TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/08 D12 319325-1/2008

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Veröffentlicht am 08.09.2008
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Spruch

D12 319325-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Auttrit als Vorsitzenden und den Richter Dr. Dajani als Beisitzer über die Beschwerde des mj. V.R., geb. 00.00.1990, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.04.2008, FZ. 05 05.831-BAL, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51 in der Fassung BGBl. I Nr. 5/2008, iVm § 61 Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008, und § 7 AsylG 1997 als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

Der minderjährige Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste am 24.04.2005 gemeinsam mit seiner Mutter in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Hierzu wurde er am 26.04.2005 im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die russische Sprache sowie seiner Mutter als gesetzliche Vertreterin vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesasylamtes niederschriftlich befragt.

 

Am 29.04.2005 langte beim Bundesasylamt eine gutachtliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren von Dr. H. ein, der zu entnehmen ist, dass bei dem Beschwerdeführer ein hochgradiger Verdacht auf PTSD bestehe, und eine Therapie bei einem mit Kindern erfahrenen Psychotraumatologen empfohlen wurde.

 

Am 16.11.2006 wurde der Beschwerdeführer erneut im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die tschetschenische Sprache vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesasylamtes niederschriftlich befragt.

 

Nach Übermittlung der aktuellen Länderinformationen zur Lage in der Russischen Föderation langte am 01.04.2008 eine Stellungnahme der Mutter des Beschwerdeführers zu diesen Feststellungen ein.

 

Das Bundesasylamt hat den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 23.04.2008, FZ. 05 05.831-BAL, gemäß § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I). Unter einem wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG nicht zulässig sei (Spruchpunkt II). Gemäß § 8 Abs. 3 iVm. § 15 Abs. 2 AsylG wurde dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 22.04.2009 erteilt (Spruchpunkt III). Gegen Spruchpunkt I dieses am 30.04.2008 zugestellten Bescheides wurde durch die gesetzliche Vertreterin des Beschwerdeführers mit Schriftsatz vom 08.05.2008 fristgerecht Beschwerde erhoben.

 

Begründet wird die Beschwerde im Wesentlichen mit den schon vor dem Bundesasylamt gemachten Angaben. Der Beschwerdeführer bringt vor, das Bundesasylamt habe verkannt, dass nach der Judikaur des VwGH die Angaben eines Asylwerbers nur unter Einbeziehung der konkreten Lage im Herkunftsstaat des Betroffenen einer Plausibilitätskontrolle zugänglich seien, habe sein Vorbringen allerdings unter Zugrundelegung allgemeiner Länderberichte gewertet und hinsichtlicht der Gefährdungssituation von Angehörigen von vermuteten Rebellen oder anderen missliebigen Personen nicht ermittelt. Zum Beweis verweist der Beschwerdeführer auf Auszüge des Berichtes des deutschen Auswärtigen Amtes von Februar 2006 und vom 17.03.2007, eines Berichts der Schweizer Flüchtlingshilfe zur Entwicklung im Nordkaukasus von Januar 2007 sowie des Länderberichtes zur Russischen Föderation des US Department of State vom 11.03.2008. Der Beschwerdeführer führt weiter aus, es seien nicht nur Angehörige von Rebellen, sondern auch Angehörige von Personen, die Menschenrechtsverletzungen der russischen oder prorussischen Behörden öffentlich machten oder die Täter zur Verantwortung ziehen wollten, immer wieder von Verfolgungsmaßnahmen betroffen. Die Mutter des Beschwerdeführers habe die Ermordung ihres Mannes angezeigt, woraufhin der Beschwerdeführer festgenommen worden sei. Hierzu verweist er auf den Bericht des Berichterstatters des Europarates zu Menschenrechtsverletzungen in der Russischen Föderation vom 21.12.2005.

 

Unter Verweis auf das Anti-Folter-Komitee des Europarates und die Menschenrechtsorganisation Memorial brachte der Beschwerdeführer vor, Folter und Misshandlungen seien im Nordkaukasus und in Tschetschenien üblich, jedoch würden es Folteropfer kaum wagen, sich an Menschenrechtsorganisationen zu wenden. Frauen würden hierbei von Verfolgungshandlungen keineswegs verschont.

