TE OGH 2021/9/28 6Rs53/21t

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Veröffentlicht am 28.09.2021
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Das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen hat durch den Senatspräsidenten Dr.Bott (Vorsitz), die Richterinnen Dr.Kraschowetz-Kandolf und Mag.Fabsits sowie die fachkundigen Laienrichter Färber (Arbeitgeber) und Zimmermann (Arbeitnehmer) als weitere Senatsmitglieder in der Sozialrechtssache der klagenden Partei *****, vertreten durch *****, Rechtsanwalt in *****, gegen die beklagte Partei *****, vertreten durch ihre Angestellte *****, wegen Feststellung, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 26.Mai 2021, 24 Cgs 114/20z-19, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 609,67 (darin EUR 101,61 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Revision ist nicht nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger befuhr am 14.Mai 2019 in Begleitung seiner Lebensgefährtin die L 602 von Preding kommend in Richtung Leibnitz, als er im Gebiet von Matzelsdorf (Gemeinde Hengsberg) auf Höhe des Hauses Nr 24 vier zum Stillstand gekommene PKW auf der Straße vor sich wahrnahm. Er hielt sein Fahrzeug ebenfalls an, nahm Personen am Fahrbahnrand sowie nach Hinweis durch seine Lebensgefährtin einen ohne Fremdeinwirkung verunfallten Radfahrer im Straßengraben wahr. Die anderen Personen stiegen wieder in ihre Fahrzeuge und verließen die Unfallstelle, wobei eine der Personen zurückkehrte und den Kläger darauf hinwies, dass der verunfallte Radfahrer ***** jede Hilfe ablehnt und eigensinnig sei. Der Kläger fuhr ein Stück weiter Richtung Leibnitz, stellte sodann seinen PKW am Fahrbahnrand ab und begab sich in Begleitung seiner Lebensgefährtin sowie eines weiteren hinzugekommenen Autofahrers in den Straßengraben, um dem offensichtlich alkoholisierten Radfahrer zu helfen. Obwohl dieser die Hilfe ablehnte, halfen sie ihm aus dem Straßengraben, wobei der Kläger auch das Fahrrad heraushob und am Straßenrand abstellte. Er versuchte sodann, den Radfahrer zu überreden, sich von ihm mit dem Auto nach Hause bringen zu lassen. Nach einer Diskussion, in welcher der Radfahrer wiederholt jede Hilfe ablehnte, wurde der Kläger von einem herannahenden PKW, gelenkt von *****, erfasst, zu Boden geschleudert und verletzt. Der Unfallort liegt im Ortsgebiet; es gilt dort eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 70 km/h.

Für den Kläger war deutlich erkennbar, dass der Radfahrer stark alkoholisiert war, jedoch keine äußerlichen Verletzungen aufwies und darüber hinaus auch verbal bestritt, verletzt zu sein. Ein nachträglich durch die Exekutive durchgeführter Alkomattest bei ***** ergab einen Messwert von 1,07 mg/l, sohin 2,14 Promille. ***** hat seinen Hauptwohnsitz an der Adresse *****. Zwischen Unfallort und Wohnsitz des Radfahrers liegen wenige Meter, wobei ***** den Kläger auch darauf hinwies, nur 500 m weit weg zu wohnen.

Der Kläger zog sich bei dem Vorfall eine proximale Unterschenkelfraktur, einen knöchernen Syndesmoseausriss am Sprunggelenk rechts und eine Fraktur des körperinnenseitigen Sesambeines am I. Strahl des Vorfußes rechts mit persistierendem Knochenmarksödem zu. Die Behandlung erfolgte stationär in der Zeit von 14.Mai bis 31.Mai 2019 an der Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie Graz mit zwei Operationen, einer Applizierung eines Fixateurs extern sowie einer Definitivoperation. Der Schieneinbruch wurde verplattet und verschraubt, der Wadenbeinbruch mit einer Zuggurtungsosteosynthese stabilisiert und der Syndesmosenausriss konservativ behandelt. Darüber hinaus erfolgten ambulante Kontrollen sowie ein Rehabilitationsaufenthalt am Klinikum Theresienhof/Frohnleiten in der Zeit von 3. bis 24.Oktober 2019.

