TE OGH 2011/7/21 10ObS172/10g

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Veröffentlicht am 21.07.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Andrea Eisler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. Y*****, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Ausgleichszulage, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. September 2010, GZ 8 Rs 85/10v-9, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 22. März 2010, GZ 17 Cgs 12/10v-6 teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird mit der Maßgabe bestätigt, dass es zu lauten hat:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei eine Ausgleichszulage für die Zeit vom 25. 8. 2009 bis 31. 8. 2009 in der Höhe von 93,88 EUR, vom 1. 9. 2009 bis 30. 9. 2009 in der Höhe von 646,11 EUR und ab 1. 10. 2009 einen Vorschuss auf die Ausgleichszulage in der Höhe von 640 EUR monatlich, und zwar die bereits fällig gewordenen Beträge innerhalb von 14 Tagen und die in Zukunft fällig werdenden Beträge am Ersten eines jeden Monats im Nachhinein zu bezahlen.“

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 25. 8. 1950 geborene Klägerin ist bulgarische Staatsbürgerin und bezieht von einem bulgarischen Pensionsversicherungsträger eine monatliche Rente in Höhe von umgerechnet 93,55 EUR (im ersten Quartal 2009), von 100,77 EUR (im zweiten Quartal 2009) und von 109,84 EUR (im dritten Quartal 2009). Außer Streit steht, dass sie sich regelmäßig in Österreich aufhielt und aufhält. Die Tochter der Klägerin ist in Österreich berufstätig und bezieht ein Bruttoeinkommen von derzeit 2.650,02 EUR. Am 28. 5. 2009 erklärte die Tochter gegenüber der Aufenthaltsbehörde im Zusammenhang mit der Ausstellung einer Anmeldebescheinigung für die Klägerin, für deren Lebensunterhalt aufzukommen. Da die Klägerin derzeit keine Ausgleichszulage erhält, lässt ihr die Tochter freiwillig monatlich eine finanzielle Unterstützung zukommen; eine vertragliche Unterhaltspflicht der Tochter besteht nicht. Am 25. 8. 2009 wohnte die Klägerin gemeinsam mit ihrer Tochter im 6. Wiener Gemeindebezirk. Seit 3. 9. 2009 lebt sie allein.

Mit Bescheid vom 26. 11. 2009 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 25. 8. 2009 auf Gewährung der Ausgleichszulage im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass sich ihre Tochter verpflichtet habe, für ihren Unterhalt aufzukommen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin rechtzeitig Klage mit dem Begehren auf Gewährung der Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß ab Antragstellung im Wesentlichen mit der Begründung, die Unterhaltserklärung ihrer Tochter bewirke kein Erlöschen ihres Anspruchs auf Ausgleichszulage. Die gegenüber der Aufenthaltsbehörde abgegebene Unterhaltserklärung begründe weder einen Unterhaltsanspruch, noch sei sie als Unterhaltsvertrag zu betrachten.

