TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/15 W226 2233016-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.11.2021
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Entscheidungsdatum

15.11.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
FPG §59 Abs4

Spruch


W226 2233016-2/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.09.2021, Zl. 770590504-190540155, zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., VI. und VII. wird mit der Maßgabe stattgegeben, dass die Spruchpunkte zu lauten haben:

„I. Der Ihnen mit Bescheid vom 17.09.2008, Zahl 07 05.905-BA, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten wird Ihnen gemäß § 9 Absatz 1 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, von Amts wegen aberkannt“;

„VI. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG iVm § 59 Abs. 4 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Enthaftung“;

„VII. Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Ziffer 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wird gegen Sie ein auf die Dauer von 6 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen“.

II. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

I.1.1. Dem damals minderjährigen, zum nunmehrigen Entscheidungszeitpunkt volljährigen, Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), einem Staatsangehörigen der Russischen Föderation, wurde nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet im Familienverband mit seiner Mutter und seinem Bruder mit Bescheid des damaligen Bundesasylamtes (im Folgenden: BAA) vom 17.09.2008, ZI. 07 05.905-BAS, der Status des subsidiär Schutzberechtigten abgeleitet von seiner Mutter im Familienverfahren gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilt (zuletzt verlängert bis 17.09.2020 mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.10.2018). Eigene Gründe wurden für den BF im Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz nicht vorgebracht. Das BAA gewährte der Mutter des BF mit Bescheid vom 17.09.2008, ZI. 07 05.904-BAS, den Status der subsidiär Schutzberechtigten und erteilte ihr eine (in weiterer Folge regelmäßig verlängerte) befristete Aufenthaltsberechtigung, wobei es feststellte, dass sie an Multipler Sklerose leide und dauerhafter ärztlicher Betreuung bedürfe. Auf Basis allgemeiner Feststellungen zur damals aktuellen Versorgungslage in der Russischen Föderation kam das BAA zu dem Schluss, dass nach einem Abbruch der Behandlung ihrer Krankheit in Österreich eine ausreichende ärztliche Versorgung in ihrem Herkunftsstaat nicht sichergestellt sei und eine menschenwürdige Existenz ebenso gefährdet sei wie die Versorgung ihrer Kinder. Da sie hinsichtlich ihrer Kinder auch nicht auf die Unterstützung durch ihren Ehemann zählen könne, sei die Schwelle der Unzumutbarkeit im Licht der einschlägigen Regelungen der EMRK im Falle ihrer Rückkehr zum Entscheidungszeitpunkt überschritten.

I.1.2. Am XXXX erging vom LG XXXX , betreffend den BF ein Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe wegen § 12 3. Fall StGB, § 15 StGB §§ 127, 129 (1) Z 3 StGB, unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren.

I.1.3. Am XXXX erging vom BG XXXX , betreffend den BF ein Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe wegen § 83 (1) StGB unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren.

I.1.4. Am XXXX sollte mit dem BF ein „Normverdeutlichungsgespräch“ geführt werden, wobei der BF allerdings nicht erschien.

I.1.5. Am XXXX wurde der BF vom LG XXXX , wegen §§ 83 (1), 84 (5) Z 2 StGB, § 15 StGB § 105 (1) StGB, § 50 (1) Z 2 WaffG zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten, bedingt, unter Setzung einer Probezeit von 5 Jahren verurteilt.

I.1.6. Am XXXX wurde der BF vom LG XXXX , wegen § 15 StGB § 142 (1) StGB § 12 3. Fall StGB, § 164 (1 u 2) StGB, § 15 StGB § 84 (4) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten unter Einbeziehung des Schuldspruches des BG XXXX ) und des LG XXXX sowie als Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 STGB unter Bedachtnahme auf das Urteil des LG XXXX verurteilt.

I.2.1. Gegen den BF wurde in weiterer Folge ein Verfahren zur Aberkennung des ihm zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten eingeleitet. Am 10.02.2020 wurde der BF im Aberkennungsverfahren niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) einvernommen und gab dabei zusammengefasst an, sehr gut Deutsch zu sprechen. Russisch könne er gar nicht; Tschetschenisch könne er auch nicht richtig und müsse ein bisschen Deutsch „reinreden“. Er sei gesund, nehme keine Medikamente und stehe nicht in ärztlicher Behandlung. In Österreich habe er seine Mutter und seine zwei Brüder, eine Freundin und weitere Verwandte. Zuletzt habe er mit seiner Großmutter mütterlicherseits und seinem großen Bruder zusammengewohnt, aber wenn er „rauskomme“ (aus der Justizanstalt) sei der Plan, dass er bei seiner Großmutter väterlicherseits wohne. Er habe in Österreich die Schule besucht, zuletzt im Jahr 2018 eine polytechnische Schule; eine Lehre habe er bisher nicht begonnen, es sei aber in Planung, dass er eine Produktionsschule besuche. In der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien lebe sein Vater, der Ende 2018 oder Anfang 2019 abgeschoben worden sei und zu dem er ab und zu Kontakt habe, weiters eine Tante mütterlicherseits und vielleicht ein Cousin, das wisse er nicht. Der BF sei nur als Baby in der Russischen Föderation oder Tschetschenien gewesen, die tschetschenische Sprache könne er brüchig und hinsichtlich der tschetschenischen Bräuche sei er ein Außenseiter. Er wisse nicht, was er zum Vorhalt, dass er subsidiären Schutz nur aufgrund der Krankheit seiner Mutter erhalten habe und eine Verfolgung seiner Familie nie gegeben gewesen sei, sagen solle. Im Fall einer Rückkehr hätte er Angst und wisse nicht, was er dort machen sollte. Gegen eine Aufnahme des Kontaktes zu seinem Vater im Fall einer Rückkehr würde nichts sprechen. Auf Vorhalt seiner strafrechtlichen Verurteilungen sowie zahlreicher polizeilicher, staatsanwaltschaftlicher und gerichtlicher Schreiben erklärte BF, viele schlechte Freunde gehabt zu haben. Briefe und Termine habe er nicht ernst genommen. In Zukunft würde er nicht mehr straffällig werden, weil er in der Strafhaft angefangen habe, über alles nachzudenken und wolle sich ändern, er habe eine Sozialnetzkonferenz angefragt und einen Plan für die Zukunft gemacht. Er wolle unbedingt in Österreich bleiben.

I.2.2. Mit Schreiben vom 16.03.2020 erstattete die zuständige Bewährungshelferin des BF eine schriftliche Stellungnahme an das BFA, in welcher im Wesentlichen dargelegt wird, dass der BF nach seiner Enthaftung bei seiner Großmutter wohnen könne. Seine Mutter sei schwer erkrankt und könne sich nicht aktiv um ihn kümmern, es gebe im dortigen Haushalt aber nach wie vor eine Wohnmöglichkeit. In der stattgefundenen Sozialnetzkonferenz sei der Aufbau einer Tagesstruktur mit Unterstützung diverser Fachkräfte geregelt worden. Der BF würde auch unterstützt werden, einen geeigneten Platz in einer Produktionsschule zu finden. Der BF habe angegeben, durch seinen Vater massiv Gewalt erfahren zu haben, womit der Vater daher gegenüber ihm keine Betreuungspflichten wahrnehmen könne bzw. würde dies eine Gefährdung des Jugendlichen darstellen.

