TE AsylGH Erkenntnis 2009/03/06 S3 404482-1/2009

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.03.2009
beobachten
merken
Spruch

S3 404.482-1/2009/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Pipal als Einzelrichter über die Beschwerde von T. F., StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.01.2009, GZ 0810995, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß § 5 und § 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerde liegt folgendes Verwaltungsverfahren zugrunde:

 

Die Beschwerdeführerin brachte nach ihrer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 06.11.2008 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein.

 

Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass die Beschwerdeführerin bereits am 04.11.2008 in Lublin in Polen einen Asylantrag stellte.

 

Bei ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 06.11.2008 führte die Beschwerdeführerin zu ihrer Reiseroute aus, sie sei gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer Tochter am 01.11.2008 mit dem Zug von Grosny über Moskau und Brest nach Terespol gefahren. Dort seien sie angehalten und erkennungsdienstlich behandelt worden. Die Polizei habe ihnen gesagt, dass sie in ein Flüchtlingslager fahren sollten. Sie hätten sich ein Taxi genommen und seien in ein billiges Hotel gefahren. Dort hätten sie nur eine Nacht verbracht und seien am nächsten Tag mit dem Taxi nach Österreich gefahren. Bezüglich einer möglichen Rückkehr nach Polen gab sie an, sie hätten nicht genau gewusst, wohin sie gehen sollten. Der Taxifahrer habe ihnen gesagt, dass sie nach Wien fahren sollten, weil es hier besser sei als in Polen. Sie habe in Polen um Asyl angesucht. Ihre Tochter habe keine eigenen Fluchtgründe.

 

Das Bundesasylamt richtete am 10.11.2008 ein auf Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Polen. Mit Schreiben vom 13.11.2008, eingelangt am 14.11.2008, stimmte Polen dem Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung ausdrücklich zu.

 

Am 14.11.2008 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 29 Abs. 3 AsylG 2005 mitgeteilt, dass Konsultationen mit Polen geführt würden und aus diesem Grund beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen.

 

Laut der gutachterlichen Stellungnahme eines Arztes vom 12.12.2008 liegen bei der Beschwerdeführerin weder eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung noch sonstige psychische Krankheitssymptome vor.

 

Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 19.01.2009 zur Wahrung des Parteiengehörs gab die Beschwerdeführerin nach erfolgter Rechtsberatung im Wesentlichen an, dass sie gesund sowie körperlich und geistig in der Lage sei, die Einvernahme durchzuführen. Sie verstehe den Dolmetscher und habe keine Einwände. Sie lebe, abgesehen von ihrem Mann und ihrer Tochter, mit niemandem in einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft und habe in Österreich keine Verwandten. Zu einer möglichen Rückkehr nach Polen gab sie an, ihr Mann sei sehr krank und deshalb wollten sie hier bleiben. Zu der Frage, was einer möglichen Ausweisung nach Polen entgegenstehe, wolle sie nichts angeben. Bezüglich des psychologischen Gutachtens sagte sie, es stimme, dass bei ihr alles in Ordnung sei.

 

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde I. der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung zur Prüfung dieses Antrages zuständig sei, sowie II. die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig sei.

 

Dieser Bescheid legt in seiner Begründung insbesondere auch ausführlich dar, dass in Polen die Praxis der asylrechtlichen und subsidiären Schutzgewährung, die Grund- und Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage unbedenklich sind und den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts genügen.

 