Die beklagte Partei wendete im Wesentlichen ein, nach den Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) dürfe ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte und keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch genommen werden müssen. Die Auszahlung der Ausgleichszulage an die Klägerin belaste aber eine Gebietskörperschaft, da der von der Pensionsversicherungsanstalt dafür vorerst getragene finanzielle Aufwand zur Gänze aus Bundesmitteln ersetzt werde.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei zur Leistung einer Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß ab 25. 8. 2009.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, der Rechtsanspruch der Klägerin auf Ausgleichszulage sei zu bejahen, weil sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland habe. Die von der Tochter in der Haftungserklärung übernommene Verpflichtung, für den Unterhalt der Klägerin aufzukommen, könne nur subsidiär für den Fall angenommen werden, dass diese nicht über ausreichende eigene Mittel zur Bestreitung ihres Unterhalts verfüge; die Tochter treffe aber keine (primäre) gesetzliche oder vertragliche Unterhaltspflicht. Dass sie der Klägerin mangels Erhalts der Ausgleichszulage derzeit freiwillig Unterhalt leiste, könne daran nichts ändern. Bestehe ein gesetzlicher Anspruch auf Ausgleichszulage, werde dieser durch die von der Tochter gegenüber den Aufenthaltsbehörden abgegebene subsidiäre Haftungserklärung nicht beseitigt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge und änderte das Urteil des Erstgerichts dahin ab, dass es der Klägerin eine Ausgleichszulage für die Zeit vom 25. 8. 2009 bis 31. 8. 2009 in Höhe von 93,88 EUR, vom 1. 9. 2009 bis 30. 9. 2009 in Höhe von 646,11 EUR sowie ab 1. 10. 2009 bis zur Erlassung eines die Höhe der Ausgleichszulage festsetzenden Bescheids eine vorläufige Leistung von 640 EUR monatlich zuerkannte. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Rechtlich ging das Berufungsgericht davon aus, dass sich Unionsbürger, die sich rechtmäßig im Inland aufhalten, nach dem Gemeinschaftsrecht darauf berufen könnten, nicht aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert zu werden. Abgesehen von ausdrücklich vorgesehenen Bedingungen und Beschränkungen hätten sie Anspruch auf gleiche rechtliche Behandlung wie die Staatsangehörigen selbst. Da sich die Klägerin rechtmäßig im Inland aufhalte und eine der österreichischen Pensionsleistung gleichzuhaltende bulgarische Renten- bzw Pensionsleistung beziehe, sei sie zum Bezug der Ausgleichszulage als Annexleistung zur Pension dem Grunde nach berechtigt. Der die Voraussetzung für den Anspruch auf Ausgleichszulage bildende gewöhnliche Aufenthalt bestimme sich ausschließlich nach den tatsächlichen Umständen und hänge weder von der Erlaubtheit noch von der Freiwilligkeit des Aufenthalts ab. Aus dem Versicherungsakt lasse sich zudem entnehmen, dass der Klägerin am 7. 7. 2009 eine Anmeldebescheinigung gemäß den §§ 51 bis 53 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) erteilt worden sei. Diese Bescheinigung gelte als Dokument zur Bescheinigung des Daueraufenthalts, sodass davon auszugehen sei, dass die Klägerin vor Antragstellung ein rechtmäßiges Aufenthaltsrecht erworben habe. Die einzig und allein aus dem Fremdenrecht erklärbare „Verpflichtungserklärung“ sei nicht geeignet, den Anspruch auf Ausgleichszulage zu schmälern. Die darin übernommene Verpflichtung sei nur hilfsweise für den Fall anzunehmen, dass der Eingeladene nicht über eigene Mittel für seinen Unterhalt verfüge. Sinn und Zweck dieser Erklärung erschöpfe sich in der Sicherung jener Kosten, die der öffentlichen Hand durch den Aufenthalt des Fremden entstehen könnten, es sei denn, diese Belastung ergebe sich aus der Erfüllung eines gesetzlichen Anspruchs. Es könne aber nicht der Sinn einer derartigen Erklärung sein, eine Gebietskörperschaft oder einen Sozialversicherungsträger von gesetzlich gebührenden Ansprüchen zu entlasten. Die von der Tochter freiwillig zugewendeten Unterstützungen würden die Höhe der Ausgleichszulage ebenfalls nicht mindern; dies treffe nur auf rechtlich durchsetzbare verbindliche Ansprüche zu. Zu berücksichtigen sei, dass die Klägerin mit ihrer Tochter bis 2. 9. 2009 einen gemeinsamen Wohnsitz hatte und die Tochter die wesentlichen Kosten („Gewährung einer vollen freien Station“) getragen habe. Es handle sich hiebei um Nettoeinkommen, das als Sachbezug mit 246,80 EUR im Jahr 2009 zu bewerten sei. Die Ausgleichszulage für 25. 8. -31. 8. 2009 errechne sich mit 93,88 EUR (415,76 EUR : 31 Tage x 7 EUR je Tag). Die 415,78 EUR ergäben sich aus der Gegenüberstellung von Pensionsleistung (109,84 EUR zuzüglich des Sachbezugs in Höhe von 246,80 EUR = 356,64 EUR) und dem Richtsatz von 772,40 EUR. Für September 2009 habe sich die Klägerin neben ihrer bulgarischen Pensionsleistung von 109,84 EUR die ihr von der Tochter anteilig gewährte freie Station in Höhe von 16,45 EUR anrechnen zu lassen; es sei ihr daher die Differenz zum Richtsatz zuzusprechen (109,84 EUR zuzüglich 16,45 EUR = 126,29 EUR; 772,40 EUR minus 126,29 EUR ergeben 646,11 EUR). Da Feststellungen zur Höhe des Pensionsbezugs der Klägerin ab Oktober 2009 fehlten, die Verfahrensergebnisse aber darauf hinwiesen, dass auch in einem weiteren Zeitraum eine Ausgleichszulage zu leisten sein werde, lägen die Voraussetzungen für den Zuspruch einer vorläufigen Zahlung iSd § 89 Abs 2 ASGG vor.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision im Hinblick auf die bereits vorliegende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist wegen der Bedeutung der vorliegenden Rechtssache für weitere Verfahren über Klagen von Unionsbürgern auf Gewährung von Ausgleichszulage zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Die beklagte Partei macht im Wesentlichen geltend, aufgrund der Berufstätigkeit der Tochter der Klägerin und deren offenkundiger Zuwanderung liege nahe, dass diese über die Arbeitnehmerfreizügigkeit verfüge. Diesfalls könnte die Klägerin als Angehörige ein von der Arbeitnehmerfreizügigkeit ihrer Tochter abgeleitetes Aufenthaltsrecht geltend machen. Das würde aber die Feststellung voraussetzen, die Tochter habe der Klägerin noch vor dem Zeitpunkt, in dem diese ihren Wohnsitz nach Österreich verlegt hat, in Bulgarien tatsächlich Unterhalt gewährt. Dieser Umstand sei aber weder im Anstaltsverfahren noch im Verfahren vor der Aufenthaltsbehörde behauptet oder dokumentiert worden, sodass sich die Klägerin nur auf einen „privaten“ Aufenthalt als Unionsbürgerin berufen könne (siehe Art 21 AEUV - vormals Art 18 EGV). Dieses Aufenthaltsrecht gewähre das Gemeinschaftsrecht aber nicht bedingungslos, sondern knüpfe es an die Voraussetzung, dass der Unionsbürger während der ersten Zeit seines Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat nicht Sozialhilfeleistungen unangemessen in Anspruch nehmen solle. Das Gemeinschaftsrecht räume den Mitgliedstaaten ein, in dieser Richtung Beschränkungen in ihre nationalen Bestimmungen aufzunehmen. In diesem Sinn habe der österreichische Gesetzgeber das Recht auf Niederlassung von Unionsbürgern, die keine Arbeitnehmer iSd VO 1612/68/EWG seien, davon abhängig gemacht, dass diese über ausreichende Existenzmittel und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen (§ 51 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-NAG). Einem Unionsbürger, der nicht Arbeitnehmer sei, werde das Daueraufenthaltsrecht grundsätzlich erst nach einem rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren eingeräumt. Ein Anspruch auf Ausgleichszulage sei nicht geeignet, ausreichende Existenzmittel zu begründen und sei bei Prüfung des Vorhandenseins ausreichender Existenzmittel außer Acht zu lassen. Weder aus dem Gemeinschaftsrecht noch aus dem nationalen Recht lasse sich ableiten, dass Beziehern einer mitgliedstaatlichen Rentenleistung gemäß § 51 Abs 1 Z 2 NAG ein Aufenthaltsrecht ohne Beschränkungen zukommen sollte, wie es de facto Arbeitnehmern gemäß § 51 Abs 1 Z 1 NAG zustehe. Damit würden Rentenbezieher weder eine Integration in den Arbeitsmarkt noch in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats benötigen und sogar eine bessere Position als Arbeitssuchende erhalten. Könnten Rentenbezieher mit sehr geringen Grundleistungen unverzüglich einen Rechtsanspruch auf Ausgleichszulage geltend machen, wären die Regelungen über die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die Beschränkungen für einen „privaten“ Aufenthalt im Inland, bestehende Einschränkungen für Eltern als Familienangehörige wie auch das Daueraufenthaltsrecht „ad absurdum“ geführt. Es sei deshalb nötig, als Vorfrage den rechtlichen Status des Antragstellers im jenem Mitgliedstaat zu erheben, in dem der Antrag gestellt werde. Besitze der Antragsteller keine soziale Gleichstellung mit einem Inländer, so sei auf die erforderlichen Bedingungen und Beschränkungen zum Zeitpunkt der Begründung des rechtmäßigen Aufenthalts im Inland abzustellen. Wenngleich die Klägerin über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz verfüge, hätten ihr ausreichende Existenzmittel gefehlt, die durch eine vor der Aufenthaltsbehörde von einem Dritten (ihrer Tochter) abgegebene Haftungserklärung ersetzt worden seien. Es gehe aber nicht an, das Vorhandensein einer Unterhaltserklärung mit dem Argument für geradezu gegenstandslos zu erklären, es bestehe ohnedies aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts ein Anspruch auf Ausgleichszulage. Dem österreichischen Gesetzgeber könne nicht unterstellt werden, einen derartigen Zirkelschluss beabsichtigt zu haben.