I.2.3. Mit Schreiben vom 26.03.2020 erstattete die Kinder- und Jugendstaatsanwaltschaft XXXX eine schriftliche Stellungnahme an das BFA, in der zusammengefasst erörtert wird, dass der BF zweimal monatlich von einer externen Vertrauensperson der Kinder- und Jugendstaatsanwaltschaft in der Justizanstalt besucht werde. Laut seinen eigenen Angaben seien der BF und sein Bruder aktiv für die Pflege ihrer Mutter verantwortlich gewesen, bis sie durch die Großmutter entlastet worden seien; parallel dazu sei die Familie bis zur Abschiebung des Vaters des BF massiver psychischer und physischer Gewalt durch diesen ausgesetzt gewesen. Der BF sei etwa regelmäßig von seinem Vater geschlagen worden und habe einen Vorfall geschildert, bei dem sein Vater seine Mutter aus dem Rollstuhl herausgeprügelt habe. Im Fall einer Abschiebung des BF sei von seinem Vater eine erhebliche Kindeswohlgefährdung zu erwarten.

I.2.4. Mit Schreiben vom 18.05.2020 erstattete die Rechtsvertretung des BF eine schriftliche Stellungnahme zum übermittelten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Russischen Föderation, zuletzt aktualisiert am 27.03.2020, wobei insbesondere vorgebracht wurde, dass die allgemeine Lage in der Russischen Föderation zurzeit sehr ungünstig sei. In Österreich sei der BF sprachlich und gesellschaftlich integriert. Jedenfalls greife für den BF keine negative Prognose. Der Aufenthalt des BF sei mehrmals verfestigt und abgesehen von seinem Vater, dessen Aufenthaltsort unbekannt sei, lebe die gesamte Familie in Österreich. Der Schutz des Privat- und Familienlebens des BF überwiege das öffentliche Interesse deutlich. Es könne zudem nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der BF im Fall der Rückkehr in die Russische Föderation nicht einer realen Gefahr iSd Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre.

1.2.5. Mit Bescheid des BFA vom 09.06.2020 wurde dem BF der ihm „mit Bescheid vom 19.09.2008, ZI. 07 05.905-BAS“ (gemeint wohl 17.09.2008) zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und die mit Bescheid vom 12.10.2018, ZI. 770590504-3095367, erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, erlassen (Spruchpunkt IV.) und wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von sieben Jahren und sechs Monaten befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Begründend wird zusammengefasst ausgeführt, dass dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Weg der Erstreckung über seine Mutter zuerkannt worden sei, welcher ihrerseits der Schutzstatus ausschließlich aufgrund ihrer schweren Erkrankung an Multipler Sklerose gewährt worden sei, da zum Entscheidungszeitpunkt nicht sichergestellt gewesen sei, dass die Mutter des BF in der Russischen Föderation eine medizinische Behandlung im erforderlichen Ausmaß erhalten hätte. Der BF selbst sei einerseits niemals Opfer von Verfolgungshandlungen gewesen und habe keine eigenen Schutzgründe (gehabt), weshalb ihm eine Rückkehr in die Russische Föderation möglich und zumutbar sei. Andererseits sei der BF von österreichischen Strafgerichten wiederholt wegen Verbrechenstatbeständen verurteilt worden. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten sei dem BF sowohl gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als auch gemäß § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 abzuerkennen. Der BF sei ein junger gesunder Mann und in der Lage, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Er sei mit den Gepflogenheiten der russischen bzw. tschetschenischen Gesellschaft vertraut, im Stande, auf Tschetschenisch zu kommunizieren und verfüge zwar über keine Kenntnisse der russischen Sprache, wäre jedoch in der Lage, seine bestehenden Sprachkenntnisse zu optimieren bzw. neue Sprachkenntnisse zu erwerben. In der Russischen Föderation verfüge der BF über Angehörige, nämlich seinen Vater, seinen Onkel, seine Tanten sowie Cousins und Cousinen. Zumindest zu seinem Vater habe der BF Kontakt. Eine Fortsetzung des Aufenthaltes des BF würde eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen. Der BF verfüge zwar über Angehörige und private Anknüpfungspunkte in Österreich, ein schutzwürdiges Familienleben liege jedoch nicht vor und ein Eingriff in die durch Art. 8 EMRK garantierten Rechte des BF sei aufgrund der Verurteilungen des BF zwingend erforderlich und rechtskonform. Aufgrund der besonderes brutalen Vorgangsweise und des Verhaltens des BF in Österreich sei ein künftiges Wohlverhalten ausgeschlossen. Das Einreiseverbot in der angeführten Dauer sei jedenfalls notwendig.

I.1.2.6. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht am 13.07.2020 Beschwerde in vollem Umfang an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) erhoben.

Begründend wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der BF seit dem Jahr 2007 ununterbrochen in Österreich lebe und deutlich mehr Bindungen zu seiner Heimat Österreich als zu seinem Ursprungsland Russische Föderation, welches er nur wenige Monate aus seiner Kindheit kenne, habe. In der Russischen Föderation habe der BF nur seinen Vater, welcher den BF negativ beeinflusst habe. Die sozialen und familiären Hintergründe seien nicht berücksichtigt worden. Es werde beantragt, die Mutter und die Großmutter des BF einzuvernehmen, eine Einvernahme dieser Zeugen sowie der Freundin des BF wäre notwendig gewesen, um festzustellen, dass die Abschiebung und die Erlassung eines Einreiseverbotes massiv in das Familienleben des BF eingreifen würden. Seine Straftaten bereue er zutiefst. Es sei von einem positiven Gesinnungswandel auszugehen und stelle der BF keine gegenwärtige bzw. zukünftige und tatsächliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Bei Zweifeln an diesem Gesinnungswandel werde die Einholung eines entsprechenden Gutachtens beantragt. Im Fall des BF seien die Aufenthaltsverfestigungstatbestände gemäß §§ 52 Abs. 5 iVm 66 Abs. 3 und 67 Abs. 1 FPG iVm § 9 Abs. 5 und 6 BFA-VG erfüllt.

I.2.7. Die Beschwerdevorlage durch das BFA an das BVwG erfolgte samt Abgabe einer Stellungnahme zur Beschwerde am 13.07.2020, wobei das BFA insbesondere ausführte, dass der behauptete Gesinnungswandel des BF angesichts seines beschriebenen Verhaltens nicht ersichtlich sei und vom BF unverändert eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgehe. Zur in Aussicht gestellten Unterkunftnahme des BF bei seiner Großmutter sei darauf hinzuweisen, dass der BF nach wie vor an seiner alten Adresse Unterkunft genommen habe und auch ein Umzug des BF zur Herauslösung aus kriminellen Kreisen ungeeignet wäre. Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten habe im Fall einer gerichtlichen Verurteilung wegen eines Verbrechens zwingend zu erfolgen.

