TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/15 C15 236140-5/2008

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Veröffentlicht am 15.09.2008
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Spruch

C15 236.140-5/2008/2E

 

Erkenntnis

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Maurer-Kober als Einzelrichterin über die Beschwerde des S.P., geb. 00.00.1981 alias 00.00.1984, StA. Indien gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.08.2008, FZ. 08 07.036 EAST-Ost, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der nunmehrige Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, reiste erstmals am 13.01.2002 über den Flughafen Wien illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und brachte am 15.01.2002 einen Asylantrag ein. Am 11.02.2002 erfolgte die Einstellung des Verfahrens gemäß § 30 AsylG, da eine Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wegen Abwesenheit des Asylwerbers nicht möglich war.

 

2. Am 03.03.2003 reiste der Beschwerdeführer erneut, aus der Slowakei kommend, illegal in das österreichische Bundesgebiet und stellte einen weiteren (zweiten) Asylantrag. Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 25.03.2003 gab er im Wesentlichen an, er habe sein Heimatland verlassen, da er mit seinen Onkeln Konflikte betreffend eine Landwirtschaft gehabt habe. Es sei zwei- bis dreimal zu Auseinandersetzungen gekommen und dabei sei er einmal schwer verletzt worden. Die Polizei habe nicht auf ihn gehört, da diese von den Onkeln bestochen worden sei.

 

Das Bundesasylamt, Außenstelle Salzburg, wies mit Bescheid vom 25.03.2003, FZ. 03 07.585-BAS, den Asylantrag des Asylwerbers ohne in die Sache einzutreten gemäß § 4 Abs. 1 AsylG 1997, BGBl I 1997/76 i. d.g.F. als unzulässig zurück.

 

Die gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Berufung wurde vom Unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheid vom 10.05.2004, Zahl:

236.140/0-IV/44/03, durch das damals zuständige Mitglied gemäß § 44 Abs. 5 AsylG als unzulässig zurückgewiesen.

 

Im fortgesetzten Verfahren wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 15.06.2004, FZ. 03 07.585-BAS den Asylantrag vom 03.03.2003 gemäß § 7 AsylG 1997 BGBl I Nr. 76/1997 idF BGBl I Nr. 126/2002 ab (Spruchpunkt I) und stellte in seinem Spruchpunkt II fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers nach Indien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997, BGBl I Nr. 76/1997 idgF zulässig sei. Ferner wurde der Asylwerber mit Spruchpunkt III gem. § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" ausgewiesen.

 

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 16.08.2004, Zahl:

236.140/5-IV/44/04, gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurückgewiesen.

 

In der Folge stellte der Asylwerber einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, welcher vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 07.10.2004, FZ. 03 07.585-BAS, gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG abgewiesen wurde.

 

Der gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde vom Unabhängigen Bundesasylsenat mit Bescheid vom 15.12.2004, Zahl:

236.140/9-IV/44/04, keine Folge gegeben und der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 2 AVG als verspätet zurückgewiesen.

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Asylwerber Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, der mit Erkenntnis vom 29.09.2005, Zl. 2005/20/0088-8, diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufhob.

 

3. Zwischenzeitig stellte der Asylwerber am 03.02.2005 einen weiteren (dritten) Asylantrag - eingebracht beim Bundesasylamt am 03.03.2005 - und gab im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 03.03.2005 und am 14.03.2005 im Wesentlichen und zusammengefasst an, er habe dieselben Probleme in Indien wie zum Zeitpunkt der vorhergehenden Asylantragstellung.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.03.2005, FZ. 05 01.596 East-Ost, wurde der dritte Asylantrag des Asylwerbers vom 03.03.2005 gemäß § 68 Abs. 1 AVG iVm § 32 Abs. 8 AsylG 1997, BGBl I Nr. 76/1997 idgF wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Asylwerber fristgerecht Berufung.

