TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/26 C9 309454-1/2008

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Veröffentlicht am 26.11.2008
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Spruch

C9 309454-1/2008/7E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Dr. René BRUCKNER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Daniel LEITNER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Tanja ANTOVIC über die Beschwerde der F. B., geb. 00.00.1981, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.01.2007, FZ. 06 03.779-BAG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.11.2008 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird s t a t t g e g e b e n und F. B. gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten z u e r k a n n t.

 

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass F. B. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

 

I.1. Verfahrensgang

 

1. Die Beschwerdeführerin (in der Folge: Bf.) stellte mit Schreiben vom 16.12.2005 an die Österreichische Botschaft in Islamabad (Pakistan) einen Antrag auf Gewährung desselben Schutzes wie für ihren in Österreich lebenden Ehegatten sowie einen Antrag auf Einreise in Österreich. Das Bundesasylamt, Außenstelle Graz (in der Folge: BAG) teilte der Österreichischen Botschaft in Islamabad mit Schreiben vom 23.05.2006 mit, dass der Bf. ein Visum D mit Gültigkeitsdauer von vier Monaten auszustellen sei, um ihr die Einreise in Österreich zu ermöglichen.

 

Die Bf. reiste am 20.07.2006 per Flugzeug legal mit einem vom Generalkonsulat der Islamischen Republik Afghanistan in Q (Pakistan) am 00.00.2006 ausgestellten Reisepass und einem darin befindlichen, von der Österreichischen Botschaft in Islamabad (Pakistan) ausgestellten Visum D von Pakistan kommend über Dubai am Flughafen Wien-Schwechat in Österreich ein. Die Bf. brachte am 07.08.2006 beim Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost in Traiskirchen (in der Folge: EAST Ost), einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge: AsylG 2005), ein.

 

Am gleichen Tag fand in der EAST Ost vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Bf. statt.

 

Die Bf. wurde am 07.08.2006 und am 14.08.2006 vor der EAST Ost sowie nach Zulassung des Asylverfahrens am 06.12.2006 vor dem BAG niederschriftlich einvernommen.

 

Das BAG wies mit Bescheid vom 12.01.2007, AZ. 06 03.779-BAG, zugestellt am 17.01.2007, den Antrag auf internationalen Schutz der Bf. gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab und erkannte ihr den Status der Asylberechtigten nicht zu (Spruchpunkt I), erkannte der Bf. gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm. § 34 Abs. 3 AsylG 2005 den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II) und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 15.09.2007 (Spruchpunkt III).

 

2. Gegen den og. Bescheid des BAG richtet sich die beim BAG am 25.01.2007 fristgerecht eingelangte Berufung an den Unabhängigen Bundesasylsenat (in der Folge: UBAS) vom 24.01.2007. Die Bf. beantragte, der Berufung gegen Spruchpunkt I gemäß § 3 AsylG 2005 Folge zu geben und ihr den Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen.

 

Die gegenständliche Berufung (nunmehr: Beschwerde) der Bf. wurde dem UBAS am 02.02.2007 vom BAG vorgelegt.

 

3. Der nunmehr zuständige Senat C9 des Asylgerichtshofes führte in der gegenständlichen Rechtssache am 12.11.2008 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der die Bf. teilnahm. Ein Vertreter des Bundesasylamtes nahm an der Verhandlung nicht teil.

 

I.2. Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens

 

I.2.1. Beweisaufnahme

 

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

 

Einsicht in den dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakt des BAG (OZ 1), beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung vom 07.08.2006 und der Einvernahmen vom 07.08.2006, 14.08.2006 und 06.12.2006 sowie die Berufung der Bf. vom 24.01.2007.

 

Einvernahme der Bf. im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof (OZ 6Z) und Einsicht in die zum Akt genommene Kopie der vom Standesamt Graz am 22.10.2008 ausgestellten Geburtsurkunde der am 00.00.2008 geborenen Tochter der Bf. namens M. S. (Anlage ./A).

 

mündliches Gutachten des nichtamtlichen Sachverständigen Dr. R. S. in der mündlichen Verhandlung vom 12.11.2008 (OZ 6Z).

 

Einsicht in folgende, in der mündlichen Verhandlung eingebrachte Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat der Bf.:

 

Deutsches Auswärtiges Amt, "Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Februar 2008)" vom 07.03.2008 (in der Folge: DAA, Bericht 2008).

 

UK Home Office - UK Border Agency, "Country of Origin Information Report Afghanistan" vom 02.04.2008 (in der Folge: UKHO, Afghanistan 2008).

 

US Department of State, "Country Reports on Human Rights Practices - 2007, Afghanistan" vom 11.03.2008 (in der Folge: USDS, Afghanistan 2007).

 

UNHCR, "Die Sicherheitslage in Afghanistan mit Blick auf die Gewährung ergänzenden Schutzes", UNHCR Kabul vom 18.06.2008 (in der Folge: UNHCR, Sicherheitslage 2008).

 

UNHCR, "UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender", Jänner 2008 (in der Folge: UNHCR, Richtlinien afghanischer Asylsuchender 2008).

 

UNHCR, "UNHCR Country Briefing Folder on Afghanistan" vom März 2007 (in der Folge: UNHCR, Afghanistan 2007).

 

South Asia Human Rights Index 2008.

 

Deutsches Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, "Islamistischer Extremismus und Terrorismus - Militante Organisationen und Strukturen", Band 3 Asien, Teil 1: Afghanistan, Bangladesch, Iran, Pakistan" vom September 2007 (in der Folge: BAMF, Islamistischer Extremismus und Terrorismus - Afghanistan 2007).

 

Bundesasylamt, "Feststellung Afghanistan - Staatsaufbau und Sicherheitslage" vom 19.04.2007 (in der Folge: BAA, Afghanistan - Staatsaufbau 2007).

 

Bundesasylamt, "Feststellung Afghanistan - Die Lage in Kabul" vom 19.04.2007 (in der Folge: BAA, Afghanistan - Die Lage in Kabul 2007).

 

Bundesasylamt, "Feststellung Afghanistan - Rückkehrfragen" vom 19.04.2007 (in der Folge: BAA, Afghanistan - Rückkehrfragen 2007).

 

Bundesasylamt, "Feststellung Afghanistan - Justiz und Menschenrechte" vom 19.04.2007 (in der Folge: BAA, Afghanistan - Justiz und Menschenrechte 2007).

 

Schweizerisches Bundesamt für Migration, "Focus Afghanistan - Zur aktuellen Sicherheitslage" vom 19.11.2007 (BFM, Focus Afghanistan 2007).

