TE Lvwg Erkenntnis 2021/12/15 LVwG-AV-1997/001-2021

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Veröffentlicht am 15.12.2021
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Entscheidungsdatum

15.12.2021

Norm

BauO NÖ 2014 §11
BauO NÖ 2014 §38
BAO §4

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch Hofrat Mag. Röper als Einzelrichter über die Beschwerde von Frau B, vertreten durch A Rechtsanwälte GmbH, ***, ***, vom 26. Juli 2021 gegen den Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde *** vom 16. Juni 2021, Zl. ***, mit welchem der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Abgabenbescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde *** vom 14. April 2021, Zl. ***, betreffend Vorschreibung einer Aufschließungsabgabe nach der NÖ Bauordnung 2014 keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid vollinhaltlich bestätigt worden war, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

1.   Der Beschwerde wird gemäß § 279 Bundesabgabenordnung (BAO) stattgegeben und der angefochtene Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde *** dahingehend abgeändert, dass in Stattgebung der gegen den erstinstanzlichen Abgabenbescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde *** erhobenen Berufung dieser ersatzlos behoben wird.

2.   Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) ist nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

1.       Sachverhalt:

1.1. Verwaltungsbehördliches Verfahren:

1.1.1.

Mit Schreiben vom 10. Mai 1897 suchte der damalige Eigentümer des nunmehr verfahrensgegenständlichen Grundstückes um Erteilung der Baubewilligung zur Errichtung eines Wohnhauses an.

Im Rahmen der am 21. Mai 1897 durchgeführten kommissionellen Bauverhandlung wurde u.a. dargelegt, dass seitens der Behörde gegen das Bauvorhaben keine Einwendungen erhoben werden.

In den von der belangten Behörde vorgelegten Akten findet sich ein am 1. Juni 1897 verfasster, mit „Bauconsens“ titulierter Eintrag zum Bauvorhaben, aus dem hervorgeht, dass am 24. Mai 1897 zur Zl. *** eine Baubewilligung erteilt wurde:

[Abweichend vom Original – Bild nicht wiedergegeben]

„…

…“

In der Folge teilte der Bauwerber mit, dass er sein Wohnhaus fertiggestellt habe und daher um Erteilung des Benützungsconsenses ersuche.

Im Rahmen der am 27. September 1897 durchgeführten kommissionellen Bauverhandlung wurde ausgeführt, dass das Haus im Wesentlichen nach den commissionierten Bauplänen (bis auf den Boden, wo ein weiters Zimmer errichte wurde) ausgeführt worden sei. Seitens des beigezogenen Sachverständigen wurden keine Einwendungen erhoben. Von Seiten der Gemeindevertretung wurde kein Einwand erhoben. Der Bauwerber wurde beauftragt, einen zwei Meter breiten Grundstreifen der Gemeinde zur Errichtung eines öffentlichen Gehweges zu übergeben. In der Folge sollte der Gehweg von der Gemeinde auf Kosten des Grundeigentümers hergestellt werden.

1.1.2.

In den von der belangten Behörde vorgelegten Akten finden sich neben diversen Ansuchen und Plandarstellungen schließlich Verhandlungsprotokolle vom
20. Juni 1899, vom 21. November 1904, vom 8. November 1907 und vom
30. Juli 1908, die allesamt diverse kleine Um- und Zubauten zum Inhalt haben. Im Rahmen dieser Protokolle werden auch ausdrücklich die entsprechenden Baukonsense und Benüntzungskonsense erteilt.

1.1.3.

Mit Kaufvertrag vom 8. April 2019 erwarb Frau B (in der Folge: Beschwerdeführerin) die verfahrensgegenständliche Liegenschaft.

