TE Vwgh Erkenntnis 2005/6/30 2004/20/0055

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Veröffentlicht am 30.06.2005
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §15 Abs1 idF 1999/I/004;
AsylG 1997 §15 Abs2 idF 1999/I/004;
AsylG 1997 §15 idF 1999/I/004;
AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §56;
AVG §59 Abs1;
AVG §68 Abs1;
AVG §73 Abs2;
MRK Art3;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des H in W, geboren 1986 (oder 1987), vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25, gegen den am 29. August 2003 verkündeten und am 29. September 2003 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 227.586/11-II/04/03, betreffend Aufhebung eines Bescheides "im Grunde des § 15 Abs. 2 erster Satz, erster Halbsatz, AsylG" (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Insoweit mit dem angefochtenen Bescheid Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides vom 28. Februar 2002 (Abweisung des Asylantrages gemäß § 7 AsylG) aufgehoben wurde, wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen - nämlich insoweit, als mit dem angefochtenen Bescheid auch Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides vom 28. Februar 2002 (Feststellung der Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan) aufgehoben wurde - wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste im November 2001 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl.

Mit Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides vom 28. Februar 2002 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab. Mit Spruchpunkt II. erklärte es die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan für nicht zulässig.

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger, Berufung.

Da das Bundesasylamt über einen Antrag des Beschwerdeführers, ihm auf Grund des gewährten Schutzes vor Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß § 15 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu gewähren, nicht entschied, richtete der Beschwerdeführer auch einen diesbezüglichen Devolutionsantrag an die belangte Behörde.

Mit Schreiben vom 29. April 2003 hielt die belangte Behörde dem Beschwerdeführer vor, es sei ihm noch keine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt worden und die belangte Behörde sei "in einem derartigen Fall gehalten ..., auch auf Grund Ihrer lediglich gegen Spruchteil I des angefochtenen Bescheides gerichteten Berufung den gesamten, in Folge Fehlens eines auf § 15 Abs. 1 AsylG gestützten Abspruches unvollständigen Bescheid, demnach auch Spruchteil II des angefochtenen Bescheides, zu beheben". Sein Devolutionsantrag werde wie im Falle eines näher bezeichneten Bescheides der belangten Behörde vom 10. März 2003 (siehe zu diesem das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2003/20/0336) zurückzuweisen sein.

Mit Schriftsatz vom 16. Mai 2003 trat der Beschwerdeführer der Absicht der belangten Behörde, den Ausspruch über die Unzulässigkeit seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan aus dem Rechtsbestand zu beseitigen, entgegen. Dieser Ausspruch sei unbekämpft geblieben und somit in Rechtskraft erwachsen. Darüber hinaus vertrat der Beschwerdeführer die Ansicht, die Zurückweisung seines Devolutionsantrages wäre unzulässig.

Mit dem angefochtenen, in der mündlichen Berufungsverhandlung am 29. August 2003 verkündeten Bescheid behob die belangte Behörde "in Erledigung" der Berufung des Beschwerdeführers den erstinstanzlichen Bescheid "im Grunde des § 15 Abs. 2 erster Satz, erster Halbsatz, AsylG".

In der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides stützte die belangte Behörde diese Entscheidung - im Wege der "mangels weiter reichender Kapazitäten" auf die Wiedergabe der bei der Verkündung protokollierten Ausführungen beschränkten teilweisen Wiederholung von Ausführungen zur Begründung eines am 27. August 2003 verkündeten Bescheides, die ihrerseits auf einen Bescheid vom 10. Dezember 2002 verwiesen - auf die Ansicht, ihr Vorgehen finde Deckung in näher bezeichneten Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes.

Über den Devolutionsantrag wurde nicht abgesprochen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Der vorliegende Bescheid ist Teil einer Gruppe afghanische Asylwerber betreffender Bescheide, in denen die belangte Behörde - jeweils nach Abweisung des Asylantrages, aber Unzulässigerklärung der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers nach Afghanistan im erstinstanzlichen Bescheid - "in Erledigung" von Berufungen, die sich nur gegen die Abweisung des Asylantrages richteten, auch die erstinstanzliche Feststellung der Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan aus dem Rechtsbestand beseitigte (vgl. vom heutigen Tag auch die hg. Erkenntnisse Zlen. 2003/20/0336, 2003/20/0518, 2004/20/0033, 2004/20/0049 und 0088, 2004/20/0057 und 2004/20/0062; ebenfalls vom heutigen Tag auch den Beschluss zur hg. Zl. 2004/20/0046 und das einen Folgebescheid - Behebung eines Bescheides des Bundesasylamtes "im Grunde des § 8 AsylG" - betreffende Erkenntnis Zl. 2004/20/0238; vgl. - etwas anders - auch die mit dem hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2005, Zl. 2003/20/0138, u.a. aufgehobene "teilweise Erledigung" einer Berufung durch Anfügung eines Spruchteils mit einem Bescheid der belangten Behörde vom 10. März 2003).