 

Schweizerische Flüchtlingshilfe, "Afghanistan Update: Aktuelle Entwicklungen" von Corinne Troxler Gulzar vom 21.08.2008 (in der Folge: SFH, Afghanistan Update 2008).

 

Schweizerische Flüchtlingshilfe, "Afghanistan Update" von Corinne Troxler vom 11.12.2006 (in der Folge: SFH, Afghanistan Update 2006).

 

International Crisis Group, "Afghanistan: The Need For International Resolve", Asia Report Nr. 145 vom 06.02.2008 (in der Folge: ICG, Afghanistan 2008).

 

Afghanistan Independent Human Rights Commission, "Economic and Social Rights in Afghanistan II" vom August 2007 (in der Folge: AIHRC, Afghanistan 2007).

 

Amnesty international Deutschland, "ai Jahresbericht 2007 - Afghanistan" (Berichtszeitraum: 01.01. bis 31.12.2006) (in der Folge: ai, Jahresbericht 2007).

 

Gesellschaft für bedrohte Völker, "Zwei Jahre Afghanistan-Pakt:

Uneingelöste Versprechen: Menschenrechte und Wiederaufbau in Gefahr", Menschenrechtsreport 53, Juni 2008 (in der Folge: GfbV, Menschenrechtsreport 53, 2008).

 

Human Rights Watch, "Country Summary Afghanistan", Jänner 2008 (in der Folge: HRW, Afghanistan 2008).

 

Dr. Bernt Glatzer, Gutachterliche Stellungnahme an das OVG Rheinland-Pfalz vom 31.01.2008 zu AZ. 6 A 10748/07.OVG.

 

I.2.2. Ermittlungsergebnis (Sachverhalt)

 

Der Asylgerichtshof geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:

 

a) Zur Person der Beschwerdeführerin:

 

1. Die Bf. führt den Namen F. B., ist am 00.00.1981 in Afghanistan geboren, Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan und zugehörig zur Volksgruppe der Hazara. Sie gehört der schiitisch-muslimischen Religionsgemeinschaft an.

 

Die Bf. ist weitgehend Analphabetin (sie kann Texte in deutscher Sprache, nicht aber die arabische Schrift lesen) und hat in ihrem Herkunftsstaat nie die Schule besucht und auch sonst keine Schulbildung erhalten.

 

Die Bf. ist verheiratet und lebt gemeinsam mit ihrem Ehemann M. D. (auch: J. oder A., geb. 00.00.1974, und ihren beiden in Österreich geborenen Töchtern M. S., geb. 00.00.2007, und M. Sa., geb. 00.00.2008, beide afghanische Staatsangehörige, in Österreich.

 

Hinsichtlich ihres Ehemannes M. D. wurde mit erstinstanzlichem Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.02.2002, AZ. 01 19.389-BAG, bzw. mit Berufungsbescheid des UBAS vom 23.10.2005, Zl. 226.941/0-IV/11/02, rechtskräftig festgestellt, dass gemäß § 8 AsylG 1997 die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung nach Afghanistan nicht zulässig ist. Die gegen den o.g. Berufungsbescheid des UBAS erhobene Beschwerde gemäß § 7 AsylG 1997 wurde vom VwGH mit Beschluss vom 16.02.2007, Zl. 2006/19/0250-8, abgelehnt.

 

Beim Asylgerichtshof ist zu GZ. C9 315.153-1/2008 die Beschwerde der mj. Tochter der Bf., M. S., gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesasylamtes vom 13.09.2007, AZ. 07 06.571-BAG, anhängig. Die Bf. ist in diesem Verfahren die gesetzliche Vertreterin ihrer mj. Tochter. Die Bf. hält die von ihr in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 12.11.2008 getätigten Angaben auch hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens ihrer mj. Tochter aufrecht.

 

2. Die Bf. hat ihren Ehemann vor ca. neun Jahren in Afghanistan, im Dorf T. in der Provinz Ghazni - dem Heimatdorf ihres Mannes - geheiratet. Er verließ 2001 Afghanistan und lebte seitdem in Österreich. Im Juli 2005 ist die Bf. gemeinsam mit ihrem Onkel mütterlicherseits illegal nach Pakistan gereist, wo sie bis zur Ausreise nach Österreich am 19.07.2006 lebte.

 

3. Die Bf. ist am 19.07.2006 mit dem Flugzeug von Pakistan ausgereist und über Dubai (VAE) am 20.07.2006 am Flughafen Wien-Schwechat mit einem von der Österreichischen Botschaft in Islamabad ausgestellten Visum D (Gültigkeit 00.06.2006 bis 00.10.2006) rechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet eingereist.

 

4. Als glaubhaften Grund für die Ausreise aus Afghanistan und die Flucht nach Pakistan gab die Bf. an, dass sie von ihrem Bruder bedroht und geschlagen worden sei. Er habe von ihr verlangt, sich von ihrem Ehemann, der ins Ausland geflüchtet war, scheiden zu lassen und in der Folge einen älteren Mann zu heiraten, weil ihr Ehemann keinen Unterhalt mehr für sie leiste und die Bf. nur auf Kosten ihres Bruders leben würde. Die Bf. flüchtete schließlich gemeinsam mit ihrem Onkel mütterlicherseits nach Q in Pakistan, nachdem bereits vorher ihre Schwiegereltern und deren verwitwete Tochter nach Pakistan geflüchtet waren.

 

Weiters ist die Bf. aus Afghanistan geflüchtet, weil sie als von ihrem Ehemann getrennt lebende Frau unter den dort herrschenden Umständen nicht leben konnte. Sie müsste dort die Burka tragen, unter der sie nach eigenen Angaben nicht atmen könne.

 

5. Konkreter Grund für die Einreise nach Österreich war die Absicht der Bf., fortan gemeinsam mit ihrem Ehemann M. D. in Österreich zu leben.

 

6. Die Bf. ist von ihrem äußeren Erscheinungsbild und ihrer Einstellung her eindeutig an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauenbild orientiert.

 

b) Zur Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin:

 

Der Asylgerichtshof trifft auf Grund der in der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführten aktuellen Quellen folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der Bf.:

 

1. Zur allgemeinen politischen Lage:

 

1.1. Afghanistan befindet sich nach 23 Jahren Bürgerkrieg und kriegerischer Auseinandersetzungen in einem langwierigen Wiederaufbauprozess. Weitere Anstrengungen sind nötig, um die bisherigen Stabilisierungserfolge zu sichern und die Zukunftsperspektiven der afghanischen Bevölkerung nachhaltig zu verbessern.

 

1.2. Die Sicherheitslage stellt sich regional sehr unterschiedlich dar. Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Akteuren (staatliche Sicherheitskräfte und internationale Stabilisierungstruppe [ISAF], regierungsfeindliche Gruppen, rivalisierende Milizen, bewaffnete Stammesgruppen sowie organisierte Drogenbanden) dauern in etlichen Provinzen an oder können jederzeit wiederaufleben. Seit Frühjahr 2007 ist vor allem im Süden und Osten des Landes ein Anstieg gewaltsamer Übergriffe regruppierter Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte zu verzeichnen. Die Zahl der Selbstmordanschläge und Angriffe mit Sprengfallen von regierungsfeindlichen Kräften haben 2007 erheblich zugenommen.

 

1.3. Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die Wirtschaftslage ist weiterhin desolat, auch wenn ein bescheidener wirtschaftlicher Aufschwung in manchen Städten (zB Kabul, Herat) eingesetzt hat. Erste Schritte zur Verbesserung der Rahmenbedingungen sind eingeleitet. Der strenge Winter 2007/2008 hat in weiten Landesteilen (vor allem im Westen und Norden) zu dramatischen Versorgungsengpässen geführt.

 

1.4. Ein funktionierendes Verwaltungs- und Justizwesen fehlt weitgehend. In der Gerichtsbarkeit besteht keine Einigkeit über die Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (staatliche Gesetze, Scharia oder Gewohnheitsrecht). Rechtsstaatliche Verfahrensprinzipien werden häufig nicht eingehalten.

 

1.5. Die Menschenrechtssituation verbessert sich nur langsam. Dies gilt auch für die Lage der Frauen in Afghanistan, selbst wenn die gegen sie gerichteten Verbote aus der Taliban-Zeit formal aufgehoben sind. Die größte Bedrohung der Menschenrechte geht von lokalen Machthabern und Kommandeuren ("warlords") aus. Die Zentralregierung kann diese Täter nur begrenzt kontrollieren bzw. ihre Taten untersuchen und sie vor Gericht bringen. Entscheidend ist es daher, die angestrebte Ausdehnung des Machtbereichs der Zentralregierung auf das gesamte Land zügig voranzutreiben. Noch verfügt die Zentralregierung nicht über das Machtmonopol, um die Bürger ausreichend zu schützen.

 

1.6. Die humanitäre Situation stellt das Land vor allem mit Blick auf die mehr als 4,5 Millionen - meist aus Pakistan zurückgekehrten - Flüchtlinge vor große Herausforderungen. Knapp 3,4 Millionen afghanische Flüchtlinge halten sich noch im Iran und in Pakistan auf. Die Bemühungen des UNHCR bei der Rückführung von Flüchtlingen werden durch die schlechte Sicherheitslage, die weitgehend fehlenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zum Aufbau einer Existenz sowie die schwache Verwaltungsstruktur der afghanischen Behörden beeinträchtigt.

 

1.7. Rückkehrer können auf Schwierigkeiten stoßen, wenn sie außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im (westlich geprägten) Ausland zurückkehren und ihnen ein soziales oder familiäres Netzwerk sowie Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen. (DAA, Bericht 2008, 5).

 

2. Zur Situation der Frauen in Afghanistan:

 

2.1. Frauenrechte in der Rechtsordnung:

 

Die Menschenrechtslage afghanischer Frauen war bereits vor dem Taliban-Regime durch orthodoxe Scharia-Auslegungen und archaisch-patriarchalische Ehrenkodizes geprägt. Diese Prägung wirkt immer noch nach. Während Frauenrechte in der Verfassung und teilweise im staatlichen Recht gestärkt werden konnten, liegt deren Verwirklichung für den größten Teil der afghanischen Frauen noch in weiter Ferne.

 

Zwar unterscheidet sich die Lage der Frauen je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark. Auch die unbefriedigende Sicherheitslage in weiten Landesteilen erlaubt es den Frauen nicht, die mit Überwindung der Taliban und ihrer frauenverachtenden Vorschriften erwarteten Freiheiten wahrzunehmen. Die meisten Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern bestimmt wird sowie kaum qualifizierte Anwälte zur Verfügung stehen, in den seltensten Fällen möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage - oder aufgrund konservativer Wertvorstellungen nicht gewillt -, Frauenrechte zu schützen (DAA, Bericht 2008, 18).

 

Frauen werden weiterhin in Familien-, Erb-, Zivilverfahren- sowie im Strafrecht benachteiligt. Dies gilt vor allem hinsichtlich des Straftatbestands "Ehebruch", wonach selbst Opfer von Vergewaltigungen bestraft werden können. Es gibt Berichte, dass Frauen wegen "Ehebruchs" von Ehemännern oder anderen Familienmitgliedern umgebracht werden (so genannte "Ehrenmorde", die besonders in den paschtunischen Landesteilen vorkommen können). Das durchschnittliche Heiratsalter von Mädchen liegt bei 15 Jahren, obwohl ein Mindestheiratsalter von 16 Jahren gesetzlich verankert ist. Zwangsheirat bereits im Kindesalter, "Austausch" weiblicher Familienangehöriger zur Beilegung von Stammesfehden sowie weit verbreitete häusliche Gewalt kennzeichnen die Situation der Frauen. Immer wieder gibt es Pressemeldungen über Gruppenvergewaltigungen. Opfer sexueller Gewalt sind dabei auch innerhalb der Familie stigmatisiert. Das Sexualdelikt wird in der Regel als "Entehrung" der gesamten Familie aufgefasst. Sexualverbrechen zur Anzeige zu bringen hat aufgrund des desolaten Zustands des Sicherheits- und Rechtssystems wenig Aussicht auf Erfolg. Der Versuch endet u.U. mit der Inhaftierung der Frau, sei es aufgrund unsachgemäßer Anwendung von Beweisvorschriften oder zum Schutz vor der eigenen Familie, die eher die Frau oder Tochter eingesperrt als ihr Ansehen beschädigt sehen will. Viele Frauen sind wegen so genannter Sexualdelikte inhaftiert, weil sie sich beispielsweise einer Zwangsheirat durch Flucht zu entziehen versuchten, vor einem gewalttätigen Ehemann flohen oder ihnen vorgeworfen wurde, ein uneheliches Kind geboren zu haben (DAA, Bericht 2008, 19).

 

Es gibt keine staatliche Vorschrift, die zum Tragen der Burka verpflichtet. Die meisten Afghaninnen tragen sie dennoch, auch aus Furcht vor Übergriffen. In Kabul ging der Gebrauch der Burka v.a. in akademisch geprägten Milieus und unter Oberschülerinnen zwar zurück, ist aber insgesamt auch hier nach wie vor verbreitet. Vielfach geben Frauen an, dass sie die Burka angesichts einer nach wie vor schwierigen Sicherheitslage wie einer außerordentlich patriarchalisch geprägten Gesellschaft auch nach dem Machtwechsel tragen, weil sie ihnen ein Gefühl der Sicherheit vermittle. Sie war auch vor der Taliban-Herrschaft bei der weiblichen Bevölkerung auf dem Lande ein übliches Kleidungsstück. Der im Mai 2003 gegründete "Islamische Rat", dem Geistliche aus allen Landesteilen angehören, hat die Beachtung der "Hijab"- Kleidervorschriften (Schleier, langes Kleid), nicht jedoch der Burka gefordert (DAA, Bericht 2008, 19).

 

2.2. Gewalt gegen Frauen:

 

Die Situation afghanischer Frauen hat sich seit dem Sturz der Taliban-Herrschaft teilweise verschlechtert. Die Bewegungsfreiheit bleibt, mit regionalen Unterschieden, stark eingeschränkt. Die registrierten Fälle physischer Gewalt gegenüber Frauen sind seit März 2007 um rund 40 Prozent gestiegen: 2374 registrierte Übergriffe im Jahr 2007 (Januar bis November 2006: 1545 Fälle). Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher liegen. In diesem Zeitraum haben rund 626 Frauen einen Selbstmordversuch begangen. Erzwungene Heiraten, häusliche Gewalt, sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen, Frauenhandel und Ehrenmorde gehören zu den gegen Frauen angewandten Gewaltformen. Die Täter sind meist männliche Familienmitglieder. Wenn Frauen Anzeige erstatten, werden sie oft genau den von ihnen angezeigten Männern ausgeliefert. Vieles deutet darauf hin, dass die staatlichen Akteure in

 

Afghanistan nicht in der Lage oder wegen konservativ-islamischen Wertevorstellungen nicht gewillt sind, Frauen zu schützen. Frauen bleiben meist ihrem Schicksal überlassen (SFH, Afghanistan Update 2008).

 

In der Region Herat gelten weiterhin verschiedene Restriktionen aus der Taliban-Zeit. Mädchen und Frauen sind dort in ihrer Bewegungs- und Handlungsfreiheit aufgrund eines ausgeprägten traditionellen Verhaltenskodex stark eingeschränkt. In dieser Region wird - mit abnehmender Tendenz - eine erhebliche Zahl von Selbstverbrennungen von Frauen verzeichnet. Überwiegend handelt es sich dabei um aus dem Iran zurückgekehrte Flüchtlingsfrauen, von denen angenommen wird, dass sie sich vorwiegend aus Verzweiflung wegen Kinder- und Zwangsverheiratung selbst verbrannt haben. Verlässliche Statistiken liegen nicht vor (DAA, Bericht 2008, 19).

 

2.3. Frauen und Bildung:

 

Afghanische Frauen waren unter den Taliban seit 1996 von jeglicher Bildung ausgeschlossen. Die Analphabetenrate der Frauen liegt Schätzungen zufolge in der Größenordnung von 90 %. Für die wenigen hochqualifizierten Afghaninnen hat sich jedoch der Zugang zu adäquaten Tätigkeiten bei der Regierung verbessert. Die Entwicklungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen bleiben durch die strenge Ausrichtung an Traditionen und fehlender Schulbildung weiterhin wesentlich eingeschränkt. Nur fünf Prozent der Mädchen besuchten Höhere Schulen. (DAA, Bericht 2008, 19).

 

Der Zugang zu Bildung, Gesundheit und Arbeit steht jedoch vielen Frauen nur theoretisch offen, praktisch sind sie die am meisten von Armut, Diskriminierung und Rechtlosigkeit betroffene Bevölkerungsgruppe geblieben. In vielen Landesteilen sind sie vom öffentlichen Leben weiterhin weitgehend ausgeschlossen. Gezielte Übergriffe radikal-muslimischer Kräfte auf Frauen und Mädchen sind alltäglich. So soll der Schulbesuch von Mädchen verhindert werden (GfbV, Menschenrechtsreport 53, 2008, 21).

 

2.4. Zwangsverheiratungen:

 

Jedes Jahr töten sich mehrere hundert Frauen aus Verzweiflung über Entführungen, Zwangsheirat und Gewalt selbst. Sogar Mädchen im Alter von nur sechs Jahren werden zwangsweise verheiratet. Sie werden nicht nur durch ihre Männer sondern auch durch deren Familienangehörige mit Vergewaltigung und einem Leben in Sklaverei bedroht. Oft dürfen sie nach der Heirat ihre eigenen Eltern und andere Familienangehörige nicht mehr sehen und es wird ihnen der Schulbesuch verboten. Da viele dieser Mädchen ihre Rechte entweder gar nicht kennen oder zumindest nicht wissen, wie sie diese einfordern könnten, sehen sie als einzigen Ausweg allzu oft nur die Selbstverbrennung. Gemäß einer Studie der Organisation "Womankind" beklagen 87 Prozent der Frauen, Opfer von Gewalt in der Ehe oder im öffentlichen Leben geworden zu sein (Independent, 25.02.2008). Die Hälfte aller Übergriffe sei sexuell motiviert. Seit März 2007 hat nach UN-Angaben die Zahl der offiziell registrierten Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen um 40 Prozent zugenommen (IRIN; 08.03.2008). Diese erschreckenden Zahlen sind vermutlich auf eine gestiegene Bereitschaft bei Frauen zurückzuführen, Gewalttaten anzuzeigen, die zuvor in der hohen Dunkelziffer verschwanden. Mehr als 60 Prozent aller Eheschließungen erfolgten laut "Womankind" unter Zwang. 57 Prozent der Bräute seien jünger als 16 Jahre alt (GfbV, Menschenrechtsreport 53, 2008, 21 f).

 

Entsprechend den Berichten der Afghanistan Independet Human Rights Commission sind 68-80 % der Ehen in Afghanistan sog. "Zwangsehen" (South Asia Human Rights Index 2008).

 

2.5. Gesundheitliche Situation für Frauen:

 

Auch für werdende Mütter ist die gesundheitliche Situation noch immer katastrophal. Aufgrund mangelnder ärztlicher Versorgung stirbt eine von neun Müttern bei der Geburt ihres Kindes. Nur im westafrikanischen Staat Sierra Leone ist die Situation ebenso dramatisch. Alle 27 Minuten stirbt in Afghanistan eine Frau aufgrund von Komplikationen während der Schwangerschaft (Radio Free Asia, 10.05.2008). Nur 14 Prozent aller Frauen seien im Jahr 2006 während der Geburt von ausgebildetem medizinischem Personal begleitet worden. Aufgrund des Jahrzehnte langen Bürgerkrieges sind rund 1,5 Millionen Frauen zu Witwen geworden (IRIN, 30.01.2008). Ihre Lage ist besonders schlimm, da sie keine finanzielle Unterstützung erhalten und sich und ihre Kinder oft nur mit Betteln ernähren können. 94 Prozent von ihnen können weder lesen noch schreiben. Dabei sind sie noch jung, durchschnittlich 35 Jahre, und haben meist vier Kinder. In ihrer Not ernähren sich immer mehr junge Frauen durch Prostitution, die offiziell verboten ist. Mit Schmiergeldern werden korrupte Polizisten zum Stillhalten bewegt. Dringend muss der Schutz von Frauen verbessert werden; die internationale Gemeinschaft muss von der Regierung nachdrücklich eine Umsetzung der in der Verfassung und in Gesetzen verbrieften Frauenrechte fordern (GfbV, Menschenrechtsreport 53, 2008, 22).

 

Die durchschnittliche Lebenserwartung für Frauen in Afghanistan liegt bei ca. 44 bis 46 Jahren (South Asia Human Rights Index 2008; HRW, Afghanistan 2008).

 

2.6. Frauen mit bestimmten Profilen:

 

Afghanische Frauen müssen sich sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gegenden den konservativen und traditionellen Verhaltensnormen anpassen, um vor physischer und psychologischer Gewalt oder Missbrauch sicher zu sein. Einer erhöhten Gefährdung sind sowohl Frauen, die angeblich oder tatsächlich gegen die vorherrschenden sozialen Normen verstoßen, als auch ausländische Frauen afghanischer Männer, sowie Frauen ohne männlichen Schutz ausgesetzt.

 

Allein stehende Frauen ohne männlichen Schutz (Ehemann, Vater, Bruder oder entfernte Familienmitglieder) werden - angesichts der in vielen Gegenden bestehenden sozialen Einschränkung, sich nicht ohne männliche Begleitung in der Öffentlichkeit zu bewegen - sowohl Schwierigkeiten bei der Sicherung ihres Lebensunterhaltes als auch Probleme in Bezug auf ihren physischen Schutz haben. Frauen, die als Opfer von häuslicher Gewalt in der glücklichen Lage sind, eine Unterkunft in einer der wenigen Unterbringungseinrichtungen zu erhalten, ist es nicht möglich, sich an einem anderen Ort im Land zu integrieren. Ohne eine alternative dauerhafte Lösung kehren die meisten schließlich zu ihren Familien zurück, nachdem gewisse Zusagen über ihre Sicherheit ausgehandelt wurden. Diese Situation belegt, dass allein stehende Frauen ohne ein die traditionelle Schutzfunktion übernehmendes männliches Familienmitglied in Afghanistan nicht sicher leben können (UNHCR, Richtlinien afghanischer Asylsuchender 2008, 3 f).

 

2.7. Frauenrechtsorganisationen:

 

Im Jänner 2003 wurde die von UNIFEM (United Nations Development Fund for Women) finanziell unterstützte "Afghan Women Judges Association" gegründet, deren Ziel es ist, eine aktive Beteiligung von Richterinnen und Anwältinnen in der Justiz zu sichern und gleichzeitig juristischen Beistand für afghanische Frauen bei der Durchsetzung ihrer Rechte bereitzustellen. Außerdem engagieren sich zunehmend Nichtregierungsorganisationen für eine stärkere Beachtung der Frauenrechte. Insbesondere versuchen sie, Frauen in Strafprozessen zu unterstützen (so zB die deutsche Organisation medica mondiale).

 

Im Jänner 2006 wurde der "Interim National Action Plan for Women of Afghanistan" (i- NAPWA) vorgestellt, der mit Unterstützung von UNIFEM erarbeitet wurde, aber immer noch nicht in Kraft getreten ist. Der i-NAPWA soll helfen, die Situation der Frauen in Afghanistan zu verbessern, insbesondere ihre Diskriminierung abzuschaffen, die Entfaltung ihrer Fähigkeiten zu ermöglichen und ihnen volle und gleichberechtigte Beteiligung in allen Lebensbereichen zu gewähren. (DAA, Bericht 2008, 19 f).

 

3. Sachverständigengutachten

 

Zu den Angaben der Bf. in der mündlichen Beschwerdeverhandlung und zur relevanten Situation in Afghanistan im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit der von der Bf. vorgebrachten Gefährdungen im Falle ihrer Rückkehr erstattete der für das gegenständliche Verfahren bestellte nichtamtliche Sachverständige Dr. R. S. (SV) in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 12.11.2008 auf Befragen des vorsitzenden Richters (VR) und des Vertreters der Bf. (BFV) folgendes Gutachten, dessen Inhalt als Sachverhalt festgestellt wird (Auszug aus der Niederschrift über die mündliche Beschwerdeverhandlung vom 12.11.2008; BF = Beschwerdeführerin):

 

"SV: Bei der Hochzeit wurde als Brautgeld ca. 1,4 Mio Afghani bezahlt, wer hat das bezahlt und wer hat das bekommen?

 

BF: Das Geld wurde nicht bezahlt. Das Geld wurde als Brautgeld angeführt. Im Falle, dass es zu einer Scheidung kommen würde, müsste der Ehemann oder dessen Familie der geschiedenen Ehefrau das bezahlen.

 

SV: Es gibt 2 Brautpreise, der 1. Brautgeld wird am Anfang bezahlt, das 2. Brautgeld im Falle der Scheidung. Wer hat das 1. Brautgeld bekommen?

 

BF: Ich weiß nicht, ob dieses Geld bezahlt worden ist. Ich kenne mich da nicht aus. Ich bin nur die Braut gewesen und hatte davon keine Ahnung.

 

SV: Wo haben Sie geheiratet?

 

BF: Im Haus meines Ehemannes in T..

 

SV: Wo wurde die Heiratsurkunde ausgestellt?

 

BF: Ich weiß es nicht, wo das geschrieben wurde.

 

SV: In Afghanistan oder in Pakistan?

 

BF: Ich kenne mich nicht aus. Ich bin nicht ausgebildet und kann dazu nichts sagen. Ich kann nur angeben, dass mein Onkel mir geholfen hat.

 

SV: Auf der Heiratsurkunde, ist das Ihr Fingerabdruck?

 

BF: Ja. Das ist mein Daumenabdruck.

 

SV: Wo haben Sie diesen Daumenabdruck abgegeben?

 

BF: Das war bei der Hochzeitszeremonie.

 

VR: Wie kamen Sie in den Besitz dieser Urkunden?

 

BF: Ich bin Analphabetin, ich kenne mich mit Papieren und diesen Sachen nicht aus.

 

VR: Es ist nicht relevant, ob Sie Schreiben können oder nicht, es geht lediglich darum, dass Sie mir jetzt sagen, wann, wo und von wem Sie diese Urkunde bekommen haben.

 

BF: Da muss man meinen Onkel fragen.

 

VR: Hat Ihnen Ihr Onkel diese Urkunde gegeben?

 

BF: Ja. Diese Urkunde hat mir mein Onkel gegeben.

 

VR: Wo hat Ihnen Ihr Onkel dieses Dokument übergeben, war das in Afghanistan oder in Pakistan?

 

BF: In Afghanistan. Ich kann dazu nichts sagen, wie mein Onkel oder von wem mein Onkel diese Heiratsurkunde bekommen hat. Er hat mir diese in Afghanistan gegeben.

 

VR: Sie haben diese Urkunde mit nach Pakistan genommen?

 

BF: Ja.

 

SV: Wie Ihnen bekannt sein dürfte, schauen afghanische Heiratsurkunden anders aus als die gegenständlich vorliegende Urkunde. Die afghanischen Heiratsurkunden sind in Formularform abgefasst. Das vorliegende Dokument ist ein einfaches Papier, jedoch kein Formular. Außerdem ist diese Heiratsurkunde in arabischer Schrift und in arabischer Sprache geschrieben. Der obere Teil ist auf Arabisch, aber der Teil, wo die Namen vorkommen, sind die Funktionen in Dari angeführt.

 

Der Dolmetscher bestätigt, nach Einsicht in das Dokument, die Feststellungen des SV und weist im Übringen darauf hin, dass im oberen Teil des Dokuments als Einleitung religiöse Verse betreffend die Heirat in arabischer Sprache angeführt ist.

 

SV: Ich gehe davon aus, dass die BF ihrem Mann versprochen worden war, das kommt auch in Afghanistan einer "Quasiheirat" gleich. Eine Beurkundung ist dann im Nachhinein zustande gekommen. Nachdem der Mann der BF nicht in Pakistan war, wurde eine Heiratsurkunde in traditioneller Weise angefertigt, wo mehrere Personen das Zustandekommen der Heirat bestätigt haben. Wenn das in Afghanistan zustande gekommen wäre, wäre der Haupttext in Dari abgefasst.

 

BF: Diese Urkunde wurde in Afghanistan geschrieben. Sie können diesbezüglich meinen Mann fragen.

 

BFV: Wissen Sie das oder vermuten Sie, dass die Urkunde in Afghanistan hergestellt wurde?

 

BF: Ich vermute das. Ich weiß es nicht.

 

SV: Diese Heiratsurkunde wurde mit genauen Geburtsdaten versehen, und zwar beim Mann, geb. am 00.00.1373 und der Frau am 00.00.1360. Das deutet darauf hin, dass diese Heiratsurkunde im Hinblick auf eine Familienzusammenführung in nicht allzu ferner Zukunft abgefasst wurde, da in Afghanistan das Geburtsdatum in der Regel nur mit dem Geburtsjahr ausgestellt wird.

 

VR an SV: Was passiert allgemein mit einer verheirateten Frau, wenn ihr Mann sich nicht mehr bei seiner Frau befindet, z.B. das Land verlassen hat?

 

SV: Eine junge Frau, deren Mann sie verlassen hat und sie allein stehend ist, und dazu eine attraktive Frau ist, darf sie das Haus auf keinen Fall verlassen. Wenn die BF tatsächlich ihren Mann in Afghanistan geheiratet hätte, dann hätten sie ihre Schwiegereltern nach Pakistan mitgenommen. Sie hätte bei den Schwiegereltern gelebt, auch wenn sie krank gewesen wäre. Wenn sie aber nur verlobt und versprochen wurde, bleibt sie bei ihren Eltern, bis die Hochzeit stattfindet und der Mann die Braut zu sich holt. Wenn sie nur verlobt gewesen ist, hat das das Familienoberhaupt ihrer Familie das Recht, zu verlangen, dass der geflüchtete Verlobte sich entscheidet und sich zu bekennen gibt und den Lebensunterhalt der Verlobten übernimmt. Wenn das aber Jahre lang dauert und der Mann verschollen ist, und auch die Eltern des Mannes nichts mit der Frau zu tun haben hätten wollen, geht das Familienoberhaupt der Frau zu den Eltern des Verlobten und verlangt, dass entweder der Mann zurückkommt und die Frau holt oder dass man den Verlobungsvertrag auflöst, damit der verlobten Frau eine neue Existenz ermöglicht wird. Solange dieser Prozess nicht durchgemacht wurde, kann der Bruder die BF nicht zwingen, einen anderen Mann zu heiraten. Zudem sind die Angaben der BF nicht authentisch hinsichtlich der Unterdrückung durch Ihren Bruder, wenn man in Betracht zieht, dass ihr Onkel mütterlicherseits die BF nach Pakistan gebracht hat. Wenn der Bruder tatsächlich das Familienoberhaupt wäre und gewillt wäre, die BF mit einem anderen Mann zu verheiraten, hätte der Bruder verhindern können, dass der Onkel mit der BF nach Pakistan flüchtet. Der Bruder hatte 2

Möglichkeiten: dass er "einfach" als Familienoberhaupt dem Onkel die BF nicht aus dem Haus gegeben hatte. Wenn der Bruder tatsächlich Familienoberhaupt wäre, hätte er im Falle der Mitnahme der BF durch den Onkel die Behörden benachrichtigt. Die Behörde steht in so einem Fall auf Seiten des Familienoberhauptes der Frau.

 

VR an SV: Kann man davon ausgehen, dass die BF in einer aufrechten Ehe mit ihrem Ehemann lebt und die Heirat als tatsächlich zustande gekommen betrachtet werden kann?

 

SV: Diese formlose Heiratsurkunde wurde in traditioneller Weise erstellt. Sie weist auf eine Verehelichung der beiden hin. Der Inhalt dieses Dokumentes entspricht im Allgemeinen dem Inhalt einer förmlichen Heiratsurkunde, dabei haben Zeugen unterschrieben und die Begriffe, z.B. Braut oder Bräutigam wurden richtig verwendet.