Der Senat hat dazu erwogen:

A. Zur Rechtslage nach dem Gemeinschaftsrecht

1. Mit dem am 1. 1. 2007 wirksam gewordenen Beitritt Bulgariens zur Europäischen Union (Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Republik Bulgarien und Rumänien über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumänien zur Europäischen Union vom 24. 5. 2005, ABl Nr L 147 vom 21. 6. 2005, BGBl III 2006/185) ist die Klägerin freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürgerin geworden.

1.1 Nach Art 45 Abs 1 AEUV ist innerhalb der Gemeinschaft die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zählt mit der Niederlassungsfreiheit, der Dienstleistungsfreiheit der Warenverkehrsfreiheit und der Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs zu den Grundfreiheiten der Gemeinschaft.

1.2 Weiters verleiht die Unionsbürgerschaft jedem, der Staatsbürger eines Mitgliedstaats ist, das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten (vgl Art 21 Abs 1 AEUV).

1.3 Nach der Rechtsprechung des EuGH gehen die wirtschaftsbezogenen Freizügigkeitsrechte der Arbeitnehmer (Art 45 AEUV) sowie die dazu getroffenen Beschränkungen dem allgemeinen Freizügigkeitsrecht nach Art 21 Abs 1 AEUV als speziellere Regelungen vor (Kolonovits in Mayer [Hrsg], EUV/AEUV Art 21 AEUV Rz 9 mwN). Fällt daher ein Sachverhalt unter die Arbeitnehmerfreizügigkeit, ist eine Berufung auf die „allgemeinen“ Freizügigkeitsbestimmungen aufgrund der Unionsbürgerschaft nicht erforderlich (Schrammel/Winkler, Europäisches Arbeits- und Sozialrecht [2010] 30 mwN).

1.4 Da sich die Klägerin auf ein aus einer Eigenschaft als Arbeitnehmerin bzw aus einer Eigenschaft als Familienangehörige einer Arbeitnehmerin resultierende Freizügigkeitsrecht nach Art 45 Abs 1 AEUV nicht berufen hat und auch keine Feststellungen dazu vorliegen, ob sie vor ihrer Aufenthaltsbegründung in Österreich von ihrer Tochter in Bulgarien Unterhaltsleistungen erhalten hat (vgl Art 2 Abs 1 iVm Art 1 lit i VO 1408/71 bzw Art 2 Abs 1 iVm Art 1 lit i VO 883/2004), könnte die Klägerin einen Anspruch auf Ausgleichszulage nach dem Gemeinschaftsrecht mit Erfolg nur auf das jedem Unionsbürger in Art 21 AEUV eingeräumte Grundrecht auf Bewegungsfreiheit und Aufenthalt stützen.

2. Das allgemeine Freizügigkeitsrecht nach Art 21 AEUV steht allen Unionsbürgern unabhängig von einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu. Es knüpft allein an den Status der Unionsbürgerschaft (Art 20 Abs 1 AEUV) an und gewährt den Unionsbürgern ein unmittelbar anwendbares Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten. Dieses Freizügigkeitsrecht gilt aber nicht uneingeschränkt, sondern nur „vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen“.

2.1 Zu den „Durchführungsvorschriften“ gehören die einschlägigen sekundärrechtlichen Bestimmungen. Dazu zählt in erster Linie die RL 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. 4. 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Unionsbürger-RL). Die RL 2004/38/EG regelt die Bedingungen, unter denen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt innerhalb des Hoheitsgebiets genießen. Hinsichtlich des Aufenthaltsrechts ist zu unterscheiden: das Aufenthaltsrecht bis zu drei Monaten (Art 6), das Aufenthaltsrecht für mehr als drei Monate (Art 7) und das Recht auf Daueraufenthalt, das grundsätzlich erworben wird, wenn sich der Unionsbürger rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat (Art 16).