 

Des weiteren führte der Beschwerdeführer aus, die innerstaatliche Fluchtalternative sei vor dem Hintergrund zahlreicher internationaler Berichte entgegen der Behauptung des Bundesasylamtes jedenfalls zu verneinen.

 

Das Bundesasylamt wäre darüber hinaus gehalten gewesen, die psychischen Probleme des Beschwerdeführers sowie seiner Mutter, die es wahrgenommen und in seinen Feststellungen aufgenommen habe, im Rahmen ihrer Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Wenn der Mutter des Beschwerdeführers vorgehalten werde, sie sei Fragen zur Bedrohung durch Soldaten ausgewichen und habe sich in zahlreiche Widersprüche verwickelt, so hätte sich das Bundesasylamt die Frage stellen müssen, ob dieses Ausweichen auf Fragen möglicherweise aufgrund ihres psychischen Zustandes erfolgt sei. Sie beantrage daher zum Beweis ihrer Glaubwürdigkeit die Erstellung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens.

 

II. Der Asylgerichtshof hat dazu erwogen:

 

1. Aufgrund des Akteninhaltes steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest.

 

Der minderjährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der Volksgruppe der Tschetschenen. Er lebte gemeinsam mit seinen Eltern und einer Schwester in E., wo er von 1997 bis 2005 die Grundschule besuchte.

 

Der Beschwerdeführer reiste am 24.04.2005 gemeinsam mit seiner Mutter, V.Z., und seiner Schwester, V.M., in das österreichische Bundesgebiet ein. Der Asylantrag der Mutter des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.04.2008, FZ. 05 05.829-BAL, gemäß § 7 AsylG abgewiesen und festgestellt, dass ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG nicht zulässig sei. Gemäß § 8 Abs. 3 iVm. § 15 Abs. 2 AsylG wurde ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 22.04.2009 erteilt. Die gegen Spruchpunkt I dieses Bescheides eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 05.09.2008, Zahl: D 12 319328-1/2008/2E, gemäß § 7 AsylG abgewiesen.

 

Am 00.00.2005 wurde der Vater des Beschwerdeführers von unbekannten Personen erschossen, woraufhin die Mutter des Beschwerdeführers Anzeige wegen Mordes erstattete. Am 00.00.2005 wurde der Beschwerdeführer von maskierten uniformierten Männern verhaftet, eine Nacht lang festgehalten und in der Haft misshandelt. Der Beschwerdeführer wurde in russischer Sprache befragt, konnte jedoch die gestellten Fragen nicht verstehen, da seine Muttersprache tschetschenisch ist und er zu diesem Zeitpunkt kaum russisch verstand. Nachdem die Mutter des Beschwerdeführers ihre Anzeige zurückgezogen hatte, wurde der Beschwerdeführer wieder freigelassen. Der Vater des Beschwerdeführers war weder im Widerstand tätig noch hatte er Verbindungen zu Widerstandskämpfern. Bis zu seiner Ausreise wohnte der Beschwerdeführer mit seiner Familie im eigenen Haus in

E..

 

Nicht festgestellt werden kann unter Zugrundelegung des Vorbringens des Beschwerdeführers und seiner gesetzlichen Vertreterin, dass dem Beschwerdeführer in der Russischen Föderation Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten drohen würde.

 

Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Asylgerichtshofes die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Grund nicht gegeben.

 

2. Beweiswürdigung:

 

Hinsichtlich der Sachverhaltsfeststellungen und der Beweiswürdigung wird grundsätzlich auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid verwiesen, zumal das Bundesasylamt ein mängelfreies und ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens sowie die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen klar und übersichtlich zusammengefasst hat (zur Zulässigkeit dieses Vorgehens vgl. VwGH 04.10.1995, Zahl 95/01/0045;

VwGH 25.3.1999, Zahl 98/20/0559; VwGH 24.11.1999, Zahl 99/01/0280;

VwGH 8.6.2000, Zahl 99/20/0366; VwGH 30.11.2000, Zahl 2000/20/0356;

VwGH 22.2.2001, Zahl 2000/20/0557; VwGH 21.6.2001, Zahl 99/20/0460).