I.2.8. Nachdem das BVwG für den 06.05.2021 eine Verhandlung ausgeschrieben hatte, bei welcher sowohl der BF als auch dessen Mutter als Zeugin niederschriftlich einvernommen werden hätten sollen, langte beim BVwG am 22.04.2021 eine Mitteilung der rechtlichen Vertretung des BF ein, in welcher diese mitteilte, dass die Kinder- und Jugendhilfe nunmehr die Vertretung für den BF sei. Die Obsorge komme grundsätzlich der Mutter des BF alleine zu, diese habe aber mit 09.03.2021 die Großmutter mütterlicherseits mit der Obsorge ermächtigt, welche wiederum mit Erklärung vom 15.04.2021 die Zustimmung erteilt habe, dass der BF im gegenständlichen Beschwerdeverfahren von der Kinder- und Jugendhilfe vertreten werde. Die Mutter des BF sei an Multipler Sklerose (MS) erkrankt und habe bereits bei der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten im September 2008 daran gelitten. Seit damals habe sich ihr Zustand massiv verschlechtert. Sie sei nunmehr bettlägerig und bedürfe durchgehender Betreuung (24-Stunden-Pflege), weswegen es dieser auch nicht möglich sei, zu der für 06.05.2021 anberaumten Verhandlung vor dem BVwG zu erscheinen, um dort einvernommen zu werden. Auch ein persönliches Erscheinen vor dem Bundesamt wäre ihr nicht möglich. Die Verschlechterung ihrer Erkrankung sei zum Beispiel auch anhand ihres Behindertenausweises erkennbar: Der im Mai 2010 ausgestellte Behindertenpass sei ursprünglich bis April 2011 befristet gewesen. Diese Befristung sei gestrichen worden und sei der Grad der Behinderung von 60% auf 80% amtlich korrigiert worden. Aus dem als Beilage mitübermittelten Entlassungsbrief des LKH vom 27.11.2020 gehe zudem hervor, dass die Mutter des BF Pflegestufe 6 beziehe und auf einen Platz in einem MS Haus warte. Weiters gehe aus dem Entlassungsbrief hervor, dass die Mutter an einer sekundär progredienten Form der MS leide, EDSS 9.0, bei welcher es zu einer kontinuierlichen funktionellen Verschlechterung komme, wobei es auch gelegentliche Schübe und kleinere Remissionen geben könne. Der Begriff EDSS gebe Auskunft über den Grad der Behinderung von Menschen mit Multipler Sklerose. Der Wert 9.0 bedeute: „Kombination meist Grad 4 und mehr, hilflos auf Bett angewiesen, Essen und verbale Kommunikation möglich“. Auch die Kinder- und Jugendhilfe könne durch eigene Wahrnehmung der Sozialarbeit bestätigen, dass die Mutter des BF bettlägerig sei und es ihr zum Beispiel kaum mehr möglich sei, eine eigenhändige Unterschrift zu leisten. Dies sei auch der Grund gewesen, dass der Großmutter die Vertretungsermächtigung erteilt worden sei, da die Mutter kaum mehr in der Lage gewesen sei, die zur Vertretung des BF notwendigen Unterschriften zu leisten. Aus Sicht der Kinder- und Jugendhilfe seien daher die Voraussetzungen der Gewährung des subsidiären Schutzes im Falle der Mutter des BF nach wie vorgegeben.

Die für den 06.05.2021 anberaumte mündliche Beschwerdeverhandlung wurde auf Grundlage dieser Mitteilung in weiterer Folge abberaumt.

I.2.9. Mit Erkenntnis des BVwG vom 07.05.2021 wurde der Beschwerde gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben. Begründend führte das BVwG aus, dass die Voraussetzungen für die Aberkennung des subsidiären Schutzes betreffend den BF nicht gegeben seien:

„[…]

Die Bestimmung des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 betrifft Konstellationen, in denen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nachträglich weggefallen sind (vgl. VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, Rn 77). Im Falle des Vorliegens von Verlängerungen der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist für die Anwendung des genannten Aberkennungstatbestands zu beurteilen, ob sich die maßgeblichen Umstände seit der letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung geändert haben, weil mit einer solchen Entscheidung – auch wenn die Ermittlungspflichten einer Behörde dabei nicht überspannt werden dürfen (17.10.2019, Ra 2019/18/0353; 27.05.2019, Ra 2019/14/0153) – vor dem Hintergrund der dafür nach dem Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen zum Ausdruck gebracht wird, dass weiterhin jene Umstände gegeben sind, die für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz maßgeblich waren (vgl. VwGH 08.04.2020, Ra 2020/20/0052; 17.10.2019, Ra 2019/18/0353). Für die Beurteilung, ob maßgebliche Sachverhaltsänderungen vorliegen, sind allerdings nicht nur isoliert jene Umstände zu berücksichtigen, die nach dem Zeitpunkt der zuletzt erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eingetreten sind, sondern auch davor liegende Ereignisse, um die Situation des Fremden ganzheitlich bewerten zu können (dies ist z.B. für Fälle relevant, in denen die maßgebliche Änderung in einer bestimmten Entwicklung des Fremden liegt).

Damit bleibt die Frage, wie § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 auf Fälle anzuwenden ist, in denen der Status des subsidiär Schutzberechtigten ursprünglich allein im Wege des asylrechtlichen Familienverfahrens von einer Bezugsperson abgeleitet worden war. Bezüglich des Asylaberkennungsgrunds des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK (im Folgenden auch als „Wegfall der Umstände“-Klausel bezeichnet; vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0059) hat der Verwaltungsgerichtshof diese Frage in Bezug auf den Status des Asylberechtigten bereits beantwortet: Zu einer Sachverhaltskonstellation, in der ein Fremder den Asylstatus (nur) im Wege des Familienverfahrens nach § 34 AsylG 2005 von einer Bezugsperson erhalten hatte, sprach der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 23.10.2019, Ra 2019/19/0059, grundlegend aus, dass im Unterschied zu allen anderen Aberkennungstatbeständen des § 7 Abs. 1 AsylG 2005 die in Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK vorgesehene „Wegfall der Umstände“-Klausel nicht gesondert für einen Familienangehörigen, der seinen Asylstatus von einer Bezugsperson abgeleitet hat, geprüft werden könne. Es sei nämlich bei einer Person, welcher die Flüchtlingseigenschaft unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK zukomme, der Wegfall solcher Umstände von vornherein nicht denkbar. Unter Verweis auf sowohl den Telos der Beendigungsklauseln des Art. 1 Abschnitt C GFK als auch den Zweck der Regelungen über das Familienverfahren nach dem AsylG2005 kam der Verwaltungsgerichtshof zum Ergebnis, dass für die Aberkennung des einem Familienangehörigen im Familienverfahren (bzw. durch Asylerstreckung) zuerkannten Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der fluchtauslösenden Umstände es darauf ankommt, ob die Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und es diese daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Herkunftsstaates zu stellen. Diese Frage ist ohne Bindung an eine allfällige diesbezügliche Entscheidung im Verfahren über die Aberkennung des Asylstatus des Familienangehörigen selbstständig zu beurteilen.

Diese Rechtsprechung erachtet die zuständige Richterin des Bundesverwaltungsgerichtes auch für die Anwendung des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 auf Fälle, in denen der subsidiär Schutzberechtigte seinen Status allein durch Ableitung im Familienverfahren von einer Bezugsperson erhielt, für maßgeblich: Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK stellt nämlich ebenso wie der in Rede stehende Tatbestand auf eine Änderung der für die Schutzgewährung maßgeblichen Umstände seit Rechtskraft der (letzten) inhaltlichen Entscheidung ab. Gleichermaßen kommen die Überlegungen des Verwaltungsgerichtshofes im angeführten Erkenntnis betreffend den Zweck der Regelungen über das Familienverfahren nach dem AsylG 2005 auch in der Konstellation einer Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zum Tragen.

Dem minderjährigen Beschwerdeführer wurde als minderjährigem Sohn seiner Mutter mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.09.2008 allein im Rahmen des Familienverfahrens nach § 34 Abs. 3 AsylG 2005 (in der damaligen Fassung) subsidiärer Schutz gewährt; eigene Schutzgewährungsgründe lagen im Fall des minderjährigen Beschwerdeführers nicht vor.

Nach der dargelegten – aus Sicht der zuständigen Richterin auch auf den vorliegenden Fall übertragbaren – Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt die entscheidungswesentliche Frage für die Anwendung § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 auf den minderjährigen Beschwerdeführer darin, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an seine Mutter als Bezugsperson nicht mehr vorliegen.

Der Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.09.2008 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, weil sie an Multipler Sklerose erkrankt ist und eine ausreichende ärztliche Versorgung sowie ein menschenwürdiges Leben in ihrem Herkunftsstaat nicht sichergestellt waren. Der Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers kommt nach wie vor der Status der subsidiär Schutzberechtigten zu. Es wurde kein Aberkennungsverfahren eingeleitet; die erteilte Aufenthaltsberechtigung wurde regelmäßig verlängert. Wie bereits oben festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, leidet die Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers an einer sekundär progredienten Form der Multiplen Sklerose, EDSS 9.0, bei welcher es zu einer kontinuierlichen funktionellen Verschlechterung kommt, wobei es auch gelegentliche Schübe und kleinere Remissionen geben kann. Die Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers ist bettlägerig, 24 Stunden auf Betreuung angewiesen, zu 80% behindert und bezieht Pflegestufe 6. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers der Status der subsidiär Schutzberechtigten aberkannt werden kann, da sich an deren Situation seit Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht nur nichts verbessert, sondern sich deren Zustand in den letzten Jahren sogar massiv verschlechtert hat.

Es sind keine Hinweise ersichtlich, aus denen zu schließen wäre, dass die Umstände, auf Grund deren der Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sind, nicht mehr bestehen würden.

Auch der Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 ist somit nicht erfüllt.

[…]

Da dem minderjährigen Beschwerdeführer somit der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des § 9 Abs. 1 AsylG 2005 abzuerkennen ist, ist in weiterer Folge zu prüfen, ob eine der in § 9 Abs. 2 AsylG 2005 genannten Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vorliegt:

[…]

Wie oben dargelegt, sind im gegenständlichen Fall weder die einzelnen Verbrechen noch die kumulierten Straftaten des Beschwerdeführers in einer Gesamtbetrachtung der Umstände des konkreten Einzelfalles als „schwere Straftat“ im Sinn des Art. 17 Abs. 1 lit. b Statusrichtlinie zu werten. Es handelt sich dabei somit auch nicht um besonders qualifizierte strafrechtliche Verstöße im Sinn der oben zitierten Judikatur. Der Beschwerdeführer ist zudem seit seiner bedingten Entlassung aus der Strafhaft am 06.07.2020 nicht mehr straffällig geworden, was zwar noch nicht als langer Zeitraum des Wohlverhaltens zu werten ist. Da seine letzte Straftat jedoch fast zwei Jahre zurückliegt und er davor nahezu im Dreimonatsrhythmus Straftaten setzte, kann hier durchaus ein Gesinnungswandel erkannt werden. Unter Berücksichtigung obiger Erwägungen ist aktuell nicht zu erkennen, dass der Beschwerdeführer eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich im Sinn der oben wiedergegebenen Judikatur darstellen würde. Der Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 ist daher nicht gegeben.

3.2.3. Im Fall des Beschwerdeführers liegt sohin kein Aberkennungsgrund vor, weder gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 bis 3 AsylG 2005 noch gemäß § 9 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005“.

I.2.10. Am XXXX wurde der BF vom LG XXXX wegen § 12 3. Fall StGB § 142 (1) StGB, § 15 StGB § 105 (1) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt.

I.3.1. Mit Schreiben vom 26.07.2021 teilte das BFA dem BF mit, dass eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot beabsichtigt sei und verständigte ihn, mit der Möglichkeit innerhalb von 14 Tagen eine Stellungnahme dazu einzubringen, vom Ergebnis der Beweisaufnahme.

I.3.2. Am 04.08.2021 erstattete der BF dazu eine schriftliche Stellungnahme, in welcher er ua vorbrachte, in der Türkei geboren worden zu sein und in Tschetschenien noch nie gelebt zu haben. Ihm seien keine Verwandten in der Russischen Föderation bekannt, alle würden in Österreich leben. Der Aufenthalt seines Vaters sei ihm nicht bekannt, er habe keinen Kontakt mehr zu ihm. Er habe einen sehr großen Freundeskreis in Österreich, so viele, dass er sie gar nicht aufzählen könne. Er lebe mit seiner Mutter zusammen und habe nicht vor auszuziehen, da diese Betreuung brauche. Diese sei von ihm bzw seiner Betreuung abhängig aufgrund ihrer Krankheit, der BF sei wiederum abhängig von ihr betreffend Wohnung und Essen. Die Großmutter pflege die Mutter des BF derzeit, ihr falle aufgrund ihres Alters die Arbeit aber schwer. Er nehme an „Heroes“ vom Verein XXXX teil und habe 4 Jahre lang MMA in einem Verein gekämpft. Vor seiner Haft sei er Schüler beim BFI gewesen. Der Verein XXXX habe ihm eine Wohnung mit Betreuung zur Verfügung gestellt. Auf die Frage, ob er im Falle einer Rückkehrentscheidung an einer freiwilligen Ausreise interessiert sei, antwortete der BF er wäre zu 100% dagegen, da er hier sein ganzes Leben habe, seine Verwandten und seine Freundin. Er könne die deutsche Sprache besser als seine eigene. Er sei in seinem Heimatland nicht strafrechtlich oder politisch verfolgt worden, habe aber dort nichts, zu seinem Vater habe er auch keinen Kontakt. Auf die Frage, warum er drei Wochen nach Behebung des Aberkennungsbescheides wieder straffällig wurde antwortete der BF, dass er mit den falschen Leuten zu der Zeit unterwegs gewesen sei und das Gericht ihm aufgrund seiner Vorstrafen nicht geglaubt habe, dass er an der Sache nicht beteiligt gewesen sei. Er bereue es mit den Komplizen unterwegs gewesen zu sein. Es tue ihm leid und er zerbreche sich den Kopf in der Haft.

I.3.3. Mit Bescheid vom 01.09.2021 wurde dem BF der ihm „mit Bescheid vom 19.09.2008, ZI. 07 05.905-BAS“ (gemeint wohl 17.09.2008) zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und die mit Bescheid vom 12.10.2018, ZI. 770590504-3095367, erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, erlassen (Spruchpunkt IV.) und wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von acht Jahren und sechs Monaten befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Begründend wurde zur Aberkennung des subsidiären Schutzes ausgeführt, dass wie auch schon der AsylGH in seinem Erkenntnis vom 12.08.2010, Zl. E2 264.543-2/2010/3E, in einem vergleichbaren Fall (Aberkennung subsidiären Schutzes nach Zuerkennung im Familienverfahren) zutreffend judiziert habe, sei in Fallkonstellationen, in denen der Bezugsperson eines Schutzberechtigten (in beiden Fällen jeweils der Mutter) eine Rückkehr in den Herkunftsstaat aus in der Person der jeweiligen Bezugsperson gelegenen Gründen (im Falle der Mutter des BF: Krankheit, im zitierten Judikat: Sorgepflichten für mehrere Kinder, keine formelle Ausbildung, daher keine Jobaussichten sowie ein unzureichendes Sozialsystem) nicht zumutbar sei, nach dem Ausscheiden aus dem Familienverband zu prüfen, inwiefern die konkrete Verfahrenspartei selbst im Falle der Rückkehr mit schutzrelevanten Schwierigkeiten konfrontiert sein werde. Im Gegensatz zu seiner Mutter handle es sich beim BF um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann, welcher in 14 Monaten das 18. Lebensjahr vollenden werde. Da er einerseits auf die Unterstützung naher Angehöriger (insbesondere seines Vaters) bauen werden könne, andererseits auch im Stande sein werde, sich fortgeschrittene Kenntnisse der russischen sowie der tschetschenischen Sprache anzueignen, werde ihm das Führen eines menschenwürdigen Lebens jedenfalls möglich sein.