2.2 Das Aufenthaltsrecht für mehr als drei Monate bis fünf Jahre (Art 7) wird für Arbeitnehmer und Selbständige im Aufnahmemitgliedstaat ohne weitere Voraussetzung gewährt, während es für nicht erwerbstätige Unionsbürger an die Bedingungen einer ausreichenden Krankenversicherung und ausreichender Existenzmittel geknüpft ist, damit die Unionsbürger nicht die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen. Die RL 2004/38/EG hält diesbezüglich in ihrer 10. Begründungserwägung fest, dass Unionsbürger, die ihr Aufenthaltsrecht ausüben, während ihres ersten Aufenthalts die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen sollen.

2.3 Nach Art 24 Abs 1 RL 2004/38/EG genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts - vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im Sekundärrecht vorgesehener Bestimmungen - die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. Für die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die ihrerseits Unionsbürger sind, ist dieses Recht nicht neu, sondern bekräftigt lediglich die Verpflichtung zur Gleichbehandlung, die im primären Gemeinschaftsrecht (Art 21 iVm Art 18 AEUV) niedergelegt ist. Ein Unionsbürger hat daher aufgrund des Art 21 iVm Art 18 AEUV in allen anderen Mitgliedstaaten (Aufnahmestaaten) einen Anspruch auf gleiche rechtliche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Staats, die sich in der gleichen Situation befinden, wenn der Sachverhalt in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt und keine Beschränkungen und Bedingungen im Vertrag oder in den Durchführungsvorschriften vorgesehen sind, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen (Kolonovits in Mayer [Hrsg], EUV/AEUV Art 21 AEUV Rz 14 mwN).

2.4 Der Anwendungsbereich des Art 21 AEUV ist umfassend konzipiert; er erstreckt sich unter anderem auf Sozialleistungen. Unionsbürger können daher alle staatlichen Sozialleistungen erlangen, die Staatsbürgern in einer vergleichbaren Situation zustehen. Sie dürfen bei einem Antrag auf Sozialleistung nicht anders behandelt werden als ein Inländer. Dies zeigen auch die bisher in der Judikatur des EuGH behandelten Sozialleistungen (vgl Hesse, Unionsbürgerschaft und Ansprüche auf Sozialleistungen, DRdA 2005, 564 ff [567] mwN; Kolonovits in Mayer [Hrsg], EUV/AEUV Art 21 AEUV Rz 20 ff mwN). So betraf beispielsweise die Entscheidung des EuGH vom 20. 9. 2001, Rs C-184/99, Grzelczyk, Slg 2001, I-06193, die vorübergehende Gewährung einer beitragsunabhängigen Sozialleistung wie eines Existenzminimums an Studenten (belgisches „Minimex“). Die Mitgliedstaaten dürfen zwar den Aufenthalt eines nicht wirtschaftlich aktiven Unionsbürgers von der Verfügbarkeit ausreichender Existenzmittel abhängig machen, daraus ergibt sich aber nicht, dass einer solchen Person während ihres rechtmäßigen Aufenthalts im Aufenthaltsmitgliedstaat nicht das grundlegende Prinzip der Gleichbehandlung zugutekommt (vgl EuGH 7. 9. 2004, Rs C-456/02, Trojani, Slg 2004, I-7573).

3. Ausgangsbasis der Sozialrechtskoordinierung ist trotz anderweitiger unionsrechtlicher Normen, die bei grenzüberschreitenden Sachverhalten aus sozialrechtlicher Perspektive zu berücksichtigen sind (wie beispielsweise die Rechte aus der Unionsbürgerschaft), die Koordinierungsverordnung VO 1408/71 bzw seit 1. 5. 2010 die VO 883/2004. Diese Verordnungen koordinieren die verschiedenen Systeme sozialer Sicherheit der einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Die Verordnungen führen nur zu einer Koordinierung und nicht zu einer Harmonisierung der nationalen Sozialsysteme. Regelungszweck ist es, die Freizügigkeit der Unionsbürger zu unterstützen. Die Versicherten sollen bei ihren Wanderungsbewegungen im Bereich der EU keine Nachteile in Bezug auf sozialversicherungsrechtliche Anwartschaften oder Leistungsansprüche haben (M. Windisch-Graetz, Neuerungen im Europäischen koordinierten Sozialrecht, DRdA 2011, 219).

3.1 Die von der Klägerin beanspruchte Ausgleichszulage stellt nach der Rechtsprechung des EuGH eine beitragsunabhängige Sonderleistung iSd Art 4 Abs 2a der VO 1408/71 dar, sodass sie in den sachlichen Geltungsbereich dieser Verordnung fällt (vgl EuGH 29. 4. 2004, Rs C-160/02, Skalka). Sie ist dazu bestimmt, den Empfängern unzulänglicher Leistungen der sozialen Sicherheit dadurch eine Einkommensergänzung zu gewährleisten, dass jenen Personen, deren gesamte Einkünfte eine gesetzlich festgelegte Grenze nicht überschreiten, ein Existenzminimum garantiert wird. Die Ausgleichszulage weist daher sowohl Merkmale der sozialen Sicherheit als auch Merkmale der Sozialhilfe auf (Art 4 Abs 2a VO 1408/71). Durch die auch nach Ansicht des EuGH in der Rechtssache Skalka zu Recht erfolgte Aufnahme der Ausgleichszulage in den Anh IIa der VO 1408/71 ist klargestellt, dass die Ausgleichszulage grundsätzlich der VO 1408/71 unterliegt und daher nicht als Sozialhilfeleistung iSd Art 4 Abs 4 der VO 1408/71 qualifiziert werden kann (Resch, Rechtsfragen der Ausgleichszulage, DRdA 2000, 370 [374] ua).