Ausgangspunkt dieser Judikatur der belangten Behörde ist ein -

den Bescheidbegründungen durch teils indirekte Verweisungen zugrunde gelegter - Bescheid vom 10. Dezember 2002, der unangefochten blieb. Die belangte Behörde verteidigte die in diesem Bescheid artikulierte Rechtsauffassung in dem zur hg. Zl. 2003/20/0336 protokollierten Beschwerdefall in einer längeren Gegenschrift vom 14. November 2003, in der sie auf die inzwischen zu Rechtsfragen des § 15 AsylG ergangenen hg. Erkenntnisse vom 17. September 2003, Zlen. 2000/20/0209, 2002/20/0333, 2002/20/0399 und 2002/20/0427, sowie vom 7. Oktober 2003, Zlen. 2001/01/0589 und 2002/01/0317, Bezug nahm. Im Beschwerdeverfahren zur hg. Zl. 2004/20/0049 beantwortete sie mit Schriftsatz vom 4. März 2004 (den sie im Zuge der Aktenvorlage noch durch eine Stellungnahme vom 29. September 2004 ergänzte) einen Vorhalt des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 35 Abs. 2 VwGG. In Verbindung mit den Aktenvorlagen in den anderen verwaltungsgerichtlichen Verfahren verwies die belangte Behörde in der Regel - so auch im vorliegenden Fall - auf die beiden Schriftsätze vom 14. November 2003 und vom 4. März 2004.

Der zuletzt genannte Schriftsatz enthielt den Hinweis, einer dieser Bescheide (es handelte sich um den beim Verwaltungsgerichtshof zur Zl. 2003/20/0518 bekämpften) sei auch beim Verfassungsgerichtshof angefochten worden. Nach der Ablehnung der Behandlung dieser Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof mit dem im hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2003/20/0518, auszugsweise zitierten Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Juni 2004, B 1369/03-12, wurden in dem zur hg. Zl. 2003/20/0518 geführten Beschwerdeverfahren von den Parteien weitere Schriftsätze ausgetauscht.

2. Der in diesen Bescheiden und Schriftsätzen ausformulierte, auf zum Teil komplizierte Weise begründete Standpunkt der belangten Behörde stützt sich vor allem auf zwei Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes. Im Erkenntnis vom 15. Juni 2001,

G 138/00 u.a., VfSlg 16.192, habe der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, die Erteilung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 15 AsylG bilde "keineswegs einen selbständigen Verfahrensgegenstand ..., sondern gleichsam den Ausspruch einer Nebenbestimmung" als "notwendiger Teil der ... Entscheidungen in der Hauptsache". In dem Beschluss vom 8. Oktober 2002, G 142/02, VfSlg 16.673, habe der Verfassungsgerichtshof die Ansicht vertreten, dem unabhängigen Bundesasylsenat komme es dann, wenn mit dem bei ihm angefochtenen Bescheid nur der Asylantrag abgewiesen worden sei, das Gesetz aber einen Ausspruch gemäß § 8 AsylG erfordere, "unter dem verfassungsrechtlichen Aspekt seiner Einrichtung als Berufungsbehörde durchaus zu, mit einer Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und Rückverweisung der Sache an die Vorinstanz wegen eines als fehlend anzusehenden non-refoulement-Abspruches vorzugehen".

In den hier zu erörternden Fällen, so die belangte Behörde, fehle der erstinstanzlichen Entscheidung ein "notwendiger Teil", nämlich der Abspruch über die befristete Aufenthaltsberechtigung, weshalb es - auch ohne entsprechendes Berufungsvorbringen - die Aufgabe der belangten Behörde sei, durch eine Behebung des gesamten, jedoch unvollständigen erstinstanzlichen Bescheides "den Weg zu einer neuerlichen, jedenfalls diesbezüglich gesetzeskonformen erstinstanzlichen Entscheidung freizumachen". Der Umstand, dass der davon u.a. betroffene Spruchpunkt über die Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers in den Herkunftsstaat nicht mit Berufung bekämpft worden sei, könne - angesichts der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes - in einem solchen Fall nicht dazu führen, dass die belangte Behörde "durch eine Teilrechtskraft des Spruchteils II. daran gehindert" sei, in der beschriebenen Weise vorzugehen.