 

4. Sowohl über den zweiten als auch über den dritten Asylantrag des Asylwerbers hat der Unabhängige Bundesasylsenat durch das damals zuständige Mitglied nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung mit Bescheid vom 21.12.2005, Zahl:

236.140/12-IV/44/05, entschieden; und zwar wurde der Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.10.2004, FZ. 03 07.585-BAS, keine Folge gegeben und der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 2 AVG als verspätet zurückgewiesen (Spruchteil I) sowie in Spruchteil II in Erledigung der Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.03.2005, FZ. 05 01.596-EAST Ost, der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, das der Spruch zu lauten habe: "Der Antrag auf Gewährung von Asyl von S.P. vom 03.02.2005 wird gemäß § 68 Abs. 1 AVG als unzulässig zurückgewiesen."

 

5. Der Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.10.2004, FZ. 03 07.585-BAS (zweiter Asylantrag), erwuchs am 05.07.2004 in Rechtskraft; jener vom 15.03.2005, FZ. 05 01.596-EAST Ost (dritter Asylantrag) am 21.05.2005.

 

6. Am 09.08.2008 stellte der nunmehrige Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen EAST am selben Tag im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Punjabi gab er an, er sei von Delhi mit dem Flugzeug im Juli 2008 illegal nach Moskau geflogen, wo er sich drei Tage aufgehalten habe. Dann sei er von einem PKW abgeholt und nach ca. vier Tagen - ca. am 20.07.2008 - in die Nähe der U-Bahn Station Floridsdorf gebracht worden. Er habe eine Freundin namens K.J., deren Eltern gegen diese Beziehung seien. Am 07.08.2008 sei diese von ihren Eltern nach Indien zurückgebracht worden. Er habe Angst, dass ihr Vater, der morgen nach Indien fliege, sie umbringen würde. Heute [sohin am 09.08.2008] sei er gegen drei Uhr früh von acht Indern überfallen und verletzt worden. Dabei habe es sich um den Vater und drei Cousins von J. gehandelt; eine fünfte Person kenne er noch namentlich; die anderen drei habe er nicht erkannt. Die Polizei habe er nicht gerufen, da er Angst gehabt habe, festgenommen zu werden, da er sich nicht ausweisen hätte können. Um Asyl habe er angesucht, da er keine Dokumente habe und daher nicht ins Krankenhaus habe gehen können. Nachdem er um Asyl angesucht habe, sei er von der Rettung abgeholt und ins Krankenhaus gebracht worden. Im Februar 2003 habe er erstmals um Asyl angesucht und sei der Antrag negativ beschieden worden. "Irgendwann" habe er wieder um Asyl angesucht und habe wieder einen negativen Bescheid erhalten. Im November 2007 sei er 50 Tage im Gefängnis gewesen und sei aufgrund eines Hungerstreikes wieder entlassen worden. Dann habe er Österreich im Jänner 2008 freiwillig verlassen und sei mit einem gefälschten Reisepass über Moskau nach Delhi geflogen. Für die Schleppung und den gefälschten Reisepass habe er insgesamt ¿ 7.000,00 bezahlt. Im Februar 2008 sei er in Delhi angekommen und habe bis Juli 2008 in der Nachbarstadt G. gewohnt. Sein Heimatland habe er verlassen, weil ihn seine Freundin angerufen habe und ihm gesagt habe, er solle zurückkommen, da sie sonst sterben würde. Bei einer Rückkehr in seine Heimat befürchte er von der Polizei gesucht zu werden, da gegen ihn ein Haftbefehl bestehe.

 

7. Am 14.08.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen (§§ 4, 5 und 68 Abs. 1 AVG) (§ 29 Abs. 3 Z 4 AsylG), da entschiedene Sache im Sinne des § 68 AVG vorliege (vgl. AS 47ff).

 

8. In der Folge wurde der Beschwerdeführer am 21.08.2008 erneut vom Bundesasylamt nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit des Rechtsberaters und eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Punjabi einvernommen und gab dabei im Wesentlichen an, dass er den neuen Asylantrag deshalb stelle, weil er wieder in Indien gewesen sei. Auf Vorhalt des Bundesasylamtes, dass beabsichtigt sei, seinen neuerlichen Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, brachte er vor, er sei zu Hause gewesen und wieder nach Österreich gekommen, weil seine Freundin Probleme mit ihren Eltern in Österreich gehabt habe. Ferner habe er in Indien einen Haftbefehl erhalten. Im Jahr 2002 habe er einen Streit gehabt und aus diesem Grund werde er gesucht. Den Haftbefehl habe er 2008 erhalten, als er in Indien gewesen sei. Seine Fluchtgründe aus den Vorverfahren seien nicht wahr gewesen. Er habe auch bei seinem Geburtsjahr gelogen. Richtigerweise sei er 1981 geboren. Er habe die Unwahrheit gesagt, weil er Angst gehabt habe, nach Indien abgeschoben zu werden. Für die Rückreise im Jahr 2008 habe er vom Schlepper einen Reisepass erhalten und sei von Österreich aus mit einem PKW nach Moskau gefahren und von Moskau aus mit einem gefälschten Reisepass nach Neu Delhi geflogen. Dafür habe er ¿ 7.000,00 bezahlt. Am 14.01.2008 habe er Österreich verlassen und am 20.01.2008 sei er in Indien angekommen. In Indien habe er in G. in einem Hotel gelebt; dies habe ihm seine Familie finanziert. Probleme mit der Polizei habe er während dieser Zeit nicht gehabt. Er habe jedoch immer den falschen Pass benutzt. Österreich habe er verlassen, da seine Freundin, die in Österreich gelebt habe, im Dezember 2007 nach Indien zurückgekehrt sei. Er habe sie heiraten wollen und sei daher nach Indien gefahren. Als er in Indien angekommen sei, sei diese schon wieder in Österreich gewesen. Auf Vorhalt des Bundesasylamtes, dass die Angaben zu seiner Aus- und Einreise nicht glaubhaft seien, da es die Möglichkeit eines Gratisrückfluges durch IOM gebe, gab er an, dass er die Kopie des Haftbefehls vorgelegt habe. Auf Vorhalt, seine nunmehr vorgebrachten Probleme würden sich auf das Jahr 2002 beziehen und diese habe er in den vorhergehenden Asylverfahren nie behauptet, gab er an, die Probleme mit dem Onkel seien gelogen gewesen. Die Polizei suche ihn jedoch seit 2002. Derzeit könne er nicht nach Indien. Es könne auch sein, dass ihn die Eltern seiner Freundin in Indien töten lassen wollen würden, da diese nicht wollen würden, dass er seine Freundin heirate. Die Eltern würden zwar in Österreich leben, aber es wäre trotzdem möglich. Verwandte habe er in Österreich nicht und lebe auch nicht mit jemandem in einer Familie oder familienähnlichen Lebensgemeinschaft. Im Rahmen dieser Einvernahme legte der Beschwerdeführer nach der Aktenlage eine schlecht zu lesende Kopie des Haftbefehls mit indischem Text vor (vgl. AS 61).

 

9. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.08.2008, FZ. 08.07.036 EAST-Ost, wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I) und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien ausgewiesen (Spruchpunkt II). Begründend wurde dazu ausgeführt, dass aufgrund der Widersprüche keinesfalls von einem "glaubhaften Kern" des nunmehrigen Vorbringens ausgegangen werden könne. Zur Kopie des vorgelegten Haftbefehls hielt die Erstbehörde fest, dass diese keiner Beweiswürdigung unterzogen habe werden können, da das Original nicht vorliege und sohin keine Dokumentenüberprüfung hätte durchgeführt werden können.

 

10. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem, dem Asylgerichtshof vorliegenden, Verwaltungsakt des Beschwerdeführers.

 

2. Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG ist das AsylG mit 1. Jänner 2006 in Kraft getreten und ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren. Das vorliegende Verfahren war am 31.12.2005 nicht anhängig; es ist daher nach dem AsylG 2005 zu führen.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde tritt.

 

2.1. § 41 Abs. 3 AsylG lautet: "In einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung ist § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren statt zu geben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch statt zu geben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."

 

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69, 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß den Absätzen 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

 

Gemäß § 75 Abs. 4 AsylG 2005 begründen auch ab- oder zurückweisende Bescheide auf Grund des Asylgesetzes 1997 in derselben Sache in Verfahren nach dem AsylG 2005 den Zurückweisungstatbestand der entschiedenen Sache (§ 68 AVG).

 

Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG ist die Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz mit einer Ausweisung zu verbinden. Diese gilt gemäß § 10 Abs. 4 AsylG stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den bezeichneten Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

2.2. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegen verschiedene "Sachen" im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG vor, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren (abgesehen von Nebenumständen, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind) abweicht (vgl. VwGH vom 19.07.2001, Zl. 99/20/0418-13). Liegt keine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vor und ist in dem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt keine Änderung eingetreten, so steht die Rechtskraft des ergangenen Bescheides dem neuerlichen Antrag entgegen. Es kann jedoch nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhalts die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen nach § 28 AsylG - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Darüber hinaus muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann. Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vorn herein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (vgl. VwGH vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und VwGH vom 19.07.2001, Zl. 99/20/0418).

 

Gegenüber neu entstandenen Tatsachen fehlt es an der Identität der Sache; neu hervorgekommene Tatsachen (oder Beweismittel) rechtfertigen dagegen allenfalls eine Wiederaufnahme (wegen nova reperta), nicht jedoch bedeuten sie eine Änderung der Sachlage im Sinn des § 68 Abs. 1 AVG (vgl. Hauer-Leukauf, "Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens", 5. Auflage, 617). Eine neue Sachentscheidung ist demnach nicht nur bei identem Begehren aufgrund desselben Sachverhalts, sondern wie sich aus § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergibt, auch im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismittel, die schon vor Abschluss des Vorverfahrens bestanden haben, ausgeschlossen. Der Begriff "Identität der Sache" muss in erster Linie aus einer rechtlichen Betrachtungsweise heraus beurteilt werden, was bedeutet, dass den behaupteten geänderten Umständen Entscheidungsrelevanz zukommen muss (vgl. VwGH vom 26.02.2004, Zl. 2004/07/0014; VwGH vom 25.04.2002, Zl. 2000/07/0235 und VwGH vom 15.10.1999, Zl. 96/21/0097). Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben nochmals zu überprüfen; die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (vgl. VwGH vom 25.04.2002, Zl. 2000/07/0235). Nur eine solche Änderung des Sachverhalts kann zu einer neuen Sachentscheidung führen, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteibegehrens gebildet haben, nicht von vorn herein als ausgeschlossen gelten kann (vgl. VwGH vom 09.09.1999, Zl. 97/21/0913 und die in Walter / Thienel, "Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze", Band I, 2. Auflage, 1998, E 9 zu § 68 AVG wiedergegebene Judikatur).

 

Auch wenn das Vorbringen des Folgeantrages in einem inhaltlichen Zusammenhang mit den Behauptungen steht, die im vorangegangenen Verfahren nicht als glaubwürdig beurteilt worden sind, schließt dies nicht aus, dass es sich um ein asylrelevantes neues Vorbringen handelt, das auf seinen "glaubhaften Kern" zu beurteilen ist. Ein solcher Zusammenhang kann für die Beweiswürdigung der neu behaupteten Tatsachen von Bedeutung sein, macht eine neue Beweiswürdigung aber nicht von vornherein entbehrlich oder gar unzulässig, etwa in dem Sinn, mit der seinerzeitigen Beweiswürdigung unvereinbare neue Tatsachen dürften im Folgeverfahren nicht angenommen werden. "Könnten die behaupteten neuen Tatsachen, gemessen an der dem rechtskräftigen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsanschauung, zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, so bedarf es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubwürdigkeit" (vgl. VwGH vom 29.09.2005, Zl. 2005/20/0365; VwGH vom 22.11.2005, Zl. 2005/01/0626; VwGH vom 16.02.2006, Zl. 2006/19/0380 und VwGH vom 22.12.2005, Zl. 2005/20/0556).

 

Für die Beschwerdeinstanz ist Sache im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG ausschließlich die Frage, ob die erstinstanzliche Behörde zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung mit Recht den neuerlichen Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat. Die Prüfung der Zulässigkeit eines neuerlichen Antrages aufgrund geänderten Sachverhalts darf ausschließlich anhand jener Gründe erfolgen, die von den Parteien erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens geltend gemacht worden sind. In der Berufung gegen den Zurückweisungsbescheid können derartige Gründe nicht neu hervorgebracht werden (vgl. VwGH vom 27.06.2001, Zl. 98/18/0297).