3.2 Auch nach der mit 1. 5. 2010 in Kraft getretenen neuen Sozialkoordinierungsverordnung VO 883/2004 handelt es sich bei der Ausgleichszulage um eine beitragsunabhängige Geldleistung nach Art 70 Abs 2 dieser Verordnung, die im Anh X aufgeführt ist und in den sachlichen Geltungsbereich dieser Verordnung fällt (vgl Art 3 Abs 3 VO 883/2004). Die Ausgleichszulage wird aber weiterhin ausschließlich nur in dem Mitgliedstaat, in dem die betreffende Person wohnt, und nach dessen Vorschriften gewährt (Art 70 Abs 4 VO 883/2004).

3.3 Nach den Feststellungen bezieht die Klägerin ausschließlich eine Rente von einem bulgarischen Versicherungsträger. Nach Art 10a Abs 3 VO 1408/71 ist diese fremdmitgliedstaatliche Pensionsleistung für den Anspruch auf Ausgleichszulage als beitragsunabhängige Sonderleistung einer österreichischen Pensionsleistung gleichzustellen. Auch im Geltungsbereich der neuen Sozialrechtskoordinierungs-VO 883/2004 sind gemäß Art 5 dieser Verordnung Leistungen, die im EU-Ausland bezogen werden, inländischen Leistungen im Bezug auf ihre Rechtswirkungen gleichzuhalten. Es haben daher auch EU-Bürger mit einer ausländischen Rente einen Anspruch auf Ausgleichszulage gegenüber dem österreichischen Pensionsversicherungsträger, sofern sie die übrigen Voraussetzungen erfüllen. Zu diesen Voraussetzungen gehören ein gewöhnlicher Aufenthalt in Österreich und ein Einkommen unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz (M. Windisch-Graetz, Neuerungen im Europäischen koordinierten Sozialrecht, DRdA 2011, 219 ff [223]).

B. Zur innerstaatlichen Rechtslage

1. Zum ASVG

1.1 Nach § 292 Abs 1 ASVG in der zum Zeitpunkt der Antragstellung maßgebenden Fassung des BudgetbegleitG 2003, BGBl I 2003/71, hat der Pensionsberechtigte, solange er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und sein Einkommen zuzüglich eines aus übrigen Einkünften des Pensionsberechtigten erwachsenden Nettoeinkommens und der gemäß § 294 zu berücksichtigenden Beträge nicht die Höhe des für ihn geltenden Richtsatzes (§ 293) erreicht, nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnitts Anspruch auf eine Ausgleichszulage zur Pension.

Nach der zu dieser Rechtslage ergangenen Rechtsprechung gebührt die Ausgleichszulage zwar unabhängig von der Staatsbürgerschaft, setzt aber einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland voraus, der sich ausschließlich nach den tatsächlichen Umständen bestimmt und weder von der Erlaubtheit noch von der Freiwilligkeit abhängt. Ob ein gewöhnlicher Aufenthalt vorliegt, bestimmt sich nach seiner Dauer, nach seiner Beständigkeit sowie anderen Umständen persönlicher oder beruflicher Art, die dauerhafte Beziehungen zwischen einer Person und ihrem Aufenthalt anzeigen (RIS-Justiz RS0085478; RS0106709 [T1]; RS0106710).

1.2 Durch das 4. SRÄG 2009, BGBl I 2009/147, wurde zwecks Vermeidung von Missbrauchsfällen dem § 292 ASVG ein Absatz 14 hinzugefügt. Danach ist ein Verfahren zur Entziehung der Ausgleichszulage einzuleiten, wenn begründete Zweifel am gewöhnlichen Aufenthalt im Inland bestehen. In diesem Verfahren ist der Beweis für den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland von der pensionsberechtigten Person zu erbringen.

Weiters wurde durch das 4. SRÄG 2009 § 459f ASVG eingefügt. Darin wird normiert, dass nunmehr die Fremdenpolizeibehörden und die Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörden verpflichtet sind, den Trägern der Pensionsversicherung auf Anfrage alle maßgebenden Informationen, insbesondere zur Überprüfung des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland und dessen Rechtmäßigkeit zu übermitteln, soweit diese Informationen vorliegen und für die Entscheidung der Behörde relevant waren.

1.3 § 292 Abs 1 ASVG erfuhr durch Art 115 Z 54 des BudgetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111, eine Änderung dahin, dass der Ausdruck „gewöhnlicher Aufenthalt“ durch den Ausdruck „rechtmäßiger, gewöhnlicher Aufenthalt“ ersetzt wurde. Aus den Gesetzesmaterialien (ErlRV 981 BlgNR 24. GP 208) ergibt sich, dass durch das Abstellen auf den „rechtmäßigen Aufenthalt“ in § 292 Abs 1 ASVG ein Gleichklang der Ausgleichszulagenregelung mit dem europäischen und österreichischen Aufenthaltsrecht hergestellt werden soll. § 292 Abs 1 idF des Art 115 Z 4 BudgetbegleitG 2011 trat am 1. 1. 2011 in Kraft (§ 658 Abs 1 Z 1 ASVG).

2. Zum Aufenthaltsrecht:

2.1 Die RL 2004/38/EG wurde im Rahmen des Fremdenrechtspakets 2005 durch das Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und AufenthaltsG, BGBl I 2005/100, im Folgenden: „NAG“) umgesetzt. Das 4. Hauptstück des zweiten Teils des NAG (§§ 51 bis 57) regelt das gemeinschaftsrechtliche Niederlassungsrecht für EWR-Bürger.

2.1.1 § 51 Abs 1 Z 2 NAG idF BGBl I 2005/100 bzw BGBl I 2009/122 sieht in Anlehnung an Art 7 RL 2004/38/EG vor, dass EWR-Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmen, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt sind, wenn sie für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, sodass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen müssen.