 

Die Angaben des Beschwerdeführers und seiner Mutter als gesetzliche Vertreterin zur Person des Beschwerdeführers sowie in Bezug auf die Tatsache, dass der Beschwerdeführer aufgrund einer Anzeige seiner Mutter wegen der Tötung des Vaters festgenommen wurde, sind glaubwürdig.

 

Die Mutter des Beschwerdeführers hat angegeben, ihr Ehemann sei auf dem Heimweg von seinem Arbeitsplatz von unbekannten Männern - vermeintlich russischen Soldaten - erschossen worden. Die Mutter des Beschwerdeführers habe deshalb mit Hilfe des Bürgermeisters von E. Anzeige erstattet. Aufgrund ihrer Anzeige kamen maskierte Männer in das Haus der Familie und nahmen den Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer wurde über Nacht festgehalten und in der Haft misshandelt. Dem Beschwerdeführer wurden in Haft Fragen in russischer Sprache gestellt, worauf der Beschwerdeführer, der zu diesem Zeitpunkt noch kein Russisch verstand, nicht antworten konnte. Der Mutter des Beschwerdeführers wurde mitgeteilt, dass ihr Sohn wieder freigelassen würde, wenn sie die Anzeige zurückzöge. Nachdem die Mutter des Beschwerdeführers am Tag darauf die Anzeige zurückzog, wurde der Beschwerdeführer freigelassen. Daraufhin beschloss die Familie des Beschwerdeführers, die Russische Föderation zu verlassen.

 

Zu weiteren Übergriffen gegen den Beschwerdeführer kam es nach seiner Freilassung nicht. Die Mutter des Beschwerdeführers hat vor dem Bundesasylamt auch angegeben, dass ihr Ehemann nicht im Widerstand gekämpft habe, nicht in Verbindung zu Widerstandskämpfern gestanden sei und sie auch - abgesehen von dem geschilderten Vorfall - nie Probleme mit den Behörden gehabt habe. Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass er auch nach der Zurückziehung der Anzeige seiner Mutter Bedrohungen durch russische Soldaten ausgesetzt sein würde. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass der Berufungswerber und seine Familie offenbar bis zu ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation weiterhin unbehelligt in ihrem Haus in E. lebten.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I. Nr. 100/2005, außer Kraft.

 

Mit 1. Juli 2008 entscheidet der Asylgerichtshof gemäß Art. 129c Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, idgF, in Verbindung mit § 61 Abs. 1 Aslygesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, in der geltenden Fassung in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 leg. cit. vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

2. Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

Durch Einzelrichter/Einzelrichterin entscheidet der Asylgerichtshof gemäß § 61 Abs. 3 Z 1 AsylG 2005 ausnahmslos über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide

 

a) wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4 leg. cit.;

 

b) wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5 leg. cit. sowie

 

c) wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG.

 

Eine mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung fällt gemäß § 61 Abs. 3 Z 2 leg. cit. ebenfalls in die Kompetenz des/der zuständigen Einzelrichters/ Einzelrichterin.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein Rechtsmittelverfahren gegen einen abweisenden Bescheid. Daher ist das Verfahren des Beschwerdeführers nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997, idF BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) vor dem zuständigen Senat des Asylgerichtshofes weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt."

 

Wie bereits vom Bundesasylamt festgestellt, liegt ein Familienverfahren im Sinne des § 10 AsylG vor.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG stellen Familienangehörige (§ 1 Z 6) eines

1. Asylberechtigten; 2. subsidiär Schutzberechtigten (§§ 8 iVm 15) oder 3. Asylwerbers einen Antrag auf Gewährung desselben Schutzes. Für Ehegatten gilt dies überdies nur dann, wenn die Ehe spätestens innerhalb eines Jahres nach der Einreise des Fremden geschlossen wird, der den ersten Asylantrag eingebracht hat.