Aus dem Vorfall vom 14.Mai 2019 ab Ende der Heilbehandlung (3.Juni 2020) resultiert in der Zeit von 4.Juni bis 16.Dezember 2020 eine unfallkausale MdE im Ausmaß von 25 %, in der Zeit von 17.Dezember 2020 bis 3.Jänner 2021 von 100 % aufgrund des vorfallskausalen Krankenstands, in der Zeit von 4.Jänner bis 31.Jänner 2021 eine unfallkausale MdE im Ausmaß von 25 % und in der Zeit von 1.April 2021 fortlaufend eine solche im Ausmaß von 20 %.

Mit Bescheid vom 19.Mai 2020 sprach die Beklagte aus, dass der Unfall vom 14.Mai 2019 nicht als Arbeitsunfall anerkannt werde und Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung nicht bestehe.

Der Kläger sei am Unfalltag mit seinem PKW auf der rechten Straßenseite stehen geblieben, um nachzusehen, ob eine vermutlich nach einem Unfall im gegenüberliegenden Straßengraben befindliche Person Hilfe benötige. Sogleich nach Erreichen der anderen Straßenseite habe er erkannt, dass die betroffene Person offensichtlich nicht verletzt gewesen sei, sondern unter Alkoholeinfluss gestanden habe. Dies sei auch der Grund gewesen, um weiterhin an dieser Stelle zu verbleiben. Dieser weitere Aufenthalt könne nicht mehr der für den Versicherungsschutz erforderlichen tatsächlichen oder vermuteten Lebensgefahr zugerechnet werden.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seinem darauf gerichteten Begehren, dass der Unfall vom 14.Mai 2019 als Arbeitsunfall anerkannt werde.

Ob der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls noch von einer vermuteten Lebensgefahr beim verunglückten Radfahrer habe ausgehen können, sei nicht von Relevanz. Es liege jedenfalls ein den Arbeitsunfällen gleichgestellter Unfall nach § 176 Abs 1 Z 2 ASVG vor, da der Kläger bei einer Hilfeleistung in einem sonstigen Unglücksfall (Fallgruppe 4) verunglückt sei. Der Sturz des Radfahrers in den Straßengraben stelle jedenfalls einen Unglücksfall dar. Zur Beseitigung von dessen Folgen und zur Verhinderung weiterer Schäden sei es erforderlich gewesen, den Verunglückten und das Fahrrad aus dem Straßengraben zu ziehen, dieses nicht verkehrsbehindernd gesichert abzustellen und den Verunglückten vor weiteren Schäden zu bewahren. Das Vorhaben des Radfahrers, den Heimweg in der Nacht auf einer schlecht beleuchteten Landstraße mit dem Fahrrad fortsetzen, habe verhindert werden müssen, zumal er dadurch nicht nur sich selbst, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer in große Gefahr gebracht hätte. Die Hilfeleistung als solche sei zum Zeitpunkt des Unfalls des Klägers noch nicht abgeschlossen und die Gefahrensituation nicht bereinigt gewesen. Solange ein verunglückter, stark alkoholisierter Radfahrer mit seinem Fahrrad weiterfahren wolle, dauere die Hilfeleistung noch an. Der Kläger habe zwar die starke Alkoholisierung des verunglückten Radfahrers wahrgenommen, jedoch nicht abschätzen können, ob sich dieser beim Sturz in den Graben nicht allenfalls lebensgefährliche innere Verletzungen zugezogen habe. Er begehre daher berechtigt Leistungen aus der Unfallversicherung im gesetzlichen Ausmaß.

