermutung der klagenden Parteien als Verfahrensbeteiligte, der abgelehnte Richter könnte in seiner Willensbildung durch seinen am Verfahrensausgang interessierten Kanzleipartner beeinflusst werden, sei durch objektiv fassbare Umstände nicht widerlegbar.

4. Mit den diesen Entscheidungen zu Grunde gelegenen tatsächlichen Umständen ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Zu Recht betonte das Oberlandesgericht Wien, dass sich der Rechtsstreit auf die Prüfung der vom Kläger behaupteten schadensstiftenden Verletzung anwaltlicher Pflichten durch die Beklagten beschränkt. Die Architektenkammer, in deren Disziplinarausschuss die abgelehnten Richter tätig sind, ist in diesem Verfahren weder Partei, noch ist ersichtlich, welches sonstige Interesse Mitglieder dieses Gremiums am Ausgang des Rechtsstreits zwischen dem Kläger und seinen früheren Rechtsanwälten haben könnten. Ein solches vermag auch der Kläger in seinem Rechtsmittel nicht schlüssig darzutun:

4.1 Die Erwägungen der Entscheidung 6 Ob 616/91 bezogen sich auf die Mitgliedschaft abgelehnter Richter bei einem Verein, der als Prozessgegner des Ablehnungswerbers fungierte. Das vom Kläger gebrachte Beispiel einer Funktionsausübung betrifft den Gemeinderat einer Streitpartei. Schließlich nennt auch Fasching in der im Rekurs zitierten Belegstelle (aaO Rz 164) die Beteiligung des Richters an einer im Prozess einschreitenden Kapitalgesellschaft, Genossenschaft oder einem Verein als möglichen Befangenheitsgrund. Ein vergleichbarer Fall liegt hier aber, wie erörtert, nicht vor.

4.2 Auf die erstmals im Rekurs erstatteten Ausführungen zu Vorgängen in einem Verfahren vor dem Landesgericht Wiener Neustadt ist schon wegen des auch im Rechtsmittelverfahren über Ablehnungsanträge in einem Zivilprozess - wie in diesem selbst - geltenden Neuerungsverbots nicht weiter einzugehen (10 Ob 30/09y mwN; RIS-Justiz RS0006000 [T13]). Auch der pauschale Hinweis des Klägers auf seine Argumentation im Ablehnungsantrag ist unbeachtlich (vgl RIS-Justiz RS0007029, RS0043616, RS0043579).

5. Umstände, die objektiv geeignet sein könnten, den Anschein einer Voreingenommenheit der abgelehnten Mitglieder des Berufungssenats zu begründen, liegen nicht vor. Dem Rekurs muss daher ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Das Ablehnungsverfahren bildet einen Zwischenstreit, über dessen Kosten nach den Regeln des Ausgangsverfahrens unabhängig von dessen Ausgang zu entscheiden ist (4 Ob 143/10y in Abkehr von der einen Kostenersatz ablehnenden früheren Judikatur). Dem Erstbeklagten ist allerdings der verzeichnete Streitgenossenzuschlag nicht zuzuerkennen, weil ihm der Zweitbeklagte nicht „gegenübersteht“ (§ 15 RATG) und sich der auf Seiten des Klägers beigetretene Nebenintervenient am Rekursverfahren nicht beteiligt hat (vgl RIS-Justiz RS0036223).

Schlagworte

Zivilverfahrensrecht

Textnummer

E97955

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0020OB00043.11D.0714.000

Im RIS seit

18.08.2011

Zuletzt aktualisiert am

18.03.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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