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde des Ehemannes der Beschwerdeführerin vom 10.02.2009 samt Schriftsatz vom 13.02.2009, in der die Entscheidung betreffend seine Ehefrau und betreffend seine Tochter mitangefochen und im Wesentlichen vorgebracht wird, dass das Bundesasylamt die in der gutachterlichen Stellungnahme diagnostizierten psychischen Krankheiten und die vorgelegten Befunde bezüglich seiner physischen Erkrankungen nicht berücksichtigt habe. Die Feststellungen, wonach sich bis zur Bescheiderlassung weder eine derart schwere körperliche oder ansteckende Krankheit noch eine derart schwere psychische Störung ergeben habe, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Ehemannes der Beschwerdeführerin bewirken würde, seien aktenwidrig. Eine Überstellung nach Polen, wo der Ehemann der Beschwerdeführerin in absehbarer Zeit in eine ausweglose und existenzbedrohende Situation geriete, berge daher die Gefahr einer Verschlechterung seines psychischen Zustandes und einer damit zusammenhängenden weiteren massiven Verschlechterung seines allgemeinen Gesundheitszustandes. Weiters gehe der Bescheid nicht auf die Berichte von NGOs bezüglich der medizinischen Versorgung in Polen ein. Die Behörde verharmlose auch seine Behinderung und seinen gesundheitlichen Zustand, indem sie feststelle, es lägen keine außergewöhnlichen Umstände vor und er befinde sich in keinem fortgeschrittenen Krankheitsstadium. Vor allem behinderte Personen befänden sich in Polen in einer schwierigen Situation. Dazu wird auf verschiedene Berichte verwiesen. Die mangelnde Flüchtlingsanerkennung sei umso problematischer, als die Existenzgrundlage und die Integrationsmöglichkeiten für Personen mit "pobyt tolerowany" in Polen nicht gesichert seien. Bei einer Überstellung drohe der Entzug jeglicher Existenzgrundlage. Die polnischen Behörden hätten sie nicht untergebracht. Im Fall einer Rückkehr drohe ihnen außerdem eine monatelange Haft aufgrund des illegalen Verlassens Polens. In den geschlossenen Anhaltezentren gebe es eine mangelhafte Betreuung, eine eingeschränkte Bewegungsfreiheit auch für Familien, die Einschließung in Zellen und einen Mangel an sozialen Aktivitäten. In Polen gebe es außerdem eine extrem niedrige Anerkennungsquote für tschetschenische Asylwerber. Bei einer Abschiebung nach Polen bestehe ein "real risk" einer Verletzung der in der EMRK verankerten Grundrechte. Daher hätte Österreich von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen müssen.

 

2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und der Beschwerde wird folgender Sachverhalt festgestellt:

 

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation. Sie stellte am 04.11.2008 in Polen einen Asylantrag, bevor sie illegal in das österreichische Bundesgebiet einreiste und am 06.11.2008 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz einbrachte. Es wird weiters festgestellt, dass das Bundesasylamt am 10.11.2008 ein auf Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Polen richtete und Polen mit Schreiben vom 13.11.2008, eingelangt am 14.11.2008, der Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung ausdrücklich zustimmte.

 

Besondere, in der Person der Beschwerdeführerin gelegene Gründe, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung in Polen sprechen, sind nicht glaubhaft.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl I Nr. 4/2008 ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Nach § 5 Abs. 3 AsylG 2005 ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesasylamt oder beim Asylgerichtshof offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird.

 

Nach § 10 Abs. 2 AsylG 2005 sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn

 

1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder

 

2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden.

 

Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 idF BGBl I Nr. 75/2007 ist dann, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

 

Nach § 10 Abs. 4 AsylG 2005 gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Laut Art. 3 Abs. 2 erster Satz Dublin-Verordnung kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

 

In den Art. 5ff Dublin-Verordnung werden die Kriterien aufgezählt, nach denen der zuständige Mitgliedstaat bestimmt wird.

 

Art. 10 Abs. 1 Dublin-Verordnung lautet: "Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 18 Abs. 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts."

 

Art. 13 Dublin-Verordnung sieht für den Fall, dass sich anhand der Kriterien dieser Verordnung nicht bestimmen lässt, welchem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrags obliegt, vor, dass der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig ist.

 

Gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung ist der Mitgliedstaat, der nach der vorliegenden Verordnung zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, gehalten, einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrags unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Artikels 20 wieder aufzunehmen.

 

Die Beurteilung der Rechtsfrage ergab, dass die Beschwerde zu beiden Spruchpunkten abzuweisen ist:

 

Zur Frage der Unzuständigkeit Österreichs ist dem Bundesasylamt beizupflichten, dass sich aus dem festgestellten Sachverhalt die Zuständigkeit Polens ergibt, und zwar gemäß Art. 10, 13 und 16 Dublin-Verordnung.

 

Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise darauf ersichtlich, dass die Durchführung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, dass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des genannten Mitgliedstaates aus diesem Grund wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte. Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.