1.1.4.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde *** vom 29. Jänner 2020, Zl. ***, wurde festgestellt, dass das auf den Gst. Nr. .*** und *** KG *** (Adresse:***, ***) bestehende Gebäude gemäß § 70 Abs.6 der NÖ Bauordnung 2014 als bewilligt gilt. Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass für das betreffende Wohnhaus der Konsens zu vermuten sei, da Bauverhandlungsprotokolle vom 8. November 1907 und vom 30. Juli 1908 jeweils Baumaßnahmen an dem verfahrensgegenständlichen Wohnhaus zum Gegenstand hätten. Wenngleich nicht ausdrücklich als Bescheid bezeichnet, seien sie aufgrund ihres Inhalts und der behördlichen Unterfertigung einem solchen gleichzusetzen. Der bautechnische Sachverständige der Stadtgemeinde *** komme in seinem Gutachten vom 28. Jänner 2020 zu folgendem Schluss:

?    „Im Wohnhaus wurden 3 Wohneinheiten hergestellt. Gemäß den Festlegungen des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes sind auf der Liegenschaft jedoch nur 2 Wohneinheiten zulässig.

?    Dachaufbauten bei einer Gaupe erfüllen die technischen Anforderungen der OIB-Richtlinie 6 (Wärmeschutz) nicht.

Daher ist das Gebäude der heutigen Gesetzeslage entsprechend nicht nach § 14 Z. l der NÖ Bauordnung 2014 bewilligungsfähig.“

Unter Berücksichtigung

?    der vorgelegten Bestandspläne der C GmbH, ***, *** vom 30.12.2019,

?    der vorliegenden Zustimmung der Grundeigentümerin,

?    des zu vermutenden Konsens,

?    der Tatsache, dass das Gebäude mit den Abweichungen nicht nach § 14 neuerlich bewilligt werden kann,

hätte der Feststellungsbescheid erlassen werden können und gelte das Gebäude als bewilligt. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

1.1.5.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde *** vom 3. März 2021, Zl. ***, wurde der Beschwerdeführerin auf Grund ihres Ansuchens vom 8. Juli 2020 die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung eines Nebengebäudes (nachträglich) und einer Einfriedung auf dem Grundstück Nr. *** KG *** erteilt. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

1.2. Abgabenbehördliches Verfahren:

1.2.1.

Mit Abgabenbescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde *** vom 14. April 2021, Zl. ***, wurde der nunmehrigen Beschwerdeführerin gemäß § 38 Abs. 1 Z. 2 NÖ Bauordnung 2014 eine Aufschließungsabgabe im Betrag von € 39.864,00 vorgeschrieben. Begründend wird nach Wiedergabe der Bestimmung des § 38 NÖ Bauordnung 2014 dargelegt, dass die Gemeinde gesetzlich dazu verpflichtet sei, aus Anlass der erstmaligen Errichtung eines Gebäudes oder einer großvolumigen Anlage einen Beitrag des Grundeigentümers zu den Kosten der Verkehrsaufschließung des Bauplatzes einzuheben. Die Abgabe errechne sich aus dem Produkt von Berechnungslänge, Bauklassenkoeffizient und Einheitssatz (gemäß der Verordnung des Gemeinderates € 906,00) wie folgt:

Bauplatz Fläche  Berechn, x Baukl.           X        Einheits-= Aufschließungs-
Nr.               in m²   länge *          koeff.                    satz             abgabe (in €)

***               1.936,00  44,00 1,00                      906,00            39.864,00

Gesamtsumme                                                                          39.864,00

1.2.2.

Mit Schreiben vom 21. Mai 2021 erhob die Beschwerdeführerin durch ihre ausgewiesene Vertretung rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung und führte im Wesentlichen aus, dass auf dem verfahrensgegenständlichen Grundstück (Bauplatz) seit über 100 Jahren ein Wohnhaus bestehe, welches in einem Bauverfahren aus den Jahren 1907/1908 bewilligt worden sei. Seit damals bestehe ein Baukonsens. Gemäß § 38 Abs. 1 NÖ BO 2014 gelte die Errichtung eines Gebäudes auf einem Bauplatz jedoch lediglich dann als erstmalig, wenn auf dem Bauplatz am 1. Jänner 1970 und danach kein unbefristet bewilligtes Gebäude bestanden hat. Zum Stichtag am 1. Jänner 1970 habe auf dem Grundstück ein bewilligtes Gebäude bestanden (welches heute auch noch bestehe), was die Vorschreibung der Abgabe ausschließe.

1.2.3.