Die belangte Behörde sieht darin - wie es in ihrem Schriftsatz vom 4. März 2004, der von der belangten Behörde auch dem Verfassungsgerichtshof zugeleitet wurde, heißt - die "punktgenaue" Umsetzung der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes und zugleich die "gesamthaft betrachtet rechtsschutzfreundlichste Lösung für die betroffene Partei", sie weist allerdings - in Bezug auf die Behebung des Ausspruches über die Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat - auf die Zulässigkeit einer "reformatio in peius" hin. Dass die lediglich gegen die Abweisung des Asylantrages gerichtete Berufung zur Beseitigung des erwähnten Ausspruches führe, wenn der Bescheid insgesamt unvollständig sei, könne "als Anwendungsfall einer 'reformatio in peius' begriffen werden". Aus dem Protokoll der Berufungsverhandlung vom 29. August 2003 geht auch hervor, dass einer der insgesamt zehn zu dieser Verhandlung geladenen Asylwerber seine Berufung nach Vorhalt der Rechtsmeinung der belangten Behörde zurückzog.

3. Ob sich die von der belangten Behörde zitierten Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes - von denen, wie die belangte Behörde einräumt, keine mit einer Aufforderung zum Eingriff in einen die Partei begünstigenden Ausspruch verbunden war - in der von der belangten Behörde vorgeschlagenen Weise verknüpfen lassen, muss nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes, nachdem der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der zu dieser Frage an ihn herangetragenen Beschwerde - wie im hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2003/20/0518, auszugsweise zitiert - abgelehnt hat, offen bleiben. Der Verfassungsgerichtshof selbst hat eine solche Fortentwicklung seiner Rechtsprechung bisher jedenfalls nicht vorgenommen.

Unterbleibt die für den Fall der erstinstanzlichen Abweisung eines Asylantrages bei gleichzeitiger Unzulässigerklärung der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat - unter bestimmten zusätzlichen Voraussetzungen - im Gesetz (in der hier maßgeblichen Fassung vor der AsylG-Novelle 2003) vorgeschriebene Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 15 AsylG, so kann die davon betroffene Partei nach den zuvor zitierten hg. Erkenntnissen vom 17. September 2003 und vom 7. Oktober 2003 durch einen gesonderten Antrag - und notfalls im Devolutionsweg - eine Entscheidung darüber herbeiführen. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes wäre es widersinnig, stattdessen - oder auch nur alternativ dazu - die Rechtsposition, aus der sich erst der Anspruch auf Erteilung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ergeben kann, zu beseitigen. Ein solches Auslegungsergebnis müsste nach Möglichkeit vermieden werden.

Der Verwaltungsgerichtshof ist aber ohnehin der Meinung, dass der Ausspruch des Bundesasylamtes, mit dem einem in erster Instanz abgewiesenen Asylwerber - in der Regel, wie auch im vorliegenden Fall, im Hinblick auf Art. 3 EMRK - Schutz vor Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat gewährt wird, unabhängig von seiner "Vervollständigung" durch die befristete Aufenthaltsberechtigung der Teilrechtskraft fähig ist und eine ausschließlich gegen die Abweisung des Asylantrages gerichtete Berufung keinen Anlass gibt, sich mit "Nebenbestimmungen" dieses unangefochtenen Ausspruchs auseinanderzusetzen. Das Fehlen einer solchen "Nebenbestimmung" bietet dann aber auch keine Handhabe dafür, von der Prüfung der Frage, ob entgegen der Ansicht des Bundesasylamtes Asyl zu gewähren ist, zugunsten einer Kassation der hier vorliegenden Art Abstand zu nehmen (vgl. in Bezug auf diesen letzten Gesichtspunkt auch das hg. Erkenntnis vom 21. September 2004, Zl. 2003/01/0435, und die Folgeerkenntnisse dazu).

Der angefochtene Bescheid war daher in Bezug auf Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und insoweit, als er in die Rechtskraft des gewährten Schutzes vor Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat eingriff, gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 30. Juni 2005

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Maßgebender Bescheidinhalt Inhaltliche und zeitliche Erstreckung des Abspruches und der Rechtskraft Parteistellung Parteienantrag Rechtskraft Besondere Rechtsprobleme Berufungsverfahren Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde Trennbarkeit gesonderter Abspruch

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2004200055.X00

Im RIS seit

29.07.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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