 

Zu einer Verpflichtung Österreichs, von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung Gebrauch zu machen, wird bemerkt:

 

Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage betreffend das Fremdenrechtspaket 2005 führen zu § 5 Abs. 3 AsylG 2005 Folgendes aus (952 BlgNR, XXII. GP):

 

"Es ist davon auszugehen, dass diese Staaten Asylwerbern ein faires, den rechtsstaatlichen und völkerrechtlichen Vorschriften entsprechendes Asylverfahren einräumen. Im zweiten Erwägungsgrund der Präambel zur Dublin-Verordnung ist ausdrücklich festgehalten, dass sich die Mitgliedstaaten als "sichere Staaten" - insbesondere die Grundsätze des Non-Refoulements beachtend - für Drittstaatsangehörige ansehen. Daher normiert Abs. 3 eine Beweisregel, nach der der Asylwerber besondere Gründe vorbringen muss, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes sprechen. Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH 19.2.2004, 99/20/0573, mwN auf die Judikatur des EGMR). Im Erkenntnis des VwGH vom 31.3.2005, 2002/20/0582, führt dieser - noch zum AsylG 1997 - aus, dass es für die Frage der Zulässigkeit einer Abschiebung in einen anderen Mitgliedstaat aufgrund des Dublin-Übereinkommens nicht darauf ankommt, dass dieser Mitgliedstaat dem Asylwerber alle Verfahrensrechte nach Art. 13 EMRK einräumt. Verlangt sei statt einer detaillierten Bewertung der diesbezüglichen Rechtslage des anderen Mitgliedstaats lediglich eine ganzheitliche Bewertung der möglichen Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch Österreich durch die Überstellung. Dabei ist auf die "real risk" - Judikatur des EGMR abzustellen. Die Gefahrenprognose hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen zu beziehen. Dies wird durch die neue Beweisregel des Abs. 3 für Verfahren nach § 5 hervorgehoben, wobei der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Behörde entweder notorisch von solchen Umständen - die nur nach einer entscheidenden Änderung zum jetzigen Zustand im jeweiligen Staat vorliegen können - weiß oder diese vom Asylwerber glaubhaft gemacht werden müssen."

 

Nach der - zur Vorläuferbestimmung im Asylgesetz 1997 ergangenen - Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH 15.10.2004, G 237/03; 17.6.2005, B 336/05) sehe die Dublin-Verordnung vor, dass jeder Mitgliedstaat - auch wenn ein anderer Mitgliedstaat nach den Kriterien der Verordnung zuständig wäre - einen von einem Drittstaatsangehörigen eingebrachten Asylantrag selbst prüfen könne (Art. 3 Abs. 2). Er werde damit zum zuständigen Mitgliedstaat (sog. Selbsteintrittsrecht). Ein solches Selbsteintrittsrecht sei schon im - noch heute für das Verhältnis zu Dänemark geltenden - Dubliner Übereinkommen vorgesehen gewesen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe zum Dubliner Übereinkommen ausgesprochen, dass derartige Vereinbarungen die Mitgliedstaaten nicht von ihren Verpflichtungen aus der Konvention entbinden (7.3.2000, 3844/98 - T. I. gegen Vereinigtes Königreich; 12.1.1998, 32829/96 - Iruretagoyena gegen Frankreich; 5.2.2002, 51564/99 - Conka gegen Belgien). Im Erkenntnis VfSlg. 16.122/2001 hatte der Verfassungsgerichtshof aus Anlass der Anfechtung des § 5 AsylG in der Stammfassung im Hinblick auf das Dubliner Übereinkommen ausgeführt, dass das dort "in Art. 3 Abs. 4 festgelegte Eintrittsrecht Österreichs als Mitgliedstaat des Dubliner Übereinkommens zwingend zu berücksichtigen" sei. Dieses Eintrittsrecht schaffe "nicht etwa ein durch innerstaatliche Rechtsvorschriften ausschaltbares Recht österreichischer Staatsorgane, die betreffende Asylsache an sich zu ziehen, sondern verpflichtet die zuständige Asylbehörde unter bestimmten Voraussetzungen zur Sachentscheidung in der Asylsache und damit mittelbar dazu, keine Zuständigkeitsbestimmung i. S. d. § 5 vorzunehmen und von der Annahme einer negativen Prozessvoraussetzung in der Asylsache abzusehen." Eine "strikte, zu einer Grundrechtswidrigkeit führende Auslegung (und somit Handhabung) des § 5 Abs. 1 [sei] durch die Heranziehung des Art. 3 Abs. 4 des Dubliner Übereinkommens von der Asylbehörde zu vermeiden". Der Verfassungsgerichtshof ging im Hinblick auf die inhaltlich gleiche Regelung in der Dublin-Verordnung davon aus, dass diese zum Dubliner Übereinkommen angestellten Überlegungen auch für das Selbsteintrittsrecht des Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung zutreffen.