2.1.2 Nach dem österreichischen Rechtsverständnis ist die Ausgleichszulage keine Leistung aus dem Titel der Sozialhilfe. So qualifiziert der Verfassungsgerichtshof die Ausgleichszulage - mag sie auch fürsorgeähnliche Züge aufweisen - als eine Leistung der gesetzlichen Pensionsversicherung und nicht als eine Erscheinungsform der Sozialhilfe (VfGH 24. 9. 2009, G 165/08 ua, VfSlg 18.885). Auch nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs stellt die Ausgleichszulage keine „Sozialhilfeleistung der Gebietskörperschaft“ iSd § 11 Abs 5 NAG dar. Ihre Inanspruchnahme führt somit nicht zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft iSd § 11 Abs 2 Z 4 NAG (VwGH 22. 9. 2009, 2008/22/0659; 25. 2. 2010, 2009/21/0351 ua).

2.1.3 Durch das BudgetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111, wurde § 51 Abs 1 Z 2 NAG dahin geändert, dass EWR-Bürger aufgrund der Freizügigkeitsrichtlinie zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt sind, wenn sie für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, sodass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen.

Im Zusammenhang damit wurde durch das BudgetbegleitG 2011 dem § 11 Abs 5 NAG auch ein weiterer Satz angefügt. Danach sind in Verfahren bei Erstanträgen soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage.

§ 11 Abs 5 NAG und § 51 Abs 1 Z 2 NAG idF des BudgetbegleitG 2011 sind mit 1. 1. 2011 in Kraft getreten.

2.1.4 Aus den Gesetzesmaterialien (ErlRV 981 BlgNR 24. GP 12) zum BudgeltbegleitG 2011 ergibt sich, dass das Vorliegen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts für EWR-Bürger für mehr als drei Monate nicht nur für den Fall des Bezugs der Sozialhilfe, sondern auch bei Bezug der Ausgleichszulage ausgeschlossen werden soll. Der Ausgleichszulagenbezug soll somit nach der Intention des Gesetzgebers nach dieser neuen Rechtslage „aufenthaltsschädlich“ sein.

2.2 § 2 Abs 1 Z 15 NAG enthält eine Legaldefinition der Haftungserklärung. Darunter ist die von einem österreichischen Notar oder einem inländischen Gericht beglaubigte Erklärung Dritter mit mindestens fünfjähriger Gültigkeitsdauer zu verstehen, dass sie für die Erfordernisse einer alle Risken abdeckenden Krankenversicherung, einer Unterkunft und entsprechender Unterhaltsmittel aufkommen und für den Ersatz jener Kosten haften, die einer Gebietskörperschaft bei der Durchsetzung eines Aufenthaltsverbots, einer Ausweisung, einer Zurückschiebung oder der Vollziehung der Schubhaft, einschließlich der Aufwendungen für den Einsatz gelinderer Mittel, sowie aus dem Titel der Sozialhilfe oder eines Bundes- oder Landesgesetzes, das die Grundversorgungsvereinbarung nach Art 15a B-VG umsetzt, entstehen, und die Leistungsfähigkeit des Dritten zum Tragen der Kosten nachgewiesen wird.

2.2.1 § 2 Abs 1 Z 18 NAG enthält eine Legaldefinition der Patenschaftserklärung, die sich inhaltlich an der Haftungserklärung orientiert, aber insofern weiter als die Haftungserklärung geht, als auch ganz allgemein der Ersatz jener Kosten, die einer Gebietskörperschaft durch den Aufenthalt des Fremden in Österreich entstehen, umfasst ist.

2.2.2 Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, die noch zu Verpflichtungserklärungen nach dem seit Inkrafttreten des NAG mit 1. 1. 2006 nicht mehr in Geltung stehenden § 10 Abs 3 Z 2 Fremdenrechtsgesetz 1997 ergangen ist, ist diese einzig und allein aus dem Fremdenrecht abgeleitete Erklärung nicht geeignet, den Anspruch auf Ausgleichszulage zu schmälern (10 ObS 176/94, SSV-NF 8/113; 10 ObS 8/95). Ihr Zweck ist in der Sicherung jener Kosten zu sehen, die öffentlichen Rechtsträgern durch den Aufenthalt entstehen können, ausgenommen sind aber Belastungen, die sich aus der Erfüllung eines gesetzlichen Anspruchs ergeben. Es ist nicht Sinn und Zweck der Verpflichtungserklärung, eine Gebietskörperschaft oder einen Sozialversicherungsträger von gesetzlich gebührenden Ansprüchen zu entlasten (RIS-Justiz RS0058853).

C. Anwendung der Rechtslage auf den vorliegenden Fall

1. Es wurde bereits zu Punkt A 3.3 dargelegt und es ist im Revisionsverfahren auch nicht strittig, dass im Hinblick auf den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Ausgleichszulage der Bezug einer ausländischen Rente durch einen EU-Bürger gemäß Art 10a Abs 3 VO 1408/71 bzw Art 5 VO 883/2004 dem Bezug einer inländischen Pension gleichzustellen ist. Die Klägerin, die eine bulgarische Pensionsleistung bezieht, welche dem sachlichen Geltungsbereich der beiden genannten Koordinierungsverordnungen unterliegt, hat daher Anspruch auf Ausgleichszulage gegenüber dem österreichischen Pensionsversicherungsträger, sofern sie auch die übrigen Voraussetzungen für den Bezug der Ausgleichszulage erfüllt. Zu diesen Voraussetzungen gehört neben einem hier nicht strittigen Einkommen der Klägerin unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz ein gewöhnlicher Aufenthalt in Österreich.

2. Aus der oben zu Punkt B 1.1 dargestellten Rechtslage folgt, dass - unbeschadet der weiteren Anspruchsvoraussetzungen - für den Anspruch auf Ausgleichszulage nach der im Zeitraum von der Antragstellung bis 31. 12. 2010 bestehenden Rechtslage allein der „gewöhnliche“ Aufenthalt der Klägerin im Inland maßgeblich ist. Dass die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt jedenfalls seit Antragstellung im Inland hat, wird auch von der beklagten Partei nicht in Zweifel gezogen.