 

(2) Die Behörde hat aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Asylberechtigten mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, mit dem Angehörigen in einem anderen Staat nicht möglich ist.

 

(3) Die Behörde hat aufgrund eines Antrages eines im Bundesgebiet befindlichen Familienangehörigen eines subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid den gleichen Schutzumfang zu gewähren, es sei denn, dem Antragsteller ist gemäß § 3 Asyl zu gewähren. Abs. 2 gilt.

 

(4) Befindet sich der Familienangehörige eines subsidiär Schutzberechtigten im Ausland, kann der Antrag auf Gewährung desselben Schutzes gemäß § 16 drei Jahre nach Schutzgewährung gestellt werden.

 

(5) Die Behörde hat Asylanträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Dies ist entweder die Gewährung von Asyl oder subsidiärem Schutz, wobei die Gewährung von Asyl vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Antragsteller erhält einen gesonderten Bescheid.

 

Familienangehörige sind gemäß § 1 Z 6 AsylG, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratetes, minderjähriges Kind (Kernfamilie) eines Asylwerbers oder eines Asylberechtigten ist.

 

Entscheidungsrelevante Tatbestandsmerkmale sind "die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 MRK" und der Umstand, dass dieses Familienleben mit dem Angehörigen in einem anderen Staat nicht zumutbar ist.

 

Bei dem Begriff "Familienleben im Sinne des Art. 8 MRK" handelt es sich nach gefestigter Ansicht der Konventionsorgane um einen autonomen Rechtsbegriff der Konvention (vgl. EGMR, Urteil vom 13.06.1997, Fall MARCKX, Ser. A, VOL. 31, Seite 14, § 31).

 

Nach dem obzitierten EGMR-Urteil sind sowohl die Beziehungen der Eltern untereinander, als auch jeweils jener Kinder durch Art. 8 EMRK geschützte familiäre Bande. Bei einer diesbezüglichen Familie ergeben sich die von der MRK-Rechtsprechung zusätzlich geforderten engen Bindungen der Familienmitglieder untereinander aus ihrem alltäglichen Zusammenleben, gemeinsamer Sorge und Verantwortung füreinander, sowie finanzieller und anderer Abhängigkeit.

 

Der Beschwerdeführer ist der im Zeitpunkt der Antragstellung minderjährige unverheiratete Sohn der V.Z.. Ihm wurde ebenso wie seiner Mutter subsidiärer Schutz gewährt. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl im Rahmen des Familienverfahrens sind im gegenständlichen Fall jedoch nicht erfüllt, da der Mutter des Beschwerdeführers kein Asyl gewährt wurde.

 

Es ist sohin zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer aufgrund seines Vorbringens aus eigenen Gründen Asyl zu gewähren ist.

 

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung".

 

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011).

 

Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.2.1997, 95/01/0454, 09.04.1997, Zl. 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.4.1996, 95/20/0239; 16.02.2000, Zl. 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318).

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183, 18.02.1999, 98/20/0468).

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

 

Da der Beschwerdeführer keine im Zeitpunkt der Entscheidung bestehende aktuelle Bedrohung durch Verfolgungshandlungen hat glaubhaft machen können, liegt die Voraussetzung für die Gewährung von Asyl nicht vor, nämlich die Gefahr einer aktuellen Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe.

 

Auch wenn der Verlust des Vaters durch Schüsse unbekannter Personen für den Beschwerdeführer tragisch ist und die von ihm erlittene Festnahme und Misshandlungen vom Asylgerichtshof als schwerwiegende Eingriffe anerkannt werden, ist aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers und seiner Mutter nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer oder seine Familie in der Russischen Föderation aktuelle Verfolgungshandlungen zu gewärtigen hätten. Mit der Zurücknahme der Anzeige durch die Mutter des Beschwerdeführers besteht keine Veranlassung für die russischen Behörden, weiterhin Druck auf die Familie des Beschwerdeführers auszuüben und konnte auch nicht festgestellt werden, dass es nach der Freilassung des Beschwerdeführers zu weiteren Bedrohungen gekommen wäre.