Der BF sei gegenständlich mit den Urteilen des Landesgerichts XXXX vom XXXX vom XXXX und vom XXXX , jeweils wegen Verbrechenstatbeständen verurteilt worden. Die Voraussetzungen des § 9 Abs 2 Z 3 AsylG seien daher zweifelsfrei als erfüllt anzusehen und sei auch nicht die Übung von behördlichem Ermessen vorgesehen, weshalb sich weitere Erwägungen von vornherein erübrigen würden. Die Ausführungen in der anwaltlichen Stellungnahme hinsichtlich des (Nicht)Vorliegens eines besonders schweren Verbrechens sowie zur Zukunftsprognose seien ausschließlich bei der Aberkennung des Status des Asylberechtigten gem. §§ 7 Abs 1 Z 1, 6 Abs 1 Z 4 AsylG von Relevanz, würden sich aber nicht auf die (gegenständliche) Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten beziehen, weshalb eine besondere inhaltliche Auseinandersetzung mit der anwaltlichen Argumentation an dieser Stelle nicht erforderlich sei.

Ziel des Refoulementschutzes sei es nicht, Menschen vor unangenehmen Lebenssituationen, wie es beispielsweise der Neuaufbau einer Lebensgrundlage im Herkunftsland sein werde, zu beschützen, sondern einzig und allein Schutz vor Lebenssituationen, die ua Art. 3 EMRK widersprechen würden, zu gewähren (AsylGH 12.1.2009, D11 227593-0/20008/8E). Angesichts der sich in Russland befindlichen Familienangehörigen des BF, seines potenziellen sozialen Umfelds und Erwerbsfähigkeit sowie seiner Anpassungsfähigkeit sei die Befürchtung, der BF würde in eine ausweglose wirtschaftliche Notlage geraten, keinesfalls indiziert. Auch betone der Verwaltungsgerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung die erforderliche Exzeptionalität der Umstände und die hohe Schwelle die auch in Fällen schlechter wirtschaftlicher Existenzgrundlage vorliegen müsse, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK darzustellen (VwGH 23.09.2009, Zl. 2007/01/0515; VwGH 06.11.2009, Zl. 2008/19/0174). Die Behörde sei somit zur Ansicht gelangt, dass vor dem Hintergrund der Angaben des BF und der getroffenen, unbedenklichen Feststellungen zu Russland keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen würden, dass er im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr laufen würde, im russischen Staatsgebiet einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Zur Rückkehrentscheidung hielt das BFA fest, dass es unbestritten sei, dass der BF in Österreich über Angehörige verfüge. Jedoch sei die Familieneinheit aufgrund seiner Verurteilung zu einer nicht bloß kurzfristigen Haftstrafe getrennt worden und der BF als aus dem Familienverband ausgeschieden zu erachten. Auch aus der krankheitsbedingten Hilfsbedürftigkeit seiner Mutter sei für ihn nichts zu gewinnen, da diese auch im Falle seiner Abschiebung über ein familiäres Netzwerk in Österreich verfüge, welches in weiterer Folge die Betreuung übernehmen könne, die Hauptlast der Betreuung auch jetzt schon seine Großmutter trage und darüber hinaus der österreichische Staat über ein funktionierendes Sozial- und Fürsorgesystem verfüge. Auch könne nicht übersehen werden, dass der BF, würde ihm etwas an der Aufrechterhaltung der Familieneinheit liegen, sich von kriminellen Milieus ferngehalten und nicht durch die Begehung schwerer Straftaten sein Aufenthaltsrecht aufs Spiel gesetzt hätte. Auch seine mangelnden Bande zu seinem Herkunftsstaat sowie die (derzeit) fehlenden bzw. unzureichend ausgebildeten Sprachkenntnisse habe das BFA nicht unberücksichtigt gelassen, jedoch verfüge er über Angehörige und vor allem seinen Vater in der Russischen Föderation und könnten ihm diese Personen daher hinreichende Unterstützung bieten. Auch auf das vor dem BVwG anhängige Aberkennungsverfahren gegen seinen Bruder Said Emir, hinsichtlich dessen es im Rückkehrfall zur wechselseitigen Unterstützung kommen könne, sei hingewiesen. Angesichts der Gesamtumstände (kein objektivierbarer österreichischer Freundeskreis außerhalb des kriminellen Milieus, schwere eigene Kriminalität) sei keine Integration in die österreichische Gesellschaft feststellbar. Vielmehr widerlege das dargelegte Verhalten jegliche Verfestigung in der österreichischen Gesellschaft.

Fallbezogen sei aufgrund obiger Erwägungen, nämlich, dass das Privat- und Familienleben des BF durch seine schwere Kriminalität erheblich getrübt worden sei, und in Anbetracht seiner festgestellten und gewürdigten Verstöße gegen die Rechtsordnung der Republik Österreich sowie der schwerwiegenden Gefahr, welche von ihm für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit ausgehe, nicht davon auszugehen, dass sein Interesse an einem Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an einer Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung überwiege.

Zum Einreiseverbot und der verhängten Dauer wurde ausgeführt, dass aufgrund der besonders brutalten Vorgangsweise und des in Österreich verwirklichten Verhaltens des BF, welches ein künftiges Wohlverhalten ausgeschlossen erscheinen lasse, seien seine persönlichen Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet als in höchstem Ausmaß relativiert anzusehen, wobei diesbezüglich anzumerken sei, dass für den BF lediglich die familiäre Vernetzung sowie sein langjähriger Aufenthalt spreche, während er offenbar über keine nennenswerte soziale Integration in straffreien Milieus verfüge und fallbezogen das Beherrschen der deutschen Sprache eine Selbstverständlichkeit und keine besondere Integrationsleistung darstelle. Auch die geäußerte Tateinsicht sei verfahrenstaktisch motiviert (und daher nicht aufrichtig). Anzumerken sei, dass die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von 30 Monaten lediglich relativ geringfügig unter jener Haftstrafe zu verorten sei, welche das BFA zur Verhängung eines unbefristeten Einreiseverbotes ermächtigt hätte, weshalb das Einreiseverbot unter Berücksichtigung seines Verhaltens auch höher ausfallen hätte können. Die relativ moderate Befristung von acht Jahren und sechs Monaten sei ausschließlich dem jungen Alter und der daraus resultierenden (theoretisch denkmöglichen, jedoch vom ho. Amt erheblich in Zweifel gezogenen) Prägbarkeit des BF im Sinne einer Hinwendung zu den rechtlich geschützten Werten bei Einbindung in ein entsprechendes Umfeld zu verdanken. Insofern der BF darauf verweise, dass er zu seiner Großmutter ziehen möchte, sei auszuführen, dass diese einerseits ebenfalls in XXXX wohnhaft sei, weshalb von einer langfristigen und nachhaltigen Desintegration aus dem destruktiven Umfeld keinesfalls ausgegangen werden könne, und angesichts des sehr fortgeschrittenen Alters der Großmutter andererseits auch nicht davon auszugehen sei, dass es dieser gelingen wird, den BF zu bändigen. Im Übrigen habe der BF die damals ins Treffen geführten Absichten zur Unterkunftnahme bei seiner Großmutter auch bis dato nie realisiert, worin zu erblicken sei, dass der BF gegenüber Behörden angebliche Reintegrationspläne präsentiere, ohne diese jedoch jemals umzusetzen. Das Einreiseverbot in der angeführten Dauer sei jedoch jedenfalls notwendig, um die hiesige Bevölkerung vor dem eskalierenden und schwerkriminellen Verhalten des BF zu schützen, ihm jedoch dennoch die Möglichkeit zu bieten, sich außerhalb des Schengenraumes den rechtlich geschützten Werten zuzuwenden, sein Verhalten konstruktiv zu reflektieren und danach bei Erfüllung der Voraussetzungen des NAG neuerlich nach Österreich einzureisen, um hier einen Wohnsitz zu begründen und ein straffreies Leben zu führen.