 

Nach der einschlägigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (z. B. VwGH 23.01.2007, 2006/01/0949; 26.7.2005, 2005/20/0224) zeigten die Erläuterungen zur Regierungsvorlage, dass sich die zur verfassungskonformen Auslegung des § 5 AsylG ergangene Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes auch auf die neue Rechtslage übertragen lasse. So habe der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 17.06.2005, B 336/05, bereits festgehalten, dass eine Nachprüfung durch die österreichischen Behörden, ob ein der Dublin-Verordnung unterliegender Mitgliedstaat für Asylwerber aus Drittstaaten generell sicher sei, nicht zu erfolgen habe, weil die entsprechende Vergewisserung durch den Rat der Europäischen Gemeinschaften ohnedies erfolgt sei. Insofern sei auch der Verfassungsgerichtshof an die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben gebunden. Indem die Dublin-Verordnung den Asylbehörden der Mitgliedstaaten aber ein Eintrittsrecht einräume, sei eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung eines Asylwerbers in einen anderen Mitgliedstaat im Einzelfall auch gemeinschaftsrechtlich zulässig. Sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers etwa durch eine Kettenabschiebung bedroht sind, so sei aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Eintrittsrecht zwingend auszuüben. Die grundrechtskonforme Interpretation des Asylgesetzes mache eine Bedachtnahme auf die - in Österreich in Verfassungsrang stehenden - Bestimmungen der EMRK notwendig. Die Asylbehörden müssten bei Entscheidungen nach § 5 AsylG auch Art. 3 EMRK berücksichtigen, aus dieser Bestimmung ergebe sich - unbeschadet internationaler Vereinbarungen oder gemeinschaftsrechtlicher Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen - das Erfordernis, auf ein allfälliges Risiko einer Kettenabschiebung bei Überstellung eines Asylwerbers in einen anderen Mitgliedstaat Rücksicht zu nehmen. Maßgeblich für die Wahrnehmung des Eintrittsrechtes sei, ob eine Gefahrenprognose zu treffen ist, der zufolge ein - über eine bloße Möglichkeit hinausgehendes - ausreichend substanziiertes "real risk" besteht, der auf Grund der Dublin-Verordnung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgewiesener Asylwerber werde trotz Berechtigung seines Schutzbegehrens, also auch im Falle der Glaubhaftmachung des von ihm behaupteten Bedrohungsbildes im Zielstaat, der Gefahr einer - direkten oder indirekten - Abschiebung in den Herkunftsstaat ausgesetzt sein. Diese Grundsätze hätten auch für die Auslegung des § 5 AsylG 2005 weiterhin Beachtung zu finden (VwGH 25.04.2006, 2006/19/0673; 31.03.2005, 2002/20/0582). Dem Gesetzgeber sei es darum gegangen, mit § 5 Abs. 3 AsylG 2005 eine "Beweisregel" zu schaffen, die es - im Hinblick auf die vom Rat der Europäischen Union vorgenommene normative Vergewisserung - grundsätzlich nicht notwendig mache, die Sicherheit des Asylwerbers vor "Verfolgung" in dem nach der Dublin-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat (insbesondere gemeint im Sinne der Achtung der Grundsätze des Non-Refoulements durch diesen Staat) von Amts wegen in Zweifel zu ziehen. Die damit aufgestellte Sicherheitsvermutung sei jedoch widerlegt, wenn besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen seien, glaubhaft gemacht würden oder bei der Behörde offenkundig seien, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung in diesem Mitgliedstaat sprächen. Die Wendung "in der Person des Asylwerbers gelegene besondere Gründe" gleiche schon ihrem Wortlaut nach dem § 4 Abs. 2 AsylG. Zu dieser Bestimmung habe der Verfassungsgerichtshof in dem Erkenntnis vom 15.10.2004, G 237/03, ausgeführt, die Regelung dürfe nicht eng ausgelegt werden und erfasse alle Umstände, die sich auf die besondere Situation des einzelnen Asylwerbers auswirken, daher auch solche, die durch die Änderung der Rechtslage oder der Behördenpraxis bewirkt werden. Der Verwaltungsgerichtshof gehe - mangels gegenteiliger Anhaltspunkte in den Materialien zum AsylG 2005 - davon aus, dass diese Auslegung auch für § 5 Abs. 3 AsylG 2005 maßgeblich sei. Was die Frage der "Beweislast" anbelange, so sei vorweg klarzustellen, dass bei Vorliegen "offenkundiger" Gründe (vgl. § 45 Abs. 1 AVG; Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I², 1998, E 27 zu § 45 AVG) eine Mitwirkung des Asylwerbers zur Widerlegung der in § 5 Abs. 3 AsylG 2005 implizit aufgestellten Vermutung nicht erforderlich sei. Davon abgesehen liege es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu werde es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstatte, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeuge, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist. Es verstehe sich von selbst, dass bei der Beurteilung, ob die geforderte "Glaubhaftmachung" gelungen ist, der besonderen Situation von Asylwerbern, die häufig keine Möglichkeit der Beischaffung von entsprechenden Beweisen hätten, Rechnung getragen werden müsse. Habe der Asylwerber die oben angesprochenen besonderen Gründe glaubhaft gemacht, sei die dem § 5 Abs. 3 AsylG 2005 immanente Vermutung der im zuständigen Mitgliedstaat gegebenen Sicherheit vor Verfolgung widerlegt. In diesem Fall seien die Asylbehörden gehalten, allenfalls erforderliche weitere Erhebungen (auch) von Amts wegen durchzuführen, um die (nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes erforderliche) Prognose, der Asylwerber werde bei Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat der realen Gefahr ("real risk") einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein, erstellen zu können. Diese Ermittlungspflicht ergebe sich aus § 18 AsylG 2005, die insoweit von § 5 Abs. 3 AsylG 2005 unberührt bleibe.