 

Auch der Beschwerde vermag der Asylgerichtshof keine neuen Sachverhaltselemente zu entnehmen, welche geeignet wären, die von der Behörde getroffene Entscheidung in Frage zu stellen, weshalb die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof unterbleiben konnte, da der maßgebende Sachverhalt durch die Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt war (vgl. § 41 Abs. 7 AsylG iVm § 67d AVG idgF).

 

Es ergibt sich aus § 23 AsylGHG, dass die dort als Rechtsfolge vorgesehene sinngemäße Anwendung des AVG 1991 unter dem Vorbehalt anderer Regelungsinhalte des B-VG, des AsylG 2005 und des VwGG steht. Derartige ausdrückliche andere Regelungen für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof sind, in den in der Erläuterung laut AB 371 XXIII.GP genannten §§ 20, 22 und 41 AsylG 2005 enthalten, wohl aber auch in den §§ 42, 61 und 62 AsylG 2005. Durch die Verweisung aus § 23 AsylGHG ergibt sich somit die Anwendung von Verfahrensbestimmungen für den Asylgerichtshof in allen anhängigen Verfahren einschließlich der gemäß den Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führenden "Altverfahren", ohne dass es dafür einer Nennung dieser Bestimmungen (auch) im § 75 Abs. 1 AsylG 2005 bedürfte.

 

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur außer Kraft getretenen Regelung des Art. II Abs. 2 lit. D Z 43a EGVG war der Sachverhalt nicht als geklärt anzusehen, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird oder der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (VwGH 2.3.2006, Zl. 2003/20/0317 mit Hinweisen auf VwGH 23.1.2003, Zl. 2002/20/0533; 12.06.2003, Zl. 2002/20/0336).

 

Soweit der Beschwerdeführer auf den Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes von Februar 2006 bzw. von März 2007 verweist, ist ihm entgegen zu halten, dass es sich bei den ihrer Beschwerde zugrunde gelegten Berichten nicht um die aktuellsten Lageberichte zur Situation in Tschetschenien handelt. Vielmehr ist die zitierte Textpassage im jüngsten Bericht des Auswärtigen Amtes vom Januar 2008, welchen auch das Bundesasylamt seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, gerade nicht mehr enthalten. Zudem beziehen sich die vom Beschwerdeführer herangezogenen Berichte auf Entführungen von Angehörigen von tschetschenischen Kämpfern, die das Ziel haben, diese zum Aufgeben zu zwingen oder deren Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen. Aus diesen Berichten ist jedoch für die individuelle Situation des Beschwerdeführers nichts zu gewinnen, dessen Vater weder im tschetschenischen Widerstand gekämpft hatte noch Verbindungen zu Kämpfern hatte und auch niemals Schwierigkeiten mit russischen oder tschetschenischen Behörden hatte. Auch der Bericht des Berichterstatters des Europarates bezieht sich ausschließlich auf die Situation von Kämpfern und deren Angehörigen sowie von Personen, die Übergriffen unterliegen, weil sie Beschwerden an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht hatten. Auch diese Bedrohungssituation betrifft nicht den Beschwerdeführer, der außer einer einmaligen Festnahme, die in Zusammenhang mit einer Anzeige, die seine Mutter wegen des Todes seines Vaters erstattet hatte, erfolgt ist, keinen Übergriffen ausgesetzt war. Nach der Zurückziehung der Anzeige sind damit auch keine weiteren Verfolgungshandlungen gegenüber dem Beschwerdeführer und seiner Familie zu erwarten. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass dieser Bericht im Übrigen aus dem Jahr 2005 stammt und sich auf Vorfälle bezieht, die in den Jahren 2004 und 2005 lagen. Die vom Beschwerdeführer angeführten Berichte sind sohin nicht geeignet, sein Vorbringen zu untermauern und eine aktuelle Gefahr weiterer Verfolgungshandlungen gegen den Beschwerdeführer erkennen zu lassen.

 

Somit war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesasylamtes abzuweisen.

Schlagworte
Familienverfahren
Zuletzt aktualisiert am
12.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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