 

VR: Was würde passieren, wenn Sie wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

 

BF: Ich kann nicht nach Afghanistan zurückkehren, weil mein Bruder mich töten würde. Außerdem habe ich für meine 2 kleinen Töchter zu sorgen. Ich habe dort kein Haus und keine Existenz. Außerdem würde mir mein Bruder nicht erlauben, im Haus meiner Mutter zu wohnen. Er würde mich köpfen, weil ich ohne seine Erlaubnis weggegangen bin und zu meinem Mann gegangen bin.

 

BFV an SV: Sind die Angaben der BF zu ihren Befürchtungen aus Ihrer Sicht nachvollziehbar?

 

SV: Als allein stehende Frau mit 2 kleinen Kindern kann die BF in Afghanistan ohne ihren Mann langfristig weder wirtschaftlich, noch aus Sicherheitsgründen überleben. Wenn der Bruder der BF ein Drogenabhängiger ist oder ein aggressiver Mensch ist, und wenn ihr Ehemann sich für längere Zeit nicht melden würde, würde ihr Bruder sie im Laufe der Zeit zwingen, jemanden zu heiraten, weil der Bruder sie nicht mehr finanzieren kann. Wenn die Schwiegereltern nicht bereit wären, die BF wieder aufzunehmen oder das Verlöbnis zu lösen, wäre die BF dem Bruder ausgeliefert. Außerdem sind allein stehende Frauen, wenn sie keine mächtigen Familienmitglieder haben, mit denen sie im Haus wohnen, insofern gefährdet, als sie überfallen werden, dass sie auch unter Umständen von mächtigen Kommandanten zwangsverheiratet werden würden. Zwangsheirat in diesem Fall heißt es, der Kommandant bittet die Mutter und den Bruder der BF, sie zu heiraten, wenn sie dies nicht tun, wird der Kommandant einen Raubüberfall inszenieren. Daher versuchen viele Familien, den Kommandanten nicht zu widersprechen. Diese Härte im Falle der BF ist darin begründet, dass sie für die Hazara-Gesellschaft eine optisch attraktive und junge Frau ist. Die BF ist dadurch gehindet, mit ihren Kindern in die Stadt zu gehen um einzukaufen oder zum Arzt zu gehen. Sie bräuchte ständig Begleitung.

 

Diesbezüglich lege ich einen Artikel betreffend "Die Gewalt gegen Frauen nimmt zu" vor."

 

I.3. Beweiswürdigung

 

I.3.1.

 

Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Akten des BAG und des Asylgerichtshofes.

 

I.3.2.

 

1. Die Feststellungen zur Identität (Name und Alter), Staatsangehörigkeit und Herkunft der Bf. sowie ihrem persönlichen Umfeld und ihren Lebensbedingungen ergeben sich aus den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben im Verfahren vor dem BAG (OZ 1) und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Asylgerichtshof (OZ 6Z), in der die Bf. weitgehend einen persönlich glaubhaften Eindruck erweckte, sowie der Kenntnis und Verwendung der Sprache Dari.

 

Die Angaben zu ihrem Namen und ihrem Alter werden zudem durch den von der Bf. vor der belangten Behörde und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Asylgerichtshof in Vorlage gebrachten afghanischen Reisepass (siehe Kopien im Akt des BAG, AS 3 und 5 sowie 85, 89 bis 95) bestätigt, an dessen Echtheit und Richtigkeit insbesondere auf Grund der glaubwürdigen Angaben des Bf. kein Grund zu zweifeln bestand. Der in der mündlichen Verhandlung bestellte landeskundliche Sachverständige äußerte nach Vorlage des Reisepasses durch den vorsitzenden Richter keine Bedenken hinsichtlich der Authentizität des Dokuments.

 

Die Feststellung zur bestehenden Ehe der Bf. mit M. D. und damit die Eigenschaft der Bf. als Familienangehörige iSd. § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 zu ihrem Ehemann stützen sich auf die glaubhaften Angaben der Bf. und der bereits im Verfahren vor dem BAG und neuerlich in der mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof vorgelegten "Heiratsurkunde" samt Übersetzung ins Englische (Akt des BAG, AS 7 und 9). Hinsichtlich des Zustandekommens und der Rechtsgültigkeit der zwischen der Bf. und M. D. geschlossenen Ehe war den Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlungen zu folgen (siehe oben I.2.2. b) 3.), wonach das vorgelegte Dokument zwar keine offizielle Heiratsurkunde in Formularform darstellt, wie sie in Afghanistan üblicherweise ausgestellt werden würde, und aller Wahrscheinlichkeit nach auch erst nachträglich in Pakistan angefertigt worden sei. Diese Urkunde sei aber in sog. "traditioneller Weise" abgefasst worden, wo mehrere namentlich genannten Personen das Zustandekommen der Heirat in einer formlosen Urkunde bestätigen. Diese Urkunde weise auf eine Verehelichung der beiden hin und der Inhalt entspreche im Allgemeinen dem Inhalt einer förmlichen Heiratsurkunde. Diese Feststellungen des Sachverständigen wurden auch von dem in der mündlichen Verhandlung bestellten Dolmetscher bestätigt. Es war somit vom rechtsgültigen Zustandekommen der Ehe der Bf. auszugehen.

 

Die Feststellung betreffend den rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens betreffend den Ehemann der Bf., M. D., entspricht dem Amtswissen des Asylgerichtshofes. Die Feststellung, dass die Bf. als gesetzliche Vertreterin ihrer mj. Tochter ihre in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 12.11.2008 getätigten Angaben auch hinsichtlich des Verfahrens ihrer mj. Tocjter aufrecht erhält, ergibt sich aus einer entsprechender Erklärung der Bf. in der mündlichen Verhandlung (OZ 6Z).

 

2. Die Feststellungen zur Ausreise aus Afghanistan, dem Aufenthalt der Bf. in Pakistan und der rechtmäßigen Einreise in Österreich unter Verwendung eines gültigen Visums ergeben sich aus den glaubhaften Angaben der Bf. im gesamten Verfahren und den im vorgelegten afghanischen Reisepass angebrachten (Sicht-)Vermerken betreffend die Ausreise aus Pakistan und die Einreise in Österreich.

 

3. Die Feststellungen zum Grund der Ausreise der Bf. aus Afghanistan und zur Flucht nach Pakistan (Drohungen und Misshandlungen seitens des Bruders der Bf., unzumutbare Lebensbedingungen für die Bf. als Frau) ergeben sich aus den glaubhaften Angaben der Bf. im gesamten Verfahren sowie den gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof, denen zu Folge die Angaben der Bf. betreffend ihre Situation als verheiratete, aber von ihrem Mann räumlich getrennt lebende Frau im Hinblick auf die allgemeine Situation im Herkunftsstaat der Bf. als nachvollziehbar beurteilt werden konnten.