 

Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

 

Die allgemeinen Beschwerdebehauptungen, dass in Polen die Versorgung mangelhaft sei, können die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 nicht entkräften. Der Asylgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die allgemeine Lage für nach Polen überstellte Asylwerber keineswegs die reale Gefahr einer gegen menschenrechtliche Bestimmungen verstoßenden Behandlung glaubhaft erscheinen lässt. Insbesondere sind die Praxis der asylrechtlichen und subsidiären Schutzgewährung, die Grund- und Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage unbedenklich und genügen den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts (AsylGH 05.02.2009, S4 404.099-1/2009; 21.01.2009, S3 402.665-1/2008; 16.01.2009, S2 403.730-1/2009). In Polen sind alle Krankheiten uneingeschränkt behandelbar. Asylwerber haben das Recht auf medizinische Betreuung nach denselben Regeln wie polnische Staatsbürger (Österreichische Botschaft Warschau, Anfragebeantwortung vom 17.06.2008; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Anfragebeantwortung vom 18.02.2008). Nach der aktuellen Dokumentation des Asylgerichtshofes haben die von der Erstbehörde herangezogenen Länderberichte noch immer Gültigkeit, weil sich die diesbezügliche Situation in Polen nicht geändert hat (z. B. Bundesasylamt, Anfragebeantwortung vom 18.03.2008; ACCORD, Anfragebeantwortung vom 05.03.2008, Situation tschetschenischer Asylwerber in Polen,

http://www.ecoi.net/file_upload/response_de_94448.html). Die in der Beschwerde zitierten Berichte behandeln einzelne Probleme der Gesundheitsversorgung in Polen, etwa längere Wartezeiten.

 

Da im konkreten Fall ein Asylverfahren noch anhängig ist, verbieten sich spekulative Erwägungen über dessen Ausgang oder über die Erfolgsaussichten der Beschwerdeführerin. Auch sonst konnte die Beschwerdeführerin keine auf sich selbst bezogenen besonderen Gründe, die für eine reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK sprächen, glaubhaft machen, weshalb die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 greift, wonach ein Asylwerber im zuständigen Mitgliedstaat Schutz vor Verfolgung findet.

 

Zu einer möglichen Verletzung des Art. 8 EMRK wird der Vollständigkeit halber ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin über keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich verfügt. Auch kamen im Zuge des Verfahrens - schon aufgrund der relativ kurzen Aufenthaltsdauer - keine schützenswerten Aspekte des Privatlebens hervor.

 

Der Asylgerichtshof gelangt daher insgesamt zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall keine Verletzung von Bestimmungen der EMRK zu befürchten ist. Daher bestand auch keine Veranlassung, von dem in Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung vorgesehenen Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen und eine inhaltliche Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz vorzunehmen.

 

Es sind auch keine Hinweise für eine Unzulässigkeit der Ausweisung im Sinn des § 10 Abs. 2 AsylG 2005 ersichtlich, zumal weder ein - nicht auf das Asylgesetz 2005 gestütztes - Aufenthaltsrecht aktenkundig ist noch die Ausweisung eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellt. Darüber hinaus liegen auch keine Gründe für einen Durchführungsaufschub gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 vor.

 

Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG 2005 konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben. Die öffentliche Verkündung des Erkenntnisses hatte gemäß § 41 Abs. 9 Z 2 AsylG 2005 zu entfallen.

Schlagworte
Ausweisung, Familienverfahren, real risk, Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
23.04.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten