TE Vfgh Erkenntnis 1998/12/11 G210/98, G214/98, G215/98, G217/98, G218/98, G233/98, G234/98, G240/98

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Veröffentlicht am 11.12.1998
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art11 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
AsylG 1997 §6
AsylG 1997 §19
AsylG 1997 §32
AVG §63 Abs5

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit der bloß zweitägigen Berufungsfrist im Fall der Abweisung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet wegen Verstoßes gegen rechtsstaatliche Grundsätze und mangels Rechtfertigung unter dem Blickpunkt des Art11 Abs2 B-VG

Spruch

I. Die in §32 Abs1 erster Satz des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76, in der Fassung der Kundmachung BGBl. I Nr. 106/1998, enthaltene Wortfolge "als offensichtlich unbegründet abgewiesen oder" wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Die aufgehobene Gesetzesstelle ist nicht mehr anzuwenden.

Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Bundesgesetzblatt I kundzumachen.

II. Die Anträge des Unabhängigen Bundesasylsenates zu G210/98, G217/98, G218/98, G233/98 und G234/98 werden insoweit zurückgewiesen, als sie sich auf den ersten Satz im §32 Abs3 des Asylgesetzes 1997 beziehen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Das Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76, (im folgenden: AsylG) bestimmt in §6 unter der Rubrik "Offensichtlich unbegründete Asylanträge" folgendes:

"§6. Asylanträge gemäß §3 sind als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat

1. sich dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen läßt, daß ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht oder

2. die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art1 Abschnitt A Z2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist oder

3. das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht oder

4. die Asylwerber an der Feststellung des maßgebenden Sachverhalts trotz Aufforderung nicht mitwirken oder

5. im Herkunftsstaat auf Grund der allgemeinen politischen Verhältnisse, der Rechtslage und der Rechtsanwendung in der Regel keine begründete Gefahr einer Verfolgung aus den in Art1 Abschnitt A Z2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe besteht."

Der mit der Überschrift "Abgekürztes Berufungsverfahren" versehene §32 AsylG hatte in seiner ursprünglichen Fassung folgenden Wortlaut:

"§32.(1) Gegen Bescheide, mit denen Asylanträge als offensichtlich unbegründet abgewiesen oder aus den Gründen der §§4 und 5 wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen worden sind, kann nur binnen zwei Tagen nach Zustellung Berufung erhoben werden. Fällt diese Berufungsfrist in die Sicherung einer Zurückweisung, so ist diese jedenfalls während des ungenützten Ablaufes dieser Frist zulässig. Eine abgesonderte Berufung gegen eine Feststellung gemäß §8 ist in solchen Fällen nur insoweit möglich, als das Bestehen einer Gefahr gemäß §57 Abs1 FrG behauptet wird. Eine abgesonderte Berufung gegen Bescheide, mit denen in diesen Fällen der Asylerstreckungsantrag Angehöriger als unbegründet abgewiesen wurde, ist nicht zulässig, doch gelten solche Bescheide durch eine Berufung gegen die Entscheidung über den Asylantrag als im selben Umfang angefochten.

(2) Der Berufung ist stattzugeben, wenn die Feststellung der Behörde, der Antrag sei offensichtlich unbegründet oder es bestehe aus den Gründen der §§4 und 5 Unzuständigkeit, nicht zutrifft. In diesen Fällen hat die Berufungsbehörde die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen. Die zurückweisenden Asylerstreckungsbescheide sind gleichzeitig als überholt aufzuheben. Hat der angefochtene Bescheid auch eine Feststellung gemäß §8 enthalten, hat die Berufungsbehörde ihrerseits eine solche Feststellung zu treffen.

(3) Über die Berufung ist binnen vier Arbeitstagen nach dem Tag des Einlangens bei der Berufungsbehörde zu entscheiden. Wird die Berufung während der Sicherung einer Zurückweisung eingebracht, so ist diese entsprechend länger zulässig."