Die Beklagte beantragt Klagsabweisung unter Aufrechterhaltung ihres im Bescheid eingenommenen Standpunkts.

Nach Wahrnehmung der insgesamt vier zum Stillstand gekommenen PKWs, deren Lenker zunächst neben dem Straßengraben gestanden und in weiterer Folge wieder weggefahren seien, habe auch der Kläger weiterfahren wollen, sei jedoch von seiner Lebensgefährtin auf eine Person im Straßengraben aufmerksam gemacht worden. Er habe die Warnblinkanlage aktiviert, sei von einem zurückgekehrten Lenker eines Fahrzeugs informiert worden, dass die Person im Straßengraben sich nicht helfen lassen wolle und zu eigensinnig sei. Die Lebensgefährtin des Klägers habe jedoch gemeint, dass man dem Mann helfen müsse. In der Folge hätten sich alle Personen zu dem Mann im Straßengraben begeben und hätten dessen starke Alkoholisierung festgestellt und trotz dessen Weigerung, sich helfen zu lassen, ihm aus dem Straßengraben geholfen und das Fahrrad am Straßenrand abgestellt. Im Zuge einer heftigen Diskussion mit dem Radfahrer, der sich geweigert habe, nach Hause gebracht zu werden, sei der Kläger von einem PKW erfasst und zu Boden geschleudert worden. Bei dieser Sachlage sei nicht mehr von der für den Versicherungsschutz gemäß § 176 Abs 1 Z 2 ASVG erforderlichen tatsächlichen oder vermuteten Lebensgefahr auszugehen.

Es liege auch kein Arbeitsunfall nach der vierten Fallgruppe dieser Bestimmung vor, da im Unfallzeitpunkt des Klägers nur eine Alkoholisierung ohne Verletzung und damit keine Gefahrenlage auf Seiten des Radfahrers bestanden habe. Eine Hilfeleistung durch den Kläger habe nicht stattgefunden. Ein Unglücksfall setze eine Gefahrenlage durch einen regelwidrigen Vorgang der Außenwelt voraus, worunter ein Sturz eines alkoholisierten Radfahrers nicht zu subsumieren sei. Ein Unfall stelle ein unmittelbar von außen und plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis dar, welches hier nicht gegeben sei, sodass auch unter diesem Blickwinkel Versicherungsschutz nicht gegeben sei.

Mit dem angefochtenen Urteil stellt das Erstgericht fest, dass die Verletzungen des Klägers, nämlich eine proximale Unterschenkelfraktur, ein knöcherner Syndesmosenausriss am Sprunggelenk rechts und eine Fraktur des körperinnenseitigen Sesambeines am I.Strahl des Vorfußes rechts mit persistierendem Knochenmarksödem, Folgen des Arbeitsunfalls vom 14.Mai 2019 seien.

Es meint auf der Grundlage des eingangs wiedergegebenen und zur Gänze unstrittigen Sachverhalts rechtlich, die Erfordernisse des Unfallbegriffs in der Unfallversicherung seien beim Kläger zweifellos erfüllt. § 176 Abs 1 Z 2 ASVG umfasse jene Unfälle, die den Arbeitsunfällen im engeren Sinn nach § 175 ASVG gleichgestellt seien. Zweck dieser Regelungen sei es, aus altruistischen Beweggründen im Interesse der Allgemeinheit unternommene Tätigkeiten in den Unfallversicherungsschutz miteinzubeziehen. Im Sinne der hiezu ergangenen Rechtsprechung sei auch der Versuch, einen bereits verunglückten, schwer alkoholisierten Radfahrer dazu zu bringen, seine Fahrt nicht fortzusetzen und insbesondere, ihn mit dem eigenen PKW sicher nach Hause zu bringen, als aktives Tun bzw zumindest als Vorbereitungshandlung anzusehen. Im Fall des Klägers sei zwar die Voraussetzung der ersten Fallgruppe des § 176 Abs 1 Z 2 ASVG in Ermangelung einer faktisch vorhandenen oder in vertretbarer Weise vermuteten Lebensgefahr für den Radfahrer nicht erfüllt, jedoch erfordere die vierte Fallgruppe (Hilfeleistung in sonstigen Unglücksfällen) diese Voraussetzung nicht. Der Schutzbereich dieser Fallgruppe umfasse auch einen individuellen Unglücksfall mit einem nicht unerheblichen tatsächlichen oder drohenden Schaden, worunter jede nicht unerhebliche Gesundheitsbedrohung zu subsumieren sei. Der Schutz der Unfallversicherung setze eine durch einen regelwidrigen Vorgang der Außenwelt ausgelöste Gefahrenlage voraus, was bei einem Verkehrsunfall zutreffe. Ungeachtet des Umstands, dass der Radfahrer keine sichtbaren Verletzungen davongetragen habe, habe sich dieser aus eigener Kraft nicht aus dem Graben befreien können, womit auch nicht davon auszugehen gewesen sei, dass dieser den restlichen, wenn auch kurzen Heimweg unfall- und verletzungsfrei bewältigen hätte können. Mit dem Bergen des Radfahrers und seines Fahrrads sei die Hilfeleistung keinesfalls abgeschlossen gewesen, zumal bei Fortsetzung der Fahrt mit einem weiteren Sturz mit Verletzungsfolgen in einem hohen Wahrscheinlichkeitsbereich zu rechnen gewesen wäre. Es erscheine unbillig, dem Kläger schon im Hinblick auf den Gesetzeszweck den Unfallversicherungsschutz nicht zu gewähren. Der vom Kläger erlittene Unfall sei damit als unter Unfallversicherungsschutz im Sinne der vierten Fallgruppe der zitierten Bestimmung stehend anzusehen, einem Arbeitsunfall gleichgestellt und die festgestellten Verletzungen als Folge des Arbeitsunfalls zu werten. Ein Zuspruch von Leistungen aus der Unfallversicherung komme nicht in Betracht, da Derartiges vom Klagebegehren nicht umfasst gewesen sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten aus den Anfechtungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung in Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger, der eine Berufungsbeantwortung erstattet, beantragt, der Berufung keine Folge zu geben.

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Als mangelhaft rügt die Beklagte einen Verstoß des Erstgerichts gegen die Bestimmung des § 405 ZPO, der darin liegen soll, dass das vom Kläger gestellte Begehren (Feststellung eines Unfalls als Arbeitsunfall) nicht der Bestimmung des § 65 Abs 2 ASGG entsprochen habe und im gesamten erstinstanzlichen Verfahren auch nie modifiziert worden sei. Ungeachtet dieses Umstands habe das Erstgericht trotz fehlenden diesbezüglichen Urteilsantrags dem Klagebegehren eine gänzlich andere Fassung gegeben und die vom Kläger erlittenen Verletzungen als Folgen eines Arbeitsunfalls festgestellt. Richtigerweise hätte es das Klagebegehren kostenpflichtig zurück-, in eventu abweisen müssen.

Dieser Argumentation ist nicht zu folgen.

Es ist grundsätzlich Sache der das Verfahren einleitenden klagenden Partei, durch Formulierung ihres Begehrens den Umfang des Streitgegenstands zu bezeichnen und damit die Grenzen der Entscheidungspflicht des Gerichts abzustecken. Für das Sozialrechtsverfahren enthält das ASGG, was die Formulierung des Klagebegehrens betrifft, gegenüber § 226 ZPO in Bezug auf die Bestimmtheitserfordernisse weitgehende Erleichterungen. So legt § 82 Abs 1 ASGG fest, dass die Klage ein unter Bedachtnahme auf die Art des erhobenen Anspruchs „hinreichend bestimmtes“ Begehren zu enthalten hat. Die inhaltlichen Anforderungen an eine Klage sind auch nach der Rechtsprechung gering. Es ist nicht am starren Wortlaut des Begehrens festzuhalten. Maßgeblich dafür, ob eine Feststellungsklage, Rechtsgestaltungsklage oder Leistungsklage vorliegt, ist der Umstand, welchen Ausspruch des Gerichts der Kläger im Zusammenhang mit dem Sachvorbringen seinem Sinngehalt nach begehrt. Kommen etwa in einem Versicherungszweig in einem konkreten Fall mehrere Leistungsansprüche in Frage, so hat die Klage - selbst unter den geminderten Anforderungen an die Bestimmtheit des Begehrens - die konkrete Leistung zu bezeichnen, auf die das Begehren gerichtet ist. So würde etwa ein Begehren auf Zuspruch von gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung nicht genügen (vgl RIS-Justiz RS0039913, RS0085917; 10 ObS 21/06w; hg 6 Rs 39/17b uva).

Der Beklagten ist zuzustimmen, dass ein Klagebegehren auf Feststellung, dass es sich bei einem Unfall um einen Arbeitsunfall (im Sinne der §§ 175f ASVG) handle, nicht § 65 Abs 2 ASGG entspricht. Vielmehr ist ein auf Feststellung, dass eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit ist, gerichtetes Klagebegehren erforderlich (RIS-Justiz RS0084069).

Daraus ist jedoch für die Beklagte nichts zu gewinnen.

Das Klagebegehren war - wie dargestellt - im erstinstanzlichen Verfahren darauf gerichtet, dass der Unfall vom 14.Mai 2019 als Arbeitsunfall anerkannt werde, was die Beklagte unter anderem im angefochtenen Bescheid abgelehnt hat. Der Wortlaut dieses Begehrens entsprach demnach den Voraussetzungen des § 65 Abs 2 ASGG nicht. Die Vorgangsweise des Erstgerichts, die vom Kläger unstrittig erlittenen Verletzungsfolgen dem Unfallsgeschehen vom 14.Mai 2019 als einem Arbeitsunfall gleichgestellt zuzuordnen und festzustellen, stellt jedoch nicht den behaupteten Verstoß gegen § 405 ZPO dar, da die Rechtsprechung ein auf Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall gerichtetes Klagebegehren als (unrichtig formuliertes) Eventualfeststellungsbegehren ansieht, welches vom Gericht in diesem Sinne zu modifizieren ist (RIS-Justiz RS0108304; 10 ObS 93/16y; 10 ObS 105/02t; hg 6 Rs 54/20p uva).

Der Umstand, dass der Kläger im erstinstanzlichen Vorbringen (vgl Seite 3 unten des Schriftsatzes ON 6) andeutet, berechtigt für den Unfall „Leistungen aus der Unfallversicherung“ im gesetzlichen Ausmaß zu begehren, ist bedeutungslos, zumal dies vom Klagebegehren einerseits nicht umfasst ist, andererseits auch ein solches Begehren - wie ausgeführt - dem Gesetz nicht entsprechen würde. Im Übrigen hat die Beklagte im gesamten erstinstanzlichen Verfahren jeglichen Hinweis auf die Unzulässigkeit des Klagebegehrens in der gestellten Form unterlassen. Auch wenn eine Erörterung des Klagebegehrens durch das Erstgericht zweckmäßig gewesen wäre, bestand eine diesbezügliche Verpflichtung für das Erstgericht jedoch im Hinblick auf die dargestellte von Amts wegen vorzunehmende Modifizierung nicht. Der Zuspruch einer Leistung (etwa einer Versehrtenrente) wäre naturgemäß nicht in Frage gekommen, jedoch wurde ein solcher Anspruch weder erhoben, noch eine Leistung zuerkannt. Dazu kommt noch, dass der Kläger - wenn auch erst in der Berufungsbeantwortung - sein Klagebegehren in der vom Erstgericht vorgenommenen Formulierung als Feststellungsbegehren „verdeutlicht“ hat. Das Begehren des Klägers ist daher als ein (unrichtig formuliertes) Klagebegehren auf Feststellung zu verstehen, dass eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls ist. Die beim Kläger eingetretenen Verletzungen sind ebenso unstrittig wie die Kausalität des Unfallsgeschehens, womit dem Erstgericht ein Verstoß gegen § 405 ZPO nicht anzulasten ist.

Der gerügte Verfahrensmangel liegt demnach nicht vor.

Im Rahmen der Rechtsrüge hält die Beklagte an ihrer Rechtsauffassung fest, dass ein individueller Unglücksfall nicht vorliege, da es sich bei diesem Sturz infolge Alkoholisierung nicht um ein von außen her plötzlich einwirkendes schädigendes Ereignis handle. Darüber hinaus habe auch keine Gefahrenlage bestanden. Der Kläger habe auch keine Hilfeleistung vorgenommen. Vielmehr habe der Radfahrer die Hilfe wiederholt abgelehnt und der Kläger auch das Fehlen von äußerlichen Verletzungen wahrgenommen. Eine allfällige Hilfeleistung sei jedenfalls zum Unfallszeitpunkt des Klägers bereits abgeschlossen gewesen. Eine nicht unerhebliche Gesundheitsbedrohung habe für den Radfahrer zu keinem Zeitpunkt vorgelegen. Der Versuch, einen bereits verunglückten, schwer alkoholisierten Radfahrer von der Fortsetzung seiner Fahrt abzuhalten und mit dem eigenen PKW nach Hause zu bringen, stelle kein aktives Tun oder Vorbereitungshandlung dar und begründe damit keinen Unfallversicherungsschutz. Es könne im Hinblick auf die geringe Entfernung zwischen Unfallort und Wohnort des Radfahrers auch nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem weiteren Sturz des Radfahrers ausgegangen werden.

All diesen Ausführungen ist nicht zu folgen.

Die rechtliche Beurteilung durch das Erstgericht ist zutreffend, weshalb es an sich ausreicht, auf deren Richtigkeit zu verweisen (§ 500a ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Ergänzend ist den Berufungsausführungen nur noch zu erwidern:

Das Erstgericht hat schon zutreffend darauf verwiesen, dass durch die Bestimmung des § 176 ASVG („Arbeitsunfällen gleichgestellte Unfälle“) und hier insbesonders durch Abs 1 Z 2 Tätigkeiten, die aus altruistischen Beweggründen im Interesse der Allgemeinheit unternommen werden, in den Unfallversicherungsschutz einbezogen werden sollen (RIS-Justiz RS0084062). Sämtlichen Fallgruppen der Z 2 ist gemeinsam, dass es sich stets und ausschließlich um personenbezogene Aktivitäten handeln muss, wobei ein aktives Verhalten gefordert wird. Auf die erste Fallgruppe der Z 2 (Rettung eines Menschen aus tatsächlicher oder vermuteter Lebensgefahr) ist, da für das Berufungsverfahren ohne Relevanz, nicht weiter einzugehen.

Strittig ist zwischen den Parteien nur noch, ob - wie der Kläger behauptet und die Beklagte in Abrede stellt - Unfallversicherungsschutz nach der vierten Fallgruppe der Z 2 der genannten Bestimmung gegeben ist oder nicht. Nach dem Gesetzeswortlaut liegt ein gleichgestellter Unfall dann vor, wenn sich dieser bei der Hilfeleistung in sonstigen Unglücksfällen oder allgemeiner Gefahr oder Not ereignet. Die Schutzbereiche der ersten fünf in Z 2 geregelten Fälle erfordern grundsätzlich die Abwendung einer gegenwärtig drohenden Gefahr oder zumindest ein Dringlichkeitsmoment. Die Gefahrenlagen, in denen der Helfer tätig wird, dürfen noch nicht abgeschlossen sein (RIS-Justiz RS0084038). Der Schutzbereich der Fallgruppe 4 unterscheidet sich von jenem der Fallgruppe 1 auch dadurch, dass eine Lebensgefahr für Menschen nicht vorliegen muss, sondern es wird ganz allgemein auf die Hilfeleistung in sonstigen (daher nicht bereits von der Fallgruppe 1 erfassten) Unglücksfällen abgestellt (10 ObS 93/16y ua).