I.3.4. Die vom BF dagegen erhobene rechtzeitige Beschwerde monierte insbesondere ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren und eine mangelhafte Beweiswürdigung, da die Behörde es verabsäumt habe, den BF nach Erreichen seiner Volljährigkeit im gegenständlichen Verfahren niederschriftlich einzuvernehmen. Außerdem habe die Behörde es unterlassen, konkret zu begründen, aufgrund welcher Umstände sie annehme, dass eine „schwere Straftat“ vorliege. Die Behörde habe auch verkannt, dass der BF in Österreich sowohl über ein Privat- als auch ein Familienleben verfüge und der BF die prägenden Jahre seines Lebens in Österreich verbracht habe und sein Heimatland nie kennen gelernt habe. Das BFA habe auch die Durchführung einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterlassen. Der EuGH führe in einem Urteil die zentrale Bedeutung der vom UNHCR herausgegebenen Dokumente bei der Auslegung von Art. 19 der Richtlinie 2011/95 ins Treffen. Nach der „Note on Cancellation of Refugee Status“ des UNHCR seien die Prinzipien des Vertrauensschutzes, der Rechtskraft und des Legalitätsprinzips im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung abzuwägen. Innerstaatlich sei der Vertrauensschutz durch den Gleichheitssatz garantiert, wonach schwerwiegende und plötzliche Eingriffe in wohlerworbene Rechtspositionen, auf deren Bestand der Betroffene mit guten Gründen vertrauen konnte, verfassungswidrig. Es seien außerdem keine Ausführungen über etwaige Orte der Neuansiedlung bzw. wie der gerade volljährig gewordene BF, der nie das Land kennengelernt habe und zudem ADHS erkrankt ist, überhaupt eine Lebensgrundlage erwirtschaften könne, gemacht worden. Der BF habe aufgrund der Nichtdurchführung einer erneuten Einvernahme nie mehr angeben können, dass er keinen Kontakt mehr mit seinem Vater habe. Außerdem könne sein Vater nicht einmal auf sich selbst schauen, habe keine Wohnung und auch sonst keine Lebensgrundlage, sodass er den BF nicht unterstützen könne. Zudem verfügt der BF nicht über ausreichende Sprachkenntnisse und finde man in Tschetschenien keine Arbeit. Lediglich reiche Bürger bzw. erfolgreiche Sportler würden dort eine legale Beschäftigung finden.

Vor dem Hintergrund der für den BF beschriebenen Lage und der fehlenden sozialen Anknüpfungspunkte in der Russischen Föderation könne im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der Biografie des BF nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass er im Fall der Rückkehr einer realen Gefahr im Sinne der Art. 2 und Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Aufgrund der dargelegten persönlichen Verhältnisse wäre eine grundlegende Existenzsicherung in seinem Heimatland nicht möglich, was eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen würde.

Die Entscheidung sei außerdem inhaltlich rechtswidrig, da bei der Anwendung des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG eine Einzelfallprüfung durchzuführen sei, ob eine „schwere Straftat“ im Sinne des Art. 17 Abs. 1 lit. b der Statusrichtlinie vorliege. Eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten könne nicht allein darauf gestützt werden, dass der Fremde rechtskräftig verurteilt worden ist.

Die belangte Behörde gäbe nicht an, aufgrund welcher Umstände sich die Lage im Vergleich zum Zeitpunkt der Gewährung des subsidiären Schutzes bedeutsam und endgültig geändert haben solle. Um die Voraussetzungen der Aberkennung des Status des subsidiären Schutzes gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 objektiv zu erfüllen, müsse eine entsprechende Nachhaltigkeit der positiven Veränderungen im Herkunftsland des Fremden gewährleistet sein. Der Verfassungsgerichtshof habe in Hinblick auf Begründungsanforderungen in Aberkennungsbescheiden als Grundsatz festgehalten, dass ein „rechtskräftig entschiedener Sachverhalt nicht grundlos neuerlich untersucht und anders entschieden werden darf“. Um den grundlegenden Begründungsanforderungen gerecht zu werden, hätte das BFA darzulegen gehabt, inwiefern sich die Situation des BF bezogen auf die Gründe, die zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bzw. zur Verlängerung gem. § 8 Abs. 4 AsylG 2005 konkret geändert habe und inwiefern diese Änderungen dazu führen, dass die Voraussetzungen für die Schutzzuerkennung nicht mehr gegeben seien. Hierbei komme es regelmäßig nicht alleine auf den Eintritt eines Ereignisses an, sondern könne sich eine wesentliche und dauerhafte Änderung der Umstände auch als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen ergeben. Lediglich eine andere rechtliche Beurteilung oder Würdigung eines im Wesentlichen unveränderten Sachverhalts vermöge die Aberkennung eines rechtkräftig zuerkannten subsidiären Schutzes nicht zu rechtfertigen.

Der angefochtene Bescheid sei zudem inhaltlich rechtswidrig, weil die belangte Behörde verkannt habe, dass durch eine Rückkehrentscheidung der BF in seinem Recht auf Privatleben gem Art. 8 EMRK und seinem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gem Art. 2 und 3 EMRK verletzt würde. Das BFA habe eine mangelhafte Interessensabwägung vorgenommen und sei daher zu Unrecht zu dem Schluss gelangt, dass die Verhängung einer Rückkehrentscheidung zulässig wäre.

Der BF beantrage zudem, das gegen ihn ausgesprochene Einreiseverbot gem. § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG aufzuheben; in eventu zu verkürzen. Diese Dauer treffe den BF sehr hart und bedeute einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben. Der BF bereue seine Straftaten, die er aus Gruppenzwang heraus verübt habe. Er werde derzeit intensiv von einer Sozialarbeiterin des betreuten Wohnens und von einem Sozialarbeiter vom Verein XXXX betreut. Es sei davon auszugehen, dass bereits das erstmalige Erleben des Haftübels einen Gesinnungswandel beim BF hervorrufen würde.