Aufgrund von Anträgen des Unabhängigen Bundesasylsenates (im folgenden: Bundesasylsenat) hob der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 24. Juni 1998 G31/98 ua. die in Abs1 des eben wiedergegebenen Paragraphen enthaltene Wendung "§4 und" als verfassungswidrig auf (s. die Kundmachung BGBl. I Nr. 106/1998) und begründete dies im wesentlichen damit, daß eine Verkürzung der Berufungsfrist von generell zwei Wochen auf zwei Tage in Verfahren nach §4 AsylG weder unter dem Aspekt rechtsstaatlicher Grundsätze noch unter dem Blickpunkt des Art11 Abs2 B-VG gerechtfertigt sei.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17. (zugestellt am 19.) Februar 1998 wurde der Asylantrag des - anscheinend aus Nigeria stammenden - Beschwerdeführers (des hg. Beschwerdeverfahrens B825/98) gemäß §6 Z3 AsylG als offensichtlich unbegründet abgewiesen und seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß §8 AsylG als zulässig festgestellt. Dagegen erhob der Beschwerdeführer am 27. Februar 1998 Berufung und stellte unter einem den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unverschuldeter Versäumung der zweitägigen Berufungsfrist. Der Bundesasylsenat gab in der Folge mit Bescheid vom 6. April 1998 dem Wiedereinsetzungsantrag letztinstanzlich nicht statt und wies die Berufung gemäß §32 Abs1 erster Satz AsylG als verspätet zurück. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer nach Art144 B-VG eine, hg. unter B825/98 protokollierte, Beschwerde, in welcher er u.a. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §32 Abs1 erster Satz AsylG geltend macht und die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens anregt.

3. Aus Anlaß dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof beschlossen, gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein (in der Folge unter G215/98 eingetragenes) Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "als offensichtlich unbegründet abgewiesen oder" in §32 Abs1 erster Satz AsylG einzuleiten.

II. 1. Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 3. September 1998 den Asylantrag eines jugoslawischen Staatsangehörigen albanischer Nationalität gemäß §6 Z3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte gemäß §8 AsylG fest, daß die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Jugoslawien zulässig sei. Weiters wies das Bundesasylamt mit Bescheiden je vom 14. Oktober 1998 die Asylanträge zweier aus Bangladesch stammender Asylwerber gemäß §6 Z2 als offensichtlich unbegründet ab und traf die auf §8 gestützte Feststellung, daß deren Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei. Gegen diese Bescheide erhoben die Asylwerber (nach Maßgabe des §32 Abs1 AsylG: verspätet) Berufung.

2. Aus Anlaß dieser Berufungsverfahren begehrt der Bundesasylsenat in drei jeweils unter Bezugnahme auf Art140 Abs1 iVm Art129c Abs6 und Art89 Abs2 B-VG gestellten (hg. unter G214/98, G240/98 und G244/98 protokollierten) Anträgen, die oben zitierte Wortfolge im ersten Satz des §32 Abs1 AsylG als verfassungswidrig aufzuheben.

III. 1. Beim Bundesasylsenat sind

ferner Verfahren über Berufungen von drei türkischen Staatsangehörigen kurdischer Nationalität sowie von zwei aus Bangladesch bzw. Sri Lanka stammenden Asylwerbern anhängig, die jeweils einen - den Asylantrag (nach §6 Z1, Z2 oder Z3 AsylG) als offensichtlich unbegründet abweisenden und die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat (nach §8 AsylG) feststellenden - Bescheid des Bundesasylamtes zum Gegenstand haben. Die Berufungen der Asylwerber gegen den jeweiligen Bescheid des Bundesasylamtes wurden (nach Ansicht des Bundesasylsenates) in zwei Fällen rechtzeitig, in den drei anderen dagegen verspätet eingebracht.

2. Auch aus Anlaß dieser Berufungsverfahren begehrt der Bundesasylsenat in fünf jeweils unter Bezugnahme auf Art140 Abs1 iVm Art129c Abs6 und Art89 Abs2 B-VG gestellten (hg. unter G210/98, G217/98, G218/98, G233/98 und G234/98 protokollierten) Anträgen, die schon zitierte Wortfolge im ersten Satz des §32 Abs1 AsylG als verfassungswidrig aufzuheben; in diesen Fällen beantragt der Bundesasylsenat überdies - im Hinblick auf die festgelegte Entscheidungsfrist - die Aufhebung des Wortes "vier" im ersten Satz des §32 Abs3 AsylG, hilfsweise des ganzen ersten Satzes wegen Verfassungswidrigkeit.

IV. Die Bundesregierung teilte (zu G210/98 mit einem Hinweis auf alle sachverhaltsähnlichen Verfahren) mit, daß sie im Hinblick auf das hg. Erk. G31/98 ua. vom 24. Juni 1998 von einer meritorischen Äußerung Abstand nehme, und regte für den Fall der Aufhebung der betreffenden Gesetzesbestimmungen an, für deren Außerkrafttreten gemäß Art140 Abs5 B-VG eine Frist von einem Jahr zu bestimmen, um die allenfalls erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.

V. 1. Das amtswegig eingeleitete, die Wortfolge "als offensichtlich unbegründet abgewiesen oder" in §32 Abs1 AsylG betreffende Gesetzesprüfungsverfahren erweist sich ebenso als zulässig wie die gegenstandsgleichen Prüfungsanträge des Bundesasylsenates zu G214/98, G240/98 und G244/98 sowie die übrigen Prüfungsanträge des Bundesasylsenates, soweit sie sich auf dieselbe Wortfolge beziehen. Es ist offenkundig, daß die zitierte Vorschrift sowohl im Anlaßbeschwerdeverfahren des Verfassungsgerichtshofs als auch in den Berufungsverfahren vor dem Bundesasylsenat anzuwenden wäre. Anhaltspunkte für das Vorliegen etwaiger Prozeßhindernisse haben sich nicht ergeben.

2.a) Der Verfassungsgerichtshof legte im Einleitungsbeschluß folgende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die bezogene Gesetzesvorschrift dar:

"Gegen die in Prüfung zu ziehende Wortfolge hegt der Verfassungsgerichtshof grundsätzlich die gleichen Bedenken, die ihn in seinem Erkenntnis vom 24. Juni 1998 G31/98 ua. dazu veranlaßt haben, die Wendung '§4 und' im ersten Satz des §32 Abs1 AsylG als verfassungswidrig aufzuheben. Der Gerichtshof nahm in dieser Entscheidung gestützt auf die Vorjudikatur den Standpunkt ein, daß Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen müssen. Dies sei bei einer Regelung wie der über die Dauer einer Rechtsmittelfrist nur dann gegeben, wenn sie dem negativ beschiedenen potentiellen Rechtsschutzsuchenden gewährleistet, sein Rechtsmittel in einer Weise auszuführen, die sowohl dem Inhalt der anzufechtenden Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht adäquat ist als auch dem zu dieser Entscheidung führenden, allenfalls mit Mängeln belasteten Verfahren. Unter den das Asylverfahren kennzeichnenden praktischen Gegebenheiten genüge eine dem Asylwerber offenstehende zweitägige Frist diesen Anforderungen nicht. Auch unter dem Aspekt des Art11 Abs2 B-VG sei eine Verkürzung der Berufungsfrist, soweit sie dem - eben dargestellten - Prinzip der faktischen Effizienz des Rechtsschutzes widerstreitet, nicht tolerierbar.

Der Gerichtshof geht weiters vorläufig davon aus, daß die Bedenken, welche ihn zur Aufhebung der Vorschrift über die zweitägige Berufungsfrist in Verfahren nach §4 AsylG (betreffend die Zurückweisung von Asylanträgen wegen Drittstaatsicherheit) veranlaßt haben, auch hinsichtlich jener Verfahren zutreffen, in denen Asylanträge gemäß §6 AsylG als offensichtlich unbegründet abgewiesen wurden. Zwar hat eine Berufung in diesen Fällen nicht den (zumeist zeitaufwendigen) Nachweis zum Gegenstand, daß die von der Behörde angenommene Sicherheit im Drittland im konkreten Fall nicht vorliege, doch erfordert die Prüfung der Frage, ob ein Asylantrag tatsächlich 'offensichtlich unbegründet' ist, nach Ansicht des Gerichtshofes wohl einen ähnlichen Zeit- und Arbeitsaufwand. Ob nämlich - beispielsweise laut §6 Z3 AsylG - 'das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht', kann häufig nicht ohne genauere Darstellung der konkreten, im Herkunftsland des jeweiligen Asylwerbers herrschenden Situation widerlegt werden. Die vom Gerichtshof im Erkenntnis G31/98 ua. angeführten Argumente hinsichtlich der Schwierigkeit, die mit der Einbringung einer Berufung typischerweise (und insbesondere für einen der deutschen Sprache meist unkundigen Asylwerber) einhergehen, sowie hinsichtlich des Erfordernisses, die mit der Ergreifung eines Rechtsmittels notwendig verbundenen manipulativen Umstände zu bewältigen, dürften jedenfalls auch bei Verfahren nach §6 AsylG zum Tragen kommen."

b) Der Bundesasylsenat hegt unter Hinweis auf das zitierte hg. Erk. G31/98 ua. grundsätzlich die gleichen verfassungsrechtlichen Bedenken wie die eben wiedergegebenen und führt überdies (u.a.) ins Treffen, daß der Gegenstand des Verfahrens nach den §§6 und 8 AsylG "keineswegs anspruchslos" sei, sondern de facto den Gesamtgegenstand eines gewöhnlichen Asyl- und Refoulementverfahrens umfasse, wobei für den Asylwerber nur insoweit eine "Erleichterung" bestehe, als er bereits dann mit seiner Berufung "obsiege", wenn es ihm - in bezug auf den Ausspruch nach §6 AsylG - gelinge, die mangelnde Offensichtlichkeit der Unbegründetheit seines Asylantrages zu erweisen. Dem stehe aber die "Last" gegenüber, in der Berufung - soll sie effektiv sein - prophylaktisch auch zu den im erstinstanzlichen Bescheid gar nicht behandelten (übrigen) Tatbeständen des §6 AsylG Stellung nehmen zu müssen. Im Refoulement-Bereich schließlich treffe den Berufungswerber jedenfalls hinsichtlich des Teilbereichs des §57 Abs1 FremdenG die volle "Mitwirkungspflicht".

3. Die dargestellten verfassungsrechtlichen Bedenken erweisen sich als zutreffend. Der Gerichtshof hält an den vorläufigen Annahmen des Prüfungsbeschlusses fest und pflichtet auch den vorhin wiedergegebenen Argumenten des Bundesasylsenates bei. Insbesondere bleibt der Verfassungsgerichtshof weiterhin auf dem in seinem Erk. G31/98 ua. unter Bezugnahme auf die Vorjudikatur eingenommenen Standpunkt, daß Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen müssen und daß dies bei einer Regelung über die Dauer einer Rechtsmittelfrist nur dann gegeben ist, wenn sie dem negativ beschiedenen potentiellen Rechtsschutzsuchenden gewährleistet, sein Rechtsmittel in einer Weise auszuführen, die sowohl dem Inhalt der anzufechtenden Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht adäquat ist als auch dem zu dieser Entscheidung führenden, allenfalls mit Mängeln belasteten Verfahren. Der Gerichtshof hält ebenso daran fest, daß auch unter dem Aspekt des Art11 Abs2 B-VG eine Verkürzung der Berufungsfrist, soweit sie dem Prinzip der faktischen Effizienz des Rechtsschutzes widerstreitet, nicht tolerierbar ist.

Ein Vergleich des Gegenstandes des Verfahrens nach §4 AsylG, welches die sogenannte Drittstaatsicherheit betrifft, mit dem Gegenstand des Verfahrens nach §6 AsylG zeigt nun, daß der zeitliche Aufwand für den Rechtsschutzsuchenden bei gebotener Durchschnittsbetrachtung nicht geringer zu veranschlagen ist und er grundsätzlich den gleichen Schwierigkeiten gegenübersteht wie ein im Prüfungsverfahren G31/98 ua. betrachteter Berufungswerber. Hier wie dort ist davon auszugehen, daß der Asylwerber im Regelfall der deutschen Sprache nicht mächtig ist und daher schon zum rein sprachlichen Verständnis des ihm zugestellten Bescheides fremder Hilfe bedarf, zumal ihm zwar der Spruch, die Rechtsmittelbelehrung sowie eine Übersetzung der für das Meritum der Entscheidung maßgeblichen Gesetzesbestimmung, nicht jedoch die Begründung in einer ihm verständlichen Sprache zukommen muß (§29 AsylG). Ebenso tritt der Umstand hinzu, daß das rein sprachliche Verständnis des Bescheides zur sachgerechten Aktualisierung eines notwendigen Rechtsschutzes nicht ausreicht, sondern daß dem Rechtsschutzsuchenden vielmehr auch das rechtliche Verständnis des Bescheides möglich gemacht, ihm demnach die Möglichkeit geboten werden muß, sich der Hilfe einer fachkundigen Person als Beistand zu bedienen. Auch im Fall des Verfahrens nach §6 AsylG ist das Erfordernis gegeben, anzunehmende Mängel des Bescheides in materieller und formeller Hinsicht in die Form eines den Standpunkt des Asylwerbers deutlich zum Ausdruck bringenden Schriftsatzes zu kleiden und die damit verbundenen manipulativen Umstände zu bewältigen.

Zusammenfassend ist sohin festzuhalten, daß eine bloß zweitägige Berufungsfrist den Erfordernissen nicht entspricht, welche an die in Prüfung gezogene Gesetzesbestimmung sowohl unter dem Aspekt rechtsstaatlicher Grundsätze als auch unter dem Blickpunkt des Art11 Abs2 B-VG zu stellen sind. Sie ist daher als verfassungswidrig aufzuheben.