 

2.3. Im vorliegenden Fall geht es bei der zu beurteilenden Frage - gemäß der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - einerseits darum, ob die nunmehr behaupteten Fluchtgründe des Beschwerdeführers bereits zum Zeitpunkt der Erlassung des letzten rechtskräftigen Bescheides vorgelegen sind und andererseits darum, ob das neue Vorbringen einen "glaubhaften Kern" enthält. Zur Überprüfung der diesbezüglichen Beurteilung des Bundesasylamtes ist es notwendig, dass der Asylgerichtshof Einsicht in die vom Beschwerdeführer im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens vorgelegte Kopie des Haftbefehls nimmt und diese einer Beurteilung unterzieht. Allerdings findet sich diese Kopie des Haftbefehls nicht in dem, dem Asylgerichtshof vorgelegten, erstinstanzlichen Akt, sodass eine derartige Überprüfung nicht möglich ist.

 

In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Berufungsverhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat am 12.12.2005 angegeben hat, dass die Polizei ihn in Indien fälschlicherweise in ein Strafverfahren verwickelt habe. Er sei von der Polizei mitgenommen und eine Nacht angehalten worden. Dann sei er nach Intervention freigelassen, nach einem Monat wieder mitgenommen und nach zwei Tagen gegen Zahlung einer Kaution wieder freigelassen worden. Es gebe ein Strafverfahren beim Strafgericht in N. (vgl. AS 325 des Voraktes zur BAA Zahl 03 07.585-BAS).

 

Im fortgesetzten Verfahren ist sohin der Haftbefehl - nach Möglichkeit im Original - vorzulegen sowie der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt nochmals einzuvernehmen, und zu ermitteln, ob der Haftbefehl mit dem Vorbringen in der mündlichen Berufungsverhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat vom 12.12.2005, es gebe ein Strafverfahren beim Strafgericht in N., zusammenhängt bzw. ob dieser Haftbefehl aufgrund des anhängigen Strafverfahrens ausgestellt wurde.

 

2.4. Der Sachverhalt, welcher dem Asylgerichtshof nunmehr vorliegt, ist daher "so mangelhaft", dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unerlässlich ist (vgl. zu den erforderlichen Ermittlungsergebnissen Punkt 2.3.). Der Gesetzgeber hat für das Verfahren über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide sehr kurze Fristen (§ 41 Abs. 2, § 37 Abs. 3 AsylG) vorgesehen, andererseits aber die Rechtsmittelinstanz dazu verpflichtet, bei einem "mangelhaften Sachverhalt" der Beschwerde stattzugeben, ohne § 66 Abs. 2 AVG anzuwenden (§ 41 Abs. 3 AsylG). Das Ermessen, das § 66 Abs. 3 AVG der Beschwerdeinstanz einräumt, allenfalls selbst zu verhandeln und zu entscheiden, besteht somit in einem solchen Verfahren nicht. Aus den Materialien (Erläut. zur RV, 952 BlgNR 22. GP, 66) geht hervor, dass "im Falle von Erhebungsmängel die Entscheidung zu beheben, das Verfahren zuzulassen und an das Bundesasylamt zur Durchführung eines materiellen Verfahrens zurückzuweisen" ist. Diese Zulassung stehe einer späteren Zurückweisung nicht entgegen. Daraus und aus den erwähnten kurzen Entscheidungsfristen ergibt sich, dass der Gesetzgeber die Rechtsmittelinstanz im Verfahren über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide von einer Ermittlungstätigkeit möglichst entlasten wollte. Die Formulierung des § 41 Abs. 3 AsylG ("wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint"), schließt somit nicht aus, dass eine Stattgabe ganz allgemein in Frage kommt, wenn der Beschwerdeinstanz - auf Grund erforderlicher zusätzlicher Erhebungen - eine unverzügliche Erledigung der Beschwerde unmöglich ist.

 

3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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