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde *** vom 16. Juni 2021, Zl. ***, wurde der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid vollinhaltlich bestätigt. Begründend wird nach Wiedergabe des bisherigen Verwaltungsgeschehens und der als maßgeblich erachteten Rechtsvorschriften dargelegt, dass es sich bei der Bestandsfeststellung nach § 70 Abs.6 der NÖ Bauordnung 2014 nicht um eine erteilte Baubewilligung gemäß § 23 NÖ Bauordnung 2014 handle, sondern sinngemäß um eine Amnestie in Form einer rechtlichen Absicherung eines Baubestandes, der vor mehr als 30 Jahren nicht bewilligungskonform ausgeführt wurde. Diese Bestandsfeststellung per Feststellungsbescheid sei jedoch juristisch klar von einer aufrechten Baubewilligung und deren Konsumation zu trennen. Würde rein theoretisch eine Bestandsfeststellung nach § 70 Abs. 6 einer Baubewilligung nach § 23 NÖ Bauordnung 2014 gleichzusetzen sein, dann sei an dieser Stelle ergänzend angemerkt, dass der Berufungswerberin dadurch kein abgabenrechtlicher Vorteil entstünde. Der Feststellungsbescheid selbst würde dann anstelle der nachfolgenden Baubewilligung für ein Nebengebäude die Vorschreibung der Aufschließungsabgabe auslösen, zumal die Baubewilligung für das Hauptgebäude, trotz dessen langjährigen Bestandes aufgrund des Abweichens von selbiger, nie konsumiert wurde. Der Bestand des Hauptgebäudes habe sich bis zur Erlassung des Feststeilungsbescheides aufgrund der baulichen Abweichungen von der ursprünglichen Bewilligung in keinem baurechtlichen Konsens befunden und gelte daher bis zur Rechtskraft des Feststellungsbescheides als nicht bewilligt. Wäre zum Beispiel das Hauptgebäude aufgrund der Möglichkeit zur Einhaltung der aktuellen gesetzlichen Vorgaben noch bewilligungsfähig gewesen, so wäre der § 23 NÖ Bauordnung 2014 zur Anwendung gekommen und anschließend wäre die Aufschließungsabgabe aufgrund der Erstmaligkeit (vor dem Hauptgebäude existierte auf dem Verfahrensgrundstück kein nachweislich bewilligtes Gebäude) vorzuschreiben gewesen. Das Hauptgebäude befinde sich also in einem rechtlich geduldeten, de facto bewilligten Zustand, dennoch ist durch die Anwendung des § 70 Abs. 6 NÖ Bauordnung 2014 der Tatbestand der Bewilligung für die erstmalige Errichtung eines Gebäudes nicht erfüllt. Die ursprüngliche Baubewilligung sei abgelaufen und sei nie konsumiert worden. Dadurch sei erst aufgrund der rechtskräftigen Baubewilligung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde *** vom 3. März 2021, Zl. ***, für ein Nebengebäude der Tatbestand für die Vorschreibung der Aufschließungsabgabe gemäß § 38 NÖ Bauordnung 2014 gegeben.

1.3.

Mit Schreiben vom 26. Juli 2021 erhob die Beschwerdeführerin durch ihre ausgewiesene Vertretung rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich und begründete diese im Wesentlichen wie ihre Berufungsschrift vom 21. Mai 2021. Ergänzend wurde ausgeführt, dass auf dem Bauplatz am 1. Jänner 1970 und danach ein unbefristet bewilligtes Gebäude bestanden habe. Bei der mit Baubewilligungsbescheid vom 3. März 2021 genehmigten Bauführung handle es sich nicht um eine erstmalige Bauführung auf der Liegenschaft.

1.4. Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht:

Vom erkennenden Gericht wurde für den 13. Dezember 2021 eine mündliche Verhandlung anberaumt, in deren Verlauf von Seiten des Vertreters der belangten Behörde ausgeführt wurde, dass es für den Bereich des verfahrensgegenständlichen Grundstückes seit etwa 2009 einen Bebauungsplan gebe. In diesem sei die Bauklasse I bei einer offenen Bebauungsweise verordnet. Weiters wurde ausgeführt, dass viele der „alten“ Bauakten im Zuge der Eingliederung der Gemeinde *** in die Stadt „***“ nach *** überführt worden seien. Nach dem Krieg sei allerdings nur ein geringer Teil der Akten – und dort viele unvollständig – zurück in die Gemeinde gekommen. Dieses Wissen sei ihm von älteren Mitarbeitern vermittelt worden. Zwischen 1945 und 1980 sollten die Bauakten vollständig sein – diesbezüglich fänden sich aber im gegenständlichen Bauakt keine Bewilligungen und dergleichen.

1.5. Feststellungen:

1.5.1.

Die Beschwerdeführerin ist grundbücherlicher Eigentümer der Grundstücke Nr. *** und .*** KG ***, mit der topographischen Anschrift ***, ***. Für dieses als Bauland gewidmete Grundstück ist nach dem geltenden Bebauungsplan die Bauklasse I (mit maximal 2 Wohneinheiten) verordnet:

[Abweichend vom Original – Bild nicht wiedergegeben]

„…

…“

(Quelle: imap Geodaten des Landes Niederösterreich, Abfrage vom 10. Dezember 2021)

1.5.2.

Auf der Liegenschaft wurde im Jahre 1897 ein Wohnhaus errichtet, an dem in den Jahren 1898, 1904 und 1907 Um- und Zubauten vorgenommen wurden. Alle Baumaßnahmen bis 1907 sind von den damaligen Eigentümern bei der Gemeinde beantragt worden und finden sich im Bauakt entsprechende Protokolle der durchgeführten kommissionellen Verhandlungen.

Mit einem (im Akt nicht vorhandenen) Bescheid vom 24. Mai 1897, Zl. ***, dürfte die Errichtung des Wohnhauses entsprechend dem Ansuchen vom 10. Mai 1897 (nach kommissioneller Verhandlung an Ort und Stelle am 21. Mai 1897) bewilligt worden sein.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde *** vom 29. Jänner 2020, Zl. ***, wurde festgestellt, dass das auf den Gst.Nr. .*** und *** KG *** (Adresse:***, ***) bestehende Gebäude gemäß § 70 Abs.6 der NÖ Bauordnung 2014 als bewilligt gilt.

1.5.3.

Im Rahmen des Protokolls der kommissionellen Verhandlung vom 27. September 1897 wurde der Bauwerber beauftragt, einen zwei Meter breiten Grundstreifen der Gemeinde zur Errichtung eines öffentlichen Gehweges zu übergeben. In der Folge sollte der Gehweg von der Gemeinde auf Kosten des Grundeigentümers hergestellt werden.

1.6. Beweiswürdigung:

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in diesen Akt der Stadtgemeinde *** sowie durch Einsichtnahme in das öffentliche Grundbuch und Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Im Wesentlichen ist der Sachverhalt als unstrittig zu beurteilen und ergibt sich dieser aus dem unbedenklichen Akteninhalt in Verbindung mit dem bekämpften Bescheid, sowie aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, soweit dieses den Feststellungen (s.o. Punkt 1.5.) nicht entgegentritt.

2.       Anzuwendende Rechtsvorschriften:

2.1. Bundesabgabenordnung – BAO idF BGBl. I Nr. 16/2020:

§ 1. (1) Die Bestimmungen der BAO gelten in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (mit Ausnahme der Verwaltungsabgaben des Bundes, der Länder und der Gemeinden) sowie der auf Grund unmittelbar wirksamer Rechtsvorschriften der Europäischen Union zu erhebenden öffentlichen Abgaben, in Angelegenheiten der Eingangs- und Ausgangsabgaben jedoch nur insoweit, als in den zollrechtlichen Vorschriften nicht anderes bestimmt ist, soweit diese Abgaben durch Abgabenbehörden des Bundes, der Länder oder der Gemeinden zu erheben sind.

§ 2a. Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten sinngemäß in Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, soweit sie im Verfahren vor der belangten Abgabenbehörde gelten. In solchen Verfahren ist das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) nicht anzuwenden

§ 4. (1) Der Abgabenanspruch entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft.