2.1 Nach ständiger Rechtsprechung hat aber das Gericht in jeder Lage des Verfahrens auf eine Änderung der Rechtslage Bedacht zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das in Streit stehende Rechtsverhältnis anzuwenden sind. Es ist daher grundsätzlich nach den Übergangsbestimmungen zu beurteilen, ob eine Gesetzesänderung für ein laufendes Verfahren zu beachten ist (RIS-Justiz RS0031419). Änderungen des zwingenden Rechts sind, sofern nicht Übergangsrecht etwas anderes bestimmt, vom Rechtsmittelgericht ohne weiteres von Amts wegen seiner Entscheidung zugrundezulegen, auch wenn der zu beurteilende Sachverhalt bereits vor Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht wird (RIS-Justiz RS0106868). Da der Anspruch auf Ausgleichszulage mit dem Ende des Monats wegfallen würde, in dem die Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind (§ 296 Abs 2 Satz 4 ASVG; Ziegelbauer in Sonntag, ASVG2 § 296 Rz 4), ist auf die durch das BudgetbegleitG 2011 mit 1. 1. 2011 eingetretene Rechtsänderung auch im Revisionsverfahren noch Bedacht zu nehmen.

2.2 Für den Anspruch des Klägers auf Ausgleichszulage ab dem 1. 1. 2011 wird demnach weiters zu beurteilen sein, ob der „gewöhnliche“ Aufenthalt der Klägerin auch „rechtmäßig“ iSd § 292 Abs 1 ASVG idF des BudgetbegleitG 2011 ist.

2.3 Da sich das mit der Freizügigkeit verbundene Aufenthaltsrecht direkt aus dem Gemeinschaftsrecht ergibt, wird es nicht durch Verleihung - etwa durch Erteilung eines Aufenthaltstitels - begründet, sondern von der Verwaltungsbehörde bloß „dokumentiert“ (vgl EuGH 5. 2. 1991, Rs C-363/89, Roux, Rn 12 mwN). Für den EWR-Bereich (EU-Mitgliedstaaten, Island, Liechtenstein und Norwegen) sowie für Schweizer Staatsbürger geschieht dies durch Ausstellung einer rein deklaratorisch wirkenden Anmeldebescheinigung (Kutscher/Völker/Witt, Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht2 62 f). Wie das Berufungsgericht im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung ausgeführt hat, erliegt im Versicherungsakt eine der Klägerin im Juli 2009 erteilte „Anmeldebescheinigung für EWR-Bürger/-innen und Schweizer Bürger/-innen gem. den §§ 51 bis 53 und 57 NAG“. Diese dokumentiert somit, dass der Aufenthalt der Klägerin, die sich länger als drei Monate, aber offensichtlich noch nicht fünf Jahre in Österreich aufhält, rechtmäßig iSd § 292 ASVG idF BudgetbegleitG 2011 ist.

3. Auch die weiteren von der beklagten Partei gegen das Vorliegen eines rechtmäßigen Aufenthalts der Klägerin in Österreich seit 1. 1. 2011 vorgebrachten Einwände sind nicht berechtigt.

3.1 Nach § 51 Abs 1 Z 2 NAG idF vor der Änderung durch das BudgetbegleitG 2011 sind EU-Bürger, die in Österreich nicht wirtschaftlich tätig sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen müssen. Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin vor. Es wurde bereits zu Punkt B 2.1.2 dargelegt, dass es sich nach dem österreichischen Rechtsverständnis bei der Ausgleichszulage um keine Leistung aus dem Titel der Sozialhilfe handelt. In diesem Zusammenhang ist auch auf die weitere Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu verweisen, nach der bei Familiennachzug das aus fremdenrechtlicher Sicht zu prüfende ausreichende Einkommen eines pensionsbeziehenden Familienangehörigen nicht verneint werden könne, wenn dieser einen gesetzlichen Anspruch auf Ausgleichszulage hat (VwGH 22. 9. 2009, 2008/22/0656). Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass im Unionsrecht der Begriff der „Sozialhilfeleistungen der Mitgliedstaaten“ als autonomer Begriff angesehen wird, der nicht an Hand von Begriffen des nationalen Rechts ausgelegt werden kann (siehe EuGH 4. 3. 2010, C-578/08 Chakroun zu Art 7 Abs 1 lit c der RL 2003/86/EG). Die Notwendigkeit der unionsrechtlichen Auslegung ergibt sich nämlich daraus, dass andernfalls jeder Mitgliedstaat die Möglichkeit hätte, durch eigene Definitionen Rechte aus dem Unionsrecht zu beschränken (Windisch-Graetz, Neuerungen im Europäischen koordinierten Sozialrecht, DRdA 2011, 219 [224]). Diese Gefahr verwirklicht sich aber gerade dann nicht, wenn eine bestimmte Leistung - wie hier die Ausgleichszulage - schon nach nationalem Verständnis keine Leistung darstellt, die aus dem Titel der Sozialhilfe gewährt wird.