 

Der von der Bf. diesbezüglich dargelegte Sachverhalt wurde bereits von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid als plausibel, nachvollziehbar und glaubhaft gewürdigt. Der Asylgerichtshof sieht keinen Anlass, die Feststellungen und die diesbezügliche Beweiswürdigung der belangten Behörde in Zweifel zu ziehen.

 

4. Hinsichtlich der von der Bf. im gegenständlichen Verfahren behaupteten Verfolgung ihres Ehemannes in Afghanistan und die von ihr diesbezüglich im Verfahren vor dem BAG geschilderten und in der mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof wiederholten Ereignisse ist auf den in dem ihren Ehemann betreffenden Asylverfahren festgestellten und in Rechtskraft erwachsenen Sachverhalt zu verweisen.

 

5. Die Feststellung zu der als "westlich" zu bezeichnenden Orientierung der Bf. hinsichtlich ihres Frauenbildes ergibt sich aus dem persönlichen Eindruck und dem äußeren Erscheinungsbild der Bf. in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Asylgerichtshof. Sie trug offenes, unverschleiertes Haar, westliche Kleidung (Bluse, Jacke und Blue Jeans), war geschminkt und trug modischen Schmuck.

 

6. Im Übrigen ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das an der Richtigkeit der Aussagen der Bf. zu ihrer Person Zweifel aufkommen ließ.

 

I.3.3.

 

1. Die getroffenen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat der Bf. ergeben sich aus einer Gesamtschau der angeführten und in der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingebrachten aktuellen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen.

 

Hierbei wurden Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des deutschen Auswärtigen Amtes, des schweizerischen Bundesamtes für Migration, des britischen UK Home Office (Border Agency) und des US Department of State, ebenso herangezogen, wie auch von internationalen Organisationen wie dem UNHCR oder allgemein anerkannten und unabhängigen Nichtregierungsorganisationen, wie der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, der Gesellschaft für bedrohte Völker, Human Rights Watch oder Amnesty International.

 

Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen darin, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

 

2. Die in der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen zur Lage im Herkunftsstaat wurden den Parteien zur Akteneinsicht angeboten. Auf die der Bf. eingeräumte Möglichkeit zur Abgabe einer diesbezüglichen Stellungnahme wurde seitens des Vertreters der Bf. unter Bezugnahme auf die bisherigen Beweisergebnisse, speziell den mündlichen Ausführungen des SV, ausdrücklich verzichtet. Die Parteien sind weder den in das Verfahren eingeführten Quellen noch den auf diesen beruhenden und in der mündlichen Verhandlung erörterten Feststellungen substanziiert entgegengetreten.

 

3. Das in der mündlichen Beschwerdeverhandlung erstattete Gutachten des nichtamtlichen landeskundlichen Sachverständigen war vollständig, schlüssig und widerspruchsfrei. Die geäußerten Schlussfolgerungen des Sachverständigen deckten sich im Übrigen inhaltlich mit den vom Asylgerichtshof in das Verfahren eingebrachten aktuellen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen.

 

An der Fachkenntnis, der Unparteilichkeit und der Unbefangenheit des vom Asylgerichtshof in der mündlichen Beschwerdeverhandlung bestellten landeskundlichen Sachverständigen sind im Verfahren keine Zweifel aufgekommen. Weder gegen die Person des Sachverständigen noch gegen das von ihm in der mündlichen Beschwerdeverhandlung erstattete Gutachten wurden seitens der Parteien Einwendungen erhoben.

 

4. Im Übrigen hat der Bf. im gesamten Verfahren keinerlei Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit der Informationen zur Lage in seinem Herkunftsstaat Zweifel aufkommen ließen.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

II.1. Anzuwendendes Recht

 

1. In der gegenständlichen Rechtssache sind die Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung, anzuwenden, zumal der Asylantrag des Bf. am 21.03.2007 und damit nach dem Inkrafttreten des AsylG 2005 am 01.01.2006 gestellt und eingebracht wurde.

 

2. Weiters anzuwenden sind die Bestimmungen des Asylgerichtshofgesetzes (AsylGHG), BGBl. I Nr. 4/2008, und gemäß § 23 AsylGHG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991, sowie die Bestimmungen des Zustellgesetzes (ZustG), BGBl. Nr. 200/1982, alle in der jeweils geltenden Fassung.

 

3. Der Asylgerichtshof hat gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 (WV) idF BGBl. I Nr. 2/2008, ab 01.07.2008 die beim UBAS anhängigen Verfahren weiterzuführen. An die Stelle des Begriffs "Berufung" tritt gemäß § 23 des Asylgerichtshofgesetzes (AsylGHG), BGBl. I Nr. 4/2008, mit Wirksamkeit ab 01.07.2008 der Begriff "Beschwerde". Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Einrichtung des Asylgerichtshofes finden sich in den Art. 129c ff. B-VG.

 

4. Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005 idF des Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetzes, BGBl. I Nr. 4/2008, sind am 01.07.2008 beim UBAS anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

 

Mitglieder des UBAS, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängige Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des UBAS geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.

 

5. Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, sofern bundesgesetzlich nicht die Entscheidung durch Einzelrichter oder verstärkte Senate (Kammersenate) vorgesehen ist.

 

6. Die gegenständliche Rechtssache wurde bis 30.06.2008 von einem zum Richter des Asylgerichtshofes ernannten Mitglied des UBAS geführt. Eine mündliche Verhandlung in der gegenständlichen Rechtssache fand bis 30.06.2008 nicht statt. Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG 2005 idF des Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetzes war das Verfahren daher von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat C9 weiterzuführen, zumal kein Fall einer Einzelrichterzuständigkeit iSd. § 61 Abs. 3 AsylG 2005 vorgelegen ist.

 

7. Gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm. § 23 AsylGHG hat der Asylgerichtshof, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Der Asylgerichtshof ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener des Bundesasylamtes zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

8. Gemäß § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

 

9. Gemäß § 18 Abs. 1 AsylG 2005 haben das Bundesasylamt und der Asylgerichtshof in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

 

Gemäß § 18 Abs. 2 AsylG 2005 ist im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers auf die Mitwirkung im Verfahren Bedacht zu nehmen.

 

II.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides

 

1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat (siehe § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005), soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

 

Als Flüchtling iSd. der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

2. Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318;

09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN;

19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131;

25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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