§ 279. (1) Außer in den Fällen des § 278 hat das Verwaltungsgericht immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

(2) Durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung dieses Bescheides befunden hat.

(3) Im Verfahren betreffend Bescheide, die Erkenntnisse (Abs. 1) abändern, aufheben oder ersetzen, sind die Abgabenbehörden an die für das Erkenntnis maßgebliche, dort dargelegte Rechtsanschauung gebunden. Dies gilt auch dann, wenn das Erkenntnis einen kürzeren Zeitraum als der spätere Bescheid umfasst.

2.2. NÖ Bauordnung 2014 idF LGBl. Nr. 53/2018:

Bauplatz, Bauverbot

§ 11. (1) Bauplatz ist ein Grundstück im Bauland, das

1.       hiezu erklärt wurde oder

2.        durch eine vor dem 1. Jänner 1989 baubehördlich bewilligte Änderung von Grundstücksgrenzen geschaffen wurde und nach den damals geltenden Vorschriften Bauplatzeigenschaft besaß oder

3.        durch eine nach dem 1. Jänner 1989 baubehördlich bewilligte oder angezeigte Änderung von Grundstücksgrenzen ganz oder zum Teil aus einem Bauplatz entstanden ist und nach den damals geltenden Vorschriften Bauplatzeigenschaft besaß oder

4.        seit dem 1. Jänner 1989 ununterbrochen als Bauland gewidmet und am 1. Jänner 1989 mit einem baubehördlich bewilligten Gebäude oder Gebäudeteil, ausgenommen solche nach § 15 Abs. 1 Z 1, § 17 Z 8 und § 23 Abs. 3 vorletzter Satz, bebaut war, oder

5.        durch eine nach § 15 des Liegenschaftsteilungsgesetzes, BGBl. Nr. 3/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 190/2013, durchgeführte Änderung von Grundstücksgrenzen ganz oder zum Teil aus einem Bauplatz entstanden ist und nach den damals geltenden Vorschriften Bauplatzeigenschaft besaß.

Aufschließungsabgabe

§ 38. (1) Dem Eigentümer eines Grundstücks im Bauland ist von der Gemeinde eine Aufschließungsabgabe vorzuschreiben, wenn mit Erlassung des letztinstanzlichen Bescheides der Behörde nach § 2

         1.       ein Grundstück oder Grundstücksteil zum Bauplatz (§ 11) erklärt oder

         2.       eine Baubewilligung für die erstmalige Errichtung eines Gebäudes oder einer großvolumigen Anlage (§ 23 Abs. 3) auf einem Bauplatz nach § 11 Abs. 1 Z. 2, 3 und 5 erteilt wird.

Die Errichtung eines Gebäudes oder einer großvolumigen Anlage auf einem Bauplatz gilt als erstmalig, wenn auf diesem Bauplatz am 1. Jänner 1970 und danach kein unbefristet bewilligtes Gebäude gestanden ist. Die Aufschließungsabgabe nach Z. 2 ist nicht vorzuschreiben, wenn die Errichtung eines Gebäudes nach § 23 Abs. 3, vorletzter Satz, bewilligt wird. Wird auf demselben Bauplatz ein weiteres Gebäude Gebäude im Sinn des § 23 Abs. 3 erster Satz oder eine großvolumige Anlage errichtet, ist die Abgabe vorzuschreiben.

(3) Die Aufschließungsabgabe (A) ist eine einmal zu entrichtende, ausschließliche Gemeindeabgabe nach § 6 Abs. 1 Z. 5 des Finanz-Verfassungsgesetzes 1948, BGBl. Nr. 45/1948 in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012. Sie wird aus dem Produkt von Berechnungslänge (BL), Bauklassenkoeffizient (BKK) und Einheitssatz (ES) errechnet:

A = BL x BKK x ES

Bei der Vorschreibung ist jeweils der zum Zeitpunkt der Bauplatzerklärung oder Erteilung der Baubewilligung (Abs. 1) geltende Bauklassenkoeffizient und Einheitssatz anzuwenden. …

(4) Die Berechnungslänge ist die Seite eines mit dem Bauplatz flächengleichen Quadrates:

Bauplatzfläche = BF BL = ?BF

(5) Der Bauklassenkoeffizient beträgt:

        in der Bauklasse I 1,00 und

       bei jeder weiteren zulässigen Bauklasse um je 0,25 mehr,

in Industriegebieten ohne Bauklassenfestlegung 2,00

bei einer Geschoßflächenzahl

o bis zu 0,8 1,5

o bis zu 1,1 1,75

o bis zu 1,5 2,0 und

o bis zu 2,0 2,5

Ist eine höchstzulässige Gebäudehöhe festgelegt, ist der Bauklassenkoeffizient von jener Bauklasse abzuleiten, die dieser Gebäudehöhe entspricht.

Im Baulandbereich ohne Bebauungsplan beträgt der Bauklassenkoeffizient mindestens 1,25 sofern nicht eine Höhe eines Gebäudes bewilligt wird, die einer höheren Bauklasse entspricht als der Bauklasse II. ….

2.3. NÖ Bauordnung 1883:

Aufschließungsbeitrag

§ 14. (1) Sind bei der Abteilung eines Grundes auf Bauplätze neue Straßen oder Gassen projektiert, so hat der Abteilungswerber den zur Herstellung neuer Straßen oder Gassen bis zur Einmündung in die bereits bestehenden Straßen oder Gassen sowie den zur Verbreiterung der bestehenden Straßen oder Gassen nach Maßgabe der bestimmten Baulinien erforderlichen Grund, insoweit dieser sein Eigentum ist, in dem festgesetzten Niveau ohne Entgelt an die Gemeinde zu übergeben.

2.4. Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG:

§ 25a. (1) Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

(2) Eine Revision ist nicht zulässig gegen:

         1.       Beschlüsse gemäß § 30a Abs. 1, 3, 8 und 9;

         2.       Beschlüsse gemäß § 30b Abs. 3;

         3.       Beschlüsse gemäß § 61 Abs. 2.

(3) Gegen verfahrensleitende Beschlüsse ist eine abgesonderte Revision nicht zulässig. Sie können erst in der Revision gegen das die Rechtssache erledigende Erkenntnis angefochten werden. …

(5) Die Revision ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.

3.       Würdigung:

3.1. Zu Spruchpunkt 1:

Die Beschwerde ist begründet.

3.1.1.

In der Sache ist eingangs festzuhalten, dass die von den Abgabenbehörden der mitbeteiligten Gemeinde der Abgabenfestsetzung zugrunde gelegten Berechnungen außer Streit stehen.

Das Beschwerdevorbringen lässt sich vielmehr auf die Frage reduzieren, ob die Vorschreibung der Aufschließungsabgabe nach der NÖ Bauordnung 2014 dem Grunde nach erfolgen durfte, da nach Ansicht der Beschwerdeführerin auf dem gegenständlichen Grundstück bereits ein Gebäude seit 1897 existiert.

3.1.2.

Nach § 4 Abs. 1 der von den Verwaltungsbehörden (und dem erkennenden Gericht) anzuwendenden BAO entsteht der Abgabenanspruch, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft. Angesichts der Komplexität der Sachlage ist zunächst darauf hinzuweisen, dass aus der rechtlichen Konstruktion der Abgabenschuldverhältnisse folgt, dass dieses bereits mit Verwirklichung eines gesetzlich normierten Abgabentatbestandes entsteht. Der Abgabenbescheid ist seinen wesentlichen Merkmalen nach lediglich feststellender Natur. Er bringt den Abgabenanspruch nicht zum Entstehen, sondern stellt den aus dem Gesetz erwachsenden Anspruch lediglich fest (vgl. VwGH 94/17/0419). Daraus ergibt sich, dass die Abgabenbehörde die Abgabe festzusetzen hat, sobald der Abgabenanspruch entstanden ist. Da sich der Abgabenanspruch der Gemeinde aus der Sicht des Abgabepflichtigen als Abgabenschuld darstellt, ist die Abgabenfestsetzung zulässig, sobald die Abgabenschuld entstanden ist.

3.1.3.