Von Bedeutung für den vorliegenden Fall ist dabei der Begriff des Unglücksfalls. Hiebei kann für die Bestimmung des Schutzbereichs der Fallgruppe 4 wie auch für den Begriff des Unglücksfalls auf die deutsche Rechtsprechung und Lehre zurückgegriffen werden. Ein Unglücksfall in diesem Sinne ist demnach ein plötzlich auftretendes Ereignis, welches erhebliche Gefahren für Sachen oder Menschen hervorzurufen droht. Es ist für den Versicherungsfall nicht erforderlich, dass der Unglücksfall bereits eingetreten ist, sondern es genügt, dass er einzutreten droht. Die Hilfeleistung muss in solchen Fällen ein positives Handeln zu Gunsten eines Dritten sein, wobei der Versicherungsschutz eines bei einem Unglücksfall Hilfe Leistenden erfordert, dass dessen Tätigkeit nicht nur objektiv auf die Beseitigung des Unglücksfalls gerichtet ist, sondern er muss auch subjektiv wesentlich von der Vorstellung bestimmt gewesen sein, einen gefährlichen Zustand zu beseitigen (10 ObS 93/16y mwN). Soweit der Unfallversicherungsschutz Gefahrenlagen erfordert, dürfen diese im Zeitpunkt der Hilfeleistung noch nicht beendet sein. Eine Gefahrenlage liegt so lange vor, als die Möglichkeit zu einer (sinnvollen) Hilfe noch nicht ausgeschlossen werden kann. Wie bereits ausgeführt, ist nach der Rechtsprechung ein aktives Verhalten, also ein Tun und nicht bloß ein Abwarten und Verweilen erforderlich. Während des Abwartens und Verweilens kann eine Person jedoch auch dann als Helfer unter Unfallversicherungsschutz angesehen werden, wenn dieses Verweilen notwendig ist, um ein sich anschließendes Tun zu ermöglichen (vgl Müller in SV-Komm, Rz 75f zu § 176 ASVG mwN).

Die Argumentation der Beklagten, dass es sich beim Sturz des Radfahrers in den Straßengraben zufolge Alkoholisierung mangels Fremdeinwirkung um keinen Unglücksfall/Unfall gehandelt habe, ist keinesfalls zu folgen. Für den Bereich der Unfallversicherung ist ein Unfall ein zeitliches begrenztes Ereignis, etwa eine Einwirkung von außen, ein abweichendes Verhalten, eine außergewöhnliche Belastung, welches zu einer Körperschädigung geführt hat (RIS-Justiz RS0084348; RS0058130 ua). Demgemäß stellt die mangelnde Fremdeinwirkung naturgemäß kein Kriterium für das Vorliegen eines Unglücksfalls dar, wären doch andernfalls Unfallsgeschehen, die etwa auf einer plötzlichen Erkrankung (Herzinfarkt etc) beruhen, schon von vornherein vom Unfallversicherungsschutz ausgenommen. Das von außen wirkende Ereignis bei einem Sturz ist schon ganz grundsätzlich der Aufprall, der von der Ursache völlig unabhängig ist (7 Ob 57/17h ua).

Demnach kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Sturz des schwer alkoholisierten Radfahrers in den Straßengraben einen Unglücksfall darstellt, welcher im Fall der Hilfeleistung durch eine andere Person grundsätzlich geeignet ist, den Schutz der Unfallversicherung zu begründen.