3.2 Die beklagte Partei argumentiert demgegenüber - offensichtlich schon im Hinblick auf die durch das BudgetbegleitG 2011 geänderte Bestimmung des § 51 Abs 1 Z 2 NAG, wonach nunmehr nach der Intention des Gesetzgebers nicht nur der Sozialhilfebezug, sondern auch der Ausgleichszulagenbezug „aufenthaltsschädlich“ sein soll - damit, dass auch ein Anspruch auf Ausgleichszulage nicht geeignet sei, ausreichende Existenzmittel zu begründen und daher bei Prüfung des Vorhandenseins ausreichender Existenzmittel außer Acht zu lassen sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass diese Neuregelung im vorliegenden Fall noch nicht zur Anwendung gelangt. Nach den Intentionen des Gesetzgebers soll der Bezug von Ausgleichszulage erst bei nach dem 1. 1. 2011 gestellten Erstanträgen „aufenthaltsschädlich“ sein (vgl auch § 11 Abs 5 letzter Satz NAG idF BudgetbegleitG 2011). Die Klägerin hat ihren (Erst-)Antrag auf Ausstellung der Aufenthaltsberechtigung jedoch weit vor diesem Datum gestellt. Es ist daher im vorliegenden Fall vom erkennenden Senat auch nicht zu prüfen, ob die Bestimmung des § 51 Abs 1 Z 2 NAG idF BudgetbegleitG 2011 mit dem Gemeinschaftsrecht im Einklang steht (vgl dazu M. Windisch/Graetz, Neuerungen im Europäischen koordinierten Sozialrecht, DRdA 2011, 219 ff [223 ff]).

4. Soweit die beklagte Partei schließlich noch auf die von der Tochter der Klägerin gegenüber der Aufenthaltsbehörde abgegebene Haftungserklärung verweist, ist darauf hinzuweisen, dass nach der bereits zu Punkt B 2.2.2 dargestellten Rechtsprechung diese einzig und allein gegenüber der Aufenthaltsbehörde abgegebene Erklärung nicht geeignet ist, den Anspruch der Klägerin auf Ausgleichszulage zu schmälern. Es ist nicht Sinn und Zweck der Verpflichtungserklärung, eine Gebietskörperschaft oder einen Sozialversicherungsträger von gesetzlich gebührenden Ansprüchen zu entlasten (RIS-Justiz RS0058853). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Es hat auch der Verwaltungsgerichtshof zum Fremdenrechtsgesetz 1997 wiederholt ausgesprochen, dass ein allfälliger Anspruch des Fremden auf Ausgleichszulage bei der Prüfung der Frage, ob sein Unterhalt gesichert ist, zu berücksichtigen ist und der Fremde einen Rechtsanspruch auf diese Leistung hat, wenn er sich im Inland aufhält (VwGH 2008/22/0564; 98/19/0294; 95/19/0456).

5. Da somit der gewöhnliche Aufenthalt der Klägerin im Inland im Zeitraum ab Antragstellung bis 31. 12. 2010 unbestritten geblieben ist und sie sich auch danach „rechtmäßig“ iSd § 292 Abs 1 ASVG idF BudgetbegleitG 2011 im Inland aufgehalten hat bzw aufhält, steht ihr im Hinblick auf ihr unbestritten unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz liegendes Einkommen ein Anspruch auf Ausgleichszulage zu. Dieser Anspruch wird nicht dadurch beseitigt oder geschmälert, dass sich ihre Tochter gegenüber der Aufenthaltsbehörde zur (subsidiären) Unterhaltsgewährung verpflichtet hat. Auch der Umstand, dass sich die Klägerin als nicht wirtschaftlich tätige Unionsbürgerin noch nicht fünf Jahre in Österreich aufhält und deshalb nicht unangemessene Sozialleistungen in Anspruch nehmen soll, steht dem nicht entgegen, weil die Ausgleichszulage nach dem innerstaatlichen Recht nicht als Sozialhilfeleistung anzusehen ist. Die durch das BudgetbegleitG 2011 geänderte Bestimmung des § 51 Abs 1 Z 2 NAG, wonach nunmehr nicht nur der Sozialhilfebezug, sondern auch der Ausgleichszulagenbezug „aufenthaltsschädlich“ sein soll, kommt im vorliegenden Fall noch nicht zur Anwendung.

6. Die Höhe der vom Berufungsgericht der Klägerin für den Zeitraum vom 25. 8. 2009 bis 30. 9. 2009 zuerkannten Ausgleichszulage wird in der Revision der beklagten Partei nicht bekämpft. Das Berufungsgericht hat das weitere Klagebegehren ab 1. 10. 2009 gemäß § 89 Abs 2 ASGG erledigt. Dies war jedoch unrichtig. Die Anwendung dieser Gesetzesstelle setzt voraus, dass die Tatsachen, von denen der Grund des strittigen Anspruchs abhängt, von jenen verschieden sind, nach denen sich die Höhe dieses Anspruchs richtet. Besteht hingegen zwischen diesen Tatsachen kein Unterschied, hängt also der Grund des Anspruchs unmittelbar und untrennbar mit der Höhe des Anspruchs zusammen, so kann § 89 Abs 2 ASGG nicht herangezogen werden. Dies trifft im Allgemeinen gerade auf den Anspruch auf Ausgleichszulage zu (vgl 10 ObS 364/89, SSV-NF 4/1).

Das Berufungsgericht hat der beklagten Partei eine vorläufige Zahlung für den Zeitraum ab 1. 10. 2009 aufgetragen, da ab diesem Zeitpunkt Feststellungen zur Höhe des Pensionsbezugs der Klägerin fehlen. In einem solchen Fall kann das Gericht der beklagten Partei die Zahlung eines Vorschusses auftragen (10 ObS 364/89, SSV-NF 4/1; RIS-Justiz RS0085539).

Es war daher das Urteil des Berufungsgerichts mit der Maßgabe zu bestätigen, dass die beklagte Partei verpflichtet ist, der Klägerin - neben der vom Berufungsgericht für den Zeitraum vom 25. 8. 2009 bis 30. 9. 2009 zugesprochenen Ausgleichszulage - ab 1. 10. 2009 einen Vorschuss in der vom Berufungsgericht unbekämpft festgesetzten Höhe von 640 EUR monatlich zu bezahlen.

Eine Kostenentscheidung entfällt, weil keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde.

Schlagworte

Sozialrecht

Textnummer

E98107

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:010OBS00172.10G.0721.000

Im RIS seit

05.09.2011

Zuletzt aktualisiert am

18.11.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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