Die Rechtsvermutung der Konsensmäßigkeit eines Baues setzt voraus, dass der Zeitpunkt der Erbauung so weit zurückliegt, dass die Erteilung der Baubewilligung fraglich erscheint oder bestimmte Indizien dafür sprechen, dass trotz Fehlens behördlicher Unterlagen von der Erteilung einer Baubewilligung auszugehen ist (vgl. VwGH 30. November 1964, Zl. 1.582/64 und VwGH 94/05/0109). Bei der Prüfung der Frage der Konsensmäßigkeit eines Gebäudebestandes unter dem Gesichtspunkt des vermuteten Konsenses ist daher zu beachten, dass die Vermutung der Konsensgemäßheit alter Baubestände nur jenen Bauzuständen zukommt, die nach der zur Zeit ihrer Herstellung geltenden Bauordnung dem Gesetz entsprochen haben (vgl. VwGH 94/17/0002, mit weiteren Nachweisen). Von einem vermuteten Konsens ist daher grundsätzlich nur dann auszugehen, wenn aus der behaupteten Entstehungszeit der Bauten für ähnliche Bauten oder die in Rede stehenden baulichen Änderungen im örtlichen Umkreis Baubewilligungen nicht (lückenlos) auffindbar sind (vgl. VwGH 93/06/0084).

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung hinsichtlich eines seit Jahrzehnten bestehenden Bauwerkes, bei welchem Unterlagen über die seinerzeitige Baugenehmigung einerseits nicht auffindbar sind, von dem jedoch andererseits feststeht, dass von der Baubehörde Beanstandungen wegen eines fehlenden Konsenses niemals stattgefunden haben, die Rechtsansicht, es spreche in diesem Fall die Vermutung dafür, dass das Bauwerk in seiner derzeitigen Gestaltung aufgrund einer nach den im Zeitpunkt der Erbauung in Geltung gestandenen Vorschriften erteilten Baubewilligung errichtet worden ist, es sei denn, dass Anhaltspunkte für eine gegenteilige Annahme vorlägen. Die Vermutung des rechtmäßigen Bestandes einer Baulichkeit im Sinne eines vermuteten Konsenses kann nur dann Platz greifen, wenn der Zeitpunkt der Erbauung derselben offensichtlich so weit zurückliegt, dass, von besonders gelagerten Einzelfällen abgesehen, auch bei ordnungsgemäß geführten Archiven die Wahrscheinlichkeit, noch entsprechende Unterlagen auffinden zu können, erfahrungsgemäß nicht mehr besteht (vgl zum Ganzen VwGH Ra 2015/05/0045 unter Hinweis auf VwGH 2013/05/0012).

Die belangte Behörde hat festgestellt, dass der maßgeblichen Bauakt nicht alle entsprechenden Unterlagen enthält. Es ist dennoch zu unterstellen, dass für die erstmalige Errichtung des Wohnhauses mit Bescheid vom 24. Mai 1897, Zl. ***, eine Baubewilligung erteilt worden sein dürfte, wenngleich der Bescheid selbst nicht (mehr) vorhanden ist.

Die belangte Behörde ist damit - auch angesichts des Bescheides des Bürgermeisters vom 29. Jänner 2020, Zl. *** – zu Recht vom Vorliegen eines vermuteten Konsenses ausgegangen.

3.1.4.

Gemäß § 38 Abs. 5 NÖ Bauordnung 2014 beträgt der Bauklassenkoeffizient in der Bauklasse I 1,00 und bei jeder weiteren zulässigen Bauklasse um je 0,25 mehr. Im vorliegenden Fall sei dem Jahre 2009 für das gegenständliche Grundstück die Bauklasse I verordnet, sodass ein Bauklassenkoeffizient von 1,00 heranzuziehen wäre.