I.3.5. Am 28.09.2021 verständigte die Staatsanwaltschaft XXXX von der erneuten Anklageerhebung gegen den BF wegen §§ 15, 105, 142 StGB, §§ 15, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 StGB.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II.1.1. Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, der tschetschenischen Volksgruppe und dem muslimischen Glauben zugehörig. Er ist XXXX geboren und lebte ab 2004 in Tschetschenien. Er spricht Deutsch und kann auch auf Tschetschenisch kommunizieren.

II.1.2. Dem damals minderjährigen BF wurde nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet im Jahr 2007 im Familienverband mit seiner Mutter und seinem älteren Bruder mit Bescheid des BAA vom 17.09.2008 der Status des subsidiär Schutzberechtigten abgeleitet von seiner Mutter im Familienverfahren zuerkannt, wobei hinsichtlich der Mutter des BF festgestellt wurde, dass sie an Multipler Sklerose leide und dauerhafter ärztlicher Betreuung bedürfe. Auf Basis allgemeiner Feststellungen zur damals aktuellen Versorgungslage in der Russischen Föderation kam das BAA zu dem Schluss, dass nach einem Abbruch der Behandlung ihrer Krankheit in Österreich eine ausreichende ärztliche Versorgung in ihrem Herkunftsstaat nicht sichergestellt sei und eine menschenwürdige Existenz ebenso gefährdet sei wie die Versorgung ihrer damals noch sehr jungen Kinder. Da sie hinsichtlich ihrer Kinder auch nicht auf die Unterstützung durch ihren Ehemann zählen könne, sei insgesamt die Schwelle der Unzumutbarkeit im Licht der einschlägigen Regelungen der EMRK im Falle ihrer Rückkehr zum Entscheidungszeitpunkt überschritten.

II.1.3. Der BF wurde mit seinen kürzlich erreichten 18 Jahren in Österreich bereits fünfmal rechtskräftig strafrechtlich verurteilt und zwar:

1.       mit Urteil des LG XXXX , wegen des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch oder mit Waffen gemäß §§ 12 3. Fall, 15 Abs. 1, 127 und 129 Abs. 1 Z 3 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974, wobei der BF „Schmiere stand“, während ein anderer versuchte, das Schloss eines Fahrrades aufzubrechen und mit Bereicherungsvorsatz wegzunehmen. Gemäß § 13 Jugendgerichtsgesetz 1988 (JGG), BGBl. Nr. 599/1988, wurde der Ausspruch der wegen dieser Jugendstraftat zu verhängenden Strafe für eine Probezeit von drei Jahren vorbehalten;

2.       Mit Urteil des BG XXXX , wegen des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB, wobei der BF einer Person zumindest einen Faustschlag in das Gesicht versetzte, was eine starke Schwellung im Stirnbereich in Form einer Beule zur Folge hatte. Gemäß § 13 JGG wurde der Ausspruch der wegen dieser Jugendstraftat zu verhängenden Strafe für eine Probezeit von drei Jahren vorbehalten;

3.       Mit Urteil des LG XXXX , wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung gemäß §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 5 Z 2 StGB, des Vergehens der Nötigung gemäß §§ 15 Abs. 1, 105 Abs. 1 StGB und des Vergehens des Besitzes einer verbotenen Waffe gemäß § 50 Abs. 1 Z 2 Waffengesetz 1996 (WaffG), BGBl. I Nr. 12/1997, unter Anwendung des § 28 StGB und des § 5 Z 4 JGG nach dem Strafsatz des § 84 Abs. 5 StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren. Bei der Strafbemessung wurden mildernd das Geständnis, erschwerend die einschlägige Vorstrafe und das Zusammentreffen mehrerer Vergehen und eines Verbrechens gewertet.

Dem Urteil liegt zugrunde, dass der BF gemeinsam mit anderen eine Person durch einen Faustschlag und einen Schlag mit der flachen Hand, jeweils in das Gesicht, in Form einer Blutung am Innenohr und einer Schwellung am Ohr am Körper verletzte. Der BF verlangte weiters von einer Person sie solle zugeben, hinter einem Instagram-Account zu stehen oder „stecken“, wobei er zuvor mit geballten Fäusten und einem auf der rechten Faust ersichtlichen Schlagring auf diese Person zuging, etwa einen Meter vor ihr stehenblieb und seine geballten Fäuste nach unten vom Körper weghielt;

4.       Mit Urteil des LG XXXX , wegen des Verbrechens des Raubes gemäß §§ 15 Abs. 1, 142 Abs. 1 als Beteiligter im Sinn des § 12 3. Fall, des Verbrechens der schweren Körperverletzung gemäß §§ 15 Abs. 1, 84 Abs. 4 StGB und des Vergehens der Hehlerei gemäß § 164 Abs. 1 und 2 StGB unter Einbeziehung der Schuldsprüche des LG XXXX , und des BG XXXX , unter Bedachtnahme gemäß § 31 Abs. 1 StGB auf das Urteil des LG XXXX , unter Anwendung der §§ 28 Abs. 1 und 40 StGB und des § 5 Z 4 JGG nach § 142 Abs. 1 StGB zu einer zusätzlichen Freiheitsstrafe von einundzwanzig Monaten. Bei der Strafbemessung wurden mildernd das teilweise Geständnis und der Umstand, dass es überwiegend beim Versuch geblieben ist, erschwerend das Zusammentreffen von insgesamt sechs Verbrechen mit fünf Vergehen, die (leichten) Verletzungen von insgesamt drei Raubopfern und die Tatbegehung während Anhängigkeit eines Verfahrens gewertet.

Dem Urteil liegt zugrunde, dass der BF bei drei Gelegenheiten beigetragen hat, mit Gewalt gegen die Opfer fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wegzunehmen, indem er sich der vorherigen Absprache entsprechend in unmittelbarer Nähe des Tatgeschehens positioniere, um einerseits die Umgebung zu beobachten und Aufpasserdienste zu leisten, andererseits bei Bedarf einzuschreiten, in das Tatgeschehen einzugreifen und entweder selbst tätlich zu werden oder die Tatausführung des unmittelbaren Täters sonst wie zu fördern. Der BF versuchte weiters im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit zwei Mittätern durch Versetzen von Faustschlägen und Fußtritten gegen den gesamten Körper, auch nachdem dieser bereits zu Boden gestürzt war, sowie durch Versetzen von Faustschlägen gegen das Gesicht an sich schwer am Körper zu verletzen. Der BF kaufte schließlich ein Mobiltelefon, das einer der Täter einer mit Strafe bedrohten Handlung gegen fremdes Vermögen erlangt hatte;

5.       Mit Urteil des LG XXXX , wegen des Verbrechens des Raubes nach § 12 3. Fall, 142 Abs. 1 StGB, wobei der BF als Mittäter mit dem Vorsatz, sich durch Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern einem anderen durch gefährliche Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben Sachen abgenötigt, dadurch beigetragen hat, dass er den anderen aufforderte mitzukommen, seine Tasche vorzuzeigen und sich so positionierte, dass dessen Flucht erschwert wurde und er bei Bedarf eingegriffen hätte und des Vergehens der Nötigung nach den § 15 Abs. 1, 105 Abs. 1 StGB, wobei der BF versuchte, das Opfer durch die mündliche Aufforderung „du rufst keine Polizei, wenn du die Polizei rufst, dann ficken wir dich“, demnach durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Körperverletzung zur Unterlassung einer Anzeige bei der Polizei wegen der oben angeführten Tat zu nötigen unter Anwendung der §§ 28 Abs. 1 StGB und des § 5 Z 4 JGG zu einer Freiheitstrafe in der Dauer von 2 Jahren. Bei der Strafbemessung wurden mildernd die Sicherstellung bzw Rückgabe der Beute, der teilweise Versuch sowie das Geständnis, erschwerend die Begehung während offener Probezeiten, vier auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende vorhergehende Verurteilungen sowie das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen gewertet. Zu LG XXXX , wurde die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe widerrufen.