Im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Beklagten führt auch der Umstand, dass der schwer alkoholisierte Radfahrer keine sichtbaren Verletzungen aufwies, Fremdhilfe vehement ablehnte und die bereits stehen gebliebenen PKW-Lenker sich daraufhin von der Unfallstelle entfernten, für den Kläger nicht zum Verlust des Unfallversicherungsschutzes. Wie bereits dargestellt, dürfen (geforderte) Gefahrenlagen im Zeitpunkt der Hilfeleistung noch nicht beendet sein und liegt eine Gefahrenlage so lange vor, als die Möglichkeit zu einer sinnvollen Hilfe noch nicht ausgeschlossen werden kann. Nach dem Inhalt der Feststellungen hat sich der Kläger als einer von drei Helfern in den Straßengraben begeben, um dem Radfahrer trotz dessen ablehnender Haltung zu helfen, hat diesen sowie das Fahrrad aus dem Straßengraben gehoben und in der Folge zu überreden versucht, sich von ihm mit dem Auto nach Hause bringen zu lassen. Im Zuge dieser Diskussion wurde der Kläger schließlich von einem herannahenden PKW erfasst und erheblich verletzt.

Bei dieser Sachlage teilt das Berufungsgericht die Rechtsauffassung des Erstgerichts, wonach die Hilfeleistung zu diesem Zeitpunkt weder abgeschlossen war noch dem Kläger sinnlos erscheinen musste. Dabei spielt auch ein allenfalls nur kurzer Heimweg, den der schwer alkoholisierte Radfahrer offensichtlich ohne fremde Hilfe anzutreten beabsichtige, keine wesentliche Rolle. Das Erstgericht hat vielmehr zutreffend darauf verwiesen, dass die Zurücklegung des wenn auch nur kurzen Heimwegs durch den schwer alkoholisierten Radfahrer nicht nur mit hoher Wahrscheinlichkeit ein weiteres Sturzgeschehen (mit erheblichen Verletzungsfolgen) nach sich ziehen hätte können, sondern auch eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer dargestellt hätte. Gerade dieses der angezogenen Gesetzesstelle entsprechende altruistische Prinzip, nämlich Menschen, die noch eine Bereitschaft zu solch hochherzigen (vgl 10 ObS 138/88) Handlungen zeigen, unter den Schutz der Unfallversicherung zu stellen, entspricht dem Gesetzeszweck, weshalb es auch nach Auffassung des Berufungsgerichts unbillig wäre, den Kläger, der im Zuge der Diskussion mit dem Verunfallten, ihn mit dem klägerischen PKW gefahrlos und sicher nach Hause zu bringen, selbst einen Unfall mit schweren Verletzungen erleidet, vom Schutz der Unfallversicherung auszunehmen. Der Umstand, dass der Radfahrer keine Bereitschaft für die Entgegennahme jeglicher Hilfeleistung zeigte, vermag daran nichts zu ändern, zumal schon nach allgemeiner Lebenserfahrung davon ausgegangen werden kann, dass Personen in einem durch Alkohol schwer beeinträchtigten Zustand kaum Verständnis bzw Einsicht für vernünftiges Handeln (vgl etwa auch: Abnahme von Autoschlüssel, um das Lenken eines Fahrzeuges in betrunkenem Zustand zu verhindern) zeigen.

Das Erstgericht hat demnach das Vorliegen von Unfallversicherungsschutz zutreffend bejaht, weshalb der Berufung ein Erfolg zu versagen ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

Gründe für eine Revisionszulassung liegen im Hinblick auf die Einzelfallproblematik nicht vor.

Oberlandesgericht Graz, Abteilung 6

Textnummer

EG00202

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0639:2021:0060RS00053.21T.0928.000

Im RIS seit

11.02.2022

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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