Gemäß § 38 Abs. 1 Zif. 2 NÖ Bauordnung 2014 ist dem Eigentümer eines Grundstücks im Bauland von der Gemeinde eine Aufschließungsabgabe vorzuschreiben, wenn mit Erlassung des letztinstanzlichen Bescheides der Behörde nach § 2 eine Baubewilligung für die erstmalige Errichtung eines Gebäudes oder einer großvolumigen Anlage (§ 23 Abs. 3) auf einem Bauplatz nach § 11 Abs. 1 Z 2, 3 und 5 erteilt wird. Die Errichtung eines Gebäudes oder einer großvolumigen Anlage auf einem Bauplatz gilt als erstmalig, wenn auf diesem Bauplatz am 1. Jänner 1970 und danach kein unbefristet bewilligtes Gebäude gestanden ist.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 38 Abs. 1 Z 1 und 2 NÖ Bauordnung 1996 und nunmehr NÖ Bauordnung 2014 bewirkt die erforderliche Berücksichtigung einer allenfalls eingetretenen Verjährung des Abgabenanspruches, dass auf diese jedenfalls Bedacht zu nehmen ist, gleichgültig, ob die Abgabenpflicht seinerzeit aufgrund der Verwirklichung desselben Tatbestandes, der aktuell die Abgabepflicht auslöste, oder aufgrund eines anderen Tatbestandes eingetreten ist. Daraus folgt, dass ein bereits früher entstandener Abgabenanspruch der Vorschreibung einer Aufschließungsabgabe entgegensteht, selbst wenn diese Abgabe nicht entrichtet wurde und der Abgabenanspruch nunmehr verjährt ist. Dies findet auch im Falle von Aufschließungsbeiträgen, die aufgrund eines anders lautenden Abgabentatbestandes früherer Bauordnungen entstanden sind, Anwendung. Als "entrichtete" Abgaben gelten somit auch Abgabenansprüche, die wegen des Eintritts der Verjährung nicht mehr geltend gemacht werden können (vgl. etwa VwGH 2013/17/0257 mwN und VwGH Ra 2018/16/000).

Die Bestimmung des § 38 Abs.1 Z. 2 NÖ Bauordnung 2014 ist in Zusammenschau mit dem folgenden Satz zu lesen. Demnach gilt eine Bauführung nur dann als erstmalig, wenn auf diesem Bauplatz am 1. Jänner 1970 und danach kein unbefristet bewilligtes Gebäude gestanden ist.

Die Aufschließungsabgabe ist mit dem Grundstück untrennbar verbunden (vgl. Kienastberger/Stellner-Bichler, NÖ Baurecht², § 38, 298) und nach § 38 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014 einmal zu entrichten. Dieser Grundsatz der Einmaligkeit steht einem weiteren Anfall der Abgabe auch dann entgegen, wenn der Abgabentatbestand bereits in der Vergangenheit verwirklicht wurde, die Abgabe aber nicht vorgeschrieben wurde und nunmehr Festsetzungsverjährung eingetreten ist (vgl. mit näherer Begründung, insbesondere unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, VwGH 2002/17/0334, VwSlg. 8082/F).

Im vorliegenden Fall befindet sich nun auf dem verfahrensgegenständlichen Grundstück am 1. Jänner 1970 und danach ein durch den vermuteten Konsens unbefristet bewilligtes Gebäude in Gestalt des im Jahre 1897 errichteten Wohnhauses. Dabei kann es auch dahingestellt bleiben, ob anlässlich der Errichtung der Scheune oder später ein Aufschließungsbeitrag bzw. eine Aufschließungsabgabe vorgeschrieben hätte werden müssen. Der Abgabentatbestand des § 38 Abs. 1 Z. 2 NÖ Bauordnung 2014 ist somit nicht verwirklicht worden.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass im Lichte des Protokolls vom
27. September 1897 eine Grundabtretung zur Errichtung eines Gehsteiges aufgetragen worden ist. Dies würde im Übrigen dem Aufschließungsbeitrag gemäß
§ 14 NÖ Bauordnung 1883 entsprechen.

3.1.5.

Diesen Überlegungen folgt, dass auf Grund der dargestellten Rechtslage den Ausführungen der Beschwerdeführerin hinsichtlich der von ihr behaupteten Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften Berechtigung zukommt, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

3.2.    Zu Spruchpunkt 2 - Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abweicht und eine gesicherte und einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorliegt, die unter Punkt 3.1. auch dargelegt wird.

Schlagworte

Finanzrecht; Aufschließungsabgabe; Abgabenanspruch; Vorschreibung; Grundstück;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.AV.1997.001.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.02.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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