4. Die übrigen Entscheidungen stützen sich auf Art140 Abs6 erster Satz, Abs7 zweiter Satz sowie Abs5 erster Satz B-VG. Von der Festsetzung einer Frist für das Außerkrafttreten war schon im Hinblick darauf abzusehen, daß die parlamentarische Behandlung einer auch die Neufassung des §32 AsylG betreffenden Gesetzesnovelle bereits weit fortgeschritten ist. Der Ausspruch, daß die aufgehobene Gesetzesstelle nicht mehr anzuwenden ist, trägt (auch) einer Anregung des Bundesasylsenates Rechnung und berücksichtigt die in Betracht kommenden anhängigen Verfahren vor dem Bundesasylsenat und den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts.

VI. 1. Soweit der Bundesasylsenat mit seinen unter G210/98, G217/98, G218/98, G233/98 und G234/98 protokollierten Anträgen überdies begehrt, den ersten Satz im §32 Abs3 AsylG teilweise oder zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben, erweist sich seine Antragstellung in diesem eingeschränkten - bloß den ersten Satz des zitierten Absatzes betreffenden - Umfang als nicht zulässig.

Wie der Gerichtshof nämlich in ständiger Rechtsprechung dargetan hat, sind die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden Gesetzesvorschrift notwendig (auch) so zu ziehen, daß der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt; ein Antrag nach Art140 B-VG, der diesen Grundsatz mißachtet, ist formell unzulässig (s. zB VfSlg. 13140/1992, 13915/1994 oder etwa jüngst - wenngleich eine Verordnungsprüfungssache betreffend - V99/96 vom 5. Oktober 1998 mit eingehender Darstellung der Vorjudikatur).

2. Nach dem zweiten Satz des §19 Abs1 AsylG dürfen (dem Bundesasylamt) vorgeführte Asylwerber dazu verhalten werden, sich zur Sicherung einer Zurückweisung (vgl. zu den Begriffen "Zurückweisung" und "Sicherung der Zurückweisung" §52 und §53 des FremdenG 1997) während der der Grenzkontrolle folgenden Woche an einem bestimmten Ort im Grenzkontrollbereich oder im Bereich des Bundesasylamtes aufzuhalten. Diese in der Regierungsvorlage (686 BlgNR 20. GP) zutreffend als Konfinierung bezeichnete Maßnahme wird durch §32 Abs1 zweiter Satz AsylG dann, wenn die Berufungsfrist in die Sicherung einer Zurückweisung fällt, dahin erstreckt, daß sie jedenfalls bis zum ungenützten Ablauf der Berufungsfrist zulässig ist. Für den Fall jedoch, daß eine Berufung während der Sicherung einer Zurückweisung eingebracht wird, bestimmt der zweite Satz im §32 Abs3 AsylG, daß diese Sicherung "entsprechend länger" zulässig ist. Diese Regelung steht nun - wie sich aus dem Zusammenhalt mit dem ersten Satz des §32 Abs3 AsylG ergibt - mit der dem Bundesasylsenat offenstehenden Entscheidungsfrist von vier Arbeitstagen derart im Zusammenhang, daß die hier gebotene rasche Entscheidung des Bundesasylsenates (wenngleich nicht auf den Tag genau) die Dauer der Konfinierung verlängert bzw. beschränkt. Eine isolierte, teilweise oder gänzliche Aufhebung des ersten Satzes im §32 Abs3 AsylG hätte somit eine u.U., nämlich nach Maßgabe der tatsächlichen Dauer des Berufungsverfahrens, erhebliche Verlängerung des Zeitraums einer zulässigen Konfinierung zur Folge, was dem Gesetzgeber im Hinblick auf die die Konfinierung beschränkende Verknüpfung kurzer Fristen (eine Woche ab Grenzkontrolle, zwei Tage gemäß der Rechtsmittelfrist (hinsichtlich solcher Bescheide, mit denen ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgewiesen oder aus den Gründen des §5 wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen wurde) sowie vier Tage gemäß der Entscheidungsfrist für die Rechtsmittelinstanz) nicht zusinnbar ist.

Die Gesetzesprüfungsanträge des Unabhängigen Bundesasylsenates waren sohin im übrigen zurückzuweisen.

VII. Diese Entscheidungen wurden gemäß §19 Abs4 erster Satz bzw. §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen.

Schlagworte

Asylrecht, Bedarfskompetenz, Rechtsschutz, Rechtsstaatsprinzip, Verwaltungsverfahren, Berufung, Berufungsfrist, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:G210.1998

Dokumentnummer

JFT_10018789_98G00210_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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