Der BF befindet sich derzeit in Haft und wurde insgesamt zu Haftstrafen im Ausmaß von 3 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Selbst die Verbüßung einer Strafhaft von 22.07.2019 bis 06.07.2020 (bedingt entlassen auf eine Probezeit von drei Jahren) wegen ua Raub konnte den BF nicht davon abhalten, im Mai 2021 erneut wegen ua eines Raubes straffällig zu werden und den BF nicht zur Einsicht seines Fehlverhaltens bewegen. Außerdem wurde gegen den BF vor Kurzem erneut wegen ua eines Raubes Anklage erhoben.

II.1.4. Der BF leidet an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten. Die Mutter des BF leidet an einer sekundär progredienten Form der Multiplen Sklerose, bei welcher es (im Gegensatz zu akuten Schüben) zu einer kontinuierlichen funktionellen Verschlechterung kommt, wobei es auch gelegentliche Schübe und kleinere Remissionen geben kann. Sie bezieht Pflegestufe (und –geld) 6, bedarf einer 24h Pflege und wartet auf einen Platz in einem MS Haus der XXXX . Sie wird hauptsächlich von ihrer Mutter betreut und zum Teil von ihren Söhnen. Die sekundär progrediente Form der Multiplen Sklerose wird mit Medikamenten behandelt. Die Mutter des BF erfordert keinen ununterbrochenen stationären Aufenthalt und wäre ihr der Transport in die Russische Föderation mit ausreichenden medizinischen Begleitmaßnahmen und unter möglichster Schonung ihrer Person zumutbar.

Aufgrund der Qualität der medizinischen Versorgung und Betreuung in der Russischen Föderation und Tschetschenien ist Multiple Sklerose mittlerweile auch in der Russischen Föderation und Tschetschenien behandelbar. Die Mutter des BF kann heutzutage auch (mit nur mehr einem nicht selbsterhaltungsfähigen, fast 14-jährigen Sohn) unter Zuhilfenahme des Sozialversicherungssystems der Russischen Föderation und gegebenenfalls familiärer (finanzieller) Unterstützung ohne in eine existenzbedrohende bzw aussichtslose Lage zu geraten leben und behandelt werden.

II.1.5. Der BF besuchte mehrere Schulen in XXXX , machte aber keinen Pflichtschulabschluss und absolvierte bisher keine Lehre oder andere Ausbildung. Aufgrund seiner Straffälligkeit hat der BF Kontakt zu mehreren Vereinen, weiters verfügt er über einen Freundeskreis. Er wohnte bis März 2021 bei seinen Eltern bzw seiner Mutter und seiner Großmutter mütterlicherseits und danach in einer geförderten Wohnung mit Betreuung ( XXXX ). Er ist nicht selbsterhaltungsfähig.

II.1.6. In Österreich verfügt der BF über seine Mutter, seine zwei Brüder, die Großmutter väterlicherseits und mütterlicherseits sowie weitere Verwandte. Sein älterer Bruder ist ebenfalls von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen. Der BF hat keine Kinder; er hat eine Freundin in Österreich, mit welcher aber kein gemeinsamer Haushalt besteht und deren Beziehung durch die Haftaufenthalte des BF nur sehr eingeschränkt möglich ist. In der Russischen Föderation befinden sich der Vater des BF, eine Tante und ein Onkel mütterlicherseits sowie die Geschwister des Vaters des BF. Zu diesen Personen kann der BF (über seine Mutter, seinen Vater) Kontakt aufnehmen.

II.1.7. Unter Zugrundelegung der im Folgenden dargestellten Länderberichte liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass der BF bei einer Rückkehr ins Herkunftsland mit hinreichender Wahrscheinlichkeit konkret Gefahr liefe, dort aktuell der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden oder aufgrund der allgemeinen Versorgungslage in eine aussichtslose Lage (Nahrung, Unterkunft) zu geraten. Auch die aktuell vorherrschende COVID-19 Pandemie bildet kein Rückkehrhindernis.

Es ist dem BF jedenfalls möglich und zumutbar, sich in der Russischen Föderation, entweder in Tschetschenien selbst oder – nach Erwerb russischer Sprachkenntnisse - auch in anderen Landesteilen niederzulassen und anzumelden sowie durch eigene Erwerbstätigkeit – notfalls durch Hilfstätigkeiten - seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Viele russische Städte verfügen über eine große tschetschenische Diaspora und bieten die stärkeren Metropolen und Regionen Russlands bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch Chancen für russische Staatsangehörige aus den Kaukasusrepubliken. Der BF hat auch Zugang zu Sozialbeihilfen, Krankenversicherung und medizinischer Versorgung.

II.1.8. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung in seinem Herkunftsstaat verfolgt wird.

II.1.9. Zur Situation in der Russischen Föderation/Tschetschenien:

Länderspezifische Anmerkungen

Letzte Änderung: 18.05.2021

Hinweis:

Die Länderinformationen gehen nur eingeschränkt auf die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sowie auf eventuelle Maßnahmen gegen diese ein - wie etwa Einstellungen des Reiseverkehrs in oder aus einem Land oder Bewegungseinschränkungen im Land. Dies betrifft insbesondere auch Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung, die Möglichkeiten zur Selbst-Quarantäne, die Versorgungslage, wirtschaftliche, politische und andere Folgen, die derzeit immer noch schwer einschätzbar sind. Diesbezüglich darf jedoch auf das COVID-Kapitel der Staatendokumentation zur aktuellen COVID-19-Lage hingewiesen werden.

Zur aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Websites der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports

oder der Johns-Hopkins-Universität:

https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6

mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.

Da es sich bei den Nordkaukasus-Republiken (z.B. Tschetschenien, Dagestan) um Subjekte der Russischen Föderation handelt, werden diese nicht mehr in eigenständigen Länderinformationen abgehandelt, sondern in diese Länderinformation zur Russischen Föderation (RUSS COI-CMS) integriert. Wo es Unterschiede gibt, wurden Unterkapitel zu den einzelnen Subjekten bzw. in zusammenfassender Form zum Nordkaukasus geschaffen.

Zu Inguschetien werden – auch nach Absprache mit dem BVwG – keine Informationen mehr ins RUSS COI-CMS übernommen, da die Anzahl an Asylwerbern zu gering ist. Sollten Sie Informationen zu Inguschetien benötigen, ist eine konkrete Anfrage an die Staatendokumentation zu stellen.

In Bezug auf das Kaukasus-Emirat ist zu sagen, dass es momentan nicht ganz klar ist, ob es in der Praxis überhaupt noch existiert und falls ja, ob es einen neuen Anführer hat oder nicht. Dies scheint aber auch nicht das Wichtigste zu sein, da Kadyrows Kräfte und die russischen Sicherheitsbehörden jegliche dschihadistische Anhänger ins Visier nehmen und sie keinen Unterschied machen, unter welcher Flagge ein Islamist kämpft.

Covid-19-Situation

Letzte Änderung: 18.05.2021

Russland ist von Covid-19 landesweit stark bet

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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